BGH, Urteil v. 27.03.1968 - VIII ZR 11/66
Amtlicher Leitsatz
a) Veräußert der Vorbehaltskäufer bei noch bestehendem Eigentumsvorbehalt des Lieferanten die Sache gemäß §§ 929,930 BGB zur Sicherung an einen gutgläubigen Dritten, so wird dieser mittelbarer Besitzer.
b) Veräußert der mittelbare Besitzer dann die Sache gemäß §§ 929,931 BGB an einen gutgläubigen Vierten, so wird dieser Eigentümer schon mit dem Erwerb des mittelbaren Besitzes (§ 934 Halbsatz 1 BGB).
Fundstellen:
BGHZ 50 , 45
NJW 1968, 1382
LM § 934 BGB Nr. 4
MDR 1968, 663
BB 1968, 566
DB 1968, 933
WM 1968, 604
Zum Sachverhalt:
Im Dezember 1960 verkaufte die Klägerin der Firma H. KG in M. eine Fräsmaschine. Die Klägerin behielt sich das Eigentum bis zur vollständigen Zahlung des Kaufpreises vor. Die Käuferin nahm die Maschine in Benutzung. Ein Restkaufpreis von 3 862,45 DM blieb noch offen. Im September 1961 nahm die Firma H. von dem Kaufmann C. ein Darlehen von 50 000 DM auf. Gleichzeitig übernahm C. für eine Schuld der Firma H. bei der Volksbank in Höhe von 10 000 DM die selbstschuldnerische Bürgschaft. Zur Sicherung ihrer Verpflichtungen gegenüber C. übereignete die Firma H. diesem eine Reihe von Maschinen, darunter auch die streitige Fräsmaschine. In dem Sicherungsübereignungsvertrage vom 28. September 1961 einigten sich die Vertragsparteien, daß das Eigentum an dem Sicherungsgut auf C. übergehe und daß die Firma H. die Maschinen weiter benutzen dürfe. Die Fräsmaschine blieb daher weiter in den Geschäftsräumen der Firma H. Zur Sicherung eines der englischen L. Finance Corporation Limited (im folgenden: L. Ltd.) abgegebenes Schuldanerkenntnis in Höhe von 70 000 DM nebst Zinsen trat C. seine Rechte aus dem mit der Firma H. geschlossenen Sicherungsübereignungsvertrag an diese Gesellschaft ab. Die Vertragsparteien erklärten, sich darüber einig zu sein, daß das Eigentum an den irrt Vertrage vom 28. September 1961 genannten Maschinen, darunter auch der Fräsmaschine, auf die L. Ltd. übergehen solle. C. trat seine Rechte aus dem Besitzmittlungsverhältnis zwischen der Firma H. und ihm an die L. Ltd. ab und verpflichtete sich, die Firma H. unverzüglich zu veranlassen, den Besitz an den übereigneten Gegenständen nur noch für die L. Ltd. zu vermitteln. Durch Verträge vom 27. September 1962 und vom 20. Oktober 1962 trat die L. Ltd. ihrerseits ihre Rechte aus dem mit C. geschlossenen Vertrage an die Beklagte ab.Mit der Behauptung, daß die Fräsmaschine ihr Eigentum geblieben sei, begehrte die Klägerin mit der Klage die Herausgabe der Maschine von der Beklagten. Das Landgericht gab der Klage statt. Das Oberlandesgericht wies sie ab. Die Revision der Klägerin blieb ohne Erfolg.
Aus den Gründen:
I. Da sich die Fräsmaschine bei Abschluß der einzelnen Sicherungsübereignungsverträge stets in den Geschäftsräumen der in Deutschland ansässigen Firma H. befand, richtet sich die Beurteilung der Frage, ob die Sicherungsnehmer Eigentum an der Fräsmaschine erworben haben,
nach deutschem Recht (Urt. v. 4. Februar 1960 - VII ZR 161/57 - = NJW 1960,774; RGZ 103,31; Wolff/Raiser, Sachenrecht, 10. Bearb. , § 90 III S. 366). C. konnte demnach gemäß §§ 930,933 BGB nicht Eigentümer werden, weil er zwar im Wege des Besitzkonstituts den mittelbaren
Besitz erlangt hat, zu keinem Zeitpunkt aber unmittelbarer Besitzer geworden ist. Es ist somit davon auszugehen, daß er als Nichteigentümer über die Fräsmaschine verfügt hat, als er am 24. August 1962 den Sicherungsübereignungsvertrag mit der L. Ltd. schloß.
II. Das Berufungsgericht nimmt an, daß die L. Ltd. gleichwohl Eigentümerin der Fräsmaschine geworden ist, und daß sie das Eigentum rechtswirksam an die Beklagte weiter übertragen hat. Hiergegen bestehen entgegen der Ansicht der Revision keine rechtlichen Bedenken.
§ 4 des Vertrages vom 24. August 1962 enthält die Erklärung der Parteien, daß sie sich über den Eigentumsübergang einig sind und daß der Kaufmann C. seine Rechte aus dem Besitzmittlungsverhältnis zwischen ihm und der Schuldnerin, Firma H., an die L. Ltd. abtrete. Wie die
Revision nicht in Abrede stellt, liegt hierin die für den Eigentumsübergang erforderliche Einigung im Sinne des § 929 BGB und eine Ersatzübergabe im Sinne der §§ 931,934 Halbsatz 1 BGB. In einem solchen Falle erlangt nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes der Zessionar des
Herausgabeanspruches - seine Gutgläubigkeit vorausgesetzt - sofort Eigentum an der Sache, die den Gegenstand des Vertrages bildet, ohne daß eine spätere Erlangung des unmittelbaren Besitzes hinzukommen müßte. Daß dieses Ergebnis dem Wortlaut des § 934 Halbs. 1 BGB entspricht,
stellt die Revision nicht in Abrede. Ihrer Ansicht, die Regelung des § 934 Halbs. 1 dürfe in Fällen der vorliegenden Art nicht Platz greifen, weil ihre Anwendung den Grundsätzen des § 933 BGB widerspreche, ist nicht zu folgen.
III. 1. Mit Recht vertritt das Berufungsgericht den Standpunkt, es könne nicht davon ausgegangen werden, daß ein Sicherungsnehmer, der, wie hier der Kaufmann C., mit einem Nichteigentümer ein Besitzmittlungsverhältnis eingehe, den mittelbaren Besitz deshalb nicht erlange, weil
die Eigentumsübertragung fehlgeschlagen sei. Diese Ansicht, daß der gutgläubige Erwerber vom Nichteigentümer nicht nur kein Eigentum, sondern durch Besitzkonstitut auch keinen mittelbaren Besitz erlange, wird im Schrifttum unter Berufung auf § 139 BGB von Wolff/Raiser aaO (§ 69
II 2 c, Fn. 18) vertreten. Wäre sie richtig, so wäre C. nicht in der Lage gewesen, den mittelbaren Besitz zu übertragen, so daß ein gutgläubiger Eigentumserwerb schon am Fehlen der Voraussetzungen des § 934 Halbs. 1 BGB hätte scheitern müssen. Der erkennende Senat hat in einem
früheren Urteil offengelassen, ob dieser Meinung gefolgt werden kann (vgl. Senatsurteil vom 21. April 1959 - VIII ZR 148/58 - NJW 1959,1536 = WM 1959,813). Die Frage bedarf nunmehr der Entscheidung. Sie ist zumindest für Fälle der vorliegenden Art zu verneinen. Der
Sicherungsübereignungsvertrag zwischen der Firma H. und C. entspricht dem Regelfall eines solchen Vertrages, in dem der Sicherungsgeber trotz Übereignung des Sicherungsgutes weiter im Besitz der Sachen bleiben und sie benutzen und verwahren soll. Wäre der Sicherungsübereignungsvertrag
nichtig, so könnte zweifelhaft sein, ob sich das Besitzmittlungsverhältnis aufrechterhalten ließe. Hiervon kann aber nach dem unstreitigen Sachverhalt keine Rede sein. C. hatte der Firma H. ein beträchtliches Darlehen gegeben und hatte daher ein schutzwürdiges Interesse daran, eine
Sicherung zu erhalten. Wenn auch die Eigentumsverschaffung mißlang, so lag es dennoch im Interesse und im Willen beider Parteien, daß C. jedenfalls das Anwartschaftsrecht auf Erlangung des Vorbehaltseigentums erhalten sollte (vgl. BGHZ 20,88,101; 35,85,91; und Urteil des erkennenden
Senats vom 25. November 1958 - VIII ZR 57/58 = WM 1959,52; und vom 21. April 1959 - VIII ZR 148/58 = WM 1959,813,815; sowie Serick, Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübereignung Bd. 1 § 11 III 1 S. 257 und Bd. II § 23 I 7 S. 243). Das hatte zur Folge, daß er mit der Zahlung des
Restkaufpreises ohne weiteres und insbesondere ohne Mitwirkung seines Rechtsvorgängers unmittelbar Eigentümer des Sicherungsgutes werden konnte (BGHZ 20,88,97). War aber die Übertragung des Anwartschaftsrechts wirksam, so besteht kein Grund dafür, daß das Besitzmittlungsverhältnis
nichtig sein könnte.
2. Auch die sonstigen vom Gesetzgeber für den gutgläubigen Erwerb des Eigentums vom Nichteigentümer aufgestellten Grundsätze stehen einer Anwendung des § 934 Halbs. 1 BGB auf den vorliegenden Fall nicht entgegen. Die Bestimmungen der §§ 933,934 BGB werden von dem Prinzip beherrscht,
daß der Gesetzgeber die Schaffung des mittelbaren Besitzes zum gutgläubigen Erwerb nicht ausreichen läßt, wohl aber seine Übertragung (vgl. Westermann, Sachenrecht, 5. Aufl. , § 48 II, 1,2). Da die Vereinbarung des Besitzkonstituts nicht den Besitz des Veräußerers auf den Erwerber
überträgt, muß als Voraussetzung für einen gutgläubigen Eigentumserwerb vom Nichteigentümer nach § 933 BGB die Erlangung des unmittelbaren Besitzes hinzutreten. Demgegenüber überträgt die Abtretung des aus einem Besitzmittlerverhältnis fließenden Herausgabeanspruches gemäß § 870 BGB
sofort den Besitz des Veräußerers, wenn auch einen mittelbaren. Das Gesetz geht aber von der Gleichstellung des mittelbaren mit dem unmittelbaren Besitz aus (Westermann aaO; vgl. auch die Rechtsprechung zu § 934 Halbs. 2 = RG JW 1932,1212; Gruchot 53,692; JW 1908,717; RGZ 89,348,349).
Dieser Grundsatz der Gleichstellung und der Umstand, daß sich der Veräußerer im Falle der §§ 931,934 Halbs. 1 BGB von seinem Besitz vollständig löst, während die Veräußerung im Wege des Besitzkonstituts den Besitz bei dem Veräußerer beläßt, sind der gesetzgeberische Grund dafür, daß
das Gesetz in § 934 Halbs. 1 BGB abweichend von der Regelung des § 933 BGB von dem Sichtbarkeitsprinzip abweicht. Es entspricht dem Willen des Gesetzgebers, daß das Vertrauen eines gutgläubigen Erwerbers, das er dem durch ein Besitzmittlerverhältnis ausgewiesenen mittelbaren Besitz
entgegenbringt, ebenso geschützt werden soll wie das Vertrauen auf den unmittelbaren Besitz der Sache selbst, wenn nur, wie das in beiden Fällen vorausgesetzt wird, der Veräußerer sich seines Besitzes völlig entäußert (vgl. auch Baur, Sachenrecht, 4. Aufl. , § 52 II, 4; Westermann aaO;
s. auch Protokolle der Kommission für die U. Lesung des Entwurfs des BGB, Prot. S. 209). Eine abweichende Meinung wird, soweit zu übersehen ist, in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bisher nicht vertreten. Die hier dargelegte Ansicht entspricht auch der fast einhelligen Meinung des
Schrifttums (s. außer dem bereits genannten auch BGB-RGRK, 11. Aufl. , § 934 Anm. 4; Staudinger, BGB, 11. Aufl. , § 934 Rdn. 1 a; Erman/Westermann, BGB, 3. Aufl. , § 934 Anm. 1; Heck, Grundriß des Sachenrechts, § 56; Serick aaO Bd. II § 23 I 7 und 8). Den Erwägungen von Wulff Müller
(AcP 137,86 f), die ihn zu dem entgegengesetzten Ergebnis führen, kann nicht gefolgt werden. Soweit Müller meint, die aus dieser Bestimmung fließenden Schwierigkeiten könnten nur solche des Wortlauts sein, die durch sinngemäße Auslegung beseitigt werden müßten, weil § 934 BGB das
Traditionsprinzip nicht in sinnloser Weise verlassen haben könne, stehen ihm die obigen Erwägungen entgegen, die zeigen, daß der Gesetzgeber die aus § 934 Halbs. 1 BGB entstehenden Rechtsfolgen bewußt normiert und gewollt hat. Eine andere Auslegung wäre gesetzwidrig. Auch der Versuch
Müllers (aaO), die Anwendbarkeit des § 934 Halbs. 1 BGB wenigstens für Fälle der vorliegenden Art (Weiterveräußerung durch den Sicherungsnehmer eines Vorbehaltskäufers) im Hinblick auf die für den mittelbaren Besitz geltenden Grundsätze zu verneinen, muß scheitern. Müller meint, der
Vorbehaltskäufer könne dem Sicherungsnehmer nur einen "minderwertigen" gleichstufigen mittelbaren Nebenbesitz verschaffen, weil er wegen des Vorbehaltsverhältnisses nicht aufhöre, für den Eigentümer zu besitzen. Diese Betrachtungsweise ist nicht richtig. Es kommt nur darauf an, ob der
Vorbehaltskäufer dem Sicherungsgeber den Besitz vermitteln wollte. Das hat hier das Berufungsgericht einwandfrei festgestellt.
3. Die von Böhmer (Grundlagen der bürgerlichen Rechtsordnung, II 2 § 23 S 31 f - A, B, C) geäußerten und vom Berufungsgericht ebenfalls erörterten Bedenken gegen eine dem Wortlaut entsprechende Anwendung des § 934 Halbs. 1 BGB sind rechtspolitischer Natur. Böhmer weist insbesondere
darauf hin, daß bei einer Bindung an den strengen Wortlaut der Bestimmung Ergebnisse eintreten, die weder den Erfordernissen der Rechtssicherheit und der Folgerichtigkeit noch den Erfordernissen der sozialen Gerechtigkeit und Billigkeit entsprechen. Er findet es untragbar, daß bei
Anwendung des § 934 Halbs. 1 BGB der Eigentumsvorbehalt des Verkäufers dem Sicherungseigentum des Kreditgebers weichen müsse, obwohl beide Gläubiger dem Schuldner das gleiche Vertrauen entgegengebracht haben. Es besteht nach seiner Ansicht kein Grund, das Interesse des "wahren"
Kreditgebers an der Erhaltung seines Eigentums als weniger schutzwürdig zu betrachten als dasjenige des Darlehensgebers an der Sicherung seiner Darlehensforderung. Insbesondere hebt er hervor, daß die Anwendung des § 934 Halbs. 1 BGB nicht zur Umgehung der Regelung des § 933 BGB
führen dürfe, um auf dem Wege des § 934 Halbs. 1 BGB zu erreichen, daß die Sache auf alle Fälle und risikolos dort verbleiben kann, wo sie sich befindet. Rechtspolitische Erwägungen befreien aber den Richter nicht von seiner Verpflichtung, das geltende Recht anzuwenden. Dabei
verschließt sich der Senat den von Böhmer aufgezeigten Bedenken nicht. Es ist in der Tat auffallend, daß wirtschaftlich gleichliegende Sachverhalte verschieden beurteilt werden müssen, je nach dem, ob die eine oder die andere Bestimmung (§ 933 oder § 934 Halbs. 1 BGB) zur
Anwendung kommt, daß also die Anwendung des geltenden Rechts zu unterschiedlichen Ergebnissen führt, deren Berechtigung nicht ohne weiteres einsichtig ist. In einem Falle wie dem vorliegenden fällt dies besonders auf, weil hier der zweite Sicherungsnehmer, dem die Bestimmung
des § 934 Halbs. 1 BGB zugute kommt, der Vorbehaltssache fernergerückt war als der erste, der gemäß § 933 BGB kein Eigentum erwerben konnte. Entscheidend ist aber, daß der Gesetzgeber bei dieser unterschiedlichen Regelung nicht willkürlich verfahren ist. Beiden Regelungen liegt,
wie oben dargelegt ist, das Prinzip zugrunde, daß der unmittelbare Besitz dem mittelbaren gleichzusetzen ist und daß es für den gutgläubigen Eigentumserwerb genügt, wenn sich der Veräußerer seines Besitzes vollständig entledigt, gleichgültig, ob es sich hierbei um mittelbaren
oder unmittelbaren Besitz handelt. Diese Regelung ist jedenfalls nicht willkürlich, so daß der Richter nicht in der Lage ist, von dem vom Gesetzgeber klar zum Ausdruck gebrachten Willen abzuweichen.
IV. Da die Klägerin die gesetzlich vermutete Gutgläubigkeit der L. Ltd. nicht widerlegt hat, ist diese Gesellschaft Eigentümerin der Fräsmaschine geworden und die Klägerin hat damit ihr Vorbehaltseigentum verloren.
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