Prof. Dr. Stephan Lorenz

 

Übersicht Subsidiaritätsprinzip

(Vorrang der Leistungskondiktion)

 

Das Subsidiaritätsprinzip (oder Vorrangprinzip) besagt (nach h.M.), daß eine allgemeine Eingriffskondiktion nur dann in Betracht kommt, wenn der Gegenstand nicht durch eine (vorrangige) Leistung erlangt wurde.

Grund für diese Privilegierung des Leistungsempfängers – die insbesondere im Rahmen von Mehrpersonenverhältnissen Bedeutung erlangt – ist die Wertung, daß Vermögensverschiebungen nur im Rahmen der jeweiligen Leistungsverhältnisse abgewickelt werden sollen, damit den Parteien der jeweils zugrundeliegenden Kausalverhältnisse ihre Einwendungen erhalten bleiben. Daneben ist das Insolvenzrisiko von entscheidender Bedeutung. Wer einen Gegenstand durch Leistung erhalten hat, soll grundsätzlich darauf vertrauen können, daß er den Leistungsgegenstand behalten kann, sofern "sein" Kausalverhältnis intakt ist, bzw. daß er – bei fehlerhaftem Kausalverhältnis – nur mit seinem Partner abrechnen muß (abstrakter Vertrauensschutz durch das Subsidiaritätsprinzip im Gegensatz zum konkreten Vertrauensschutz nach § 818 III).

Daher kommt es nach h.M. darauf an, ob der Empfänger den Gegenstand durch Leistung (gleich von wem) erlangt hat.

Das Subsidiaritätsprinzip ist aber kein starres Schema, sondern ist an die Wertungen der übrigen Rechtsordnung (insbesondere des Sachenrechts) gebunden. Danach ist eine Leistung ausnahmsweise in folgenden Fällen nicht vorrangig (d.h. eine Eingriffskondiktion besteht, obwohl der Gegenstand durch Leistung erlangt wurde):

  • Nach dem Gedanken des § 935 I, wenn der Bereicherungsgegenstand dem Anspruchssteller abhandengekommen (und trotzdem in das Vermögen des Anspruchsgegners gelangt) ist.

Hauptbeispiel ist der Einbau gestohlenen Materials durch einen Dritten: Würde der Dritte das gestohlene Material zuerst nach §§ 929, 932 zu übereignen versuchen, würde der Rechtserwerb an § 935 I scheitern. Wenn nun das Eigentum durch den Einbau nach § 946 übergeht, ist der frühere Eigentümer nicht weniger schutzwürdig.

  • Nach dem Gedanken des § 932 II, wenn der Anspruchsgegner bösgläubig hinsichtlich der Berechtigung des Dritten war, ihm den Vorteil zu verschaffen, und der Vorteil dennoch in sein Vermögen gelangt ist (wiederum z.B. über § 946).
  • Nach dem Gedanken der §§ 816 I 2, 822 bei unentgeltlichem Erwerb des Vorteils. Hier zeigen die genannten Vorschriften, daß der Gesetzgeber den unentgeltlichen Erwerber für weniger schutzwürdig hält; ihm können keine Einwendungen gegen einen Vertragspartner abgeschnitten werden.

"Einbau" des Problems in die Klausur:

Prüfung im Rahmen der Kondiktion wegen Bereicherung "in sonstiger Weise" unter dem Prüfungspunkt "Erwerb in sonstiger Weise", d.h. anders als durch Leistung.

 


Vgl. im einzelnen Lorenz/Riehm, JuS-Lern CD Zivilrecht I Rn. 420
Zu den Aufbaufragen s. auch Medicus BürgR Rn. 727 f; Köhler PdW SBT Fall 148

Rechtsprechung:

BGHZ 40, 272 ("Einbau-Fall")
BGHZ 55, 176 ("Jungbullen-Fall")
BGHZ 56, 228 ("Einbau-Fall" bei verlängertem EV und Abtretungsverbot)
BGH NJW 2001, 1855
BGH v. 24.4.2001, VI ZR 36/00 (für BGHZ vorgesehen, lehrbuchartig!)

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