(Keine) Parteifähigkeit eines nicht rechtsfähigen Vereins

BGH, Urteil vom 06.10.1989 - V ZR 152/88

Fundstellen:

BGHZ 109, 15
NJW 1990, 186
LM § 50 ZPO Nr. 42
JZ 1990, 50
ZIP 1989, 1614



Amtlicher Leitsatz:

Eine Siedlergemeinschaft als nicht rechtsfähiger Verein ist nicht aktiv parteifähig.



Zum Sachverhalt:

Die Revisionskl. ist eine Untergliederung des Vereins "S Landesverband Niedersachsen e. V."; sie besitzt keine eigene Satzung, versteht sich aber als nicht rechtsfähiger Verein. Aufgrund eines zwischen ihr, vertreten durch den derzeitigen 1. Vorsitzenden, und der Stadt D. am 27. 5. 1977 abgeschlossenen "Gestattungsvertrages" nutzt die Kl. ein Gelände als Spiel- und Festplatz. Eigentümerin des größeren Teils dieses Geländes ist die Stadt D., zu einem kleineren Teil gehört es einer privaten Eisenbahngesellschaft. Der Bekl. war früher Mitglied der Kl. Sein Grundstück grenzt an das von ihr genutzte Gelände an. Er muß dieses überqueren, wenn er den rückwärtigen Teil seines Grundstücks mit Fahrzeugen erreichen will. Den Zugang verschafft er sich - auch gewaltsam - gegen den Willen der Kl. Zunächst haben die meisten Mitglieder der Kl. gegen den Bekl. Klage erhoben und beantragt, ihm bei Meidung von Ordnungsgeld, ersatzweise Ordnungshaft, das Betreten und Befahren des von der Kl. benutzten Geländes zu verbieten. Das LG hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, sie hätte von allen Mitgliedern der Kl. erhoben werden müssen, des weiteren hätten alle Mitglieder den Vorstand zur Prozeßführung bevollmächtigen müssen, der "Gestattungsvertrag" vom 27. 5. 1977 verschaffe der Kl. keine eigenen Besitzrechte. Die von der Kl. selbst als nicht rechtsfähiger Verein, vertreten durch ihren Vorstand, eingelegte Berufung hat das OLG als unzulässig verworfen, weil es an der aktiven Parteifähigkeit fehle. Die Revision der Kl. wurde zurückgewiesen.

Aus den Gründen:

Mit Recht hat das BerGer. das Rechtsmittel der Kl. als unzulässig verworfen. Ob die Kl. ein nicht rechtsfähiger Verein oder nur eine unselbständige Untergliederung des "S, Landesverband Niedersachsen e. V." ist, kann offen bleiben, denn auch als nicht rechtsfähiger Verein würde die Kl. ebensowenig die aktive Parteifähigkeit wie als rechtlich unselbständige Untergliederung des Hauptvereins besitzen.

Nach § 50 I ZPO hängt die Parteifähigkeit von der Rechtsfähigkeit ab. Daß eine unselbständige Untergliederung eines rechtsfähigen Vereins keine eigene Rechtsfähigkeit hat, steht außer Frage. In der Form eines nicht rechtsfähigen Vereines, auf den nach § 54 S. 1 BGB die Vorschriften der Gesellschaft Anwendung finden, würde die Kl. nach § 50 II ZPO nur die passive Parteifähigkeit besitzen. Sie hätte also, da sie in der ersten Instanz nicht Prozeßpartei war und daher ihre Parteifähigkeit nicht in Frage stand (vgl. BGHZ 24, 91 (94) = NJW 1957, 989 = LM § 274 II Ziff. 7 ZPO Nr. 2) keine zulässige Berufung gegen das klageabweisende Urteil des LG einlegen können.

Die Rechtsprechung hat für die in Form eines nicht rechtsfähigen Vereines organisierten Gewerkschaften in Abweichung von § 50 ZPO die aktive Parteifähigkeit bejaht. Als Grund für diese Ausnahme wird angeführt, im Gegensatz zu sonstigen privaten nicht rechtsfähigen Vereinen seien die Gewerkschaften Träger zahlreicher öffentlicher Funktionen, wegen derer sie eine Sonderstellung einnähmen. Das Grundgesetz habe in Art. 9 III das korporative Daseins- und Betätigungsrecht der zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbeziehungen gebildeten Vereinigungen unter den Schutz der Verfassung gestellt und damit die besondere Bedeutung dieser Koalitionen in der Sozialordnung anerkannt. Dem verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 9 III GG dürfe sich das Verfahrensrecht nicht versagen. Es müsse vielmehr den Gewerkschaften die Möglichkeit eröffnen, die Gerichte zum Schutz gegen zivilrechtlich unerlaubte Störungen ihrer Organisationen und ihrer Tätigkeit anzurufen (BGHZ 42, 210 (216 ff.) = NJW 1965, 865 = LM § 546 ZPO Nr. 51; BGHZ 50, 325 ff. = NJW 1968, 1830 = LM § 50 ZPO Nr. 20). In einer mit den Gewerkschaften vergleichbaren Situation befindet sich die Kl. nicht. Ihr sind keine öffentlichen Funktionen übertragen, deren Schutz die aktive Anrufung der Gerichte verlangte.

Soweit im Schrifttum die Auffassung vertreten wird, die weitgehende Angleichung des nicht rechtsfähigen an den rechtsfähigen Verein im materiellen Recht verlange als Konsequenz die aktive Parteifähigkeit für nicht rechtsfähige Vereine (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, 48. Aufl., § 54 Anm. 5 b; Reuter, in: MünchKomm, 2. Aufl., § 54 Rdnr. 8; Staudinger-Coing, BGB, 12. Aufl., § 54 Rdnr. 19; Soergel-Hadding, BGB, 12. Aufl., § 54 Rdnr. 33; Ott, in: AK-BGB, § 54 Rdnr. 8; Jauernig, BGB, 4. Aufl., § 54 Anm. 3 d; Lindacher, ZZP 90, 140; Habscheid, ZZP 78, 237; Fabricius, Relativität der Rechtsfähigkeit, S. 206 ff.; Bayer, Die liquidationslose Fortsetzung rechtsfähiger Idealvereine, S. 122 ff.; Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, S. 65 ff.; Wapler, NJW 1961, 439 ff.; Reinhardt-Schultz, GesellschaftsR, 2. Aufl., Rdnr. 379), vermag sich dem der Senat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung und einem Teil des Schrifttums (vgl. RGZ 1978, 101 (106); BGHZ 42, 210 (211) = NJW 1965, 865 = LM § 546 ZPO Nr. 51; OLG München, NJW 1969, 617 (618); Rosenberg-Schwab, ZivilprozeßR, 14. Aufl., § 43 II 2 a; Thomas-Putzo, ZPO, 15. Aufl., § 50 Anm. 2 f.; Stein-Jonas-Leipold, ZPO, 20. Aufl., § 50 Rdnr. 20) nicht anzuschließen.

Die gesetzliche Regelung mit der Versagung der aktiven Parteifähigkeit für nicht rechtsfähige Vereine ist klar und eindeutig. Bloße Zweckmäßigkeitserwägungen würden zu einer Gewährung der aktiven Parteifähigkeit contra legem nicht ausreichen. Auch eine - wie die Revision meint - an Art. 5 und 9 GG orientierte verfassungskonforme Auslegung des § 50 ZPO muß hier nicht zur aktiven Parteifähigkeit führen. Weder das Recht der freien Meinungsäußerung noch der Vereinigungsfreiheit werden durch wortgetreue Anwendung des § 50 ZPO eingeschränkt. Den Mitgliedern der Kl. würde der Rechtsschutz weder versagt noch in unzumutbarer Weise erschwert. Sie haben die Möglichkeit, in ihrer Gesamtheit Klage zu erheben. Aufgrund der verhältnismäßig geringen Mitgliederzahl der Kl. bestehen auch keine großen Schwierigkeiten zur Individualisierung der Mitglieder im Rechtsstreit. Aus diesem Grunde kann offenbleiben, ob einer vermittelnden Ansicht (vgl. Steffen, in: RGRK, 12. Aufl., § 54 Rdnr. 19) gefolgt werden könnte, die den nicht rechtsfähigen Vereinen die aktive Parteifähigkeit zuerkennen will, die wegen der großen Mitgliederzahl oder des raschen Mitgliederwechsels zur Individualisierung ihrer Mitglieder im Rechtsstreit nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten in der Lage sind. Im übrigen darf auch nicht außer acht gelassen werden, daß der Gesetzgeber seit der Gewährung der aktiven Parteifähigkeit für Gewerkschaften die ZPO mehrfach geändert und es dabei offensichtlich nicht für nötig gehalten hat, allen nicht rechtsfähigen Vereinen die aktive Parteifähigkeit zuzuerkennen. Bei dieser Situation folgt aus den Grundsätzen der Rechts- und Gesetzesbindung der rechtsprechenden Gewalt (Art. 20 III GG), daß eine - im Grundsatz anerkannte - richterliche Rechtsfortbildung (vgl. BVerfGE 34, 269 (287 f.) = NJW 1973, 1221; BVerfGE 49, 304 (318) = NJW 1979, 305) in bezug auf die aktive Parteifähigkeit "normaler" nicht rechtsfähiger Vereine nicht in Betracht kommt.

Fehlt aber der Kl. die aktive Parteifähigkeit, so war die Verwerfung der Berufung als unzulässig durch das BerGer. - unabhängig von der Frage, ob die Kl. durch das Urteil des LG überhaupt beschwert war - richtig. Die Revision ist demgemäß mit der Kostenfolge aus § 97 I ZPO zurückzuweisen.