Bestimmung der effektiven Staatsangehörigkeit nach Art. 5 Abs. 1 EGBGB; Nachlaßspaltung in deutsch-französischen Erbfällen


BayObLG, Beschluß vom 29. November 2004, 1Z BR 82/04


Fundstelle:

FamRZ 2005, 1704


Amtl. Leitsatz:

Für die Bestimmung der effektiven Staatsangehörigkeit eines Erblassers mit tschechischer und französischer Staatsbürgerschaft mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland sind sämtliche Umstände zu berücksichtigen, die für die Bindung zu dem einen oder dem anderen Staat von Bedeutung sind.


Gründe:
 

I. Der Erblasser, der zuletzt im Allgäu lebte, ist am 29.8.2002 in Augsburg verstorben. Der Erblasser war dreimal verheiratet. Die erste und die zweite Ehe ging der Erblasser jeweils mit einer tschechoslowakischen Staatsangehörigen ein. In dritter Ehe war er mit einer französischen Staatsangehörigen verheiratet. Die erste Ehe wurde durch Beschluss des Bezirksgerichts Prag 10 im Jahr 1974, die zweite durch Beschluss des Bezirksgerichts Jindrichuv Hradec im Jahr 1980 geschieden. Die Scheidung der dritten Ehe erfolgte durch Urteil des Landgerichts Colmar vom 8.11.1983. Aus der ersten Ehe ging die Beteiligte zu 2, aus der zweiten Ehe die Beteiligte zu 3 hervor. Die dritte Ehe blieb kinderlos. Die Beteiligte zu 2 lebt in Deutschland, die Beteiligte zu 3 lebt in der Tschechischen Republik. Dort lebt auch die Beteiligte zu 4, die Stiefmutter des Erblassers. Der in Böhmisch Budweis geborene Erblasser besaß sowohl die französische als auch die tschechische Staatsbürgerschaft. Der Erblasser hinterließ ein handschriftlich geschriebenes und unterschriebenes Testament mit Datum 27.1.2002. Es hat folgenden Inhalt:


Testament

Ich setze hiermit Frau D. (Beteiligte zu 1), Litauen, zu meinem Erben ein.
 

Die in diesem Testament begünstigte Person war die Lebensgefährtin des Erblassers. Bei den Akten befindet sich ferner die Fotokopie eines Testaments vom 12.12.2001, welches die Beteiligten zu 2 und 4 begünstigt. Der Erblasser besitzt Grundvermögen in der Tschechischen Republik. Er besitzt auch Vermögen im Inland. Am 8.1.2003 beantragte die Beteiligte zu 1 die Erteilung eines Erbscheins als Alleinerbin. Das Nachlassgericht kündigte nach Erholung zweier Gutachten zum anwendbaren Erbstatut mit Schreiben vom 12.8.2003 einen Erbschein mit dem Inhalt an, dass die Beteiligte zu 1 den Erblasser aufgrund des Testaments vom 27.1.2002 allein beerbt habe und sich der Erbschein nicht auf das in Tschechien belegene unbewegliche Vermögen erstrecke. Gegen diesen Vorbescheid legten die Beteiligten zu 2 und 3 Beschwerde ein, über die nicht entschieden wurde. Die Beschwerdeführer machten insbesondere geltend, dass dem Erblasser die Testierfähigkeit bei Abfassung des Testaments vom 27.1.2002 gefehlt habe. Nach ergänzenden Ermittlungen zur Testierfähigkeit erteilte das Nachlassgericht der Beteiligten zu 1 mit Beschluss vom 23.10.2003 einen Erbschein, der sie als Alleinerbin ausweist. Eine gegenständliche Beschränkung erfolgte nicht mehr.

Die Beteiligte zu 2 legte hiergegen Beschwerde ein, der nicht abgeholfen wurde. Die Beteiligte zu 3 schloss sich der Beschwerde im Laufe des Beschwerdeverfahrens an. Nach Ermittlungen zur Testierfähigkeit des Erblassers hat das Landgericht die Beschwerde der Beteiligten zu 2 und 3 mit Beschluss vom 30.7.2004 zurückgewiesen. Hiergegen richten sich die weiteren Beschwerden der Beteiligten zu 2 und 3.

II. Die zulässigen Rechtsmittel haben in der Sache Erfolg.

1. Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass Gegenstand des Beschwerdeverfahrens nur mehr der Erbschein vom 23.10.2003 ist. Nach Erteilung dieses Erbscheins ist der Vorbescheid vom 12.8.2003 überholt. Das auf seine Aufhebung gerichtete Beschwerdeverfahren ist gegenstandslos geworden (BayObLGZ 1982, 236/239; Bassenge/Herbst/Roth FGG/RPflG 9.Aufl. § 84 FGG Rn. 17).

2. Die weiteren Beschwerden sind begründet.

a) Der Erbschein vom 23.10.2003 ist einzuziehen, weil er unrichtig ist (§ 2361 Abs. 1 Satz 1 BGB). Er wurde offenbar unter Zugrundelegung des französischen Rechts als Erbstatut erteilt. Danach hätte aber, da der Nachlass in der Tschechischen Republik belegenes Grundvermögen umfasst, die nach französischem Recht eingreifende Nachlassspaltung in dem Erbschein Niederschlag finden müssen (vgl. Palandt/Edenhofer BGB 63. Aufl. § 2361 Rn. 3). Zwar hat der Entwurf des Erbscheins vom 12.8.2003 noch die Einschränkung enthalten, dass sich der Erbschein nicht auf das in der Tschechischen Republik belegene unbewegliche Vermögen erstreckt. Der am 23.10.2003 tatsächlich erteilte Erbschein enthielt diese Einschränkung jedoch nicht mehr.

b) Das Beschwerdegericht hat die Frage des Erbstatuts zu Unrecht nicht behandelt, sondern sich ausschließlich mit der Frage der Testierfähigkeit des Erblassers befasst. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO).

aa) Der Erblasser war sowohl tschechischer als auch französischer Staatsangehöriger. Staatsvertragliche Regelungen, die nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 EGBGB bei der Ermittlung des anzuwendenden Rechts vorrangig zu beachten wären, bestehen nicht (vgl. Palandt/Heldrich Art. 25 EGBGB Rn. 4). Nach Art. 25 Abs. 1 EGBGB bestimmt sich die Rechtsnachfolge von Todes wegen nach dem Recht des Staates, dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes angehörte. Wird auf das Recht des Staates verwiesen, dem eine Person angehört, und gehört sie mehreren Staaten an, so ist das Recht desjenigen dieser Staaten anzuwenden, mit dem die Person am engsten verbunden ist, insbesondere durch ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder durch den Verlauf ihres Lebens (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 EGBGB). Bei Doppelstaatlern, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, ist die effektive Staatsangehörigkeit festzustellen (Palandt/Heldrich Art. 5 EGBGB Rn. 2; MünchKomm EGBGB/Sonnenberger 3. Aufl. Art. 5 Rn. 4). Für die Prüfung, mit welchem Staat eine Person am engsten verbunden ist, sind alle Umstände zu berücksichtigen, wie z.B. Vermögensdispositionen, berufliche und familiäre Beziehungen, Ausübung politischer Rechte, sprachliche und kulturelle Zugehörigkeit (vgl. MünchKomm EGBGB/Sonnenberger aaO; Palandt/Heldrich Art. 5 EGBGB Rn. 2; Staudinger/Blumenwitz [2003] Art. 5 EGBGB Rn. 15). Die engere Verbindung, an die anzuknüpfen ist, muss sich aus objektiven tatsächlichen Merkmalen ableiten lassen (MünchKomm EGBGB/Sonnenberger Art. 5 Rn. 6).
Nach diesen Grundsätzen scheidet eine pauschale Anknüpfung an die zuletzt erworbene Staatsangehörigkeit aus. Vielmehr sind alle Gesichtspunkte und tatsächlichen Umstände, die für die Bindung des Erblassers an die Französische oder Tschechische Republik sprechen, zu berücksichtigen und ggf. zu gewichten. Weder das Nachlassgericht noch das Beschwerdegericht sind in Bezug auf die Ermittlung der für die Beurteilung der effektiven Staatsangehörigkeit notwendigen Tatsachen ihrer Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 12 FGG) gerecht geworden.

bb) Das Amtsgericht ist dem erholten universitären Rechtsgutachten gefolgt, wonach als effektive Staatsangehörigkeit die französische anzunehmen sei. Denn diese habe der Erblasser als letzte erworben. Diese Annahme hätte allerdings nicht ungeprüft übernommen werden dürfen, weil bereits aus einer früh im Verfahren eingeführten Urkunde über die Bezeugung der Staatsbürgerschaft der Tschechischen Republik vom 13.5.2002 auf § 1 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 193/1999 der Sammlung über die Staatszugehörigkeit einiger ehemaliger Tschechoslowakischer Staatsbürger als Rechtsgrund Bezug genommen worden ist. Ausweislich der Aktenlage hat der Erblasser die französische Staatsbürgerschaft offensichtlich im Rahmen seiner Eheschließung schon Anfang der 80er Jahre erworben. Dieser Zeitpunkt liegt somit vor dem Inkrafttreten des Gesetzes, auf welches die Staatsangehörigkeitsurkunde Bezug nimmt.
cc) Darüber hinaus bestehen nach Aktenlage konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Erblasser bis zu seinem Tod nähere Beziehungen in die Tschechische Republik pflegte, in der er auch Grundbesitz besaß. Die im Rechtsbeschwerdeverfahren zusätzlich vorgetragenen weiteren Gesichtspunkte, die hier nicht berücksichtigt werden konnten, werden bei der weiteren Sachaufklärung einzubeziehen sein.

c) Ergeben die weiteren Ermittlungen, dass der Erblasser als effektive die französische Staatsangehörigkeit besessen hat, dann richtet sich die Rechtsnachfolge von Todes wegen nach französischem Recht (Art. 25 Abs. 1 EGBGB). Die Anwendung französischen Rechts führt zur Nachlassspaltung. Nach französischem internationalem Erbrecht vererben sich bewegliche Sachen nach dem am letzten Wohnsitz des Erblassers geltenden Recht (BayObLG NJW-RR 1990,1033). Für die Vererbung von Grundstücken gilt hingegen die lex rei sitae (BayObLGZ 1982,284/289 m.w.N.). Danach erfolgt die Vererbung des Grundvermögens in der Tschechischen Republik nach tschechischem Recht. Eine internationale Zuständigkeit der deutschen Nachlassgerichte wäre insoweit nicht gegeben.
Ergeben die weiteren Ermittlungen, dass der Erblasser im Zeitpunkt des Todes als effektive die tschechische Staatsangehörigkeit besessen hat, dann richtet sich die Rechtsnachfolge von Todes wegen nach tschechischem Recht (Art. 25 Abs. 1 EGBGB). Die Tschechische Republik hat das Recht der früheren CSFR übernommen (vgl. Ferid/Firsching Internationales Erbrecht, Tschechische Republik, Rn. 3). Das internationale tschechische Erbrecht verweist auf die Rechtsordnung des Staates, deren Staatsangehöriger der Erblasser zum Zeitpunkt des Todes war (§ 17 ZMPS = tschechisches Gesetz über das internationale Privat- und Prozessrecht). Besitzt ein Erblasser zwei Staatsangehörigkeiten und ist eine davon die tschechische, dann ist aus der Sicht der Tschechischen Republik die tschechische Staatsangehörigkeit die Entscheidende (§ 33 Abs. 1 ZMPS; vgl. Ferid/Firsching aaO Rn. 7). In materieller Hinsicht unterscheidet das tschechische Recht für die Erbfolge nicht zwischen beweglichem und unbeweglichem Vermögen (vgl. Ferid/Firsching aaO Rn. 4). Somit kommt es nicht zu einer Nachlassspaltung. Die Erteilung eines Erbscheins kommt in diesem Fall nur nach § 2369 BGB in Betracht.

3. Eine Entscheidung über die Tragung der Gerichtskosten kann unterbleiben, weil sich die Kostenfolge aus der Kostenordnung ergibt. Anlass für eine Billigkeitsentscheidung nach § 13a Abs. 1 Satz 1 FGG besteht nicht. Von der Festsetzung eines Geschäftswerts für das Verfahren der weiteren Beschwerde wird in Übereinstimmung mit den Erwägungen des Beschwerdegerichts derzeit abgesehen.