BGH NJW 1992, 316: Wechsel und Grundgeschäft, Sittenwidrigkeit und Einwendungsausschluß



Ein Kreditinstitut, das von einer Spielbank von dieser über beträchtliche Summen ausgestellte Wechsel erwirbt, handelt grob fahrlässig, wenn es dem sich aufdrängenden Verdacht nicht nachgeht, den Wechselforderungen könnten zu Spielzwecken gewährte - und damit wegen Sittenwidrigkeit nichtige - Darlehen zugrundeliegen.

Zum Sachverhalt:

Die Kl. macht gegen den Bekl. Ansprüche aus zwei Wechseln über 86000 DM und 74000 DM geltend, die von einer Spielbank am 7. 9. und 2. 11. 1987 ausgestellt und vom Bekl. angenommen, aber bei Vorlage nicht bezahlt wurden. Die Kl. hat die Wechsel durch Indossamente der Ausstellerin erworben. Der Bekl. hat geltend gemacht: Es habe sich um Prolongationswechsel gehandelt. Die ursprünglichen Wechsel, die mehrfach verlängert worden seien, habe er als Gegenleistung für Jetons akzeptiert. Auf diese Weise habe die Spielbank Spielkapital kreditiert. Wechselverbindlichkeiten seien nicht entstanden, da den Wechseln zu Spielzwecken eingegangene Darlehensverbindlichkeiten zugrunde gelegen hätten. Die Kl. habe die Wechsel nicht gutgläubig erwerben können, da sie die Praxis der Spielbank gekannt habe. Zwischen der Kl. und der Spielbank habe eine Vereinbarung bestanden, wonach die Wechsel zwar diskontiert, aber nicht gegenüber den Spielern, sondern ausschließlich gegenüber der Spielbank geltend gemacht werden sollten.
Das LG hat der Klage stattgegeben. Das BerGer. hat die Berufung des Bekl. zurückgewiesen. Die Revision des Bekl. führte zur Aufhebung des Urteils des OLG sowie des Wechselvorbehaltsurteils.

Aus den Gründen:

1. Das BerGer. hält die Ansprüche aus den Wechseln für begründet. Es hat dazu ausgeführt:
Zwar sei die zugrundeliegende Darlehensvereinbarung nach § 138 BGB nichtig, da es sich - wovon nach dem Beweisergebnis auszugehen sei - um die Gewährung eines Kredits zu Spielzwecken gehandelt habe. Ein solches Darlehen sei - auch wenn es um ein staatlich konzessioniertes Spiel gehe - nichtig, wenn der Darlehensgeber aus eigenem Gewinnstreben handele. Dies sei bei einem von der Spielbank selbst für Spielzwecke gewährten Kredit zu bejahen.
Die Kl. habe die Wechsel jedoch gutgläubig erworben. Dem Bekl. sei der Nachweis nicht gelungen, daß die Kl. beim Erwerb der Wechsel gewußt oder infolge grober Fahrlässigkeit verkannt habe, daß den Wechseln sittenwidrige Spielerdarlehen zugrunde gelegen hätten. Keiner der Zeugen habe die Behauptung des Bekl. bestätigt, Mitarbeiter der Kl. seien von seiten der Spielbank über die "Spielerwechsel" in Kenntnis gesetzt worden. Auch die behauptete Absprache zwischen der Spielbank und der Kl., daß diese Wechsel nur gegenüber der Spielbank und nicht gegenüber den Bezogenen geltend gemacht werden sollten, sei nicht bewiesen worden. Es habe sich nur eine entsprechende Handhabung feststellen lassen.
Auch grobe Fahrlässigkeit beim Erwerb der Wechsel sei der Kl. nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht vorzuwerfen. Allein die Tatsache, daß die Wechsel von der Spielbank ausgestellt worden seien, lasse noch nicht den sicheren Schluß auf ein sittenwidriges Darlehensgeschäft zu. Es sei vielmehr eine Reihe anderer nicht unwirksamer Grundgeschäfte denkbar. Die Spielbank hätte unabhängig vom Spielbetrieb Darlehen gewährt haben können, um Zinsgewinne zu erzielen, um private Vorhaben zu finanzieren oder um eine durch hohe Spielverluste entstandene Notlage eines Kunden zu überbrücken. Gelegentlich seien auch private Geschäfte des Aufsichtsratsvorsitzenden über von der Spielbank ausgestellte Wechsel finanziert worden. Zwar sei auch an die Finanzierung von Spielschulden zu denken gewesen. Die Kl. hätte jedenfalls dann der Vorwurf grober Fahrlässigkeit getroffen, wenn sie die Wechsel unbesehen ohne jede Prüfung entgegengenommen hätte. Wie der Leiter der Kreditabteilung der Kl. bekundet hat, habe er sich im Sommer 1986 bei dem damaligen Geschäftsführer der Spielbank, dem Zeugen M, nach den Wechseln erkundigt und dabei erfahren, daß die Spielbank grundsätzlich keine Jetons gegen Wechsel zur Verfügung stelle. Solange die Wechsel ohne Schwierigkeiten eingelöst worden seien und an der Bonität der Spielbank als Ausstellerin keinerlei Zweifel bestanden hätten, sei es zumindest nicht grob fahrlässig gewesen, wenn sich die Kl. mit einer solchen Auskunft begnügt habe.

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Das BerGer. ist nach dem Beweisergebnis ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, daß den Wechselforderungen der Kl. zu Spielzwecken gewährte - und damit wegen Sittenwidrigkeit nichtige - Darlehen zugrundeliegen. Die Rechtsprechung hat die Sittenwidrigkeit solcher Darlehen stets angenommen, wenn der Darlehensgeber von eigennützigen Beweggründen geleitet wurde, wenn er das Darlehen aus eigenem Gewinnstreben gewährte und es sich für den Darlehensnehmer um bedeutende Summen handelte. Auch bei einer staatlich konzessionierten Spielbank ist es zu mißbilligen, wenn der Inhaber der Spielbank seines Gewinnes wegen Spielern größere Darlehen gewährt, um sie zum Weiterspielen zu veranlassen, zumal, wenn die Darlehen in Form von Jetons gegeben werden. Dadurch wird der Spieler in die Gefahr gebracht, immer tiefer in erhebliche Spielschulden zu geraten (BGH, NJW 1961, 1204 L = LM § 762 BGB Nr. 1; NJW 1974, 1821 = LM § 762 BGB Nr. 3). Aus diesen Gründen waren auch im vorliegenden Fall die von der Spielbank gewährten Darlehen nach § 138 I BGB nichtig.
b) Das BerGer. hat offengelassen, ob die für die nichtige Darlehensverbindlichkeit akzeptierten Wechsel lediglich kondizierbar seien oder ob die Begebungsverträge selbst wegen Sittenwidrigkeit nichtig seien. Der Bekl. ist hier jedoch nicht auf die Einwendungen beschränkt, das der Wechselbegebung zugrundeliegende Darlehensgeschäft sei nichtig. Diese auf der unmittelbaren Beziehung des Beklagten zur Ausstellerin der Wechsel, der Spielbank, beruhende Einwendung könnte er der Kl. nach Art. 17 WG nur entgegensetzen, wenn diese beim Erwerb der Wechsel bewußt zu seinem Nachteil gehandelt hätte. Im vorliegenden Fall sind jedoch auch die zwischen dem Bekl. und der Spielbank bei der Begründung der Wechselverbindlichkeiten abgeschlossenen Begebungsverträge wegen Sittenwidrigkeit als nichtig anzusehen. Ist das Grundgeschäft - hier also der jeweilige Darlehensvertrag - wegen Verstoßes gegen § 138 I BGB nichtig, so läßt dies zwar wegen der abstrakten Natur der Wechselerklärungen grundsätzlich die Wirksamkeit der Wechselbegebungsverträge unberührt (Senat, NJW 1990, 384 (385) = LM § 138 (Ab) BGB Nr. 13 bezüglich der gleichliegenden Problematik beim Scheck). Doch kann auch die Wechselverpflichtung als solche nichtig sein, wenn gerade mit der Begebung ein sittenwidriger Zweck verfolgt wird (vgl. Baumbach-Hefermehl, WG und ScheckG, 17. Aufl., Art. 17 WG Rdnr. 50; Bülow, WG, ScheckG, AGB Art. 17 ScheckG. 41). Davon ist hier auszugehen. Denn die Spielbank hat dadurch, daß sie sich die nichtige Darlehensforderung durch die vom Bekl. als Darlehensnehmer akzeptierten Wechsel noch absichern ließ, erneut gegen die guten Sitten verstoßen (vgl. BGH, NJW 1961, 1204 L = LM § 762 BGB Nr. 1). Da die Begebungsverträge nichtig waren, hat die Spielbank die Wechsel nicht wirksam erworben. Sie ist nicht Eigentümerin der Wechsel geworden. Sie konnte sie auch nicht als Berechtigte an die Kl. weiterübertragen.

c) Die Kl. hat die an sie indossierten Wechsel auch nicht gutgläubig erworben (Art. 11 I, 14 I, 16 II WG).
Wie unter b) dargelegt wurde, sind die Wechsel, aus denen die Kl. ihre Ansprüche herleitet, ohne rechtswirksame Begebungsverträge in fremde Hände gelangt und daher abhanden gekommen i. S. des Art. 16 II WG (vgl. Baumbach-Hefermehl, Art. 16 WG Rdnrn. 9 m. w. Nachw.). Entgegen der Ansicht des BerGer. ist der Vorwurf gerechtfertigt, daß die Kl. beim Erwerb der Wechsel grob fahrlässig gehandelt hat.
Der Begriff der groben Fahrlässigkeit ist zwar ein Rechtsbegriff. Die Feststellung der Voraussetzungen ist jedoch tatrichterliche Würdigung und mit der Revision nur beschränkt angreifbar. Der Nachprüfung unterliegt aber jedenfalls, ob der Tatrichter den Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des Grades der Fahrlässigkeit wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat (st. Rspr., BGH, NJW 1988, 1265 (1266) = LM § 640 RVO Nr. 22 m. w. Nachw.). Ist das der Fall, kann das RevGer. die Beurteilung des Verschuldensgrades selbst vornehmen, wenn die Feststellungen des BerGer. ein abgeschlossenes Tatsachenbild ergeben (BAG, NJW 1989, 2076 m. w. Nachw.; BGH, NJW 1991, 1415 (1417)). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die für die Entstehung der Wechselverbindlichkeiten und den Erwerb der Wechsel durch die Kl. maßgebenden Tatsachen sind aufgrund des Tatsachenvortrages der Parteien und nach einer umfangreichen Beweisaufnahme vom BerGer. umfassend festgestellt worden.
Eine besonders schwere Sorgfaltspflichtverletzung liegt nach den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen vor, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt wurde, wenn ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder beiseite geschoben wurden und dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall sich jedem aufgedrängt hätte. Bei der groben Fahrlässigkeit handelt es sich um eine auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung, die das gewöhnliche Maß der Fahrlässigkeit des § 276 I BGB erheblich übersteigt (BGH, NJW 1988, 1265 (1266) = LM § 640 RVO Nr. 22; BGHZ 10, 14 (16 f.) = NJW 1953, 1139 = LM § 932 BGB Nr. 2; BAG, NJW 1989, 2076).
Nach diesen Maßstäben hat die Kl. grob fahrlässig gehandelt. Dabei kam es gem. § 166 I BGB hinsichtlich der Kenntnis oder des Kennenmüssens bestimmter Umstände im Zusammenhang mit dem Erwerb der Wechsel auf die Angestellten der Kl. an, die als Vertreter - hier insbesondere als Leiter der Kreditabteilung der Kl. - oder Verhandlungsgehilfen mit dem Erwerb der Wechsel befaßt waren.
Einem Kreditinstitut, das von einer Spielbank auf Privatpersonen gezogene Wechsel in beträchtlicher Höhe zum Diskont hereinnimmt, muß sich die Frage aufdrängen, ob es sich um Spielerwechsel handelt. Daß es sich nicht um rediskontfähige Warenwechsel handelte, war nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auch der Kl. klar. Sie hat die Wechsel nicht mit dem dafür vorgesehenen günstigeren Zinssatz diskontiert und sie auch nicht zum Rediskont weitergegeben. Die vom BerGer. erwogene Möglichkeit, die Wechsel könnten Schadensersatzansprüche der Spielbank abgedeckt haben, stellt ebenso wie die unterstellte Darlehensgewährung für andere als Spielzwecke eine theoretische Überlegung dar, die die Kl. nicht von Nachforschungen freistellen konnte. Die Annahme, es könne sich um Überbrückungsdarlehen für Spieler handeln, die durch Verluste in eine akute Notlage geraten waren, schied schon wegen der Höhe der Wechsel als ernsthafte Erklärung aus.
Auch das BerGer. geht ungeachtet der von ihm als möglich angesehenen unverfänglichen Sicherungszwecke zutreffend davon aus, daß die Kl. sich den Vorwurf grober Fahrlässigkeit gefallen lassen müßte, wenn sie die Wechsel "unbesehen ohne jegliche Prüfung entgegengenommen" hätte. Entgegen seiner Ansicht wird dieser Vorwurf aber nicht dadurch ausgeräumt, daß der Leiter der Kreditabteilung der Kl. im Jahre 1986 anläßlich der Absprache von Tagesdispositionen auf seine beiläufige Frage von dem damaligen Geschäftsführer der Spielbank die Auskunft erhalten hat, es würden grundsätzlich keine Jetons auf Wechsel zur Verfügung gestellt. Damit war weder die Gewährung von Darlehen für Spielzwecke als Grund für die Wechselhingabe eindeutig ausgeschlossen noch ein anderer plausibler Grund dargelegt. Die Tatsache, daß die Spielbank nach den Feststellungen des BerGer. die eingereichten Wechsel bis zur Konkurseröffnung bei Fälligkeit jeweils selbst bezahlte und Prolongationspapiere einreichte, mag die Kl. der Sorge um die Bonität der Akzeptanten enthoben und deshalb ihr Interesse gemindert haben, der Frage nach dem Zweck der Wechsel nachzugehen. Das Maß der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt und die Würdigung ihrer Außerachtlassung richten sich jedoch nicht nach dem Sicherungsbedürfnis der Kl., sondern nach den oben genannten Kriterien. Die festgestellte reibungslose Aufnahme fälliger Wechsel durch die Spielbank selbst sprach eher für als gegen die Annahme von Wechseln für Spielzwecke und war daher nicht geeignet, den sich der Kl. aufdrängenden Verdacht auszuräumen oder auch nur zu mindern.