Rück- und Weiterverweisung, Qualifikationsverweisung: Bewegliches und unbewegliches Vermögen

BGH, Urteil vom 10. Mai 2000 - IV ZR 171/ 99 - KG Berlin


Fundstellen:

BGHZ 144, 251
NJW 2000, 2421
ZEV 2000, 498
LM Art. 4 EGBGB 1986 Nr. 1
WM 2000, 1755
IPRax 2002, 40 mit Anm. Umbeck aaO S. 33 ff
s. auch BGHZ 24, 352 ff


Zentrale Probleme:

Auch bei der Anwendung ausländischen Kollisionsrechts gilt der Grundsatz, daß ausländisches Recht so angewendet werden soll, wie es tatsächlich gilt. Mit Ausnahme der ordre public-Klausel des ausländischen Rechts sind daher sämtliche mit der Anwendung von Kollisionsnormen verbundenen Fragen wie insbesondere Qualifikation, Vorfragenanknüpfung, Behandlung von Mehrstaatern etc. aus der Sicht der verwiesenen Rechtsordnung zu beantworten. Unterstellt die verwiesene Rechtsordnung den Anknüpfungsgegenstand aufgrund einer von den deutschen Systembegriffen abweichenden Qualifikation einer anderen Kollisionsnorm, als das aus der Sicht der Systembegriffe des deutschen Rechts der Fall wäre, so ist dem bei der Anwendung des IPR dieser Rechtsordnung zu folgen. Daraus kann sich dann das Phänomen eines sog. "renvoi kraft abweichender Qualifikation" ergeben, sofern nicht die verwiesene Rechtsordnung durch eine sog. "Qualifikationsverweisung" die Entscheidung "aus der Hand gibt. Zwar legt jede Rechtsordnung selbst Inhalt und Reichweite ihrer Kollisionsnormen fest, jedoch steht es ihr frei, diese Entscheidung aus der Hand zu geben. Eine solche Qualifikationsverweisung enthalten nach traditioneller Common-Law Regel die Kollisionsrechte des anglo-amerikanischen Rechtskreises: Danach beantwortet sich die im Tatbestand deren (ungeschriebener) Kollisionsnormen häufig relevante Frage, ob ein Gegenstand als unbeweglich oder beweglich anzusehen ist, nicht nach den eigenen Maßstäben dieser Rechtsordnungen, sondern nach dem Recht des jeweiligen Lageorts. Dem ist vom Standpunkt des deutschen Rechtsanwenders, der im Wege einer Gesamtverweisung auf die entsprechende Rechtsordnung verwiesen wird, ebenfalls zu folgen. Verweist somit etwa das vom deutschen IPR nach Art. 25 Abs. 1 EGBGB als Erbstatut berufene Recht eines US-Bundesstaates hinsichtlich der Vererbung unbeweglichen Vermögens auf deutsches Recht als dasjenige des Lageortes (lex rei sitae) zurück und erklärt es gleichzeitig, daß eben dieses Recht zu entscheiden habe, ob es sich bei dem betreffenden Nachlaßgegenstand um bewegliches oder unbewegliches Vermögen handelt, so ist dem zu folgen und nach deutschem Recht zu qualifizieren. Daher wird in der vorliegenden Entscheidung die sich in Anwendung des IPR des US-Bundesstaats Ohio stellende Frage, ob es sich bei einem Rückerstattungsanspruch aus dem VermögensG um bewegliches oder unbewegliches Vermögen handelt, nach deutschem Recht beantwortet.

©sl 2002


Amtl. Leitsatz:

Ansprüche aus dem Vermögensgesetz auf Restitution eines Grundstücks sind nicht als unbewegliches Vermögen zu qualifizieren, wenn nach dem maßgebenden ausländischen Kollisionsrecht nur insoweit auf deutsches Recht als das Recht der belegenen Sache zurückverwiesen wird (im Anschluß an BGHZ 131, 22).


Tatbestand:

Die Kläger machen Ansprüche wegen der Restitution von Grundstücken an die Beklagte als Erbin geltend. Der Erblasser war US-amerikanischer Staatsangehöriger und mit der Beklagten, die ebenfalls die US-amerikanische Staatsangehörigkeit hat, in zweiter Ehe verheiratet. Er hatte sie durch ein in seinem Heimatstaat Ohio errichtetes und dessen Vorschriften entsprechendes Testament zur Alleinerbin eingesetzt. Der Erblasser starb am 9. Januar 1995 in Ohio. Die Kläger sind seine einzigen Kinder und stammen aus seiner ersten Ehe, die ebenfalls mit einer US-amerikanischen Staatsangehörigen geschlossen war.

Der Vater des Erblassers war Miteigentümer zweier Grundstücke in Berlin, die in den Jahren 1938 und 1939 als jüdisches Vermögen veräußert wurden. Die Grundstücke lagen im Ostteil der Stadt, wurden in den 60er Jahren von der DDR unter staatliche Verwaltung gestellt und 1982 bzw. 1986 in das Eigentum des Volkes überführt. Der Erblasser machte als Erbe seines Vaters im Jahre 1990 Rückübertragungsansprüche nach dem Vermögensgesetz geltend. Die beiden Grundstücke wurden 1997 an die Beklagte und einen weiteren Miteigentümer zurückübertragen.

Nach dem Urteil des Landgerichts steht den Klägern als Pflichtteilsberechtigten je 1/12 des Wertes der in Berlin belegenen Erbschaftsgegenstände zu. Auf die Berufung der Beklagten hat das Kammergericht die Klage insgesamt abgewiesen. Dagegen wenden sich die Kläger mit der Revision.

Entscheidungsgründe:

Die Revision bleibt ohne Erfolg.

1. Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist die testamentarische Einsetzung der Beklagten als Alleinerbin wirksam. Der Erblasser sei nach dem Recht des Staates Ohio beerbt worden, das ein Pflichtteilsrecht nicht kenne. Hinsichtlich des unbeweglichen Nachlasses verweise das Recht Ohios jedoch auf das Recht der belegenen Sache, dem es auch die Qualifikation überlasse, ob es sich um unbewegliches Vermögen handelt. Aufgrund dieser Rückverweisung sei gemäß Art. 4 Abs. 1 Satz 2 EGBGB nach deutschem Recht zu entscheiden, ob die beim Erbfall bestehenden Ansprüche des Erblassers aus dem Vermögensgesetz bewegliches Vermögen waren, so daß das Erbrecht Ohios anzuwenden ist und die Kläger daran keine Rechte erlangt haben, oder ob die Ansprüche als unbewegliches Vermögen mit der Folge anzusehen sind, daß den Klägern nach deutschem Erbrecht daran der Pflichtteil zusteht. Soweit nimmt auch die Revision die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts hin.

2. Das Berufungsgericht vertritt den Standpunkt, die Ansprüche aus dem Vermögensgesetz seien schuldrechtliche Ansprüche, die sich gegen den Staat richten, und könnten daher nicht dem unbeweglichen Vermögen zugeordnet werden. Hierfür bezieht sich das Berufungsgericht u.a. auf die Entscheidung BGHZ 131, 22, 28 zu § 25 Abs. 2 DDR-RAG. Daß die Restitution nach Sinn und Zweck des Vermögensgesetzes an denjenigen erfolge, der das Grundstück ohne die enteignende Maßnahme geerbt hätte, rechtfertige es nicht, die Ansprüche aus dem Vermögensgesetz ebenso wie Grundstücke zu behandeln. Vielmehr stehe durchaus nicht fest, daß das Grundstück ohne die enteignende Maßnahme in den Nachlaß des Berechtigten gefallen wäre. Im vorliegenden Fall liege im Gegenteil nahe, daß der Erblasser die Grundstücke veräußert haben würde, weil er sie zu Wohnzwecken nicht benötigte und seine Kinder aus erster Ehe von der Erbfolge vollständig ausschließen wollte.

Dem hält die Revision entgegen, daß die Entscheidung BGHZ 131, 22 nur die innerdeutschen Verhältnisse betreffe. Für das internationale Kollisionsrecht sei die Frage der Qualifikation von Ansprüchen nach dem Vermögensgesetz als zum beweglichen oder unbeweglichen Vermögen gehörend dagegen unentschieden. Unter den Begriff des unbeweglichen Vermögens in diesem Sinne könne nach BGHZ 24, 352, 358 ff. ungeachtet seiner Rechtsnatur auch ein schuldrechtlicher Anspruch fallen. Entscheidend komme es auf Inhalt und Gegenstand des Anspruchs an. Die Rückübertragungsansprüche nach dem Vermögensgesetz zielten aber auf die Wiederherstellung des früheren Rechtszustands ab, soweit dies möglich sei. Der Anspruch auf Restitution unbeweglichen Vermögens trete bis zur Restitution an die Stelle desselben.

3. Dem folgt der Senat nicht.

a) Zwar wird in dem Urteil BGHZ 24, 352 in einer die Entscheidung nicht tragenden Erwägung die Auffassung vertreten, daß der im Rückerstattungsgesetz der früheren amerikanischen Besatzungszone geregelte Anspruch auf Rückerstattung von Grundstücken zum unbeweglichen Vermögen (im Sinne der Rückverweisung nach kalifornischem Erbrecht) zu rechnen sei (und deshalb insoweit Pflichtteilsansprüche nach deutschem Erbrecht bestünden). Entscheidend war dafür, daß der Rückerstattungsanspruch, auch wenn er kein dinglicher Anspruch war, sich auf "Wiedereinsetzung des ... Betroffenen in seinen früheren Rechtsstand" richtete (BGHZ aaO, 361). Gemäß Art. 15 des Rückerstattungsgesetzes der amerikanischen Zone hatte eine dem Rückerstattungsanspruch stattgebende Entscheidung die Wirkung, daß der Verlust des Vermögensgegenstandes grundsätzlich als nicht eingetreten und später erworbene Rechte Dritter als nicht erworben galten (BGHZ aaO, 359; Godin, Rückerstattungsgesetze 2. Aufl. 1950 S. 46). Durch diesen besonderen Inhalt unterschied sich der Rückerstattungsanspruch von einer schlechthin auf Leistung gerichteten Forderung; er stand einem dinglichen Anspruch nahe.

Gleiches gilt für Ansprüche aus dem Vermögensgesetz jedoch nicht. Sie treten zwar ihrem Sinn und Zweck nach an die Stelle verlorener Nachlaßwerte (BGHZ 123, 76, 79), richten sich ihrem Inhalt nach aber auf Rückübertragung durch den Staat (BGHZ 131, 22, 28 f.). Gemäß § 34 Abs. 1 VermG gehen die Rechte grundsätzlich erst mit der Unanfechtbarkeit einer Entscheidung der Behörde über die Rückübertragung auf den Berechtigten über. Der Grundsatz der Restitution wird im Interesse der Sozialverträglichkeit zugunsten redlicher Erwerber eingeschränkt; ihr guter Glaube an die Rechtsbeständigkeit des Erwerbs wird geschützt (BGHZ 118, 34, 36 f.). Die Restitution kann auch aus anderen Gründen ausgeschlossen sein, etwa wenn Gebäude mit erheblichem Aufwand in ihrer Zweckbestimmung verändert wurden und ein öffentliches Interesse an der Fortdauer der geänderten Nutzung besteht (§ 5 VermG). Danach kommt eine Einordnung des Restitutionsanspruchs nach dem Vermögensgesetz als unbewegliches Vermögen auch in dem von BGHZ 24, 352 vertretenen weiteren Sinne nicht in Betracht. Daß die Abtretung des Restitutionsanspruchs nach § 3 Abs. 1 Satz 2 VermG der notariellen Beurkundung bedarf, kann für sich genommen nicht zu einem anderen Ergebnis führen.

b) Anders als zur Zeit des Urteils BGHZ 24, 352 kennt das EGBGB heute den Begriff des unbeweglichen Vermögens (Art. 15 Abs. 2 Nr. 3, Art. 25 Abs. 2, Art. 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4). Er schließt nach herrschender Meinung Ansprüche auf Übertragung von Grundstücken nicht ein (v. Bar, Internationales Privatrecht 2. Bd. 1991, Rdn. 369; MünchKomm/ Birk, 3. Aufl. Art. 25 EGBGB Rdn. 67; Soergel/Schurig, 12. Aufl. Art. 25 EGBGB Rdn. 4; Erman/Hohloch, 9. Aufl. Art. 25 EGBGB Rdn. 18; Palandt/Heldrich, 59. Aufl. Art. 25 EGBGB Rdn. 7; a.A. im wesentlichen Staudinger/Dörner, 13. Bearb. Art. 25 EGBGB Rdn. 486; alle m.w.N.). Der hier verwendete Begriff des unbeweglichen Vermögens ist auch im Rahmen einer Zurückverweisung zugrunde zu legen (Staudinger/Hausmann, Art. 4 EGBGB Rdn. 69; MünchKomm/Sonnenberger, Art. 4 EGBGB Rdn. 60; Soergel/Schurig, Art. 25 EGBGB Rdn. 81), zumal das zurückverweisende Recht im vorliegenden Fall die Qualifikation dem Recht des Lageortes überläßt. Der Sinn der Rückverweisung bezüglich des unbeweglichen Vermögens liegt in der Rücksicht auf das Grundstücksrecht des Lageortes. Die hier zu beurteilende Zurückverweisung unterscheidet sich mithin in ihren Voraussetzungen nicht wesentlich von der Regelung des § 25 Abs. 2 DDR-RAG, um die es in der vom Berufungsgericht zugrunde gelegten Entscheidung BGHZ 131, 22, 28 ging.

Danach ist das Berufungsgericht mit Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß Ansprüche auf Rückübertragung von Grundstücken nach dem Vermögensgesetz nicht als unbewegliches Vermögen im Sinne der kollisionsrechtlichen Rückverweisung anzusehen sind.