BGHZ 86, 240
S. dazu auch BGH v. 2.4.2019 -
VI ZR 13/18
Ist die Gefahr der Schädigung eines Ungeborenen
(der durch Röteln-Erkrankung der Mutter während der Frühschwangerschaft),
die den Wunsch der Mutter auf Unterbrechung der Schwangerschaft gerechtfertigt
hätte, von dem die Mutter beratenden Arzt schuldhaft nicht erkannt
worden, haftet dieser den Eltern auf Ersatz der durch die Behinderung bedingten
Mehraufwendungen (über den Ersatz des normalen Unterhalts war nicht
zu entscheiden).
Ein Ersatzanspruch des Kindes gegen den Arzt
besteht nicht.
Die am 24. Februar 1977 geborene Erstklägerin
ist eine eheliche Tochter der Zweitklägerin und des Drittklägers
(künftig: Kläger). Die Erstklägerin ist gesundheitlich aufs
schwerste geschädigt, weil ihre Mutter, die Zweitklägerin, während
der ersten Schwangerschaftswochen an Röteln (rubeola) erkrankt war.
Die Kläger werfen dem beklagten Frauenarzt vor, daß er diese
Erkrankung der Mutter nicht erkannt habe, so daß die - an sich erwünscht
gewesene - Schwangerschaft nicht unterbrochen worden sei.
Kind und Eltern begehren die Feststellung, daß
der Beklagte ihnen - vorbehaltlich eines gesetzlichen Forderungsübergangs
- »allen Schaden zu ersetzen hat, der ihnen durch die Röteln-Erkrankung
der Zweitklägerin während der Schwangerschaft entstanden ist
und noch entstehen wird«.
Das Landgericht hat die Klage der Erstklägerin
abgewiesen, dem Feststellungsbegehren der Eltern aber stattgegeben. Das
Oberlandesgericht hat die Berufung der Erstklägerin zurückgewiesen
und auf die Berufung des Beklagten auch die Klage der Eltern abgewiesen.
(Das Berufungsurteil mit näherer Darstellung des Sachverhalts ist
abgedruckt in VersR 1981,757).
Nur die Revision der Eltern hatte Erfolg. Sie
führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Aus den Gründen:
A.
Das Berufungsgericht hält die Ansprüche
aller Kläger für unschlüssig. Es führt im einzelnen
aus:
I. Auch im Falle eines Behandlungsfehlers habe
der Beklagte ein Rechtsgut oder Recht der Erstklägerin nicht verletzt.
Zwar könne nach der Rechtsprechung eine Handlung auch dann zum Schadensersatz
führen, wenn der durch sie an seiner Gesundheit Geschädigte zu
diesem Zeitpunkt noch nicht geboren oder noch nicht gezeugt sei. Hier aber
habe der Beklagte die Schädigung der Erstklägerin nicht verursacht,
vielmehr laste diese ihm ein Verhalten an, dem sie ihr Leben und ihre Rechtsfähigkeit
verdanke. Ein Recht auf Abbruch der sie betreffenden Schwangerschaft habe
die Leibesfrucht schon deshalb nicht, weil die Entscheidung darüber,
soweit die Abtreibung rechtlich hingenommen werde, allein von der Schwangeren
abhänge. Auch lasse sich die Alternative zwischen Existenz und Nicht-Existenz
nicht mit juristischen Schadenskategorien erfassen. Schließlich habe
der Beklagte durch die Verhinderung der Schwangerschaftsunterbrechung auch
kein die Klägerin schützendes Gesetz verletzt.
Der zwischen der Zweitklägerin und dem Beklagten
abgeschlossene Behandlungsvertrag habe zwar auch Schutzwirkung zugunsten
der Erstklägerin entfaltet. Jedoch habe gerade seine Pflicht, die
Zweitklägerin über Risiken der Schwangerschaft und eine mögliche
Schädigung der Leibesfrucht aufzuklären, allein deren Interesse
gedient.
II. Die Ansprüche der Eltern legt das Berufungsgericht
dahin aus, daß sich das Feststellungsbegehren der Zweitklägerin
auch auf immateriellen Schaden (wegen der Notwendigkeit einer durch Kaiserschnitt
erschwerten Geburt), dasjenige des Klägers allein auf materiellen
Schaden beziehe. Es verneint jedoch Ansprüche beider.
a) Ansprüche der Zweitklägerin
aa) Das Berufungsgericht will offenlassen, ob
die (hier erhöhte) Belastung mit wirtschaftlichen Unterhaltspflichten
als Schaden geltend gemacht werden könne. Jedenfalls träfen die
vom erkennenden Senat in seinen beiden Urteilen vom 18. März 1980
(BGHZ 76,249 und 259) entwickelten Grundsätze hier nicht zu. Zwar
würde ein Behandlungsfehler des Beklagten (zu dem das Berufungsgericht
keine Feststellungen trifft) die Unterhaltslast der Zweitklägerin
adäquat verursacht haben. Indessen sei der Schwangerschaftsabbruch
im Gegensatz zur Sterilisation eine Tötungshandlung (BVerfGE 39,1,43,46)
und nach Meinung mancher gegebenenfalls nur straffrei, aber nicht gerechtfertigt.
Unabhängig von letzterer Frage sei aber anders als bei einem Sterilisationsauftrag
der Beklagte hier nicht verpflichtet gewesen, auch wirtschaftliche Belange
der Zweitklägerin in Betracht zu ziehen. Denn eine Verpflichtung,
über medizinische und eugenische Indikationen einer Schwangerschaftsunterbrechung
aufzuklären, habe für ihn nur im Hinblick auf Gefahren für
Leben und Gesundheit der Zweitklägerin bestanden. Hier sei es indessen
allein darum gegangen, der Erstklägerin ein Leben unter schwersten
Bedingungen zu ersparen. Daneben dürften zwar wirtschaftliche Erwägungen
eine Rolle gespielt haben, die aber für sich den Abbruch der Schwangerschaft
nicht gerechtfertigt haben würden. Eine wirtschaftliche Überforderung,
die auch als Rechtfertigungsgrund erwogen werde, sei nicht dargetan. Demnach
habe die Wahrung der allein geltend gemachten wirtschaftlichen Belange
nicht zu den Vertragspflichten des Beklagten gehört. Insoweit sei
also auch keine Schadensersatzpflicht begründet.
bb) Entsprechendes gelte für Schadensersatzansprüche
der Zweitklägerin aus §§ 823 Abs. 1,847 BGB im Zusammenhang
mit der ungewollten, mit Komplikationen verbundenen Geburt. Auch der Ersatz
solchen Schadens liege außerhalb des Schutzbereichs der verletzten
Vertragspflicht.
b) Ansprüche des Drittklägers
Die für den Kläger allein in Frage stehenden
vertraglichen Ansprüche entfielen aus den für die Zweitklägerin
dargelegten Gründen, obwohl er in den Schutzbereich des Vertrages
zwischen der Zweitklägerin und dem Beklagten einbezogen gewesen sei
(BGHZ 76,259,262).
B
Diese Ausführungen halten zwar der Revision
der Erstklägerin (des Kindes) stand, im wesentlichen aber nicht den
Revisionen der Eltern.
I. 1. Nach dem unstreitigen Sachverhalt läßt
sich kaum bezweifeln, daß der Beklagte den ärztlichen Auftrag
erhalten und auch angenommen hat, der Gefahr einer schweren Schädigung
der Erstklägerin (Kind) durch eine Röteln-Infektion ihrer Mutter
(Zweitklägerin) in den ersten Schwangerschaftswochen nachzugehen;
jedenfalls ist für die Revisionsinstanz davon auszugehen. Daß
er diesen Auftrag schuldhaft schlecht ausgeführt hat, hatte das Landgericht
festgestellt. Das Berufungsgericht stellt - von seinem Rechtsstandpunkt
aus folgerichtig - eine solche Feststellung dahin, obwohl der Beklagte
unstreitig die Erstklägerin hinsichtlich des Ergebnisses angeblicher
weiterer Blutuntersuchungen wohl wissentlich falsch unterrichtet hatte.
Für die Revisionsinstanz muß jedenfalls
unterstellt werden, daß der Beklagte seine übernommene Behandlungspflicht
schuldhaft versäumt hat. Der festgestellte Sachverhalt läßt
überdies kaum Zweifel daran, daß es der medizinisch nicht uninformierten
Zweitklägerin bei der Konsultation des Beklagten gerade darum gegangen
ist, gegebenenfalls der schweren Gefahr einer irreversiblen Schädigung
des soeben empfangenen Kindes durch einen Abbruch der Schwangerschaft vorzubeugen.
Auch daß ein auftragsgemäßes Verhalten des Beklagten die
Befürchtung erhärtet und damit den rechtzeitigen Schwangerschaftsabbruch
als einzige Abhilfe ermöglicht hätte, ist revisionsmäßig
zu unterstellen. Damit hat - aus der Sicht des Revisionsverfahrens - der
Beklagte den von den Klägern geltend gemachten Schaden gegebenenfalls
durch seine schuldhafte Verletzung des Behandlungsvertrags verursacht.
2. Bedenken gegen die Annahme einer Vertragsverletzung
des Beklagten könnten allerdings bestehen, wenn man der Meinung wäre,
daß die Schwangerschaftsunterbrechung, die nur strafrechtlich geregelt
ist (§§ 218 ff. StGB), den Abbruch der Schwangerschaft lediglich
straflos mache, während er grundsätzlich als Tötungsdelikt
rechtswidrig bleibe. Diese Auffassung vertritt durchweg Sax (JZ 1977,326
ff.; vgl. auch Rudolf Schmitt JZ 1975,356; Schlund, Arztrecht 1982,64,66,
der aber trotzdem einen Anspruch der Eltern bejahen will; vgl. neuerlich
auch Kaufmann JZ 1982,481 ff.; jeweils mit Nachw.). Sie widerspricht aber,
wie Sax selbst (aaO mit Nachw.) ausdrücklich bemerkt, nicht nur der
Sicht des Gesetzgebers, sondern auch der ganz herrschenden Meinung, was
auch das Berufungsgericht nicht verkennt. Der erkennende Senat sieht zu
einem näheren Eingehen auf diesen dogmatischen Streit keinen Anlaß.
Er hält mit der ganz herrschenden Meinung dafür, daß ein
nach §§ 218 ff. StGB strafloser Schwangerschaftsabbruch jedenfalls
nicht rechtswidrig ist. In dieser Hinsicht sieht er sich nicht nur durch
die Materialien zu der derzeitigen gesetzlichen Regelung, sondern auch
durch die Stellungnahme des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 39,1 ff.)
bestätigt, das (aaO S. 59 und sonst) für eine klare Unterscheidung
zwischen Recht und Unrecht eintritt.
Dann aber kann ein nach § 218a StGB straffreier
Abbruch der Schwangerschaft Gegenstand eines rechtsgültigen Arztvertrages
sein, - eine Beurteilung, von der trotz gewisser Bedenken auch das Berufungsgericht
ausgehen dürfte.
Daß eine Rötelninfektion der Mutter
gerade während der besonders gefährdeten Frühschwangerschaft
ihren Entschluß zum Schwangerschaftsabbruch erlauben kann, zieht
das Berufungsgericht nicht in Zweifel. Eine solche Infektion bringt die
zwar nicht überwiegende, aber doch sehr hohe Wahrscheinlichkeit mit
sich, daß das Kind mit Schädigungen schwerer bis schwerster
Art zur Welt kommen wird (vgl. Bundestagsdrucksache 8/3630 vom 31. Januar
1980 S. 80); dem entsprechen die im vorliegenden Verfahren gewonnenen Erhebungen.
Bei einer solchen Sachlage muß die werdende Mutter unter der geltenden
gesetzlichen Regelung die Möglichkeit und das Recht haben, den Abbruch
vornehmen zu lassen. Daß dies keine unmittelbare Pflicht des Arztes
zur Mitwirkung begründet, kann hier außer Betracht bleiben.
Der Beklagte hat nicht behauptet, daß er
sich bei erkannter Gefahr dem Wunsch der klagenden Mutter verschlossen
haben würde.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht etwa daraus,
daß das Gesetz ausdrücklich nicht auf die Prognose für
das Wohl des Kindes, sondern auf die Zumutbarkeit für die Mutter ab-
stellt. Das bedeutet nicht, daß das Zumutbarkeitsurteil nur auf die
der Mutter unmittelbar drohende Gefahr hoher finanzieller und arbeitsmäßiger
Belastung sowie insbesondere auch die seelische Belastung durch das Miterleben
des Schicksals eines schwerbehinderten Kindes abstellt. Diese Gesichtspunkte
haben durchaus ihre Berechtigung. Daneben aber muß auch das ethische
Interesse der Mutter Berücksichtigung finden, sich als die einzige
Person, der nach wohl allgemeiner Meinung die Entscheidung darüber
zustehen kann, nicht dem Vorwurf oder auch nur Selbstvorwurf auszusetzen,
daß sie dem Kind nicht ein unter Umständen qualvolles und der
Eingliederung in die Gesellschaft schwer zugängliches Leben durch
eine von der Rechtsordnung in ihre Verantwortung gestellte Entscheidung
erspart hat (für das anderen Beziehungen nicht vergleichbare besondere
Verantwortungsverhältnis der werdenden Mutter zu ihrer Leibesfrucht
vgl. Sondervotum Rupp v. Brünneck BVerfGE 39,79 f.).
Daher ist eine dem Zeitpunkt nach gefährliche
Rötelninfektion nach herrschender Meinung und rechtstatsächlicher
Praxis ein Anlaß, der den Entschluß der Mutter zum Schwangerschaftsabbruch
erlaubt.
II. Aus der schuldhaften Vertragsverletzung durch
den Beklagten, die sich gleichzeitig auch als Gesundheitsverletzung der
Zweitklägerin (Mutter) darstellen kann, können sich nach Auffassung
des erkennenden Senats durchaus Ansprüche der klagenden Eltern, nicht
allerdings eigene des Kindes ergeben.
1. Ansprüche der Eltern
Die Auffassung, daß sich grundsätzlich
Ansprüche der Eltern ergeben können, wird im neueren Schrifttum
wohl überwiegend geteilt (u. a. Deutsch VersR 1982,713,714; Fischer
NJW 1981, 1991; Hagen SchHA 1982,2,6; Schlund, Arztrecht, 1982,64,66; Steffen
in BGB-RGRK 12. Aufl. § 823 Rdnr. 13; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts
13. Aufl. Bd. I S. 411, Fn. 66; Schünemann JZ 1981,574,575 ff.). Doch
wird das angefochtene Urteil verschiedentlich ohne nähere Stellungnahme
zustimmend erwähnt. Verneint wird die Möglichkeit solcher Ansprüche
insbesondere von denen, die den Schwangerschaftsabbruch mit verschiedener
Begründung für nur straflos halten (s. o.). Der Senat ist, wie
bemerkt, der ersteren Meinung.
a) Ansprüche der Mutter
aa) In der Geburt der Erstklägerin hat sich,
wovon ausgegangen werden muß, die Gefahr, der es nach dem Entschluß
der Mutter durch eine Schwangerschaftsunterbrechung vorzubeugen galt, verwirklicht.
Denn die Gesamtschädigung des Kindes ist, soweit ersichtlich, so schwer,
daß eine gegebenenfalls zum Schwangerschaftsabbruch bereite Mutter,
hätte sie sie zuvor gekannt, darauf verzichtet hätte, das Kind
auszutragen. Den dadurch der Mutter entstandenen Schaden hat der Beklagte
durch seine Vertragsverletzung verursacht und muß ihn daher grundsätzlich
ersetzen. Dieser Schaden kann als nach Vertragsrecht geschuldeter Vermögensschaden
in dem finanziellen und sachlichen (Arbeitsleistung) Unterhaltsmehraufwand
für das Kind bestehen, den die Mutter ganz oder teilweise, möglicherweise
lebenslang, wird erbringen müssen. Daß es den Eltern nur um
den schadensbedingten Mehraufwand, also nicht auch um den Unterhaltsaufwand
geht, der auch für ein gesundes Kind entstanden wäre, hat der
Prozeßbevollmächtigte der Kläger vor dem Senat ausdrücklich
klargestellt; der Senat kann sich daher im Streitfall auf die Entscheidung
über dieses Begehren beschränken. Daß auch dieser Mehraufwand
einer familienrechtlichen Unterhaltspflicht entspricht, steht im Verhältnis
zu einem verantwortlichen Dritten seiner Charakterisierung als Vermögensschaden
nicht grundsätzlich entgegen. (Für die Ersatzfähigkeit unterhaltsrechtlich
geschuldeter Aufwendungen vgl. Senatsurteile vom 18. März 1980 - BGHZ
76,249 und 259.)
Daraus ergibt sich, daß - ebenso wie bei
einem planwidrig geborenen Kind - auch bei einem Kind, das so, d. h. in
seinem behinderten Zustand, nach dem Wunsch der Mutter nicht hatte geboren
werden sollen, jedenfalls die durch die Behinderung bedingten Mehraufwendungen
(in BGHZ 76,249,258 noch offengelassen) als ersatzfähiger Schaden
in Frage kommen können. Das gilt freilich nur, wenn und soweit sich
die Gefahr, die es zu vermeiden galt, tatsächlich verwirklicht hat,
also wegen der Schwere der eingetretenen Schädigung - wäre sie
voraussehbar gewesen - die Austragung des Kindes unzumutbar erschienen
wäre. Davon aber ist hier jedenfalls für das Revisionsverfahren
auszugehen.
Anders könnte es nicht schadensrechtlich
ausgeglichen werden, daß der Beklagte durch seine Nachlässigkeit
der Mutter etwas aufgezwungen hat, was ihr das Gesetz nicht zumuten wollte
und was sie deshalb zu vermeiden berechtigt gewesen war.
bb) Daneben hält der Senat ein Schmerzensgeld
für die Mutter angesichts der notwendig gewordenen Kaiserschnittentbindung
für rechtlich in Frage kommend.
Anders als in den BGHZ aaO entschiedenen Fällen
beruht hier die Schwangerschaft zwar als solche nicht auf dem Versagen
des Arztes, sondern auf freier Entschließung der Mutter (Zweitklägerin)
oder ist von dieser doch hingenommen worden. Damit hat der Beklagte nicht
durch die Zufügung einer ungewollten Entbindung unmittelbar in die
körperliche Befindlichkeit der Zweitklägerin (anders im Senatsurteil
vom 18. März 1980 - VI ZR 247/78 - VersR 1980,558, insoweit in BGHZ
nicht abgedruckt) eingegriffen. Deshalb kann nach Auffassung des Senats
hier nur diejenige Schmerzbelastung als Begründung eines Anspruchs
aus § 847 BGB in Frage kommen, die schadensbedingt die mit einer natürlichen,
komplikationslosen Geburt verbundenen Beschwerden übersteigt. Das
könnte sich - wobei aber wiederum Feststellungen fehlen - dadurch
verwirklicht haben, daß nur wegen der Schädigung des Kindes
eine Kaiserschnitt-Entbindung notwendig geworden ist, was die Kläger
behauptet haben. Bei der Bemessung dieses Schmerzensgeldes könnte
allerdings wiederum in Betracht zu ziehen sein, daß der Mutter so
ein - wie jedenfalls behauptet - nicht ganz einfacher Abtreibungseingriff
erspart worden ist, dem sie sich bei vertragsmäßigem Verhalten
des Beklagten unterzogen hätte.
Darüber hinaus kommen Ansprüche der
Mutter aus direkter oder entsprechender Anwendung des § 847 BGB freilich
nicht in Frage. Das Berufungsgericht hat ein solches Begehren auch - von
der Revision unangegriffen - nicht in der Einlassung der Kläger erkannt.
Deshalb mag hier nur kurz angemerkt werden, daß ein solcher Anspruch
wegen der - nicht ausnahmsweise Krankheitswert erreichenden - seelischen
Belastung durch das Haben eines schwer geschädigten Kindes der deutschen
Rechtsordnung fremd wäre (anders in mehreren ausländischen Rechtsordnungen;
vgl. etwa die Entscheidung i.S. Howard v. Lecher des Court of Appeals of
New York, North Eastern Reporter, Volume 366 S. 64 ff. - »mental
and emotional suffering«). Auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes,
die in einem streng umschriebenen Bereich des Ehrenschutzes für Verletzungen
des Persönlichkeitsrechts eine schmerzensgeldähnliche Entschädigung
gewährt (vgl. die Übersicht bei Palandt/Thomas, BGB 42. Aufl.
§ 823 Anm. 15), ist insoweit nicht ausdehnbar. Vor allem kann eine
dem Ansatz der gesetzlichen Regelung widersprechende Geldentschädigung
nicht für die Verletzung des »Rechts auf Familienplanung«
als Ausstrahlung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gewährt
werden (vgl. dazu etwa Giesen FamRZ 1970,565; Schiemann JuS 1980,709,711
ff.), soweit eine die Persönlichkeit betreffende Entscheidung des
Betroffenen nur - wie hier - faktisch vereitelt wird.
b) Ansprüche des klagenden Ehemannes
Ersatzansprüche für geldlichen und sachlichen
Aufwand stehen diesem in gleicher Weise wie der Frau zu. Er war insoweit
in den Schutzbereich des Behandlungsverhältnisses eingeschlossen;
denn es kann für die Ersatzpflicht des verantwortlichen Arztes keine
Rolle spielen, wie sich die verursachte Belastung im Einzelfall zwischen
den Eheleuten verteilt. Die im Senatsurteil BGHZ 76,259,262 ausgesprochenen
Grundsätze gelten hier in gleicher Weise. Daß das in der Regel
nicht anders sein kann, zeigt gerade der vorliegende Fall, in dem - jedenfalls
nach der Behauptung der klagenden Eltern - nunmehr der Vater als »Hausmann«
die zeitaufwendige Pflege des geschädigten Kindes übernommen
hat, um der Mutter die Fortführung ihrer beruflichen Tätigkeit
und damit die Beschaffung des finanziellen Familienunterhalts zu ermöglichen.
Andere als materielle Ersatzansprüche kommen
für den Drittkläger nicht in Frage.
2. Ansprüche des Kindes
Hier stellt sich für die inländische
höchstrichterliche Rechtsprechung erstmalig unmittelbar das Problem,
das im angelsächsischen Sprachbereich als »wrongful life«
bezeichnet wird. Der Beklagte hat, wie oben bemerkt, den bedauernswerten
Zustand des Kindes nicht verursacht; jedenfalls ist nicht behauptet, daß
er ihn noch durch irgendwelche Maßnahmen habe verhindern können.
Er hat jedoch unter Verstoß gegen seine der Mutter gegenüber
übernommene Behandlungspflicht nicht ermöglicht, daß die
Geburt eines gesundheitlich erheblich gefährdeten Kindes, bei dem
sich diese Gefährdung dann auch in schwerer Form verwirklicht hat,
durch den Abbruch der Schwangerschaft verhindert wurde. Insoweit in Übereinstimmung
mit dem Berufungsgericht ist der Senat der Ansicht, daß das Kind
hieraus Ansprüche nicht herleiten kann.
Inländische Rechtsprechung ist, wie bemerkt,
kaum bekannt geworden. Außer dem hier angefochtenen Urteil liegt
dem Senat ein Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 25. Januar 1982 -
3 U 107/81 - zur Revision vor, wo Ansprüche des Kindes selbst jedoch
aus Verfahrensgründen rechtlich nicht geprüft worden sind. Ausländische
Entscheidungen, die aber schon wegen der verschiedenen Rechtsgrundlagen
nur beschränkt für das inländische Recht Bedeutung haben
können, sind, soweit ersichtlich, in England und in den Vereinigten
Staaten ergangen. In England ist ein Anspruch des Kindes unlängst
verneint worden (Urteil des [London] Court of Appeal vom 19. Februar 1982
in Sachen McKay v. Essex Health Authority and Another - Bericht in Law
Report February 22 1982, Court of Appeal; vgl. auch den Abdruck der Richter-»opinions«
in dieser Sache in The Weekly Law Reports 1982, S. 890 ff.). Die in der
Zwischenzeit dort in Kraft getretene gesetzliche Regelung schließt
Ansprüche des Kindes ohnehin aus (vgl. Finch, New Law Journal 1982,235,236).
Auch in den Vereinigten Staaten ist diese Auffassung seit längerer
Zeit ganz herrschend; Ansprüche des Kindes sind nur in einem einzigen
Fall (Court of Appeal in California i.S. Curlender v. Bio-Science 1980)
rechtskräftig bejaht worden (zitiert nach der Übersicht im »Opinion«
v. L. J. Stephenson, The Weekly Law Reports aaO S. 904). Zwei weitere erstinstanzliche
Entscheidungen, die nicht bzw. noch nicht rechtskräftig geworden waren,
erwähnt Fischer NJW 1981, 1991 Fn. 4; für den Stand von 1978
vgl. die ausführliche Darstellung von Sarno, American Law Reports
= ALR, 83 3 d, S. 15 ff.).
In dem das Recht der Bundesrepublik Deutschland
betreffenden Schrifttum sind die Ansichten geteilt, wobei die Ablehnung
eines Anspruchs des Kindes überwiegt. Einen solchen Anspruch befürworten
zwar Deutsch (aaO) und wohl auch Plum (VersR 1982,722; vgl. auch Fuchs
NJW 1981,610,613). Verneint werden Ansprüche des Kindes selbst aber
nicht nur von allen, die die nicht ermöglichte Abtreibung überhaupt
nicht als Haftungsgrund anerkennen wollen, sondern auch von Autoren, die
gegebenenfalls Ansprüche der Eltern anerkennen (so etwa Fischer, Hagen,
Schlund, Steffen, Schünemann, je aaO). Der Senat folgt bei seiner
Ablehnung eines kindlichen Schadensersatzanspruches aus dem Rechtsgrund
»wrongful life« bzw. »wrongful birth« folgenden
Erwägungen:
a) Eine unmittelbare deliktsrechtliche Pflicht,
die Geburt einer Leibesfrucht deshalb zu verhindern, weil das Kind voraussichtlich
mit Gebrechen behaftet sein wird, die sein Leben aus der Sicht der Gesellschaft
oder aus seiner unterstellten eigenen Sicht (für die naturgemäß
nicht der geringste Anhalt besteht) »unwert« erscheinen läßt,
müßte innerhalb des allgemein auf Integritätsschutz ausgerichteten
Kreises der deliktischen Verhaltensnormen einen Fremdkörper bilden.
Es gibt sie nicht. Das gilt selbst für Fälle, in denen - anders
als hier - nicht nur die Gefahr einer Schädigung besteht, sondern
z. B. im Wege der heute in verdächtigen Fällen weitgehend üblichen
Amniocentese (Fruchtwasseruntersuchung) ein schwerer genetischer Mangel
- etwa beim Mongolismus - enigermaßen sicher zu prognostizieren ist.
Und das gilt auch, obgleich nach vielleicht überwiegender Meinung
und wohl auch rechtstatsächlicher Praxis die Geburt jedenfalls solcher
Kinder verhindert werden sollte. Das menschliche Leben, das nach Abschluß
der Nidation auch den Nasciturus umfaßt (BVerfG aaO S. 37), ist ein
höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig. Das Urteil
über seinen Wert steht keinem Dritten zu. Daher ist auch anerkannt,
daß die Pflicht, das Leben eines Erkrankten oder schwer Verletzten
zu erhalten, nicht von dem Urteil über den Wert des erhaltbaren Lebenszustandes
abhängig gemacht werden darf. Nur bei der Frage, inwieweit nur noch
einzelne Lebensfunktionen durch künstliche Maßnahmen ohne Hoffnung
auf Besserung aufrecht zu erhalten sind, mag dieser Grundsatz eine gewisse
Grenze finden (vgl. Sax JZ 1975,137,149).
Darum aber geht es hier nicht. Allgemein erlaubt
gerade die durch die Erfahrung mit der national-sozialistischen Unrechtsherrschaft
beeinflußte Rechtsprechung der Bundesrepublik Deutschland aus gutem
Grund kein rechtlich relevantes Urteil über den Lebenswert fremden
Lebens (vgl. etwa Hagen aaO S. 7).
b) Darum könnte sich die eine Ersatzpflicht
begründende Pflichtwidrigkeit des Beklagten ohnehin nur aus dem Behandlungsverhältnis
zur Mutter ergeben.
aa) Einerseits können allerdings auch Vertragspflichten,
selbst wenn sie einem Dritten gegenüber bestehen, gleichzeitig eine
deliktische Einstandspflicht begründen (Nachweise etwa bei Palandt/Thomas,
BGB 42. Aufl. Übersicht vor § 823 Anm. 2). Insoweit aber gilt
das bereits Gesagte. Weder die Ermöglichung noch die Nichtverhinderung
von Leben verletzt (anders, soweit die Qualität dieses Lebens durch
Tun oder Unterlassen erst beeinträchtigt wird) ein nach § 823
Abs. 1 BGB geschütztes Rechtsgut. Das ist nicht nur eine dogmatische
Erwägung. Sie wird vielmehr auch dadurch gestützt, daß
schon die ethische Wertung des erlaubten Schwangerschaftsabbruchs in der
allgemeinen Meinung keine einheitliche ist (wobei sich der Beklagte hier
allerdings nie auf ethische Bedenken berufen hat; er hätte sonst auch
die Beratung und Behandlung der Mutter ablehnen müssen).
Vor allem nämlich entzieht es sich, eben
weil es nicht um ein Integritätsinteresse geht, den Möglichkeiten
einer allgemeinverbindlichen Beurteilung, ob Leben mit schweren Behinderungen
gegenüber der Alternative des Nichtlebens überhaupt im Rechtssinne
einen Schaden oder aber eine immer noch günstigere Lage darstellt
(vgl. dazu die Stellungnahme von L. J. Stephenson, The Weekly Law Reports
aaO S. 90; »Man, who knows nothing of death or nothingness, cannot
possibly know, wether that is so.«).
bb) Damit bleibt nur eine unmittelbare Vertragspflicht
des Beklagten zu prüfen, die dieser vermöge einer (gegebenenfalls
nur sinngemäß) vereinbarten Schutzwirkung zugunsten des noch
ungeborenen Kindes diesem gegenüber zu erfüllen gehabt hätte.
Auch das vermag der Senat indessen nicht zu bejahen, obwohl ein solcher
Behandlungsvertrag in anderer Richtung sehr wohl Schutzwirkungen für
das Kind entfalten kann, wie auch das Berufungsgericht erkennt.
Es stünde dem allerdings nicht entgegen,
daß das klagende Kind im Zeitpunkt des haftungsbegründenden
Verhaltens des Beklagten noch nicht rechtsfähig war (§ 1 BGB).
Auch für das Deliktsrecht ist (s. o.) anerkannt, daß eine haftungsbegründende
Handlung vor der Geburt des Geschädigten (BGHZ 58,48), ja sogar vor
der Erzeugung liegen kann (BGHZ 8,243). Hinsichtlich eines Schadensersatzanspruches,
der sich auf eine das Ungeborene begünstigende Vertragspflicht gründet,
kann nichts anderes gelten.
Der Senat sieht sich jedoch an der Feststellung,
daß eine solche Schutzwirkung ausbedungen war, schon deshalb gehindert,
weil das geltende Recht der Mutter die rechtfertigende Erlaubnis zum Schwangerschaftsabbruch
ausdrücklich nur in ihrem eigenen Interesse gewährt. Diese gesetzliche
Wertung mag in ihrer Motivation nicht zwingend sein; sie ist auch, soweit
ersichtlich, in anderen Kulturstaaten, deren Rechtsordnung den Schwangerschaftsabbruch
nicht grundsätzlich ablehnt, nicht festzustellen. Das hindert nicht,
daß sie für den Rechtsbereich der Bundesrepublik schon aus verfassungsrechtlichen
Gründen zu respektieren ist (BVerfG aaO). Damit steht sie nicht nur
einer im Sinne einer Begünstigung des zu vermeidenden Kindes erweiterten
Auslegung des Behandlungsvertrags entgegen, sondern, wie bemerkt, auch
einer durch die Übernahme des Behandlungsauftrags unmittelbar dem
Kind gegenüber entstandenen deliktischen Garantenpflicht des Arztes.
cc) Aber auch abgesehen von dieser speziellen
Ausgestaltung der deutschen Abtreibungsregelung hält der Senat die
Ablehnung eigener Ansprüche des Kindes in solchen Fällen für
zwingend. Sie sind nur tragbar, wo schuldhaft durch menschliches Handeln
dessen Integritätsinteresse beeinträchtigt worden ist, wobei
ein solches Verhalten, wie bemerkt, zeitlich sogar vor der Erzeugung liegen
kann. Im übrigen kann es nicht so sehr auf auch vom Berufungsgericht
angeführte Argumente formaler Logik ankommen, etwa dahingehend, daß
es nicht denkbar sei, als Rechtssubjekt Ansprüche aus einem Verhalten
herzuleiten, das die Existenz und Rechtsfähigkeit erst begründet
hat (vgl. dazu schon Heldrich JZ 1965,593,594). Vielmehr hält der
Senat dafür, daß in Fällen wie dem vorliegenden überhaupt
die Grenzen erreicht und überschritten sind, innerhalb derer eine
rechtliche Anspruchsregelung tragbar ist. Der Mensch hat grundsätzlich
sein Leben so hinzunehmen, wie es von der Natur gestaltet ist, und hat
keinen Anspruch auf seine Verhütung oder Vernichtung durch andere.
Wenn der Mutter - nur sie kann es sein - von der Rechtsordnung gleichwohl
eine solche Entscheidung eingeräumt wird, dann kann das auch ihr gegen-
über keinen Anspruch des Kindes auf Nichtexistenz begründen.
Daran ändert es nichts, daß in ihre Entscheidung legitimermaßen
auch das Mitleid mit dem schwer geschädigten Leben einfließen
mag (vgl. Fischer aaO S. 1992: »Motivbündel«; Larenz,
aaO).
Wollte man gegenüber dem Arzt anders entscheiden,
dann müßte man folgerichtig auch eine Haftung in anderen Fällen
bejahen, etwa bei Eltern, die trotz schwerer genetischer Belastung ein
Kind gezeugt haben und deren Verantwortlichkeit sich derzeit nur in der
gegebenenfalls erhöhten Unterhaltspflicht auswirkt, oder bei Personen,
die für diese genetische Belastung verantwortlich sind, auch dann,
wenn diese den in erster Linie verantwortlichen Eltern bei der Zeugung
bekannt war (anders als in dem der Entscheidung BGHZ 8,243 zugrundeliegenden
Fall, bei dem es um die auf einer Blutübertragung beruhende Luesinfektion
der Mutter ging; vgl. etwa Schlund aaO S. 67). Und es könnte sich
insoweit eine Einstandspflicht für mehrere Generationen ergeben, weshalb
schon eine Haftungsbegrenzung auf die erste Generation erwogen worden ist
(vgl. den Hinweis von Giesen, Arzthaftungsrecht, 1981, S. 119 bei Fn. 867;
ferner Heldrich aaO S. 599).
Das alles zeigt, wie bemerkt, nach Auffassung
des Senats, daß hier ein Bereich anfängt, in dem eine rechtliche
Regelung der Verantwortung für weitgehend schicksalhafte und naturbedingte
Verläufe nicht mehr sinnvoll und tragbar ist.
dd) Der Senat verkennt nicht, daß auf diese
Weise schwer behinderte Kinder wirtschaftlich schutzlos bleiben, sobald
die Unterhaltspflicht der Eltern - etwa bei deren Ableben - aufhört.
Das muß aber ebenso hingenommen werden, wie in den Fällen, in
denen die Mutter sich nicht zur Schwangerschaftsunterbrechung entschließen
kann oder die gesetzliche Frist für diese aus irgendwelchen Gründen
versäumt wurde. Allgemein verwirklicht sich hier ein schicksalhafter
Verlauf, auf dessen Abbruch das Kind selbst keinen Anspruch haben kann
und dessen Auswirkungen im Rahmen des Möglichen von der Allgemeinheit
ausgeglichen werden müssen.
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