"Naher" und "entfernter" Mangelfolgeschaden im Werkvertragsrecht ("Alarmanlagen-Fall")
BGH, Urt. v. 25.6.1991, X ZR 4/90
Fundstellen:

BGHZ 115,  32
NJW 1991, 2418
Vgl. auch BGH NJW 1993, 923 sowie BGHZ 133, 155.

Zur Neuregelung vgl. die Anmerkung zu BGH NJW 2002, 816.


Amtl. Leitsatz:

Werden bei einem Einbruchsdiebstahl infolge Mangelhaftigkeit der Überwachungsanlage Gegenstände aus dem gesicherten Raum entwendet, so handelt es sich um einen »weiteren« Mangelfolgeschaden, der nicht der kurzen Verjährung nach § 638 BGB unterliegt.



Die Klägerin, ein Versicherungsunternehmen, macht einen gemäß § 67 VVG auf sie übergegangenen Anspruch auf Ersatz eines Schadens geltend, den die bei ihr versicherte K. oHG in  A. durch einen Einbruchsdiebstahl erlitten hat.
Die K. oHG betrieb ein Juweliergeschäft. Ein Teil der wertvollen Schmucksachen und Uhren befindet sich in zwei Schaufenstern. Zum Ladeninnern hin wurden die Schaufenster u. a. durch eine im Auftrag der Firma K. von der Beklagten geplante und installierte Ultronenschranke gesichert, die mit einer Alarmanlage gekoppelt war. Der Sender der Ultronenschranke war an einer Seitenwand fest installiert. Der zugehörige Empfänger befand sich in einer vor der gegenüberliegenden Wand stehenden Vitrine. In der gleichen Wand befand sich eine teilweise durch die Vitrine überdeckte zu einem Porzellanverkaufsraum führende Stahlschiebetüre, die nachts abgeschlossen wurde. Diese Türe war an der Unterkante und an der dem Schloß abgewandten Kante ohne jede Führung. Wie sich später herausstellte, war es bei diesen Gegebenheiten möglich, die verschlossene Schiebetür vom Porzellanverkaufsraum aus mit menschlicher Kraft im unteren Bereich so weit von der Wand wegzudrücken und außerdem die Vitrine mit dem Ultronenempfänger so weit zu verschieben, daß man unter Umgehung der Ultronenschranke von innen zu den Schaufenstern gelangen konnte. Auf diesem Wege verschafften sich im September 1981 unbekannte Diebe Zutritt zu dem Schmuck-Verkaufsraum und entwendeten Schmuck und Uhren im Wert von 339000 DM, ohne daß die Alarmanlage anschlug.
Die Klägerin erstattete der Firma K. einen Teil des Schadens und verlangte ihrerseits Regreß von der Beklagten mit der Begründung, der Einbruchsschaden sei auf einen von der Beklagten zu vertretenden Mangel der Sicherungsanlage zurückzuführen.
Beide Vorinstanzen haben die Klage wegen Verjährung abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte Erfolg.

Aus den Gründen:
I.
1. Nach den tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts schuldete die Beklagte im Rahmen des mit der K. oHG abgeschlossenen Werkvertrages die Planung und Installierung einer Anlage zur Absicherung der in den beiden Schaufenstern liegenden Wertgegenstände. Nach den weiteren Feststellungen des Berufungsgerichts wies die von der Beklagten erbrachte Leistung jedoch zwei wesentliche Mängel auf, die auch für die Entstehung des Einbruchsschadens ursächlich waren. So hätte in der beweglichen Vitrine nur der Sender und nicht der Empfänger der Ultronenschranke installiert werden dürfen; dann wäre es schon bei geringer Verschiebung der Vitrine zu einer Auslösung des Alarms gekommen. Und ferner sei es fehlerhaft gewesen, daß die Schiebetür mit einfachen mechanischen Mitteln zu einem ausreichenden Durchschlupf geöffnet werden konnte. Das Berufungsgericht nimmt an, daß sich hieraus an sich ein Schadensersatzanspruch gegenüber der Beklagten ergebe. Es hält die Klageforderung jedoch wegen Ablaufs der Fünf-Jahres- Frist nach § 638 BGB für verjährt und führt dazu unter Berufung auf eine in NJW-RR 1988,85 veröffentlichte Entscheidung eines anderen Senats desselben Gerichts im wesentlichen aus: Die Mangelhaftigkeit der Einbruchsicherung sei Verletzung einer Hauptpflicht. Der in Streit stehende Schaden sei unmittelbar durch die Mängel des Werks verursacht worden und hänge mit ihnen zusammen. Es handele sich daher nicht um Schadenersatzansprüche aus positiver Vertragsverletzung, sondern um Mängelansprüche im Sinne der §§ 635 ff. BGB, die der kurzen Verjährung des § 638 BGB unterlägen.
2. Diese Ausführungen des Berufungsgerichts werden von der Revision zu Recht als fehlerhaft angegriffen. Die Voraussetzungen für eine Anwendung der Verjährungsregelung des § 638 BGB sind nicht gegeben.
Nach der insbesondere vom VII. Zivilsenat vertretenen ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die sich auch der erkennende Senat zu eigen macht (vgl. bereits Senatsentscheidung vom 13. Mai 1986 - BGHZ 98,45), ist im Rahmen der §§ 635,638 BGB von einem engen Schadensbegriff auszugehen. Es ist hier im Prinzip nur der sogenannte Mangelschaden geregelt, der dem hergestellten Werk »unmittelbar« anhaftet, nicht aber der sogenannte Mangelfolgeschaden, der zwar auch kausal durch einen Mangel bedingt ist, aber erst durch Hinzutritt eines weiteren Ereignisses und an weiteren Rechtsgütern realisiert wird. Letzterer ist grundsätzlich nach den allgemeinen Regeln der positiven Vertragsverletzung zu behandeln; der entsprechende Ersatzanspruch unterliegt der regelmäßigen Verjährungsfrist von 30 Jahren (§ 195 BGB). Die Abgrenzung zwischen Mangelschaden und Mangelfolgeschaden kann nicht nach der - in beiden Fällen erforderlichen - Kausalität, sondern nur nach dem »lokalen« Zusammenhang erfolgen; es ist vor allem danach zu fragen, wo sich der Schaden verwirklicht hat, ob am Werk selbst oder an anderen Rechtsgütern (BGH, Urteil vom 20. Januar 1972 - BGHZ 58,85 -; Anmerkung von Doerry bei LM BGB § 638 Nr. 30).
Das ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stets berücksichtigt worden, wenn es darum ging, von den »normalen« oder sogenannten »weiteren« Mangelfolgeschäden solche »nahen« oder »nächsten« Mangelfolgeschäden abzugrenzen, die, ebenso wie unmittelbare Mangelschäden, der kurzen Verjährung des § 638 BGB unterworfen werden. Eine über ihren eigentlichen Regelungsbereich hinausgehende Anwendung des § 638 BGB auf bestimmte nahe Folgeschäden kommt nur ausnahmsweise und nur insoweit in Betracht, wie es nach dem auf eine angemessene Risikoverteilung zielenden Gesetzeszweck erforderlich erscheint. Dabei ist ein enger Zusammenhang zwischen Mangel und Schaden erforderlich, der jedoch - wie bei der Abgrenzung gegenüber reinen Mangelschäden - wiederum in erster Linie nicht nach kausalen, sondern nach »lokalen« Kriterien zu ermitteln ist. Dabei ist im Interesse der Rechtssicherheit zur leichteren Abgrenzung eine gewisse Typenbildung geboten (BGH, Urteile vom 10. Juni 1976 - BGHZ 67,1 -; vom 5. Mai 1983 - BGHZ 87,239; und vom 13. Mai 1986 - BGHZ 98,45 -; Doerry aaO).
Zur Einordnung der durch ein mangelhaftes Sicherheitssystem bedingten Schäden hat die höchstrichterliche Rechtsprechung bisher noch nicht Stellung genommen. Eine Prüfung nach den vorstehend dargestellten Kriterien ergibt, daß es nicht gerechtfertigt ist, auch solche Schäden wie unmittelbare Mangelschäden zu behandeln und der kurzen Verjährungsfrist des § 638 BGB zu unterwerfen.
Einen unter § 638 BGB fallenden nahen Folgeschaden hat die Rechtsprechung vor allem bei Planungs- und Prüfungsfehlern angenommen, wenn sich die Planung oder Prüfung bestimmungsgemäß in einem bestimmten weiteren Werk verkörpern sollte und die Mängel der Planung oder Prüfung erst in diesem weiteren Werk in Erscheinung traten. Das gilt für Planungsfehler eines Architekten (BGHZ 37,344), Berechnungsfehler eines Statikers (BGHZ 48,257 und 58,85), mangelhafte Baugrunduntersuchungen (BGHZ 72,257) und Mängel eines für eine Gebäudesanierung erstellten Gutachtens (BGH JR 1988, 197). Mit solchen Fällen ist der vorliegende Fall jedoch nicht vergleichbar. Die Planung und Einrichtung der Sicherungsanlage fand ihre Verkörperung in dem Ladenlokal selbst, nicht aber in den dort jeweils gelagerten Wertgegenständen. Es fehlt daher an dem von der Rechtsprechung geforderten »engen« Zusammenhang zwischen Werkmangel und Folgeschaden. Auch unter dem Gesichtspunkt einer angemessenen Risikoverteilung wäre die Anwendung der kurzen Verjährungsfrist des § 638 BGB nicht gerechtfertigt, da der Auftraggeber die Mängel einer Sicherungsanlage typischerweise erst dann erkennen kann, wenn einmal ausnahmsweise und meist erst nach vielen Jahren der Fall eintritt, daß sich ein Dieb Zutritt zu dem gesicherten Objekt verschafft und daß es diesem gelingt, die Schwachstellen des Sicherungssystems auszunutzen.
Entgegen der von der Beklagten vertretenen Ansicht ist der vorstehende Fall auch nicht mit dem im Urteil des Senats vom 13. Mai 1986 - BGHZ 98,45 - behandelten Fall eines auf mangelhaften Ölwechsel zurückzuführenden Motorschadens zu vergleichen. Ein Ölwechsel hat von vornherein eine - auch »lokale« - eindeutige Zuordnung zu einem ganz bestimmten Motor. Ein mangelhafter Ölwechsel muß sich fast zwangsläufig und in kurzer Zeit auch in einem Schaden des Motors auswirken. Solche Umstände sind in Fällen der hier zu entscheidenden Art gerade nicht gegeben.
In Fällen fehlerhafter Gutachten und Schätzungen hat es der Bundesgerichtshof grundsätzlich abgelehnt, die kurze Verjährungsfrist des § 638 BGB auch auf die durch Mängel des Gutachtens bedingten Vermögensschäden anzuwenden. Er hat insoweit den erforderlichen engen Zusammenhang verneint und dem Umstand keine entscheidenden Bedeutung beigemessen, daß das Gutachten gerade dazu dienen sollte, einen durch unrichtige Wertschätzung bedingten späteren Vermögensschaden zu vermeiden, und daß die Gutachter mit ihrer Fehlbeurteilung eine Hauptpflicht verletzen. Andererseits hat der Bundesgerichtshof im Sinne sachgerechter Interessenabwägung berücksichtigt, daß in solchen Fällen die durch Werkmängel bedingten Schäden regelmäßig erst nach langer Zeit in Erscheinung treten und daß daher auch der Gutachter billigerweise damit rechnen muß, noch lange Zeit nach Ablauf der für solche Fälle nicht gedachten kurzen Verjährungsfrist des § 638 BGB in Anspruch genommen zu werden (Urteile vom 10. Juni 1976 - BGHZ 67,1 - und vom 5. Mai 1983 - BGHZ 87,239). In der letztgenannten Entscheidung hat der Bundesgerichtshof zusätzlich darauf hingewiesen, daß das Gutachten (dort: Tierärztliche Ankaufsuntersuchung) nicht nur einer ganz bestimmten Vermögensdisposition zugeordnet war, sondern auch für weitere Fälle verwendet werden konnte, so daß schon aus diesem Grunde der erforderliche enge Zusammenhang zu verneinen war.
Alle diese Gesichtspunkte sind in gleicher Weise auch für die vorliegende Fallgestaltung eines durch mangelhafte Sicherungsmaßnahmen bedingten Einbruchsschadens zu berücksichtigen und zu bewerten mit dem Ergebnis, daß auch hier die - bei Mangelfolgeschäden nur ausnahmsweise in Betracht kommende - kurze Verjährung des § 638 BGB nicht gilt.
II.
Das angefochtene Urteil kann auch nicht aus anderen Gründen Bestand haben ...