Anfechtbarkeit einer Tilgungsbestimmung i.S.v. § 366 I BGB wegen Irrtums (zumindest) analog § 119 BGB (Geschäftsähnliche Handlung)

BGH, Urteil v. 06.12.1988  - XI ZR 81/88 (Hamm)


Fundstellen:

BGHZ 106, 163
NJW 1989, 1792
LM § 366 BGB Nr. 19
DB 1989, 718
WM 1989, 409
ZIP 1989, 105
BGHZ 106, 153
JR 1989, 201 Eckert 



Amtl. Leitsatz:

Die bei der Leistung vorgenommene Tilgungsbestimmung des Schuldners ist wegen Irrtums anfechtbar.



Zum Sachverhalt:

Der Kl. nimmt den Bekl. auf Zahlung von Restwerklohn für Arbeiten an einem Mehrfamilienhausneubau in D. in Anspruch. Dieser Neubau wurde von der aus den Eheleuten S, dem Bekl. und seiner Ehefrau bestehenden Bauherrengemeinschaft begonnen und nach Ausscheiden der Eheleute S Anfang Februar 1985 von dem Bekl. und seiner Ehefrau zu Ende geführt. Am 14. 12. 1984 übersandte der Kl. der Bauherrengemeinschaft die zweite Abschlagsrechnung. Nach ihrer Prüfung bat der bauleitende Architekt, dem Kl. eine Abschlagszahlung in Höhe von 15000 DM zu überweisen. Der Zeuge S war zur gleichen Zeit gemeinsam mit dem Zeugen H Bauherr eines Objekts in M., für das der Kl. ebenfalls Bauleistungen erbrachte und eine Schlußrechnung vom 10. 8. 1984 in Höhe von 166839,35 DM übersandt hatte. An diesem Objekt der Bauherrengemeinschaft S/H war der Bekl. nicht beteiligt. Zur Begleichung einer restlichen Werklohnforderung des Kl. für dieses Objekt akzeptierten die Zeugen S und H im Januar 1985 einen am 24. 4. 1985 fälligen Wechsel über 56410,83 DM. Mit Schreiben vom 6. 4. 1985 bot ihnen der Kl. eine Teilprolongation für den Fall an, daß er eine Woche vor Fälligkeit des Wechsels einen Verrechnungsscheck über mindestens 1/4 der Wechselforderung, d. h. 14102,71 DM und die Wechselunkosten in Höhe von 1349,94 DM - also über 15452,65 DM - sowie einen neuen von den Zeugen S und H akzeptierten Wechsel über die verbleibende Restforderung erhalte. Am 22. 4. 1985 wurden von dem Baukonto der nur noch aus dem Bekl. und seiner Ehefrau bestehenden Bauherrengemeinschaft bei der Sparkasse D. 15452,65 DM an den Kl. überwiesen. Der Überweisung lag ein unterschiebener, maschinenschriftlich  ausgefüllter Überweisungsauftrag an die Sparkasse D. zugrunde, in dem als Auftraggeber die "BHG Dr. M/S D" und als Verwendungszweck "Abschlagszahlung gem. Schreiben 6. 4. 1985" vermerkt sind. Der Kl. sah diese Überweisung als Zahlung von 1/4 der Wechselforderung an, die gegen die Bauherrengemeinschaft S/H wegen des Objektes in M. noch offen war, und prolongierte deshalb am 24. 4. 1985 die restliche Wechselforderung über 42308,12 DM. Dieser Prolongationswechsel wurde bei Fälligkeit von den Mitgliedern der Bauherrengemeinschaft S/H nicht eingelöst. Mit Schreiben vom 22. 5. 1985 mahnte der Kl. die Abschlagszahlung von 15000 DM für das Objekt des Bekl. in D. an. In dem Schreiben heißt es, "der uns am 23. 4. 85 zugegangene Betrag von 15452,65 DM hatte ja einen anderen Verwendungszweck." Der Kl. weigerte sich, vor Leistung der Abschlagszahlung weitere Arbeiten auszuführen. In einem Schreiben seines Rechtsanwalts vom 20. 9. 1985 vertrat der Bekl. den Standpunkt, die Überweisung vom 22. 4. 1985 über 15452,65 DM sei auf die Abschlagszahlung und nicht auf Ansprüche aus Bauleistungen für das Objekt der Bauherrengemeinschaft S/H in M. zu verrechnen, erklärte vorsorglich die Anfechtung und rechnete mit einem Rückzahlungsanspruch in Höhe der irrtümlichen Überweisung auf. Der Bekl. hat behauptet, der Zeuge S habe ihm den Überweisungsauftrag vom 22. 4. 1985 unterschriftsreif zur Unterzeichnung vorgelegt und ihn in den Irrtum versetzt, die Überweisung betreffe eine Forderung des Kl. aus Bauleistungen an dem Objekt in D. Er habe den Überweisungsauftrag in der Annahme unterzeichnet, die Überweisung beziehe sich auf die diesbezügliche zweite Abschlagsrechnung des Kl. vom 14. 12. 1984 in Höhe von 15000 DM. Nachdem er festgestellt habe, daß er von dem Zeugen S getäuscht worden sei, habe er die Überweisung  unverzüglich wegen Irrtums angefochten. Das LG hat der Klage mit Ausnahme eines Betrages von 15452,65 DM stattgegeben. Das OLG hat die Berufung des Kl. zurückgewiesen. Mit seiner zugelassenen Revision verfolgt der Kl. seinen Klageanspruch weiter und beantragt den Erlaß eines Versäumnisurteils gegen den im Revisionsrechtszug nicht vertretenen Bekl. Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen:

1. Nach Ansicht des BerGer. ist die restliche Werklohnforderung des Kl. in Höhe von 15452,65 DM erloschen:
Aus der bei objektiver Betrachtungsweise maßgebenden Sicht des Kl. sei allerdings die Überweisung vom 22. 4. 1985 eine Teilleistung auf seine am 24. 4. 1985 fällige Wechselforderung gegen die Bauherrengemeinschaft S/H. Dafür spreche entscheidend der auf dem Gutschriftsbeleg für den Kl. als Empfänger bestimmte Vermerk über den Verwendungszweck. Hinzu komme, daß der überwiesene Betrag von 15452,65 DM genau dem vom Kl. mit Schreiben vom 6. 4. 1985 mindestens geforderten Viertel der Wechselforderung zuzüglich der Wechselunkosten entspreche. Aus seiner Sicht habe deshalb die Leistung eines Dritten auf seine Wechselforderung vorgelegen. Durch die Überweisung vom 22. 4. 1985 sei daher nicht die mit der Klage geltend gemachte Forderung erfüllt worden. Die restliche Werklohnforderung sei jedoch durch die Aufrechnung mit einem Bereicherungsanspruch in gleicher Höhe erloschen. Dieser Bereicherungsanspruch stehe der seit Februar 1985 nur noch aus dem Bekl. und seiner Ehefrau bestehenden Bauherrengemeinschaft aufgrund der wirksamen Anfechtung der bei der Überweisung vom 22. 4. 1985 vorgenommenen Tilgungsbestimmung zu. Die Tilgungsbestimmung sei anfechtbar. Der Bekl. habe sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bei der Abgabe der an den Kl. gerichteten Tilgungsbestimmung auf dem Überweisungsträger am 22. 4. 1985 in einem Irrtum über den Inhalt seiner Erklärung befunden. Die Kenntnis des Zeugen S von dem Irrtum des Bekl. bräuchten sich dieser und seine Ehefrau als Bauherrengemeinschaft nicht nach § 166 BGB zurechnen zu lassen. Durch die wirksame Anfechtung sei die Tilgungsbestimmung der Überweisung vom 22. 4. 1985 rückwirkend entfallen. Mit dem dadurch  entstandenen Bereicherungsanspruch sei gegenüber der Werklohnforderung in gleicher Höhe wirksam aufgerechnet worden. Der Kl. habe auch keinen Schadensersatzanspruch nach § 122 I BGB gegen den Bekl. Er habe den ihm obliegenden Beweis nicht geführt, daß er durch sein Vertrauen auf die Gültigkeit der Tilgungsbestimmung einen Schaden erlitten habe.
2. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision sind nicht begründet.
a) Die Verwendungszweckangabe auf der Überweisung vom 22. 4. 1985 enthält eine Tilgungsbestimmung. Sie ist für den Schuldner aus mehreren Schuldverhältnissen in § 366 I BGB geregelt und nach h. M. als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung anzusehen (Staudinger-Kaduk, BGB, 12. Aufl., § 366 Rdnr. 21; Hinrichs, in: MünchKomm, 2. Aufl., § 366 Rdnr. 9; Palandt-Heinrichs, BGB, 47. Aufl., § 366 Anm. 2a; Larenz, SchuldR AT, 14. Aufl., S. 242). Die Entscheidung darüber kann hier jedoch offenbleiben. Selbst wenn sie nur als rechtsgeschäftsähnliche Erklärung gelten könnte, wäre das Ergebnis dasselbe. Denn geschäftsähnliche Willensäußerungen stehen den Willenserklärungen insofern nahe, als auch sie gewöhnlich im Bewußtsein der eintretenden Rechtsfolgen und oft sogar in der Absicht, sie hervorzurufen, vorgenommen werden. Deswegen finden die allgemeinen Vorschriften über Willenserklärungen auf geschäftsähnliche Willensäußerungen entsprechende Anwendung (BGHZ 47, 352 (357) = NJW 1967, 1800 = LM § 131 BGB Nr. 1 m. w. Nachw.). Die Anfechtung der Tilgungsbestimmung wegen Irrtums ist daher grundsätzlich in Übereinstimmung mit der überwiegenden Auffassung im Schrifttum zumindest in entsprechender  Anwendung des § 119 BGB möglich (vgl. Staudinger-Lorenz, BGB, 12. Aufl., § 812 Rdnr. 60; Soergel-Zeiss, BGB, 11. Aufl., § 366 Rdnr. 7; Erman-Westermann, BGB, 7. Aufl., § 812 Rdnr. 15; Thomä, JZ 1962, 627; Weitnauer, NJW 1974, 1731; Wieling, JZ 1977, 291; zweifelnd Flume, JZ 1962, 282; Zeiß, JZ 1963, 9; krit. Lieb, in: MünchKomm, § 812 Rdnr. 94; offengelassen in BGH, NJW 1974, 1132 (1133) = LM § 812 BGB Nr. 106). Wie das BerGer. rechtsfehlerfrei dargelegt hat, hat sich der Bekl. am 22. 4. 1985 bei der Abgabe der an den Kl. gerichteten Tilgungsbestimmung auf dem Überweisungsträger in einem Irrtum über den Inhalt seiner Erklärung befunden. Er glaubte zu erklären, die Überweisung erfolge auf die noch ausstehende Abschlagszahlung des Kl. für das von der Bauherrengemeinschaft des Bekl. erworbene Objekt in D., während er tatsächlich erklärt hat, die Überweisung betreffe die Wechselforderung des Kl. gegen die Zeugen H und S wegen des von ihrer Bauherrengemeinschaft erworbenen Objekts in M. Bei dieser Fallgestaltung scheidet die gelegentlich erwogene Annahme eines Motivirrtums (vgl. Zeiß, JZ 1963, 9) auf jeden Fall aus (vgl. Staudinger-Lorenz, § 812 Rdnr. 60).
b) Die Anfechtung ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Zeuge S die Umstände kannte, die zu dem Irrtum des Bekl. bei der Überweisung geführt haben. Die aus dem Bekl. und seiner Ehefrau bestehende Bauherrengemeinschaft und damit der Bekl. brauchen sich die Kenntnis des Zeugen S entgegen der Ansicht der Revision nicht nach § 166 I BGB oder in entsprechender Anwendung dieser Vorschrift zurechnen lassen. Der Zeuge S gehörte im Zeitpunkt der Überweisung am 22. 4. 1985 der Bauherrengemeinschaft des Bekl. nicht mehr an und besaß daher keine Vertretungsmacht mehr. Die Regelung des § 166 I BGB findet - jedenfalls soweit es sich um die rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht handelt - ihre Rechtfertigung in dem Gedanken der Zurechenbarkeit. Wer sich im Rechtsverkehr bei der Abgabe von Willenserklärungen eines Vertreters bedient, muß es im schutzwürdigen Interesse des Adressaten hinnehmen, daß ihm die Kenntnis des Vertreters als eigene zugerechnet wird, kann sich also nicht auf eigene Unkenntnis berufen. Der BGH hat deshalb wiederholt bei einem der Interessenlage zwischen Vertreter und Vertretenem vergleichbaren Sachverhalt § 166 I BGB entsprechend angewendet (vgl. BGHZ 83, 293 (296 ff.) = NJW 1982, 1585 = LM § 818 Abs. 4 BGB Nr. 7 m. w. Nachw.). Ein vergleichbarer Sachverhalt liegt vor, wenn sich der Vertretene eines anderen wie eines  Vertreters bedient (BGHZ 55, 307 (311) = NJW 1971, 1702 = LM § 104 VerglO Nr. 2; BGH, NJW 1987, 3250 = LM § 166 BGB Nr. 26 = BGHR § 166 Abs. 1 Treuhand 1).
An diesen Voraussetzungen fehlt es hier jedoch. Die Revision weist zwar darauf hin, daß nach dem nicht bestrittenen Vortrag des Kl. der Zeuge S vor der Überweisung vom 22. 4. 1985 bei ihm angerufen und ihm mitgeteilt habe, der Abzahlungsbetrag für den fälligen Wechsel werde von dem Baukonto in D. kommen, der Kl. möge sich darüber nicht wundern. In dieser vorbereitenden telefonischen Information liegt indessen noch kein rechtsgeschäftliches Handeln für die Bauherrengemeinschaft des Bekl. und damit auch keine vorweggenommene Tilgungsbestimmung. Durch den telefonischen Hinweis ist der Zeuge S dem Kl. gegenüber nicht als für die Bauherrengemeinschaft des Bekl. Handelnder aufgetreten, sondern hat seine Erklärung ersichtlich als Schuldner der Wechselforderung abgegeben. Er hat ausschließlich seine eigenen Interessen verfolgt und wollte offenbar Rückfragen des Kl. bei dem Bekl. vorbeugen.
c) Durch die begründete Anfechtung nach § 119 I BGB wurde die Tilgungswirkung der Überweisung rückwirkend beseitigt (§ 142 I BGB). Die darin ursprünglich liegende Leistung eines Dritten auf fremde Schuld (§ 267 I BGB), d. h. die Tilgung der Wechselforderung des Kl. gegen die Zeugen S und H, entfiel. Die Frage, ob nunmehr die vom Bekl. wirklich gewollte Tilgungsbestimmung rückwirkend für den Zeitpunkt der Leistung nachgeholt werden könnte, kann hier offen bleiben. Denn jedenfalls ergab sich für die aus dem Bekl. und seiner Ehefrau bestehende Bauherrengemeinschaft ein Bereicherungsanspruch gegen den Kl. nach § 812 I BGB, mit dem wirksam aufgerechnet wurde (§ 389 BGB). Der direkte Bereicherungsausgleich zwischen dem Kl. und dem Bekl. begegnet bei dieser Fallgestaltung keinen Bedenken. Er ergibt sich aus der Wirkung der Anfechtung. Der Schutz des Anfechtungsgegners wird durch den Schadensersatzanspruch nach § 122 BGB und durch die Bestimmung des § 818 BGB gewährleistet. Das BerGer. hat dazu rechtsfehlerfrei festgestellt, daß der Bereicherungsanspruch nicht nach § 818 III BGB entfallen ist und daß der Kl. auch keinen Schadensersatzanspruch nach § 122 I BGB hat. Seine  Behauptung, er hätte sich, wenn er die Überweisung vom 22. 4. 1985 nicht erhalten hätte, nicht auf die Prolongation des Wechsels über 56410,53 DM eingelassen und seine Wechselforderung in Höhe von 15452,65 DM - oder in geringerer Höhe - noch durchsetzen können, ist unbewiesen geblieben. Nach den Feststellungen des BerGer. haben die Zeugen S und H übereinstimmend bekundet, die von ihnen gebildete Bauherrengemeinschaft sei am 22. 4. 1985 bereits zahlungsunfähig gewesen.
3. Trotz der Säumnis des Revisionsbekl. war die Sachprüfung in vollem revisionsrechtlichem Umfang geboten. Sie ergibt, daß die Revision unbegründet ist. Infolgedessen hat das Urteil nicht gegen den säumigen Revisionsbekl. sondern gegen den nichtsäumigen Revisionskl. zu ergehen. Es handelt sich um ein kontradiktorisches Urteil (sog. unechtes Versäumnisurteil).



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