Wolfgang Vogelsang, LL.M (London)
wissenschaftlicher Assistent
Lehrstuhl Prof. Dr Stephan Lorenz


Arbeitsgemeinschaft Zivilrecht IV

ZPO-Erkenntnisverfahren

3. Arbeitsgemeinschaft

Zulässigkeit der Klage II
Partei-, Prozeß- und Postulationsfähigkeit
(Prozessualer) Anspruch und Streitgegenstand
Rechtshängigkeit und Rechtskraft


Fall 10:          "This is a man's world?"

K wird mit der Klage auf Erfüllung vor dem AG Stuttgart abgewiesen, weil die B die Richterin Y überzeugt, daß sie durch arglistige Täuschung zum Vertragsschluß bewogen worden sei und ihre Vertragserklärung daher nach § 123 BGB wirksam angefochten habe.
Nach Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils verlangt in einem weiteren Prozeß am AG Augsburg nunmehr B von K Schadensersatz aus c.i.c. K bestreitet die arglistige Täuschung und beantragt Klageabweisung. Richter X hält den K für glaubwürdig.

Wie muß er entscheiden?


Lösung:

X muß der Klage der B stattgeben, wenn sie zulässig und begründet ist.

  1. 1. Die Klage ist zulässig. § 322 Abs. 1 ZPO steht der Klage der B offensichtlich nicht entgegen, da die Kaufpreisklage des K und die Schadensersatzklage der B unterschiedliche Anträge und damit unterschiedliche Streitgegenstände haben.
  2. Die Klage ist nur begründet, wenn K die B arglistig getäuscht hat. Da X diese Behauptung der B für nicht wahr erachtet, stellt sich die Frage, ob X diesbezüglich an die Feststellungen des ersten Urteils gebunden ist.

    Das ist dann der Fall, wenn der rechtskraftfähige Inhalt der Entscheidung eines Vorprozesses (die res iudicata) eine Vorfrage für die Entscheidung über einen anderen Streitgegenstand bildet. In diesem Fall darf der Richter des zweiten Prozesses die rechtskräftig entschiedene Vorfrage nicht neu selbständig beurteilen, sondern hat das rechtskräftige Judikat ohne sachliche Prüfung seiner Entscheidung zugrunde zu legen (1).
    Nach einhelliger Auffassung erwächst nur der Entscheidungssatz in Rechtskraft. Dieser ist von den tatsächlichen und rechtlichen Zwischenergebnissen, auf denen er beruht, abzugrenzen. Tatsachen, von denen das Gericht als unstreitigem oder erwiesenem Prozeßstoff ausgeht, werden nicht rechtskräftig festgestellt. Ein Urteil, das eine Vertragsklage wegen Irrtums oder Betruges abweist, stellt daher nur das Nichtbestehen des vertraglichen Anspruchs infolge Irrtums oder Betruges, nicht aber den Irrtum oder Betrug selbst rechtskräftig fest (2).

    X ist daher nicht durch das Ersturteil gebunden. Da er die von B behauptete arglistige Täuschung für nicht wahr erachtet (vgl. § 286 ZPO), ist die Klage unbegründet.

  3. X wird daher die Klage als unbegründet abweisen.


FN 1: Vgl. statt aller Musielak/Musielak, § 322 Rdnr. 10 ff m.w.N. (zurück).

FN 2: BGH NJW-RR 1988, 199, 200 (zurück).