Rücktritt und Verzugsschaden


BGH, Urteil v. 24.5.1983, V ZR 113/82


Amtl. Leitsatz:

Der Rücktritt vom Vertrag steht dem Anspruch auf Ersatz des bis zum Rücktritt entstandenen Verzugsschadens nicht entgegen.



Fundstelle:

BGHZ 88, 46 ff
s.auch BGH NJW 1998, 3268 ff



Zum Sachverhalt:

Der Kläger und seine geschiedene Ehefrau sind Eigentümer einer Eigentumswohnung in S. Mit notariellem Vertrag vom 15. Januar 1980 verkauften sie die Wohnung an die Beklagten zum Barkaufpreis von 70 000 DM, zahlbar bis zum 29. Februar 1980 au ein Anderkonto des beurkundenden Notars. Als weitere Gegenleistung übernahmen die Beklagten zugunsten der Voreigentümer eingetraegene Rentenreallasten sowie für den Fall des Rücktritts der Voreigentümer eingetragene Rückauflassungsvormerkungen einschließlich der durch diese Rechte abgesicherten schuldrechtlichen Verbindlichkeiten, und zwar ab 1. März 1980. Von diesem Tag an sollten Besitz, Nutzung, Lasten und Gefahr auf die Beklagten übergehen. Die Beklagten zahlten die übernommene Rente für die Monate März bis August 1980. Den Betrag von 70 000 DM hinterlegten sie nicht. Mit Anwaltsschreiben vom 23. April 1980 ließ der Kläger die Beklagten zur Hinterlegung von 70 000 DM mahnen.
Nachdem die Beklagten Ende August 1980 die Wohnungsschlüssel an die Verkäufer zurückgegeben hatten, erklärten diese mit Schreiben vom 18. September 1980 den Rücktritt vom Kaufvertrag.
Der Kläger verlangt von den Beklagten u. a. Zahlung von Mahnkosten in Höhe von 1 006,43 DM und von Verzugszinsen in Höhe von 1,24 DM für die verspätete Rentenzahlung.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben; die Berufung führte zur Klageabweisung. Die Revision des Klägers hatte Erfolg.

Aus den Gründen:

I. Das Berufungsgericht hat die Auffassung vertreten, die vom Kläger erhobenen Zahlungsansprüche könnten nach dem gemäß § 326 BGB wirksam erklärten Rücktritt vom Kaufvertrag nicht mehr geltend gemacht werden. Der Rücktritt habe den Kaufvertrag in ein Rückabwicklungsschuldverhältnis verwandelt, wodurch sowohl die primären Erfüllungsansprüche als auch die damit zusammenhängenden sekundären Ansprüche auf Schadensersatz wegen Verzuges mit der Vertragserfüllung erloschen seien. Die Beklagten seien daher weder zur Zahlung der Kosten des Mahnschreibens noch der Zinsen für verspätete Rentenzahlungen verpflichtet.

II. Die Revision hat Erfolg

1. Was den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Zahlung von 1 006,43 DM (Kosten des anwaltlichen Mahnschreibens) und 1,24 DM (Zinsen wegen verspäteter Rentenzahlung) anbetrifft, so handelt es sich um die Geltendmachung von Verzugsschaden. Die Beklagten haben die im Kaufvertrag übernommenen Leistungspflichten (nämlich: Zahlung von 70 000 DM Barkaufpreis und Zahlung von Renten an die Reallastgläubiger) nicht rechtzeitig erfüllt. Aufgrund dessen sind Mahnkosten und Verzugszinsen entstanden.
Dieser Verzugsschaden kann - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - auch noch nach einem auf § 326 BGB gestützten Rücktritt vom Kaufvertrag geltend gemacht werden:
a) Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei einen wirksamen Rücktritt der Verkäufer vom Kaufvertrag gemäß § 326 BGB bejaht. Hiergegen werden vom Revisionskläger auch keine Einwendungen erhoben.
b) Durch den Rücktritt ist das ursprüngliche Vertragsverhältnis in ein Abwicklungsverhältnis nach Maßgabe der §§ 327,346 BGB umgewandelt worden (vgl. Senatsurteil vom 27. Mai 1981, V ZR 184/78, WM 1981,792,794 li. Sp. unten). Damit entfallen - unabhängig vom Meinungsstreit über die Rechtsnatur des Abwicklungsverhältnisses (vgl. hierzu MünchKomm/Janßen vor § 346 Rdn. 29 und 30; BGB-RGRK 12. Aufl. § 346 Rdn. 10) - alle primären Leistungspflichten. Bereits erbrachte Leistungen sind zurückzugewähren. Der Wegfall der primären Leistungspflichten führt zwangsläufig auch dazu, daß alle auf Befriedigung des Erfüllungsinteresses gerichteten Schadensersatzansprüche, die etwa vor Ausübung des Rücktrittsrechtes entstanden sind, erlöschen. Hierüber besteht in Rechtsprechung und Literatur allgemein Übereinstimmung (wegen der Behandlung von Deliktsansprüchen, die auf das Erfüllungsinteresse gerichtet sind, vgl. BGH Urteil vom 20. Oktober 1983, I ZR 125/52, LM BGB § 252 Nr. 2 und die voneinander abweichenden Auffassungen in MünchKomm/Janßen vor § 346 Rdn. 31 und MünchKomm/Emmerich § 325 Rdn. 60).
Unterschiedliche Auffassungen bestehen jedoch darüber, wie sich der Rücktritt auf einen vorher entstandenen Schadensersatzanspruch wegen Verzuges auswirkt, der nicht auf Ersatz des Erfüllungsinteresses, sondern des bloßen Verzugsschadens gerichtet ist (vgl. hierzu: einen Anspruch auf Ersatz des Verzugsschadens bejahend: Staudinger/Otto, BGB 12. Aufl. § 327 Rdn. 19; MünchKomm/Janßen vor § 346 Rdn. 33; Palandt/Heinrichs, BGB 42. Aufl. Einf. vor § 346 Anm. 1 b; einen Anspruch verneinend: Staudinger/Kaduk, BGB 10./11. Aufl. Vorbem. § 346 Rdn. 17 und § 346 Rdn. 35; Leser, Der Rücktritt vom Vertrag, 1975, S. 173; Larenz, Schuldrecht 113. Aufl. § 26 S. 374 - entgegen Vorauflage -; OLG Düsseldorf WM 1979,1220 mit kritischer Anmerkung von Körner).
Nach Auffassung des Senats ist im Falle der Ausübung des Rücktrittsrechts aus § 326 BGB ein Verzugsschaden, der dadurch entstanden ist, daß der Vertragspartner bis zum Rücktritt bestehende primäre Leistungspflichten nicht rechtzeitig erfüllt hat, neben den sich aus dem Abwicklungsverhältnis ergebenden Ansprüchen nach § 286 Abs. 1 BGB zu ersetzen.
Der Anspruch auf Ersatz des reinen Verzugsschadens ergibt sich auch beim gegenseitigen Vertrag aus § 286 Abs. 1 BGB. Er kann - wie der Senat im Urteil vom 13. Juni 1975, V ZR 171/73, NJW 1975,1740 klargestellt hat - geltend gemacht werden, ohne daß die Voraussetzungen des § 326 Abs. 1 BGB vorliegen. Dementsprechend kann der Gläubiger, der nach § 326 Abs. 1 BGB Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangt, zusätzlich den Anspruch aus § 286 Abs. 1 BGB geltend machen. Das Erlöschen des Erfüllungsanspruches nach § 326 Abs. 1 Satz 2,2. Halbsatz BGB steht dem Anspruch auf Ersatz des vorher entstandenen Verzugsschadens aus § 286 Abs. 1 BGB nicht entgegen.
Für den Fall des auf § 326 Abs. 1 BGB gestützten Rücktritts gilt nichts anderes. Die Umwandlung des ursprünglichen Vertragsverhältnisses in ein Rückabwicklungsverhältnis hat wie beim Schadensersatz wegen Nichterfüllung das Erlöschen der primären Leistungspflichten zur Folge. Die empfangenen Leistungen sind nach Maßgabe der §§ 327,346 ff. BGB zurückzugewähren. Damit ist aber ein Erlöschen bereits entstandener Ansprüche aus § 286 Abs. 1 BGB auf Ersatz von Verzugsschaden nicht verbunden. Dies gilt unabhängig von der Beantwortung der Frage nach der Rechtsnatur des Abwicklungsverhältnisses. Das Reichsgericht, das im Rücktritt die rückwirkende Aufhebung des Vertragsverhältnisses sah (vgl. RGZ 50,266 f.; 75,201), hatte dessen ungeachtet keine Bedenken gegen die Zuerkennung einer Vertragsstrafe wegen verzögerter Lieferung einer Ware im Falle des später erklärten Rücktritts vom Vertrag (vgl. RGZ 94,203,206 f.). Das Reichsgericht bezog sich dabei auf eine Entscheidung des ehemaligen preußischen Obertribunals (abgedruckt in Striethorst Arch. Bd. 46,330), derzufolge die Vertragsstrafe wegen verzögerter Lieferung trotz eines am 1. Oktober erklärten Rücktritts zugebilligt worden war, weil der Schuldner sie an diesem Tage neben der ordnungsgemäßen Leistung auch hätte bezahlen müssen; die - verspätete - Leistung könne ihn nicht nachträglich von der bereits verwirkten Strafe befreien.
Die gleichen Überlegungen müssen für den im Zeitpunkt des Rücktritts bereits entstandenen Verzugsschaden gelten.
Unabhängig davon, ob das Vertragsverhältnis durch den Rücktritt rückwirkend beseitigt oder nur für die Zukunft in ein Abwicklungsverhältnis umgewandelt wird, hat der Rücktritt das Ziel, den vor Vertragsschluß bestehenden Zustand wiederherzustellen. Ohne den durch den Rücktritt betroffenen Vertrag hätte zwar eine Verpflichtung zum Güteraustausch nicht bestanden, der Gläubiger wäre aber auch nicht durch die verzögerte Erfüllung der ursprünglich ausbedungenen Leistung geschädigt worden. Die Versagung eines Anspruchs auf Ersatz des bis zum Rücktritt entstandenen Verzugsschadens würde bedeuten, daß der den Rücktritt erklärende Vertragspartner gegenüber dem Zustand ohne Vertragsschluß eine Vermögenseinbuße erleiden könnte. Auf der anderen Seite würde der Schuldner, der die ursprünglich vereinbarte Leistung nicht rechtzeitig erbringt und dann infolge des Rücktritts auch nicht mehr erbringen muß, einen Vorteil gegenüber dem Schuldner erhalten, der die Leistung im Anwendungsbereich des § 326 Abs. 1 BGB bis zum Ablauf der Nachfrist noch erbringt. Er müßte nämlich auf jeden Fall den bis dahin entstandenen Verzugsschaden gemäß § 286 Abs. 1 BGB ersetzen. Die mit dem Erlöschen des Verzugsanspruchs verbundene Besserstellung des Schuldners, der bis zum Ablauf der Nachfrist nicht leistet, ist aber nicht gerechtfertigt. Sie ist insbesondere mit dem Ziel der §§ 286 Abs. 1,326 Abs. 1 BGB, den Gläubiger vor vermögensschädigenden Folgen einer verspäteten Leistung zu bewahren, nicht vereinbar.
Steht damit dem vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Ersatz des Verzugsschadens in Höhe von 1 007,67 DM der auf § 326 Abs. 1 BGB gestützte Rücktritt vom Vertrag nicht entgegen, so ist das Berufungsurteil insoweit aufzuheben. Da nach dem festgestellten Sachverhältnis der Rechtsstreit zur Endentscheidung reif ist (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO), ist die Berufung der Beklagten gegen das den Verzugsschaden zuerkennende Urteil des Landgerichts zurückzuweisen.