Übertragung des Wechsels durch Abtretung - Übergabeerfordernis?

BGH, Urteil v. 11.04.1988 - II ZR 272/87

Amtlicher Leitsatz

Zur Frage, ob
a) das im Art. 93 Abs. 1 WG kodifizierte Wirkungsstatut des Zahlungsortes durch Parteivereinbarung abbedungen werden kann,
b) die Abtretung der Forderung aus einem präjudizierten Wechsel zu ihrer Wirksamkeit dessen Übergabe erfordert.


Fundstellen:

BGHZ 104, 145 ff


Zum Sachverhalt:

Der Beklagte bezog von der Firma P., die ihren Sitz in K. (Dänemark) hat, im Rahmen einer langjährigen Geschäftsverbindung Campingwagen, die er in Deutschland weiterveräußerte. Zur Bezahlung zweier Rechnungen akzeptierte er zwei von der Firma P. in München am 7. bzw. 12. Dezember 1981 ausgestellte, in K. per 7. und 12. März 1982 zahlbar gestellte Wechsel über 43 600 und 48 447 DKr. Da der Beklagte die Wechselforderungen bei Vorlage der Wechsel nicht bezahlte, wurden die Forderungen - nach der Behauptung der Klägerin zum Teil - durch den Dänischen Eksportkreditradet Kopenhagen (künftig: EKR), eine staatliche Kreditversicherungsbehörde, beglichen, bei welcher die Firma P. ihr Exportrisiko abgesichert hatte.
Die Zahlung wurde an die Klägerin vorgenommen, weil diese der Firma P. im Jahre 1981 einen Kredit gewährt hatte. Die Wechsel sind vor Fälligkeit an die Klägerin indossiert worden, jedoch nicht zum Protest gelangt. Die Klägerin verlangt als Inhaberin von dem Beklagten Zahlung der Wechselsummen Zug um Zug gegen Herausgabe der Wechsel. Sie hat gegen ihn ein entsprechendes Wechselvorbehaltsurteil erwirkt, das rechtskräftig geworden ist. Nach Eintritt in das Nachverfahren ist zwischen den Parteien streitig geworden, ob die umstrittenen Forderungen im Hinblick auf die von dem EKR vorgenommene Zahlung auf diesen übergegangen oder übertragen worden sind. Die Klägerin behauptet, weiterhin zur Geltendmachung des gesamten Wechselbetrages aktivlegitimiert zu sein. Soweit die Forderungen auf den EKR übergegangen sein sollten, sei sie zur gerichtlichen Geltendmachung ermächtigt und verpflichtet worden. Denn der EKR zahle endgültig nur dann, wenn die Erfolglosigkeit der Beitreibung einer Forderung nachgewiesen werde. Der Beklagte bestreitet die Aktivlegitimation der Klägerin. Sowohl die Kaufpreis- als auch die Wechselforderungen seien an den EKR abgetreten worden. Eine Ermächtigung der Klägerin durch den EKR zur Geltendmachung der Forderungen ei nicht erteilt worden.
Das Landgericht hat das Wechselvorbehaltsurteil unter Wegfall des Vorbehalts aufrechterhalten. Das Berufungsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Die Revision des Beklagten führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Aus den Gründen:

1. Das Berufungsgericht hat die Entscheidung über die von der Klägerin gegen den Beklagten als Akzeptanten geltend gemachten Wechselzahlungsansprüche zutreffend nach deutschem Recht getroffen. Art. 93 Abs. 1 WG bestimmt allerdings, daß sich die Wirkungen der Verpflichtungserklärungen des Annehmers eines gezogenen Wechsels nach dem Recht des Zahlungsortes bestimmen. Da in beiden der Klage zugrundeliegenden Wechseln als Zahlungsort der in Dänemark gelegene Niederlassungsort der Wechselausstellerin angegeben ist, wäre danach dänisches Recht anzuwenden. Diese in Art 93 Abs. 1 WG getroffene Regelung kann jedoch durch Vereinbarung der Parteien wirksam abbedungen werden (Baumbach/Hefermehl, WG und ScheckG 15. Aufl. Übersicht 1 vor Art. 91 WG; Zöllner, Wertpapierrecht 14. Aufl. § 10 IV; Quassowski/Albrecht, WG, 1934, Art. 93 Rdnr. 9; Knur/Hammerschlag, WG, 1941, Art. 93 Rdnr. 3). Nach den Ausführungen des Berufungsgerichts sind die Parteien stillschweigend übereingekommen, die sich aus den beiden Wechseln ergebenden Ansprüche nach deutschem Wechselrecht entscheiden zu lassen.

Das wird von der Revision ausdrücklich anerkannt. Einer solchen Vereinbarung steht kein zwingendes Recht entgegen. Die in Art 93 Abs. 1 WG enthaltene Formulierung, daß sich die Wirkungen der Verpflichtungserklärungen u. a. des Annehmers eines gezogenen Wechsels nach dem Recht des Zahlungsortes bestimmen, rechtfertigt nicht die Annahme, von der gesetzlichen Regelung abweichende Parteivereinbarungen seien ausgeschlossen. Unabdingbare, dem Wechselrecht zugrundeliegende Prinzipien gebieten eine zwingende Regelung ebenfalls nicht. Zwar kann die Möglichkeit, eine individuelle, nicht in dem Wechsel niedergelegte Vereinbarung über die anzuwendende Rechtsordnung zu treffen, geeignet sein, die Verkehrssicherheit und damit die Umlauffähigkeit des Wechsels zu beeinträchtigen. Diesen Bedenken kann jedoch hinreichend dadurch Rechnung getragen werden, daß die abweichende Bestimmung des anwendbaren internationalen Rechts in zulässiger Form auf dem Wechsel vermerkt wird (vgl. Baumbach/Hefermehl aaO Übersicht 1 vor Art. 91 WG; Zöllner aaO § 10 IV; Kessler, WG, 1933, Vorbemerkung zu Art. 91 Anm. 2 a). Auch aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmung ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, daß mit Art. 93 Abs. 1 WG eine ausschließliche Regelung getroffen werden sollte. Bei den Beratungen der Genfer Konferenz wurde der Zahlungsort lediglich als Anknüpfungspunkt für das Land angesehen, dessen Recht auf die unterschiedlichen, sich aus dem Wechsel ergebenden selbständigen Verpflichtungen angewandt werden sollte. Dieser Vorschlag wurde im Hinblick auf die Verpflichtungen des Akzeptanten eines gezogenen und des Ausstellers eines eigenen Wechsels angenommen (vgl. Art. 93 Abs. 1 WG, der Art. 4 Abs. 1 des Abkommens über Bestimmungen auf dem Gebiet des internationalen Wechselprivatrechts - KonfliktAbk -, abgedruckt bei Baumbach/Hefermehl aaO WG Anh. 9 b, entspricht).

Um die Gefahr der Umgehung von Gebührenvorschriften sowie der nationalen Vorschriften über die Altersgrenzen für die Geschäftsfähigkeit soweit wie möglich auszuschließen, wurde den Wirkungen der übrigen Wechselerklärungen der mehrheitlich angenommene italienische Vorschlag zugrundegelegt, der die ausschließliche Anknüpfung des Verpflichtungsstatuts der Garantieerklärung an den wirklichen Erklärungsort vorsah (vgl. Art. 93 Abs. 2 WG, der Art. 4 Abs. 2 KonfliktAbk entspricht; zur Entstehungsgeschichte vgl. Comptes rendus de 1a conference internationale pour I'unification du droit en matiere de lettre de change, billets a` ordre et cheques, tenue a` Geneve du 13 Mai au 7 Juin 1930 - Premiere Session. Lettres de change er billets a` ordre -. Völkerbundsdrucksache C. 360. M. 151. 130. II. S. 356-363 und 429-432; Quassowski/Albrecht, WG, 1934, Art. 93 Anm. 2; Hupka, Das einheitliche Wechselrecht der Genfer Verträge, 1934, S. 250-253; Ludwig Reiser, Die Wirkungen der Wechselerklärungen im Internationalen Privatrecht, 1931, S. 56/57). Die Ausschließlichkeit der im internationalen Wechselrecht getroffenen Regelung wird demgemäß überwiegend zur Frage des Verpflichtungsstatuts erörtert (vgl. Baumbach/ Hafermehl aaO Art. 93 Anm. 1; Kessler aaO Vorbemerkung zu Art. 91 Anm. 2 b; Reiser aaO S. 57/58; Quassowski/Albrecht aaO, Art. 93 Anm. 9; Hupka aaO S. 253/254). Soweit aus dem Inhalt der Verhandlungen der Genfer Konferenz auf den zwingenden Charakter des internationalen Wechselrechts einschließlich der Vorschrift des Art. 4 Abs. 1 KonfliktAbk (Art. 93 Abs. 1 WG) geschlossen wird (M. Wolff, Über den Verkehrsschutz im neuen Wechselrecht, Festschrift für Carl Wieland, 1934, S. 438, 457 460; Stranz, Wechselrecht 14. Aufl. Art. 93 Anm. 3; Soergel/Kegel, BGB 11. Aufl. vor Art. 7 EGBGB Rdnr. 339), ist das nicht gerechtfertigt. Im Interesse der Verkehrssicherheit und Umlauffähigkeit des Wechsels wird die Wirksamkeit einer Vereinbarung über anzuwendendes Recht davon abhängig gemacht, daß ein entsprechender Vermerk auf der Wechselurkunde angebracht worden ist (Baumbach/Hefermehl aaO Übersicht 1 vor Art. 91 WG; Zöllner aaO § 10 IV; auch Kessler aaO Vorbemerkung zu Art. 91 Anm. 2 a; dagegen Reiser aaO S. 57). Dem ist insoweit zuzustimmen, als die Vereinbarung auch gegenüber einem Wechselinhaber Wirksamkeit entfalten soll, mit dem sie von dem Akzeptanten nicht getroffen worden ist. Wird die Abrede jedoch - wie vorliegend - zwischen dem Akzeptanten und dem Wechselinhaber getroffen, mit dem der Streit um die Wechselforderung ausgetragen wird, werden andere Wechselbeteiligte von ihr nicht betroffen, so daß sie auch ohne Aufnahme in den Wechsel wirksam ist.

2. Das Berufungsgericht führt zutreffend aus, daß der Beklagte durch das in Rechtskraft erwachsene Vorbehaltsurteil nicht gehindert ist, die Aktivlegitimation im Nachverfahren mit der Behauptung zu bestreiten, die Wechselforderungen seien an den EKR abgetreten worden. Da dieser Vortrag nicht Gegenstand des Vorverfahrens war, entfaltet das Wechselvorbehaltsurteil insoweit auch keine Bindungswirkung (BGHZ 82, 115, 119/ 120). Das Berufungsgericht verneint die Wirksamkeit der behaupteten Abtretung aber bereits im Hinblick darauf, daß dafür auch bei einem präjudizierten Wechsel dessen Übergabe Voraussetzung sei, eine solche aber nicht stattgefunden habe. Dagegen wendet sich die Revision im Ergebnis zu Recht. Zutreffend hat das Berufungsgericht insoweit deutsches Recht angewandt. Da die Wechselforderungen selbst nach deutschem Recht zu beurteilen sind, gilt das auch für die sachlichrechtlichen Voraussetzungen ihrer Übertragbarkeit (vgl. für das hier maßgebende, vor Inkrafttreten des durch das Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts vom 25. Juli 1986 eingefügten Art. 33 Abs. 2 EGBGB geltende Recht: BGHZ 87, 19, 21; BGH Urt. v. 28. Oktober 1957-II ZR 99/56, WM 1957, 1574; Soergel/Kegel aaO vor Art. 7 EGBGB Rdnrn. 444, 445; Palandt/Heldrich, BGB 45. Aufl. Vorbemerkung vor Art. 12 EGBGB Anm. 5 c).

Das Berufungsgericht geht ferner zutreffend davon aus, daß eine Wechselforderung auch nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts abgetreten werden kann (§§ 398 ff. BGB), die Wirksamkeit der Abtretung jedoch die Übergabe der Wechselurkunde erfordert (RGZ 88, 290, 292; 160, 338, 341; BGH Urt. v. 12. Dezember 1957 - II ZR 43/57, WM 1958, 70/71; Urt. v. 15. Dezember 1969 - II ZR 252/67, WM 1970, 245/246; Baumbach/Hefermehl aaO Art. 11 WG Rdnr. 5; Hueck/Canaris, Recht der Wertpapiere 12. Aufl. § 8 I; Eugen Ulmer, Das Recht der Wertpapiere, 1938, S. 76/77; Serick, Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübertragung Bd. 2, 1965, § 26 I 2; a A. Zöllner, Die Zurückdrängung des Verkörperungselements bei den Wertpapieren, Festschrift Ludwig Reiser, 1974, S. 249, 277/278; ders. Wertpapierrecht aaO § 14 I 2; Muschelar, Verlängerter Eigentumsvorbehalt und Wechseldiskont NJW 1981, 657, 658/659), wobei ein Übergabeersatz genügt (BGH WM 1958, 70/71). Der Übergabe der Wechsel bedurfte es im vorliegenden Fall aber nicht, da die Wechsel nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen bereits präjudiziert waren, als die Forderungen nach der Behauptung der Beklagten an den EKR abgetreten worden sind. Die Abtretung der Forderung aus einem präjudizierten Wechsel ist auch dann wirksam, wenn die Übergabe des Wechsel nicht erfolgt oder ein Übergabesurrogat nicht vereinbart worden ist. Die Notwendigkeit der Besitzübergabe bei der Abtretung einer Forderung aus einem nicht präjudizierten Wechsel folgt aus dem sachenrechtlichen Traditionsprinzip und dem Gebot der Rechtssicherheit, da der Wechsel auch vom Nichtberechtigten gutgläubig erworben werden kann (Baumbach/Hefermehl aaO Art. 11 WG Rdnr. 5; Hueck/Canaris aaO § 1 II 5 b; § 8 I 1 a; Serick aaO § 26 I 2).

Hingegen scheidet der gutgläubige Erwerb der Forderung aus einem präjudizierten Wechsel aus, da dieser gemäß Art. 20 Abs. 1 Satz 2 WG nur nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts übertragen werden kann. Demgemäß gebieten das sachenrechtliche Traditionsprinzip und das Gebot der Rechtssicherheit in diesem Falle keine Übergabe des Wechsels. Eine solche Notwendigkeit kann auch nicht mit dem Hinweis auf die § 1154 Abs. 1 Satz 2 und § 792 Abs. 1 Satz 3 getroffene Regelung begründet werden. Die für die Übertragung einer Aynweisung aufgestellten Voraussetzungen stellen einen Ausnahmetatbestand dar und sind von dem Gesetzgeber in dem Bestreben geschaffen worden, die Anweisung zu einem eigenen Rechtsinstitut auszugestalten. Die für den Hypothekenbrief getroffene Regelung läßt sich deswegen nicht verallgemeinern, weil sie das Korrektiv zu der in § 1155 BGB eröffneten Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs einer Hypothek darstellt (vgl. dazu Hueck/Canaris aaO § 1 I 5 b; § 8 I 1 a; Reiser, Das Rektapapier in ZHR 101, 13, 41/42; Zöllner, Wertpapierrecht aaO § 2 II 2 b und c; Baumbach/Hefermehl aaO Art. 11 WG Anm. 5). 



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