BGHZ 51, 141: Analoge Anwendung von § 166 II BGB bei Willensmängeln bei Vollmachtserteilung bzw. Weisung an der Vertreter


1. Für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines Prozeßvergleichs kommt es im allgemeinen nicht auf das objektive Mißverhältnis zwischen der wahren Ausgangslage und den Leistungen an, die eine Partei mit Abschluß des Vergleichs übernommen hat. Ein solches Mißverhältnis kann aber Bedeutung gewinnen, wenn sich die begünstigte Partei dessen von Anfang an bewußt ist und weitere Umstände hinzutreten, derentwegen ihr Gesamtverhalten dahin zu würdigen ist, sie habe die andere Partei in einer gemäß § 138 BGB vorwerfbaren Weise übervorteilt.
 2. Nimmt eine Partei selbst an gerichtlichen Vergleichsverhandlungen teil, so handelt deren Prozeßbevollmächtigter unter Umständen bei Abschluß des Prozeßvergleichs nach ihren Weisungen. Für die Anfechtung des Vergleichs kommt es in diesem Falle in entsprechender Anwendung des § 166 Abs. 2 BGB darauf an, ob die Partei vom Prozeßgegner getäuscht und dadurch bestimmt worden ist, die Weisung zum Abschluß des Vergleichs zu erteilen.


Sachverhalt:

Der Kläger ist ein gemeinnütziger Verein. Ihm fließen beträchtliche öffentliche und private Mittel zu. Für deren Verwaltung war der Beklagte als Vorstandsmitglied verantwortlich. Im Dezember 1961 veranlaßte der Vereinsvorsitzende eine Buchprüfung. Hierbei stellte sich heraus, daß die Geschäftsbücher unzulänglich geführt worden waren. Aus den Prüfungsergebnissen schließt der Kläger, der Beklagte habe erhebliche Beträge veruntreut. Dieser zahlte dem Kläger 60 000 DM, bestritt aber die ihm zur Last gelegten Veruntreuungen. Der Kläger erhob daraufhin Klage und verlangte im ersten Rechtszuge einen weiteren Teilbetrag von 47 413,70 DM ersetzt. Das Landgericht gab der Klage statt. Der Beklagte, der mittlerweile in Untersuchungshaft genommen worden war, legte Berufung ein. Inzwischen bezifferte der Kläger den ihm zu ersetzenden Restschaden auf etwa 240 000 DM, nachdem die Staatsanwaltschaft in dem gegen den Beklagten eingeleiteten Strafverfahren Anklage erhoben und ihm vorgeworfen hatte, insgesamt etwa 300 000 DM veruntreut zu haben. Vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist schlossen die Parteien vor dem Kammergericht zur Abgeltung aller gegenseitigen Ansprüche einen Prozeßvergleich, in dem sich der Beklagte verpflichtete, dem Kläger einschließlich der in diesem Prozeß geltend gemachten Beträge noch 125 000 DM zu zahlen.
Nunmehr streiten die Parteien, ob der Prozeßvergleich rechtswirksam und der Rechtsstreit durch ihn erledigt worden ist. Der Beklagte hält ihn unter anderem deshalb für nichtig, weil er gegen die guten Sitten verstoße. Hilfsweise hat er ihn wegen arglistiger Täuschung angefochten.
Das Berufungsgericht hat die Wirksamkeit des Vergleichs bejaht und festgestellt, der Rechtsstreit sei durch ihn erledigt. Die Revision des Beklagten führte zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Aus den Gründen:

a) Dem Berufungsgericht ist an sich zuzustimmen, daß die Behauptung des Beklagten, tatsächlich nichts veruntreut und deshalb nichts geschuldet zu haben, für sich genommen unter dem Gesichtspunkt des § 138 BGB nicht schlüssig ist. Hiermit wäre zwar dargetan, rückblickend bestehe ein krasses Mißverhältnis zwischen der objektiven Rechtslage, wie sie vor Abschluß des Vergleichs bestanden, und den Verpflichtungen, die der Beklagte im Vergleich übernommen habe. Für die Beurteilung der Frage, ob der eine Vertragspartner den anderen gemäß § 138 Abs. 1 oder 2 BGB sittenwidrig übervorteilt hat, kommt es aber bei einem Vergleich regelmäßig nicht auf eine Gegenüberstellung der Vergleichspflichten und der wahren Ausgangslage, sondern darauf an, wie die Parteien die Sach- und Rechtslage bei Abschluß des Vergleichs eingeschätzt haben und in welchem Ausmaß sie davon abgewichen sind und zur Bereinigung des Streitfalls gegenseitig nachgegeben haben (BGH NJW 1964,1787/88). Denn im allgemeinen verbietet es sich, einen Vergleich, selbst wenn ihn die begünstigte Partei mit nicht zu billigenden Mitteln herbeigeführt hat, als sittenwidrig zu behandeln, wenn er seinem Inhalt nach aus der Sicht beider Vertragsparteien bei Vergleichsabschluß als sachgerechte Bereinigung des Streitfalls erschien. Im vorliegenden Falle hat der Kläger nach den Feststellungen des Berufungsgerichts einen Restschaden von 240 000 DM geltend gemacht. Der Beklagte hatte dagegen jede Schuld bestritten. Geht man nur von dieser nach außen zutage getretenen Bewertung der Sach- und Rechtslage durch die Parteien aus, kann von unverhältnismäßigen Zugeständnissen des Beklagten und einem Mißverhältnis im beiderseitigen Nachgeben nicht gesprochen werden.
Diese Beurteilung ist aber im vorliegenden Fall zu eng; sie wird dem weitergehenden Vortrag des Beklagten über die Umstände, unter denen es zum Vergleichsabschluß gekommen ist, nicht ausreichend gerecht. Dieser Vortrag läuft.. . unter anderem sinngemäß auf die Behauptung hinaus, der Vorstand des Klägers habe selbst an die Höhe der geltend gemachten Forderung nicht geglaubt, sondern die Ansprüche willkürlich hochgeschraubt und das - für ihn erkennbar fehlerhafte - Zahlenwerk der Anklageschrift nur als Vorwand genommen, um die Forderung zu überhöhen und ihn, den Beklagten, auf diese Weise zu unverhältnismäßigen Zugeständnissen zu bewegen. Sollte das der Fall sein, könnte die vom Kläger nach außen hin vorgegebene Einschätzung der Lage kein Maßstab für die Beurteilung der Frage sein, ob er unverhältnismäßige Zugeständnisse des Beklagten durchgesetzt hat; das tatsächliche Nachgeben des Klägers wäre dann nicht nur nach der objektiven Ausgangslage, sondern auch vom subjektiven Standpunkt des Vereinsvorstands, auf den es hier ankommt, sehr viel geringer gewesen oder gleich Null zu setzen. Hätte der Kläger dann außerdem die besondere Situation des Beklagten als Untersuchungshäftling ausgenutzt, wie dieser es behauptet, um den Vergleich herbeizuführen, so könnte eine zusammenfassende tatrichterliche Würdigung möglicherweise zu dem Ergebnis kommen, der Kläger habe den Beklagten in einer gemäß § 138 BGB vorwerfbaren Weise übervorteilt.
b) Die Ansicht des Beklagten, der Prozeßvergleich sei jedenfalls gemäß §§ 123,142 BGB infolge seiner Anfechtungserklärung nichtig, läßt sich ebenfalls mit der bisherigen Begründung des Berufungsgerichts nicht abschließend verneinen.
Diesem ist darin zu folgen, daß sich eine wirksame Anfechtung nicht aus der Behauptung des Beklagten herleiten läßt, der Kläger habe seine Forderung unzutreffend und arglistig auf die Summe von 240 000 DM beziffert. Selbst wenn dieser Sachverhalt zuträfe, hätte ein Anfechtungsrecht nur bestanden, wenn die Entschließung des Beklagten hierauf beruht hätte. Das ist nicht der Fall. Der Beklagte hat selbst vorgetragen, stets, auch bei Vertragsschluß, davon überzeugt gewesen zu sein, dem Kläger nichts zu schulden, sich also insofern nicht haben täuschen lassen
Einer erneuten Prüfung bedarf aber derjenige Sachvortrag, mit dem der Beklagte hat dartun wollen, daß er den Prozeßvergleich in der irrtümlichen Annahme abgeschlossen habe, von ihm bei einer für ihn günstigen Aufklärung der Dinge
wieder loskommen zu können, und daß der Vorstand oder der Prozeßbevollmächtigte des Klägers diesen Irrtum gekannt und ausgenutzt habe. Das Berufungsgericht hat dieses Vorbringen unter dem Gesichtspunkt des § 123 BGB schon deshalb für unschlüssig gehalten, weil nicht der Beklagte, sondern seine Anwälte den Vergleich abgeschlossen hätten. Gegen diese Rechtsansicht bestehen Bedenken. Regelmäßig ist zwar ein Rechtsgeschäft, das ein Vertreter abgeschlossen hat, wegen arglistiger Täuschung nur anfechtbar, wenn sich der Vertreter vom Geschäftsgegner hat täuschen lassen. Das ergibt sich aus § 166 Abs. 1 BGB. Die Besonderheit des vorliegenden Falles besteht aber darin, daß der Beklagte im Vergleichstermin selbst zugegen war. Beteiligt sich die Prozeßpartei an den gerichtlichen Vergleichsverhandlungen, so ist es je nach den Umständen des Einzelfalles möglich, daß nicht ihr Anwalt, sondern sie selbst die eigentliche Entscheidung trifft, ob der Vergleich mit dem ausgehandelten Inhalt angenommen werden soll. Schließt der Prozeßbevollmächtigte dann den Vergleich ab, so setzt er in einem solchen Fall im wesentlichen nur den Geschäftswillen seines Mandanten in die Tat um, er handelt nach dessen Weisungen. Im vorliegenden Falle liegt es - vorbehaltlich einer abschließenden Klärung des Sachverhalts - zumindest nahe anzunehmen, daß die Dinge so lagen. Darum stellt sich die Frage, ob auch hier die allgemeine Regel des § 166 Abs. 1 BGB eingreift oder ob es vielmehr geboten ist, die Vorschrift des § 166 Abs. 2 BGB, die einen - allerdings anderen - Fall der weisungsbestimmten Stellvertretung behandelt, entsprechend anzuwenden.
Im Schrifttum wird überwiegend die Ansicht vertreten, § 166 Abs. 2 BGB sei auf Willensmängel in der Person des Vertretenen nicht auszudehnen (vgl. u. a. Staudinger/Coing, BGB 11. Aufl. § 166 Anm. 18; Soergel/Schultze v. Lasaulx, BGB 10. Aufl. § 166 Anm. 33; Flume, Das Rechtsgeschäft S. 874; weitere Nachweise bei Müller-Freienfels, Die Vertretung beim Rechtsgeschäft S. 402 Fn. 25). Die Anfechtungsfrage bei der Stellvertretung wird allerdings vorwiegend unter dem Gesichtspunkt erörtert, ob und inwieweit sich Willensmängel, die die Vollmachterteilung beeinflußt haben, auf das Vertretergeschäft auswirken. Darauf braucht hier nicht eingegangen zu werden. Im vorliegenden Falle geht es um die Frage, wie Willensmängel zu behandeln sind, die die Weisung beeinflußt haben, die der Vollmachtgeber dem Vertreter n a c h dessen Bevollmächtigung erteilt hat, ohne die bereits begründete Vertretungsmacht abzuändern. Gegen die entsprechende Anwendung des § 166 Abs. 2 BGB läßt sich zunächst einwenden, die Bestimmung, wie sich die Kenntnis des Vollmachtgebers oder sein »Kennenmüssen« von rechtsereblichen Umständen auf die Folgen einer vom Vertreter weisungsgemäß abgegebenen Willenserklärung auswirke, habe nichts mit dem rechtswirksamen Bestand der Vertretererklärung zu tun, um den es bei der ganz anderen Frage gehe, ob Willensmängel des Vollmachtgebers diese Erklärung anfechtbar machen. Ferner spielt der Zweck jener Vorschrift, zum Schutze des G e s c h ä f t s g e g n e r s »zu verhüten, daß durch die Bevollmächtigung eines Dritten die gesetzliche Folge der Mangelhaftigkeit eines Rechtsakts umgangen werde« (BGHZ 38,65,67), bei Willensmängeln in der Person des Vollmachtgebers keine Rolle. Als Haupteinwand gegen die entsprechende Anwendung des § 166 Abs. 2 BGB wird jedoch auch hier - wie bei den Willensmängeln der Vollmachterteilung - vor allem geltend gemacht, daß einerseits das Vertretergeschäft, an dem der Vollmachtgeber als unmittelbar Handelnder nicht beteiligt ist, und andererseits die Vorgänge im Innenverhältnis zwischen Vertreter und Vertretenem rechtlich voneinander getrennt zu haltende Tatbestände seien. Das Vertretergeschäft komme in der Person des Vertreters zustande, nur die Wirkungen würden auf den Vertretenen bezogen; Willensmängel des Vertretenen könnten sich daher unmittelbar auf das Vertretergeschäft nicht auswirken. Diese Vorstellung hat, wie die Gesetzesmaterialien ergeben, besonders die Verfasser des Bürgerlichen Gesetzbuches beherrscht (Mot. Bd. I S. 226/227) und unter anderem dazu geführt, auch bei der weisungsbestimmten Stellvertretung für Willensmängel keine besondere Regelung zu treffen.
Diese Gesichtspunkte greifen jedoch letzten Endes - zumindest bei der arglistigen Täuschung - nicht durch. Allen drei in § 166 Abs. 1 und 2 BGB getroffenen Regelungen ist der Grundgedanke gemeinsam, es komme jeweils auf die Person und die Bewußtseinslage bei der Willensbildung desjenigen an, auf dessen Interessenbewertung und Entschließung der Geschäftsabschluß beruhe. Das ist, handelt er selbständig, der Vertreter. Dagegen ist es der Vollmachtgeber, wenn er dem Vertreter eine besondere Weisung erteilt und damit s e i n Geschäftswille Abgabe und Inhalt der Vertretererklärung entscheidend bestimmt. Aus diesem Grunde kann der Vollmachtgeber dem Geschäftsgegner entgegenhalten, dieser habe den - selbständig handelnden - Vertreter getäuscht (§ 166 Abs. 1, I. Fall), daher muß er umgekehrt die Kenntnis des selbständig handelnden Vertreters von rechtserheblichen Umständen gegen sich gelten lassen (§ 166 Abs. 1,2. Fall), und deshalb soll er sich, wenn er solche Umstände selbst kennt, nicht hinter der Gutgläubigkeit des seine Weisungen befolgenden Vertreters verstecken dürfen (§ 166 Abs. 2). Folgerichtig ist es dann aber auch, daß der Vollmachtgeber eine ihm gegenüber begangene arglistige Täuschung nicht wehrlos hinzunehmen braucht, wenn der Geschäftsgegner hierdurch die dem Vertreter erteilte Weisung beeinflußt und so das Geschäft zustande gebracht hat. Der Gedanke, es komme auf die Person dessen an, auf dessen Geschäftswillen die Willenserklärung des Vertreters tatsächlich beruht, muß sich auch hier, und zwar zugunsten eines Anfechtungsrechts des Vollmachtgebers, durchsetzen; zudem führt er in diesem Falle allein zu einem sachgerechten Ergebnis. Denn es wäre unerträglich, könnte der Geschäftsgegner als Frucht seiner arglistigen Täuschung eine im Anfechtungswege nicht angreifbare Rechtsposition erwerben und behalten. Der Schutz der §§ 823 Abs. 2,826 BGB reicht für den Getäuschten nicht aus. Er setzt den Nachweis eines Schadens voraus. Hierauf kommt es nach § 123 BGB nicht an; durch diese Vorschrift wird nicht das Vermögen, sondern die Entschließungsfreiheit des Getäuschten geschützt. Die rechtliche Selbständigkeit des Vertretergeschäfts einerseits und der Weisung im Vertretungs-Innenverhältnis andererseits, die in anderen Fällen rechtlich bedeutsam ist, muß daher jedenfalls hier hinter einer einheitlichen Behandlung des Gesamtgeschäfts zurücktreten; die Dinge liegen bei der weisungsbestimmten Stellvertretung auch in tatsächlicher Hinsicht nur unwesentlich anders, als hätte der getäuschte Vollmachtgeber das Geschäft selbst abgeschlossen. In Fällen dieser Art ist daher auf Willensmängel des weisungsgebenden Vertretenen, die auf arglistiger Täuschung , beruhen, die analoge Anwendung des § 166 Abs. 2 BGB geboten und die Willenserklärung des Vertreters gemäß § 123 BGB anfechtbar (vgl. u. a. Rosenberg, Stellvertretung im Prozeß S. 237 ff, 241,740; Larenz, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts S. 551). Ob sich der Vertreter ebenfalls hat täuschen lassen, ist nicht entscheidend, weil das Geschäft seinem Inhalt nach im wesentlichen nicht auf seiner Entschließung beruht.
Im vorliegenden Fall hängt daher die Entscheidung über die Rechtswirksamkeit der Anfechtungserklärung des Beklagten davon ab, ob dem Kläger eine arglistige Täuschung vorzuwerfen ist, die die Entschließung des Beklagten beeinflußt hat. Das kann ohne zusammenfassende tatrichterliche Würdigung des Ergebnisses der vom Beklagten beantragten Beweisaufnahme sowie der sonstigen bei den Vergleichsverhandlungen zutage getretenen Umstände nicht beantwortet werden. Hierbei braucht es nicht notwendigerweise darauf anzukommen, ob die Vertreter des Klägers selbst dem Beklagten erklärt haben, der Vergleich sei gegebenenfalls später zu seinen Gunsten abänderbar. Eine arglistige Täuschung (durch »Verschweigen«) könnte auch vorgelegen haben, wenn der Beklagte dem Vergleich ersichtlich nur in der Überzeugung seiner Widerruflichkeit zugestimmt hätte und die Vertreter des Klägers das erkannt, aber bewußt geschwiegen hätten, obgleich sie nach den besonderen Umständen des Falles nach Treu und Glauben verpflichtet gewesen wären, den Irrtum des Beklagten aufzuklären.



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