Anwartschaftsrecht des Auflassungsempfängers, Kettenauflassung
V. Zivilsenat, Beschluß vom 1.12.1988 
Fundstellen:

BGHZ 106, 108
NJW 1989, 1093


Amtl. Leitsatz:

Der Senat hält an der in seiner Entscheidung vom 10. Januar 1975 (V ZR 110/73, WM 1975,255,256 = DNotZ 1976,96,97) begründeten Auffassung fest, daß ein übertragbares und damit pfändbares Recht eines Auflassungsempfängers erst dann vorliegt, wenn ein Antrag auf Eigentumsumschreibung vom Erwerber beim Grundbuch gestellt ist (oder eine Auflassungsvormerkung vorliegt, vgl. BGHZ 83,395,399; 89,41,44 f.).


Zentrale Probleme:

1.) Problem des Anwartschaftsrechts:
Es geht zunächst um die Frage, ob die Rechtsposition des bloßen Auflassungsempfängers bereits ein übertragbares Recht in Form des sog. "Anwartschaftsrechts" ist. Von einem Anwartschaftsrecht spricht man dann, wenn von einem mehraktigen Erwerbsvorgang bereits so viele Einzelakte erfüllt sind, daß dem Erwerber die Rechtsposition ohne sein Zutun nicht mehr entzogen werden kann (BGHZ 132, 218 = NJW 1996, 1741).  Folge ist dann, daß man diese Rechtsposition als "wesensgleiches minus" des Vollrechts, als dessen "Vorstufe" wie dieses behandelt, insbesondere kann über dieses wie über das Vollrecht verfügt werden (BGHZ 28, 16 ff). Für die Position des Auflassungsempfängers bedeutet dies, daß er dann nicht nur seinen schuldrechtlichen Anspruch auf Übereignung nach § 398 BGB abtreten, sondern analog durch Einigung nach § 873 BGB (eine Eintragung nach § 925 BGB kann mangels Voreintragung nicht erfolgen) sein Anwartschaftsrecht übertragen kann.
Fraglich und str. ist, wann bei der Verfügung über Grundstücke von einem Anwartschaftsrecht gesprochen werden kann:
a) Einigung: Unstr. schützt eine bindende Einigung (§  873  II) nur gegen den einseitigen Widerruf des Veräußerers, nicht aber nicht abredewidrige Verfügungen. Sie kann daher alleine nie ein Anwartschaftsrecht begründen.
b) Einigung + Antrag: Hat der Auflassungsempfänger zusätzlich den Eintragungsantrag gestellt, ist dieser nach § 17 GBO rangwahrend, das Grundbuchamt muß ihn vor anderen Anträgen behandeln. Da nur der Antragsteller den Antrag zurücknehmen kann und die Einigung bindend ist, kann dem Erwerber nunmehr bei ordnungsgemäßem Verlauf der Dinge, d.h. bei fehlerlosem Handeln des Grundbuchamts, der Erwerb nicht mehr vereitelt werden. Der BGH sieht in der vorliegenden Entscheidung ebenso wie die wohl h.M. in dieser Rechtsposition bereits ein Anwartschaftsrecht. Die Gegenansicht stellt darauf ab, daß § 17 GBO eine formale Ordnungsvorschrift ist, d.h. bei fehlerhaftem Handeln des Grundbuchamts ist der Erwerber nicht geschützt, sondern auf Amthaftungsansprüche gegen das Grundbuchamt beschränkt (so zuletzt Habersack JuS 2000, 1145, 1146).
c) Auflassungsvormerkung: Liegt eine Auflassungsvormerkung bejaht die ganz h.M. wegen des Schutzes des Erwerbers gegen Zwischenverfügungen (§§ 883 II, 888 BGB) das Vorliegen eines Anwartschaftsrechts.

2.) Problem der Kettenauflassung:
Selbst wenn man aber das Anwartschaftsrechts des bloßen Auflassungsempfängers verneint, kann dieser, wenn er das Grundstück, dessen Eigentümer er mangels Eintragung (§ 925 BGB) noch nicht ist, weiterveräußern will, direkt im eigenen Namen weiterveräußern, wenn der Eigentümer ihn hierzu ermächtig (§ 185 I BGB). In der vom Eigentümer bereits erklärten Auflassung wird i.d.R. eine konkludente Ermächtigung des Erwerbers i.S.v. § 185 I BGB gesehen, über das Grundstück im eigenen Namen zu verfügen. Wenn dieser seinerseits die Auflassung an einen Dritterwerber erklärt und dieser im Grundbuch eingetragen wird, erwirbt er ohne Zwischenerwerb des "Ersterwerbers" Eigentum vom Eigentümer. Diese Situation der Auflassung ohne Zwischeneintragung bezeichnet man als "Kettenauflassung". Sie ist - wie der BGH hier betont - von der Frage des Anwartschaftsrechts vollkommen unabhängig, weil der Veräußerer ("Ersterwerber") nicht über ein eigenes, sondern über ein fremdes Recht im eigenen Namen verfügt. Freilich liegt in einer erklärten Auflassung nicht immer zwingend eine solche konkludente Einwilligung zur Weiterveräußerung. Die großzügige Bejahung einer solchen konkludenten Ermächtigung beruhrt auf dem Gedanken, daß es dem Veräußerer, der bereits die Auflassung erklärt und damit das Grundstück bereits wirtschaftlich "aus der Hand" gegeben hat, i.d.R. gleichgültig ist, ob sich der Ersterwerber zunächst selbst eintragen läßt oder ob er ohne Zwischeneintragung weiterveräußert. Das aber ist nicht immer zwingend der Fall. Wenn etwa der Veräußerer zugleich ein rechtsgeschäftliches, nur schuldrechtlich wirksames Veräußerungsverbot vereinbart hat (§ 137 S. 2 BGB), ist er mit einer Weiterveräußerung gerade nicht einverstanden (s. dazu z.B.BGH NJW 1997, 936.)
 
 
Zur Vertiefung: Habersack JuS 2000, 1146 ff
Hager JuS 1991, 1 ff 
Zum Überblick: Lorenz/Riehm, Jus-Lern CD ZivilR I Rn. 544 (Anwartschaftsrecht), Rn. 594 (Kettenauflassung); Rn. 595 (Anwartschaftsrecht bei Grundstücken)
Zur Übung: Gottwald, PdW SachenR Fall 47, 48

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Aus den Gründen:
I.
Mit notariellem Vertrag vom 25. Juli 1986 verkaufte H. eine noch herauszumessende Teilfläche aus zwei Grundstücken an die Beteiligten zu 3 und ihren Sohn A. zum Erwerb zu je 1/3 Miteigentum. Die Vertragspartner erklärten zugleich die Auflassung und bewilligten die Eigentumsumschreibung.
Mit Verfügungen vom 6. August 1986 pfändete das Finanzamt H. für das Land Hessen (Beteiligte zu 2) wegen dort bezeichneter Steuerforderungen die Ansprüche der Beteiligten zu 3 auf Eintragung als Eigentümer zu je 1/3 aufgrund der mit dem Veräußerer »erfolgten Einigung (Auflassung)«. Mit notarieller Urkunde vom 2. Oktober 1986 bewilligten die Beteiligten zu 3 und ihr Sohn A. die Eintragung einer Grundschuld in Höhe von 107000 DM für die Landeskreditkasse (Beteiligte zu 1) an erster Rangstelle auf dem noch einzutragenden Grundstück.
Die Anträge auf Eigentumsumschreibung und auf Eintragung der Grundschuld wurden am 31. März 1987 beim Grundbuchamt eingereicht; die Eintragungen erfolgten am 15. April 1987. Mit Schreiben vom 1. September 1987 hat das Finanzamt  H. für die Beteiligte zu 2 unter Vorlage der Pfändungsverfügungen beantragt, zwei Zwangssicherungshypotheken im Range vor der Grundschuld der Beteiligten zu 1 einzutragen. Das Grundbuchamt hat den Antrag zurückgewiesen.
Auf die als Beschwerde geltende Erinnerung der Beteiligten zu 2 hat das Landgericht mit Beschluß vom 22. Dezember 1987 dem Antrag der Beteiligten zu 2 auf Eintragung der Sicherungshypotheken an erster Rangstelle stattgegeben.
Das Grundbuchamt hat die Sicherungshypotheken am 26. Januar 1988 unter Eintragung eines Vorrangvermerks (1. Rangstelle) bei der Post III,1 eingetragen.
Gegen die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts hat die Beteiligte zu 1 weitere Beschwerde eingelegt. Sie beantragt, den Beschluß des Landgerichts aufzuheben und die Löschung des Rangvermerks, hilfsweise die Eintragung eines Widerspruchs bei diesem anzuordnen.
Das Oberlandesgericht möchte die weitere Beschwerde zurückweisen. Es sieht sich hieran durch die Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in BGHZ 45,186; 49, 197; 83,395 und vor allem durch das Senatsurteil vom 10. Januar 1975, V ZR 110/73, WM 1975,255,256 = DNotZ 1976,96 gehindert, nach denen ein pfändbares Anwartschaftsrecht erst mit einem Umschreibungsantrag des Erwerbers entsteht. Der Bundesgerichtshof hat die Eintragung eines Amtswiderspruchs angeordnet.

II.
A. ... (Statthaftigkeit der Vorlage an den Bundesgerichtshof)

B.
Die weitere Beschwerde ist nur mit dem Hilfsantrag auf Eintragung eines Widerspruchs zulässig.

1. Die an keine Frist gebundene weitere Beschwerde gegen die Entscheidung des Landgerichts ist gemäß § 78 GBO statthaft und in der gemäß § 80 Abs. 1 Sätze 1,2 GBO zulässigen Form eingelegt worden.
2. Sie ist jedoch - wie im Vorlagebeschluß zutreffend ausgeführt - gemäß §§ 80 Abs. 3,71 Abs. 1 Satz 2 GBO unzulässig, soweit die Beteiligte zu 1 unter Aufhebung der landgerichtlichen Beschwerdeentscheidung die Löschung des zugunsten der Antragstellerin eingetragenen Rangvermerks begehrt. C. Im Umfang ihrer Zulässigkeit ist die weitere Beschwerde begründet.
1. Es steht hier nur noch zur Entscheidung, ob die Eintragung eines Amtswiderspruchs gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 GBO veranlaßt ist. Die gesetzlichen Voraussetzungen dafür sind gegeben. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts enthält eine Gesetzesverletzung, die zu einer unrichtigen Grundbucheintragung geführt hat.
a) Das Grundbuchamt ist nicht nur zur Beachtung der förmlichen Eintragungsvoraussetzungen, sondern auch zur Wahrung der Richtigkeit des Grundbuchs verpflichtet, und darf deshalb keine Eintragungen vornehmen, deren Unrichtigkeit ihm bekannt ist (BGHZ 35,135,139; BayObLGZ 1969,278,281). Dies gilt auch gegenüber dem Eintragungsersuchen einer Behörde (OLG Köln DNotZ 1958,487,488; BayObLGZ 1952,157,159; 1970,182,184 f.; 1985,372,374; vgl. auch BGHZ 19,355,357). Geht schon aus den von der Behörde dem Ersuchen beigefügten Unterlagen hervor, daß die begehrte Eintragung das Grundbuch unrichtig machen würde, so darf das Grundbuchamt dem Ersuchen nicht entsprechen. Das Gleiche gilt für die im Beschwerdeverfahren gemäß §§ 71 ff. GBO zu treffenden Entscheidungen.
b) Die Eintragung der Sicherungshypotheken durfte nicht angeordnet werden. Die Beteiligte zu 2 hat keine Grundpfandrechte erworben, da die Pfändung des Anwartschaftsrechts durch die am 8. August 1988 zugestellten Verfügungen ins Leere ging.
Der Senat hält an der in seiner Entscheidung vom 10. Januar 1975 (V ZR 110/73, WM 1975,255,256 = DNotZ 1976,96,97; vgl. auch schon BGHZ 49, 197,199 ff.) begründeten Auffassung fest, daß ein übertragbares und damit pfändbares Recht erst dann vorliegt, wenn ein Antrag auf Eigentumsumschreibung beim Grundbuchamt gestellt ist (oder eine Auflassungsvormerkung vorliegt, BGHZ 83,395,399; 89,41,44 f.). Nur unter dieser Voraussetzung ist es gerechtfertigt, ein vom schuldrechtlichen Anspruch unabhängiges, dem späteren Vollrecht vergleichbares, übertragbares und pfändbares Recht (Anwartschaftsrecht) anzunehmen.
Das vorlegende Oberlandesgericht will der in einer älteren Entscheidung des Kammergerichts (JFG 4,339,342) und im Schrifttum (KEHE/Hermann, GBO 6. Aufl. Einl. M 16; Münzberg, Festschrift für Schiedermair, 1976,439,446 ff.; Reinicke/ Tiedtke NJW 1982,2281,2282 f.; Staudinger/Ertl, BGB 12. Aufl. § 925 Rdn. 133; Stöber, Forderungspfändung 8. Aufl. Rdn. 2067-2071) vertretenen Auffassung folgen, die ein solches Recht schon nach Auflassungserklärung bejaht. Der Senat vermag sich dieser Ansicht jedoch aus den nachstehenden Gründen nicht anzuschließen.
Die vom Oberlandesgericht vertretene Auffassung, es bestehe kein Grund, die Übertragbarkeit, Verpfändbarkeit bzw. Pfändbarkeit eines Anwartschaftsrechts des Erwerbers von der Stellung der Anträge beim Grundbuchamt abhängig zu machen, trägt dem Umstand nicht Rechnung, daß der Erwerb des Eigentums am Grundstück gemäß § 873 Abs. 1 Satz 1 BGB Einigung und Eintragung erfordert. Es ist deshalb nicht möglich, ein dem Vollrecht vergleichbares Anwartschaftsrecht unabhängig vom Vorliegen der Eintragungsvoraussetzungen anzunehmen. Nach der Gegenmeinung würde selbst dann ein solches Recht entstehen, wenn die Parteien die Rechtsänderung im Grundbuch (noch) nicht wollen und deshalb beispielsweise vereinbaren, zur Zeit keine Anträge beim Grundbuchamt zu stellen. Eine solche Vereinbarung wäre möglich; § 873 Abs. 2 BGB stünde ihr nicht entgegen (Senatsurt. vom 15. Mai 1953, V ZR 95/52, LM BGB § 925 Nr. 3; OLG Düsseldorf NJW 1954,1041; MünchKomm/ Kanzleiter 2. Aufl. § 925 Rdn. 27; BGB-RGRK/Augustin 12. Aufl. § 925 Rdn. 78).
Die Bindungswirkung aus § 873 Abs. 2 BGB bietet allein keine geeignete Grundlage, schon nach der Auflassung ein dem Vollrecht vergleichbares, übertragbares Recht des Erwerbers anzunehmen. Der mit dieser Vorschrift bezweckte Schutz des Erwerbers rechtfertigt nicht, zugunsten eines Gläubigers des Erwerbers vor Stellung des Eintragungsantrages eine übertragbare und pfändbare Rechtsposition zu bejahen.
Den Senat überzeugt auch nicht das Argument, die Übertragbarkeit der Rechtsposition des Auflassungsempfängers sei schon deshalb anzuerkennen, weil diese eine Umschreibung des Eigentums auf einen Zweiterwerber ohne eine Eintragung des ersten Erwerbers ermögliche (Münzberg, Festschrift für Schiedermair (1976), 439, 449; vgl. auch Hoche NJW 1954,652). Die Umschreibungsmöglichkeit beruht nicht darauf, daß der Auflassungsempfänger die Rechte aus der Auflassung auf einen Dritten überträgt. Sie folgt vielmehr daraus, daß in der Auflassung für den Auflassungsempfänger zugleich die Ermächtigung durch den Grundstückseigentümer liegt, als Nichtberechtigter (§ 185 Abs. 1 BGB) über das Grundstück zu verfügen (vgl. RGZ 129,150,153).
Es wird nach alledem daran festgehalten, daß die Stellung des Antrages auf Eigentumsumschreibung der Zeitpunkt ist, in dem ein übertragbares Recht entsteht.
2. Da mangels wirksamer Pfändung des Anwartschaftsrechts keine Sicherungshypotheken entstanden sind, ist das Grundbuch durch deren Eintragung unrichtig geworden.
III.
Die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts ist danach aufzuheben.
Gleichzeitig ist die Eintragung von Amtswidersprüchen - unabhängig von der Reichweite der Anträge - nach § 53 Abs. 1 Satz 1 GBO anzuordnen. Die Widersprüche richten sich gegen die Eintragung der in Abteilung III unter Nr. 2 und 3 für die Beteiligte zu 2 ausgewiesenen, aber nicht entstandenen Sicherungshypotheken.