Feststellung des Errichtungszeitpunkts bei datumsgleichen Testamenten, Folgen (fiktiver) gleichzeitiger Errichtung


BayObLG, Beschluß vom 12. 7. 2004 - 1Z BR 49/04


Fundstelle:

FamRZ 2005, 482


Amtl. Leitsatz:

Zur Feststellung des Errichtungszeitpunkts bei datumsgleichen Testamenten.


Zentrale Probleme:

Die Kernaussage der Entscheidung ist, daß zwei mit dem gleichen Datum versehene Testamente als gleichzeitig errichtet anzusehen sind, wenn nicht geklärt werden kann, welches Testament später errichtet wurde. Sofern und soweit sich die Testamente widersprechen, heben sie sich gegenseitig auf.

©sl 2005


Zum Sachverhalt:

Der im Alter von 48 Jahren zwischen dem 23. und 26. 2. 2000 verstorbene Erblasser war mit der Bet. zu 1 verheiratet; aus der Ehe entstammen zwei Kinder, die Bet. zu 2 und 3. Der Bet. zu 4 ist ein außereheliches Kind, der Bet. zu 5 ist der ältere Bruder des Erblassers.
Der Erblasser litt unter einer langjährigen schweren Alkoholkrankheit mit Arzneimittelabusus (Clomethiazol). Er hielt sich wiederholt zu Entgiftungen und Therapien in verschiedenen Kliniken auf. Allein in dem Krankenhaus für Psychiatrie und Psychotherapie (KPP) wurde er dreizehn Mal über längere Zeit stationär behandelt. Aus dieser Klinik wurde er nach seinem zwölften Aufenthalt am 30. 9. 1999 entlassen. Er begab sich in sein Wohnanwesen; seine Frau und seine Kinder lebten bereits zu diesem Zeitpunkt von ihm getrennt. Unter dem Datum 1. 10. 1999 verfasste der Erblasser zwei privatschriftliche Testamente. In einem Testament setzte er die Bet. zu 1 bis 3 als Erben ein, in dem anderen den Bet. zu 5. In welcher zeitlichen Reihenfolge die Testamente errichtet wurden, geht aus den Urkunden nicht hervor.
Die Bet. zu 1 beantragte zunächst einen Erbschein, der sie und die Bet. zu 2 und 3 als Erben zu je 1/3 auf Grund Testaments ausweisen sollte. Diesen Antrag wies das AG mit Beschluss vom 22. 3. 2000 zurück mit der Begründung der Erblasser sei am 1. 10. 1999 auf Grund seiner langjährigen Alkoholerkrankung nicht mehr testierfähig gewesen; es sei gesetzliche Erbfolge eingetreten. Im Hinblick darauf stellte die Bet. zu 1 den Antrag auf Erteilung eines Erbscheins entsprechend der gesetzlichen Erbfolge, der bezeugen sollte, dass sie zu 1/2 und die Bet. zu 2 bis 4 zu je 1/6 Erben geworden seien. Der Bet. zu 5 beantragte einen Erbschein, der ihn als Alleinerben auf Grund Testaments ausweisen sollte.
Mit Beschluss vom 7. 6. 2000 wies das Nachlassgericht den Erbscheinsantrag des Bet. zu 5 zurück und ordnete die Erteilung eines Erbscheins zu Gunsten der Bet. zu 1 (1/2) und der Bet. zu 2 bis 4 (je 1/6) auf Grund gesetzlicher Erbfolge an. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Bet. zu 5 wies das LG mit Beschluss vom 12. 9. 2000 zurück. Das Nachlassgericht erteilte am 17. 10. 2000 den seinem Beschluss vom 7. 6. 2000 entsprechenden Erbschein.
Auf erneuten Antrag des Bet. zu 5 erholte das Nachlassgericht zur Frage der Testierfähigkeit des Erblassers ein psychiatrisches Sachverständigengutachten. Mit Beschluss vom 26. 7. 2001 wies das Nachlassgericht den auf Erteilung eines Alleinerbscheins gerichteten Antrag des Bet. zu 5 zurück. Auf die Beschwerde des Bet. zu 5 hob das LG mit Beschluss vom 18. 1. 2002 den Beschluss des Nachlassgericht auf und wies dieses an, dem Bet. zu 5 einen Erbschein als Alleinerben zu erteilen. Das Nachlassgericht zog den Erbschein vom 17. 10. 2000 ein und erteilte am 11. 4. 2002 dem Bet. zu 5 einen Erbschein an, der ihn als Alleinerben auswies. Auf die weitere Beschwerde der Bet. zu 1 bis 3 hob der Senat mit Beschluss vom 23. 8. 2002 die Entscheidung des LG auf und verwies die Sache zu neuer Behandlung und Entscheidung an das LG zurück.

Das LG holte über den Zustand des Erblassers nach einem Suizidversuch am 2. 10. 1999 schriftliche Stellungnahmen der beteiligten Ärzte ein; ferner hörte es den Bet. zu 5 erneut an. Mit Beschluss vom 18. 11. 2003 wies das LG die Beschwerde des Bet. zu 5 gegen den Beschluss des Nachlassgericht vom 26. 7. 2001 zurück. Das Nachlassgericht zog am 20. 1. 2004 den Erbschein vom 11. 4. 2002 ein und erteilte am 28. 1. 2004 der Bet. zu 1 einen Erbschein, der diese als Miterbin zu ½, die Bet. zu 2 bis 4 als Miterben zu je 1/6 ausweist.
Mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 4. 5. 2004 hat der Bet. zu 5 gegen den Beschluss des LG Beschwerde eingelegt mit dem Ziel, einen Erbschein als Alleinerbe zu erhalten. Ferner hat er Prozesskostenhilfe für das Verfahren der weiteren Beschwerde beantragt.
Die weitere Beschwerde hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen:

II. 1. Die weitere Beschwerde ist zulässig; die zwischenzeitliche Erteilung des Erbscheins an die Bet. zu 1 bis 4 hat das Rechtsschutzbedürfnis des Bet. zu 5 nicht entfallen lassen. Sein Vorbringen ist nunmehr dahin aufzufassen, dass er mit der weiteren Beschwerde das Ziel verfolgt, den erteilten Erbschein einzuziehen und einen neuen Erbschein zu erteilen, der ihn als Alleinerben auf Grund Testaments ausweist (vgl. BayObLGZ 1996, 69 [73]; Keidel/Meyer-Holz, FG, 15. Aufl., § 27 FGG Rdnr. 51).

Die weitere Beschwerde ist jedoch nicht begründet.

2. Das LG hat im Wesentlichen ausgeführt: Es könne auch nach der weiteren Beweisaufnahme nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, dass der Erblasser am 1. 10. 1999 testierunfähig gewesen sei. Jedoch könne nicht geklärt werden, welches der beiden Testamente des Erblassers vom 1. 10. 1999 später verfasst worden sei. Die Testamente seien deshalb als gleichzeitig errichtet anzusehen, so dass sie sich auf Grund ihrer inhaltlich widersprüchlichen Anordnungen gegenseitig aufheben würden.
Es bestehe der Verdacht, dass der Bet. zu 5 über die Alkoholisierung des Erblassers falsche Angaben gemacht habe, um Zweifel an dessen Testierfähigkeit zu zerstreuen. Auch den Angaben des Bet. zu 5 und seiner Lebensgefährtin zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments könne deshalb nicht gefolgt werden.
3. Die Entscheidung des LG hält der rechtlichen Nachprüfung stand (§ 27 I FGG, 546 ZPO).
a) Zutreffend geht das LG davon aus, dass zwei mit dem gleichen Datum versehene Testamente als gleichzeitig errichtet anzusehen sind, wenn nicht geklärt werden kann, welches Testament später errichtet wurde (vgl. Soergel/Mayer, BGB, 13. Aufl., § 2258 Rdnr. 12; Staudinger/Baumann, BGB, 2003, § 2258 Rdnr. 16). Die Feststellung, zu welchem Zeitpunkt ein Testament errichtet wurde, ist im wesentlichen tatsächlicher Natur. Der Senat kann die Feststellungen des LG nur daraufhin überprüfen, ob das LG den maßgeblichen Sachverhalt ausreichend erforscht (§ 12 FGG, § 2358 I BGB) hat, ob die Vorschriften über die Beweisaufnahme (§ 15 FGG) verletzt wurden und ob die Beweiswürdigung im Verfahren der weiteren Beschwerde zu berücksichtigende Fehler aufweist. Die Beweiswürdigung kann nur daraufhin überprüft werden, ob das LG bei der Erörterung des Beweisstoffs alle wesentlichen Umstände berücksichtigt (§ 25 FGG) und hierbei nicht gegen gesetzliche Beweisregeln oder die Denkgesetze und feststehende Erfahrungssätze verstoßen hat, ferner ob es die Beweisanforderungen zu hoch oder zu niedrig angesetzt hat (st. Rspr., vgl. BayObLGZ 1995, 383 [388] = NJW-RR 1996, 457 m.w. Nachw.).
b) Die vom LG nach der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme getroffene Feststellung, der Zeitpunkt der Errichtung des den Bet. zu 5 begünstigenden Testaments könne nicht festgestellt werden, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Das LG hat den Sachverhalt ausreichend erforscht, seine Beweiswürdigung begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Der Bet. zu 5 wendet sich mit der weiteren Beschwerde vor allem gegen die Beurteilung seiner persönlichen Glaubwürdigkeit und der seiner Lebensgefährtin durch das LG. Damit kann er im Rechtsbeschwerdeverfahren keinen Erfolg haben. Die Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit von Zeugen und Bet. sowie der Glaubhaftigkeit von deren Sachdarstellung obliegt dem Gericht der Tatsacheninstanz und ist im Rechtsbeschwerdeverfahren grundsätzlich nicht nachprüfbar (st. Rspr., vgl. BayObLG, NJWE-FER 1998, 109 = FamRZ 1998, 1469 [1417]; Keidel/Meyer-Holz, § 27 FGG Rdnr. 43). Insbesondere ist nicht zu beanstanden, dass das LG aus den Widersprüchen zwischen den Angaben des Bet. zu 5 und den Angaben der behandelnden Ärzte zum Zustand des Erblassers am 2. 10. 1999 Rückschlüsse auf sein Aussageverhalten insgesamt - auch zu den Angaben zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung - gezogen und diese als nicht verlässlich eingestuft hat. Das LG hätte diese Einschätzung zusätzlich auch darauf stützen können, dass der Bet. zu 5 das in seinem Besitz befindliche Testament gegenüber dem Nachlassgericht erst am 3. 3. 2000 erwähnt und vorgelegt hat, obwohl er ausweislich des Vermerks der zuständigen Rechtspflegerin vom 16. 4. 2000 von ihr bereits am 29. 2. 2000 telefonisch über den Erbscheinsantrag der Bet. zu 1 und das Testament zu deren Gunsten unterrichtet worden war.
c) Zu Recht hat das LG deshalb beide Testamente als gleichzeitig errichtet angesehen mit der Folge, dass sie sich wegen der inhaltlich widersprüchlichen Anordnungen aufheben (vgl. BayObLG, FamRZ 1991, 237 [238]). Auf die Frage der Testierfähigkeit des Erblassers kommt es deshalb nicht an. Der auf Grund gesetzlicher Erbfolge erteilte Erbschein entspricht der Erbrechtslage.