Gutgläubiger Erwerb bei Geheißerwerb ("Koks-Fall") 
BGH, Urt. v. 30.10.1961, VII ZR 218/60 
Fundstelle:

BGHZ 36, 56 


Amtl. Leitsätze:

1. Die Begründung, das Berufungsgericht weiche möglicherweise von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs ab, genügt für die Zulassung der Revision, wenn das Berufungsgericht beachtliche Bedenken gegen die Vereinbarkeit seiner Entscheidung mit der des Bundesgerichtshofs hat.
2. Bei gutgläubigem Erwerb von einem Nichteigentümer genügt es für die Übergabe im Sinne des § 929 BGB, daß der Besitz auf Geheiß des Veräußerers von einem Dritten, der unmittelbarer Besitzer ist, an den Erwerber übertragen wird. 



Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Bezahlung einer Lieferung Koks.
Die Beklagte hatte die für ihr Grundstück benötigten Brennstoffe von der Firma St. , Inhaber H., bezogen. Diese Firma war auf Grund eines im Sommer 1958 erteilten, im voraus bezahlten Auftrags verpflichtet, der Beklagten nach Abruf Brennstoffe zu liefern. Der Hauswart der Beklagten bat H., Koks zu liefern. H. sagte die Lieferung zu. Er hatte zu dieser Zeit sein Kohlengeschäft aufgegeben, was der Beklagten nicht bekannt war. Die Klägerin hatte ihm vorgeschlagen, als ihr Vertreter gegen Provision zu arbeiten. H. wandte sich wegen Belieferung der Beklagten an die Klägerin. Die Beklagte wußte davon nichts. Ihr wurde mit Wagen der Klägerin Koks geliefert. Der Lieferschein, der einen Eigentumsvorbehalt bis zur vollständigen Bezahlung vorsah, war von der Klägerin an die Beklagte ausgestellt. Er enthielt keinen Hinweis auf H. Der Hauswart der Beklagten bestätigte den Empfang auf einer Zweitschrift des Lieferscheins. Zwei Tage nach der Lieferung erhielt die Beklagte von der Klägerin die Rechnung für die gelieferten Brennstoffe. Noch am selben Tage verweigerte die Beklagte die Bezahlung mit der Begründung, daß sie bei der Klägerin keinen Koks bestellt und diesen H. bereits bezahlt habe. Die Beklagte verbrauchte den Koks für die Beheizung ihres Hauses.
Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte müsse ihr den gelieferten Koks bezahlen, wenn nicht auf Grund eines Kaufvertrags, so doch aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung.
Das Landgericht und das Kammergericht haben die Klage abgewiesen.
Die Revision führte zur Zurückverweisung.

Aus den Gründen:

I. ... (betr. Zulässigkeit der Divergenzrevision, s. Ls. 1, in BGHZ aaO abgedruckt, von der Wiedergabe wird hier abgesehen)

II. Das Berufungsgericht nimmt mit Recht an, daß ein Kaufvertrag zwischen den Parteien nicht zustande gekommen ist (wird ausgeführt).

III. Das Berufungsgericht verneint auch einen Bereicherungsanspruch der Klägerin.
1. Es ist der Meinung, daß die Beklagte den Koks grundlos unmittelbar von der Klägerin erlangt hat. Jedoch ist nach seiner Ansicht die Bereicherung weggefallen (§ 818 Abs. 3 BGB), weil die Beklagte das Entgelt für den Koks an H. gezahlt hat.
2. Ersichtlich nimmt das Berufungsgericht an, daß sich die Vermögensverschiebung durch Verbrauch fremder Sachen vollzogen hat. Das setzt voraus, daß die Beklagte kein Eigentum an dem Koks erworben hat und dieser noch der Klägerin gehörte.
Eine Übereignung seitens der Klägerin an die Beklagte ist in der Tat zu verneinen (wird ausgeführt).
3. Bei dieser Sachlage hätte das Berufungsgericht zunächst erwägen sollen, ob der Klägerin nicht ein Schadensersatzanspruch nach §§ 990, 989 BGB zustehe. Das Revisionsgericht kann diese Frage nicht entscheiden. Ihre Beantwortung hängt davon ab, ob Bösgläubigkeit in Bezug auf die Berechtigung zum Besitz vorliegt, und erfordert eine tatsächliche Würdigung. Diese wird das Berufungsgericht, dessen Urteil ohnehin aufzuheben ist, gegebenenfalls noch vorzunehmen haben.
4. Liegen die Voraussetzungen des § 990 BGB nicht vor, so kommt allerdings nur ein Bereicherungsanspruch wegen Verbrauchs fremder Sachen in Betracht. Er wird durch die in §§ 987 ff BGB getroffene Regelung nicht ausgeschlossen (BGHZ 14, 7 f; Staudinger 11. Aufl. § 987 Rdz. 10; BGB-RGRK 11. Aufl. § 993 Anm 8)...
5. Es kann auch entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ein Bereicherungsanspruch nicht wegen der Zahlung der Beklagten an H. verneint werden (wird ausgeführt).
IV. Mit der bisherigen Begründung kann demnach das Berufungsurteil nicht aufrechterhalten werden.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts würde allerdings im Ergebnis zutreffen, wenn etwa die Beklagte das Eigentum gutgläubig von H. erworben hätte (§ 932 BGB). Dann schiede ein Anspruch aus dem Verhältnis zwischen Eigentümer und Besitzer (§ 990 BGB) aus, ebenso aber auch ein Anspruch aus § 812 BGB. Denn bei gutgläubigem Erwerb vom Nichteigentümer kann der wahre Eigentümer grundsätzlich keinen Bereicherungsanspruch gegen den Erwerber haben; sonst wäre der Gutglaubensschutz praktisch bedeutungslos. Dementsprechend gibt das Gesetz für diesen Fall einen Bereicherungsanspruch nur gegen den veräußernden Nichteigentümer (§ 816 Abs. 1 Satz 1 BGB). Der gutgläubige Erwerber selbst kann nur ausnahmsweise, nämlich bei unentgeltlichem Erwerb, in Anspruch genommen werden (§ 816 Abs. 1 Satz 2 BGB).
Das Berufungsgericht hat sich die Frage, ob die Beklagte gutgläubig von H. erworben hat, nicht gestellt. Sie lag aber nach den eigenen Feststellungen und Ausführungen des Berufungsgerichts nicht fern (wird ausgeführt).
Hiernach ist zu erwägen, ob nicht ein Übereignungsgeschäft zwischen H. und der Beklagten stattgefunden hat und ob dadurch der Beklagten nach §§ 929, 932 BGB das Eigentum verschafft worden ist. Der gute Glaube der Beklagten an das Eigentum H. muß, da es an tatsächlichen Feststellungen fehlt, im Revisionsverfahren unterstellt werden.
Erforderlich für einen solchen Eigentumserwerb ist allerdings - neben der Einigung und dem guten Glauben der Beklagten - eine Übergabe seitens des H. Die Übergabe braucht jedoch nicht notwendig dadurch zu geschehen, daß der veräußernde Nichteigentümer selbst dem Erwerber den Besitz überträgt. Es genügt auch, wenn der Besitz von einem Dritten als unmittelbarem Besitzer, z. B. von dem Lieferanten des Veräußerers, auf Geheiß des Veräußerers übertragen wird; dabei ist auch nicht notwendig, daß der unmittelbare Besitzer Besitzmittler des Veräußerers ist. Das ist die fast allgemeine Ansicht in der Rechtslehre (Planck, 5. Aufl. BGB § 929 Anm. 2 III 3 und Anm. 4 vor § 932; Wolff/Raiser, Sachenrecht, 10. Bearb. § 69 II 2 a; Staudinger, BGB § 932 Anm. 22; Westermann, Sachenrecht, 4. Aufl. § 39 II 2, § 47 I 1; Soergel, 9. Aufl. § 932 Anm. 5; BGB-RGRK § 932 Anm. 7 - damit allerdings nicht recht vereinbar BGB-RGRK § 932 Anm. 2, wo es im Anschluß an RGZ 72, 309 312 heißt, der veräußernde Nichteigentümer müsse zur Zeit der Einigung Besitzer gewesen sein oder den Besitz schon vorher auf den Erwerber übertragen haben). Aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ergibt sich nichts Gegenteiliges. In der Entscheidung des Oberlandesgerichts München NJW 1957, 875 nimmt dieses anscheinend an, die Entscheidung BGHZ 10, 81 nehme einen anderen Standpunkt ein. Das trifft aber nicht zu (vgl. BGB-RGRK § 932 Anm. 7). Die angeführte Entscheidung des Bundesgerichtshofs betrifft (ebenso wie die Entscheidung LM Nr. 6 zu § 932 BGB) eine andere Frage, nämlich diejenige, ob der gute Glaube an das Eigentum eines der Veräußerung zustimmenden Dritten genügt. In der hier maßgebenden Frage, ob die Übergabe durch einen Dritten auf Geheiß des Veräußerers ausreicht, spricht die Entscheidung des Bundesgerichtshofs eher für die in der Rechtslehre herrschende Meinung (aaO S. 84 unten).
Ihr schließt sich auch der erkennende Senat an.
Die Vorschrift des § 932 BGB schützt den Erwerber, der auf Grund der Besitzlage an das Eigentum des Veräußerers glauben darf (BGHZ 10, 86). Vom Erwerber aus gesehen übt aber nicht nur derjenige die tatsächliche Gewalt über die Sache (§ 854 BGB) aus, der sie selbst dem Erwerber übergibt, sondern auch derjenige, auf dessen Weisung die Sache dem Erwerber durch einen Dritten ausgefolgt wird. In beiden Fällen braucht und verdient der Erwerber Schutz. 


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