Schockschaden durch
Nachricht vom Unfalltod eines nahen Angehörigen
BGH, Urteil vom 11.5.1971 (München)
Fundstellen:
BGHZ 56, 163
NJW 1971, 1883
JZ 1971, 122
Vgl. auch
BGHZ 93, 351
sowie
BGH vom
6.2.2007 - VI ZR 55/06,
BGH v.
22.5.2007 - VI ZR 17/06 und
BGH v. 20.3.2012 - VI ZR
114/11 sowie
BGH v. 6.12.2022 - VI ZR 168/21,
wo das Kriterium aufgegeben wurde, dass die gesundheitlichen Beeinträchtigungen
über dasjenige hinausgehen muss, dem Betroffene bei der Verletzung eines
Rechtsgutes eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind.
Amtl. Leitsätze:
1. Die seelische Erschütterung (»Schockschaden«)
durch die Nachricht vom tödlichen Unfall eines Angehörigen begründet
einen Schadensersatzanspruch gegen den Verursacher des Unfalls nicht schon
dann, wenn sie zwar medizinisch erfaßbare Auswirkungen hat, diese
aber nicht über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen,
denen nahe Angehörige bei Todesnachrichten erfahrungsgemäß
ausgesetzt sind. Der Schutzzweck des § 823 Abs. 1 BGB deckt nur Gesundheitsbeschädigungen,
die nach Art und Schwere diesen Rahmen überschreiten.
2. Bei einer durch den Unfall eines Angehörigen
seelisch vermittelten Gesundheitsschädigung ist, wenn den unmittelbar
Verletzten ein Mitverschulden trifft, § 846 BGB auch nicht entsprechend
anwendbar (Abweichung von RGZ 157,11); es kommt aber nach §§
254,242 BGB eine Anrechnung des fremden Mitverschuldens in Betracht, weil
die psychisch vermittelte Schädigung nur auf einer besonderen persönlichen
Bindung an den unmittelbar Verletzten beruht.
Sachverhalt:
Der Ehemann der Klägerin wurde am 6. März
1965 im Alter von 64 Jahren durch den Personenkraftwagen des Beklagten
tödlich verletzt.
Mit der Klage verlangt die damals 50 Jahre alte
Klägerin Ersatz für Gesundheitsschäden, die sie selbst gelegentlich
des Unfalltodes des Ehemannes erlitten haben will.
Das Landgericht hat der Klage voll, das Oberlandesgericht
hat ihr teilweise stattgegeben.
Die zugelassene Revision des Beklagten führte
zur Aufhebung und Zurückverweisung an das Berufungsgericht.
Aus den Gründen:
A. ...
I. ..., II. ..., III. ..., 1 ...,2(a)...,
b) Das Berufungsurteil ist schon insoweit nicht
haltbar, als es überhaupt eine durch die Unfallnachricht ausgelöste
echte Gesundheitsstörung (vgl. BGH Urteil vom 9. November 1965 - VI
ZR 260/63 = VersR 1966,283,285 ff; OLG Freiburg JZ 1953,709,705) bei der
Klägerin bejaht.
Das geltende Recht versagt bewußt - von
hier nicht einschlägigen Sonderfällen abgesehen - einen Anspruch
für Schäden durch zugefügten seelischen Schmerz, sofern
dieser nicht wiederum eine Auswirkung der Verletzung des (eigenen) Körpers
oder der (eigenen) Gesundheit ist. Mit dieser Entscheidung des Gesetzgebers
ist es zwar vereinbar, daß ein selbständiger Schadensersatzanspruch
demjenigen zusteht, bei dem eine ungewöhnliche, »traumatische«
Auswirkung des Unfallerlebens oder der Unfallnachricht sich in einer echten
körperlichen oder geistig/seelischen Gesundheitsschädigung verwirklicht.
Auch der Umstand, daß diese ungewöhnliche Erlebnisreaktion im
Einzelfall nur auf der Grundlage einer vorgegebenen organischen oder seelischen
Labilität möglich gewesen sein mag, dem Unfall- erleben also
nur eine auslösende Wirkung zukam, steht - unbeschadet der von der
Rechtsprechung für die Sonderfälle der Zweckneurosen und der
überholenden Ursächlichkeit entwickelten Grundsätze - der
Anerkennung eines Schadensersatzanspruchs nicht entgegen. Der entgegengesetzten
Anregung von Stoll, Gutachten für den 45. Deutschen Juristentag, 1964,
S. 20, kann schon deshalb nicht gefolgt werden, weil sich auch eine ungewöhnliche
Reaktion aufgrund einer vorhandenen Schadensbereitschaft regelmäßig
nicht nur der Einflußnahme des Schädigers, sondern auch derjenigen
des Geschädigten entzieht.
Andererseits gilt es zu beachten, daß nach
allgemeiner Erkenntnis und Erfahrung ein starkes negatives Erlebnis, das
Empfindungen wie Schmerz, Trauer und Schrecken hervorruft, regelmäßig
physiologische Abläufe und seelische Funktionen in oft sehr empfindlicher
Weise stört. Schon solche Störungen als Gesundheitsbeschädigungen
im Sinne der Vorschrift des § 823 Abs. 1 BGB anzuerkennen, wäre
mit der verbindlichen Entscheidung des Gesetzes nicht vereinbar (Stoll
aaO S. 19 ff). Vielmehr ist jedenfalls bei den Fällen, in denen die
psychisch vermittelte gesundheitliche Beeinträchtigung vom Täter
nicht gewollt war, unabhängig von der herkömmlichen Adäquanzformel
eine Beschränkung auf solche Schäden erforderlich, die nicht
nur in medizinischer Sicht, sondern auch nach der allgemeinen Verkehrsauffassung
als Verletzung des Körpers oder der Gesundheit betrachtet werden (Stoll
aaO S. 21; vgl. die zahlreichen Hinweise auf die uneinheitliche Praxis
der Instanzgerichte bei Bick, Haftung für psychisch verursachte Körperverletzungen,
Diss. Freiburg 1970 S. 7 ff). Deshalb müssen unter Umständen
auch Beeinträchtigungen ersatzlos bleiben, die zwar medizinisch erfaßbar
sind, aber nicht den Charakter eines solchen , schockartigen« Eingriffs
in die Gesundheit tragen; so können die oft nicht leichten Nachteile
für das gesundheitliche Allgemeinbefinden, die erfahrungsgemäß
mit einem tief empfundenen Trauerfall verbunden sind, regelmäßig
keine selbständige Grundlage für einen Schadenersatzanspruch
bilden.
c) Der Prüfung nach diesen Grundsätzen
hält das Berufungsurteil nicht stand.
Das Berufungsgericht legt Gewicht auf die Feststellung
des Gutachters, es »sei verständlich, daß die Klägerin
durch die Nachricht vom Tode ihres Ehemannes zunächst einen schweren
seelischen Schock erlitten habe«. Die Folgerungen, die es für
seine Entscheidung daraus ziehen will, sind jedoch in der bisherigen Form
nicht haltbar. Der Gutachter war im Beweisbeschluß befragt worden,
ob die Klägerin »einen schweren seelischen Schock mit Wesensänderungen
in Form von Depressionen, übermäßiger Erregbarkeit, Schlaflosigkeit,
Weinanfällen und Zittern bei geringster Aufregung« erlitten
habe. Das Berufungsgericht war bei der Formulierung dieser Beweisfrage
offenbar der schriftlichen Äußerung des Hausarztes, Dr. C.,
gefolgt, deren sachlichem Gehalt auch der Gutachter kritisch gegenübersteht.
Der Sachverständige hat daraufhin jedoch lediglich in allgemeiner
Form den Eintritt eines »schweren seelischen Schocks« bestätigt,
wobei seine unmittelbar anschließenden Ausführungen sogar Zweifel
erwecken, ob er damit einen medizinischen Befund bestätigen wollte.
Von den weiter gefragten Begleiterscheinungen hat er keine bejaht, sie
vielmehr im Rahmen seiner eigenen Beobachtungsmöglichkeit verneint.
Dem Berufungsgericht kann nicht gefolgt werden, wenn es schon aus dieser
Bekundung des Sachverständigen ohne Rückfrage eine anspruchsbegründende
Gesundheitsschädigung der Klägerin entnehmen will.
Mit einem »schweren seelischen Schock«
bezeichnet die Umgangssprache eine heftige reaktive Gemütsbewegung,
die keinen Krankheitscharakter aufzuweisen braucht. Der ärztlichen
Terminologie ist der Begriff des Schocks als psychopathologischer Zustand
fremd. Der pathologische Begriff des »Schocks« bezeichnet -
wenn man vom Sonderfall der »Schocktherapie« absieht - lediglich
eine akute Kreislaufstörung (vgl. hierzu Pschyrembel: Klinisches Wörterbuch
185. - 250. Aufl. 1969 Stichwort »Schock«), die mitunter auch
durch ein Unfallerlebnis (weniger durch eine bloße Unfallnachricht)
ausgelöst werden kann. Dieser Prozeß ist seiner Natur nach vorübergehend,
kann aber zu bleibenden organischen Schäden führen. Daß
der Gutachter dergleichen bekunden wollte, ist nicht ersichtlich.
Daneben kann ein Unfallereignis (und weniger häufig
wohl auch eine Unfallnachricht) auch zu psycho-pathologischen Auswirkungen
führen, die in der Medizin als Neurose (nicht notwendig eine nicht
entschädigungspflichtige Zweckneurose) oder in schweren Fällen
auch als »Psychose« eingeordnet werden (Bleuler: Lehrbuch der
Psychiatrie 11. Aufl. 1969 S. 513 ff; vgl. dazu auch Bick aaO S. 9 f).
Daß der Sachverständige ein solches Krankheitsbild feststellen
will (insbesondere nicht nur nicht ausschließt, was für den
der Klägerin obliegenden Beweis nicht genügen würde), läßt
sein Gutachten bisher gleichfalls nicht erkennen.
IV. Damit kann das angefochtene Urteil keinen
Bestand haben, soweit es der Klägerin einen eigenen Schadensersatzanspruch
zubilligt.
Das Berufungsgericht wird bei der neuerlichen
Prüfung der Klage auch teilweise nur stattgeben dürfen, wenn
es sich - gegebenenfalls aufgrund ergänzender Befragung des Sachverständigen
- überzeugt hat, daß die Unfallnachricht bei der Klägerin
über noch im Bereich normaler Reaktion liegende Erscheinungen von
Schmerz, Trauer und Niedergeschlagenheit hinaus unmittelbar zu einer »traumatischen«
Schädigung der physischen und psychischen Gesundheit geführt
hat. Dabei wird, falls der Sachverständige einen solchen Sachverhalt
bestätigen sollte, auch klarzustellen sein, inwieweit er sich auf
die in der bisher vorliegenden Form verfahrensmäßig nicht verwertbaren
Tatsachenbekundungen des Hausarztes stützt.
B.
I. Sollte das Berufungsgericht aufgrund erneuter
Prüfung wiederum zur Bejahung eines Anspruchs kommen, dann wird es
anders als bisher auch ein Mitverschulden des
getöteten Ehemannes nicht außer Betracht lassen dürfen.
1. Dem Berufungsgericht ist zwar beizutreten,
soweit es eine entsprechende Anwendung der Vorschrift des § 846, BGB
auf Fälle der vorliegenden Art ablehnt. Es setzt sich damit bewußt
in Widerspruch zu der Ansicht des Reichsgerichts (RGZ 157,11; RG DR 1940,163),
der sich ein Teil des Schrifttums angeschlossen hat (Staudinger/Schäfer,
BGB 10./11. Aufl. , § 846 Rdz 8; BGB-RGRK, 11. Aufl. , § 846
Anm. 2; Erman/Drees, BGB 4. Aufl. , § 846 Anm. 2; Palandt/Thomas,
BGB 29. Aufl. , § 846 Anm. 2; Geigel, Haftpflichtprozeß 14.
Aufl. , S. 194 RdZ 69; von Hippel, NJW 1965,1890,1893; von Caemmerer, Das
Problem des Kausalzusammenhangs im Privatrecht 1956 S. 15). Der Auffassung
des Reichsgerichts kann jedoch in dieser Form nicht gefolgt werden. Das
Reichsgericht geht zwar richtig davon aus, daß der Gesetzgeber grundsätzlich
nur dem durch die unerlaubte Handlung unmittelbar Verletzten einen Schadenersatzanspruch
gewähren und von dieser Regel lediglich zugunsten der Hinterbliebenen
bzw. Dienstberechtigten die in §§ 844,845 BGB angeordneten Ausnahmen
machen wollte. Soweit es aber die entsprechende Anwendung des § 846
BGB damit begründet, daß mit der Bejahung eines Anspruchs des
Dritten, der eine durch die Verletzung oder Tötung eines anderen herbeigeführte
Gesundheitsbeschädigung erlitten habe, die Haftung des unerlaubt Handelnden
auf eine andere Art von »mittelbarer Schädigung eines Dritten«
ausgedehnt worden sei, kann ihm nicht beigetreten werden. Diese Fälle
unterscheiden sich von denen der §§ 844,845 BGB wesentlich dadurch,
daß hier auch der geschädigte Dritte in einem der Rechtsgüter
des § 823 Abs. 1 BGB betroffen und deshalb unmittelbar Geschädigter
mit einem eigenen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB ist. Die Ansprüche
der mittelbar Geschädigten aus §§ 844,845 BGB setzen eine
schaden- und haftungsbegründende Einwirkung auf den unmittelbar Verletzten
voraus (BGH, Urteil vom 13. Juni 1961 - VI ZR 224/60 - VersR 1961,846,847).
Deshalb ist in § 846 BGB angeordnet, daß ein Verschulden des
Verletzten, das bei der Entstehung des Schadens des Dritten mitgewirkt
hat, auf die Ansprüche aus §§ 844,845 BGB anzurechnen ist.
Diese im Rahmen der §§ 844, 845 BGB sinnvolle Regelung paßt
aber nicht auf den selbständigen Anspruch des Dritten aus § 823
Abs. 1 BGB. Daß der unmittelbare Schaden des Dritten durch die Verletzung
einer anderen Person vermittelt worden ist, ist für den Anspruch aus
§ 823 Abs. 1 BGB unerheblich. Der Schadensersatzanspruch des Dritten
ist vielmehr im Regelfall unabhängig davon, ob der unmittelbar Verletzte
oder Getötete selbst einen Ersatzanspruch hat oder gehabt hätte
(OLG München, NJW 1959,819 d; Deubner, NJW 1957,1269 f; Esser, Schuldrecht
Bd. II 3. Aufl. S. 451; Wussow, Unfallhaftpflichtrecht 10. Aufl. RdZ 95;
Weimar, MDR 1964,987,988 und MDR 1970,565,566; Müller, Straßenverkehrs-
recht 22. Aufl. , § 10 StVG RdZ 13; Selb, Festschrift zum 50jährigen
Bestehen des Instituts für ausl. und internat. Privat- und Wirtschaftsrecht
der Universität Heidelberg 1967, S. 259,267 f; Deutsch JuS 1969, 197,200).
2. Gleichwohl ist wenigstens für Fälle
der vorliegenden Art im Ergebnis der Auffassung des Reichsgerichts beizutreten,
daß das Mitverschulden des getöteten Ehemannes bei der Bemessung
des eigenen Anspruchs der durch mittelbare Verursachung geschädigten
Ehefrau nicht außer Betracht bleiben darf. Dies ergibt sich aus einer
entsprechenden Anwendung der Vorschrift des § 254 BGB, in der sich
der allgemeinere Rechtsgedanke des § 242 BGB ausprägt (BGHZ 34,355).
a) Hinsichtlich des nach Billigkeit zu bemessenden
Schmerzensgeldanspruchs (§ 847 BGB) ist dies nicht zweifelhaft. Es
ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urt. v. 16. November
1961 - III ZR 189/60 - VersR 1962,93) anerkannt, daß beim Schmerzensgeldanspruch
- im Gegensatz zu den für den Vermögensschaden geltenden Grundsätzen
- die in der besonderen körperlichen und seelischen Verfassung des
Verletzten liegende Schadensbereitschaft anspruchsmindernd in Betracht
gezogen werden kann. Beim Schmerzensgeld bildet auch das eigene Mitverschulden
des Geschädigten, das hier nicht in Frage steht, nur einen Bemessungsfaktor
für die nach den Umständen billige Entschädigung (vgl. BGHZ
18,149,157). Für andere Verursachungsbeiträge, die aus dem dem
Geschädigten zugeordneten Bereich, hier aus einem Angehörigenverhältnis
zu dem Verletzten oder Getöteten, hervorgehen, kann nichts anderes
gelten.
b) Für die hier gegebene Fallgruppe der Gesundheitsschädigung
durch sog. Fernwirkung ist aber auch hinsichtlich des Vermögensschadens
die Meinung des Reichsgerichts im Ergebnis zutreffend, daß sich ein
Mitverschulden des unmittelbarem Unfallopfers zu Lasten des durch mittelbare
Verursachung an seiner Gesundheit geschädigten Angehörigen auswirken
müsse. Denn hier wird die Ursachenverbindung zwischen dem bei der
Klägerin (angeblich) eingetretenen Gesundheitsschaden und dem Unfalltod
ihres Ehemannes nur dadurch vermittelt, daß sich die Schockgeschädigte
infolge ihrer engen persönlichen Bindung zu dem unmittelbaren Unfallopfer
das diesem zugestoßene Unglück zu eigen macht. Daß die
bloße Nachricht vom Unfalltod einer anderen, der Klägerin nicht
nahestehenden Person eine gleiche Wirkung getan haben würde, ist kaum
denkbar, wäre jedenfalls so ungewöhnlich, daß man die Voraussehbarkeit
einer Gesundheitsbeschädigung verneinen müßte und überdies
dem Beklagten diese Schadensfolge billigerweise nicht mehr zurechnen könnte.
Wenn aber die enge persönliche Beziehung
so der ausschlaggebende Grund für den Eintritt des Gesundheitsschadens
der Klägerin war, dann kann ihr Schadensersatzanspruch von einem eigenen
Verschulden des Ehemannes an dem ihm zugestoßenen Unfall im Verhältnis
zum Beklagten billigerweise nicht unberührt bleiben. Der Grundgedanke
des § 254 BGB, der es verbietet, Schadensersatz auch insoweit zu fordern,
als eine zusätzliche, für den Erfolgseintritt wesentliche Schadensursache
aus dem eigenen Verantwortungsbereich hervorgegangen ist, muß vielmehr
entsprechende Anwendung finden.
In diesem Zusammenhang ist ferner in Betracht
zu ziehen, daß die Klägerin einen durch den Tod ihres Ehemannes
vermittelten eigenen Gesundheitsschaden im Zweifel dann ersatzlos hätte
hinnehmen müssen, wenn der Tod allein auf dessen mangelnder Sorgfalt
gegenüber seinem eigenen Wohl beruht hätte. Es kann nämlich
- abgesehen von besonders gelagerten Fällen, wie etwa dem einer bewußt
schockierend gestalteten Selbsttötung - zwar eine sittliche, nicht
aber eine Rechtspflicht anerkannt werden, das eigene Leben und die eigene
Gesundheit deshalb zu schonen, weil sonst eine seelische Fehlverarbeitung
des Todes oder Unfalls durch Angehörige gewärtigt werden muß;
durch die Anerkennung einer solchen Rechtspflicht würde die persönliche
Selbstbestimmung in einer der Rechtsordnung fremden Weise eingeschränkt.
Daraus ergibt sich zugleich, daß die vom
Berufungsgericht und von einem Teil des Schrifttums vertretene Auffassung,
das Mitverschulden des Erstgeschädigten sei nicht zu berücksichtigen,
in den Fällen des durch Fernwirkung eingetretenen Schockschadens zu
unhaltbaren Ergebnissen führt. Denn nach dem Ausgeführten ist
die vom Reichsgericht (RGZ 157,11,14) und im Schrifttum geäußerte
Meinung, der Schädiger könne gegen die Erben des Erstgeschädigten
einen Ausgleichsanspruch nach §§ 840,426,254 BGB erheben, nicht
richtig, da der Erstgeschädigte dem Schockgeschädigten nicht
als Gesamtschuldner ersatzpflichtig geworden ist. Infolgedessen müßte
vom Standpunkt der hier abgelehnten Auffassung aus der Schädiger vollen
Ersatz des Erwerbsschadens der schockgeschädigten Ehefrau des Unfallopfers
auch dann leisten, wenn dieses den eigenen Tod so weitgehend selbst verschuldet
hat, daß in seinem Verhältnis zum Schädiger dieser nach
§ 254 BGB ganz freigestellt sein würde. Ein solches Ergebnis
ist nicht annehmbar.
Nun trifft zwar grundsätzlich den in Anspruch
genommenen Schädiger das Risiko, ob andere mithaften und gegebenenfalls
mit Erfolg auf Ausgleich in Anspruch genommen werden können. Dies
gilt aber nicht ausnahmslos. So hat die Rechtsprechung einen Schutz des
Zweitschädigers für geboten erachtet, wo der Geschädigte
einem Erstschädiger aufgrund persönlicher Beziehungen eine Haftung
von vornherein erlassen hatte (BGHZ 12,213). Im vorliegenden Fall ist allerdings
nicht durch willkürliches Verhalten des Gläubigers die Mithaftung
eines Dritten von vornherein ausgeschlossen oder durch Erlaß beseitigt
worden. Vielmehr war die unfreiwillige Einwirkung des Unfallopfers auf
die Gesundheit der Schockgeschädigten schon an sich derart, daß
sie die Entstehung eines Ersatzanspruchs im Verhältnis dieser Personen
zueinander ausschloß. Diese besonders geartete Schadenswirkung war
aber wiederum nur durch die besonders enge persönliche Bindung zwischen
der Klägerin und dem Unfallopfer vermittelt worden, vermöge deren
die Klägerin das fremde Unglück auch als eigenes, die Tötung
des Mannes als schweren eigenen Verlust empfand. Bei dieser Gestaltung
geht es zwar nicht an, das Unfallopfer bzw. seine Erben im Rahmen des Ausgleichs
mit einer Haftung zu belasten. Wohl aber erfordert es die Billigkeit, daß
der Verursachungsbeitrag des vom Unfall unmittelbar Betroffenen nicht dem
fremden Schädiger, sondern dem Angehörigen zugerechnet wird,
dessen gesundheitliche Reaktion entscheidend auf einer durch persönliche
Beziehung hergestellten Teilnahme am Schicksal des Unfallopfers beruht.
Ähnliche Billigkeitserwägungen haben den Gesetzgeber zu der Regelung
des § 846 BGB geführt, wenn diese auch, wie bereits dargelegt,
einen anderen Fall betrifft. Die Protokolle (II 2 S. 638 ff) führen
hierzu aus, die Anschauung, daß der Ersatzanspruch eines Dritten
gegen den Verletzenden ein vollkommen selbständiger sei, beruhe auf
theoretischen Erwägungen und enthalte eine Übertreibung der logischen
Konsequenzen; ihre strenge Anwendung führe zu Ergebnissen, die der
Gerechtigkeit und Billigkeit zuwiderlaufen; der Anspruch der Hinterbliebenen
eines Getöteten habe seinen Grund in der Tötung; es liege in
der Natur der Sache, daß die Hinterbliebenen mit Rücksicht auf
ihre Beziehungen zu dem Verletzten auch die Folgen aus dessen fahrlässigem
Verhalten, insofern dieses den tödlichen Ausgang herbeigeführt
oder beschleunigt habe, auf sich nehmen müßten.
Nach allem ist das, was gegen das Ergebnis der
Rechtsprechung des Reichsgerichts zu dieser Frage vorgebracht wird, nicht
überzeugend genug, um den durch die Rechtsprechung entwickelten Anspruch
auf Ersatz der schon nach ihrem Zustandekommen besonders gearteten Schockschäden
in der vom Berufungsgericht angestrebten Richtung zu erweitern. Es bleibt
noch zu bemerken, daß - entgegen einer im Schrifttum weit verbreiteten
Auffassung - das Reichsgericht sich vollkommen klar darüber war und
blieb (vgl. RGZ 162,321), daß es sich bei dem Schockschaden um die
unmittelbare Verletzung eines durch § 823 Abs. 1 BGB geschützten
Rechtsguts und nicht - wie in den Fällen der §§ 844,845
BGB - um den Ersatz nur mittelbaren Schadens handelt.
c) Der vorliegende Fall gibt keinen Anlaß
zu der Prüfung, wie zu entscheiden wäre, wenn und soweit die
persönliche Bindung als Ursache der psychisch vermittelten Schädigung
hinweggedacht werden kann, und inwieweit gegebenenfalls überhaupt
auch Fehlreaktionen dritter, mit dem Unfallopfer nicht verwandtschaftlich
oder sonst eng verbundener Personen im Verhältnis zum Schädiger
als zurechenbare Schadenswirkung anerkannt werden könnten.
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