Letztwillige Verfügung und Erfordernis des Testierwillens; Testamentsanfechtung


BayObLG v. 2.8.2004, 1Z BR 56/04


Fundstelle:

FamRZ 2005, 656
s. auch
BayObLG FamRZ 2001, 944 sowie OLG Köln FamRZ 1995, 1301


Leitsatz:

1. Prüfung des Testierwillens bei eigenhändig geschriebener und unterschriebener Erklärung.
2. Erfolglose Anfechtung eines Testaments wegen unberücksichtigt gebliebener Beisetzungswünsche.


Aus den Gründen:

I. Die Erblasserin ist i. J. 2001 im Alter von 80 Jahren ohne Abkömmlinge verstorben. Sie hatte am 7. 4. 1981 ein eigenhändig geschriebenes und unterschriebenes Testament errichtet, in dem sie ihren Ehemann zum Alleinerben einsetzte. Daneben traf die Erblasserin in diesem Testament eine Vielzahl weiterer Verfügungen, auch für die Zeit nach dem Tod ihres Ehemanns; zu den Bedachten gehörten die Beteiligten zu 1, 4, 5, 6 und 7. Die den Nachlass der Erblasserin betreffenden Verfügungen in dem Testament v. 7. 4. 1981 enden mit der Anordnung, dass von den noch verbleibenden Sach- und Vermögenswerten 2/5 der Bet. zu 4 und 3/5 der Bet. zu 5 erhalten sollen.
Der Ehemann der Erblasserin ist im August 1992 vorverstorben.

Im September 1992 verfasste die Erblasserin ein eigenhändig geschriebenes und unterschriebenes Schriftstück mit folgendem Wortlaut:

„Meine Urnen-Beisetzung soll in aller Stille im Grab meines lieben Mannes erfolgen (Feld 21). — Ich wünsche keine Trauer-Anzeigen zu verschicken, noch eine Veröffentlichung in der Zeitung.
Ich habe in Liebe mit meinem Mann gelebt und kehre zu ihm zurück.
. . . (Bet. zu 2 und 3) sollen unser Grab pflegen u. sie sollen unser Vermögen erhalten.
Mein Lebensinhalt ist u. war mein lieber Mann."

Die Bet. zu 2 und 3 beantragten, gestützt auf das Testament vom September 1992, die Erteilung eines Erbscheins, der sie je zur Hälfte als Erben der Erblasserin ausweisen sollte.
Die Bet. zu 4 und 5 sind dem Erbscheinsantrag der Bet. zu 2 und 3 entgegengetreten und haben geltend gemacht, das Schriftstück vom September 1992 sei kein rechtswirksames Testament der Erblasserin. Die Bet. zu 4 und 5 beantragten auf der Grundlage des Testaments v. 7. 4. 1981 die Erteilung eines Erbscheins, wonach die Erblasserin zu 2/5 von dem Bet. zu 4 und zu 3/5 von dem Bet. zu 5 beerbt worden ist.

Im Hinblick auf die von den Bet. zu 4 und 5 an der Echtheit des Testaments vom September 1992 geäußerten Zweifel erholte das Nachlaßgericht das Gutachten eines Schriftsachverständigen. Dieser kam in seinem schriftlichen Gutachten zu dem Ergebnis, dass das Schriftstück vom September 1992 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von der Erblasserin vollständig eigenhändig geschrieben und unterschrieben worden ist. Nach dem Ergebnis eines weiteren durch das Nachlaßgericht zur Frage des Errichtungszeitpunkts erholten Gutachtens eines Sachverständigen für Urkundentechnik konnten mittels der urkundentechnischen Untersuchungen des Sachverständigen keine Feststellungen dazu getroffen werden, ob das Schriftstück tatsächlich im September 1992 oder zu einem anderen Zeitpunkt erstellt wurde.
Das Nachlaßgericht erließ mit Beschluss v. 29. 4. 2003 einen Vorbescheid, in dem es die Erteilung eines Erbscheins ankündigte, der die Bet. zu 2 und 3 je zur Hälfte als Erben ausweist. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Bet. zu 5 hat das LG mit Beschluss v. 3. 2. 2004 zurückgewiesen. Das Nachlaßgericht hat den von den Bet. zu 2 und 3 beantragten Erbschein wie mit dem Vorbescheid angekündigt am 2. 3. 2004 erteilt.
Gegen den Beschluss des LG v. 3. 2. 2004 hat der Bet. zu 5 mit Schriftsatz v. 24. 5. 2004 weitere Beschwerde eingelegt.

II. 1. Die weitere Beschwerde des Bet. zu 5 ist zulässig. Die zwischenzeitliche Erteilung des Erbscheins an die Bet. zu 2 und 3 hat das Rechtschutzbedürfnis des Bet. zu 5 nicht entfallen lassen. Sein Vorbringen ist nunmehr dahin aufzufassen, dass er mit der weiteren Beschwerde das Ziel verfolgt, den erteilten Erbschein einzuziehen (vgl. BayObLGZ 1982, 236, 239; Keidel/ Meyer-Holz, FGG, 15. Aufl., § 27 Rz. 51).

2. Die weitere Beschwerde hat keinen Erfolg.

Das LG hat seiner Entscheidung zutreffend zugrunde gelegt, dass die Erbfolge sich nach dem Testament vom September 1992 bestimmt und das Testament v. 7. 4. 1981 durch das spätere Testament aufgehoben worden ist (§ 2258 I BGB).
aa) Ohne Rechtsfehler hat das LG an der Echtheit des Testaments vom September 1992 nicht gezweifelt. Die Frage, ob ein handschriftliches Testament vom Erblasser geschrieben und unterschrieben wurde, liegt im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet. Die tatsächlichen Feststellungen des Beschwerdegerichts sind für das Gericht der weiteren Beschwerde bindend, wenn sie rechtsfehlerfrei getroffen sind (§§ 27 I S. 2 FGG, 559 II ZPO). Das Gericht der weiteren Beschwerde kann die Beweiswürdigung nur daraufhin überprüfen, ob der maßgebliche Sachverhalt ausreichend erforscht wurde (§§ 12 FGG, 2358 I BGB), ob die Beweiswürdigung alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat, widerspruchsfrei ist und nicht den Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen zuwiderläuft, ferner ob die Beweisanforderungen vernachlässigt oder überspannt sind. Stützt sich der Tatrichter auf ein Gutachten, so muss die Beweiswürdigung weiter ergeben, dass das Gericht selbständig und eigenverantwortlich geprüft hat, ob es dem Gutachten folgen kann (vgl. BayObLGZ 1995, 383, 388 = FamRZ 1996, 566; Keidel/ Schmidt, § 15 Rz. 65). Die Entscheidung des LG wird diesen Kriterien gerecht.

Das LG ist den an der Urheberschaft der Erblasserin an dem Testament vom September 1992 geäußerten Zweifeln durch die Beauftragung eines Schrift-Sachverständigen, dem umfangreiche Vergleichsschriftproben vorlagen, nachgegangen. Es lässt keinen Rechtfehler erkennen, dass das LG die gutachterlichen Feststellungen des Sachverständigen, aufgrund derer dieser zu dem Ergebnis gelangt ist, dass das Schriftstück vom September 1992 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von der Erblasserin vollständig eigenhändig geschrieben und unterschrieben worden ist, für überzeugend erachtet und sich diesem Ergebnis angeschlossen hat.

bb) Das Testament vom September 1992 entspricht den Formerfordernissen des § 2247 BGB. Gemäß § 2247 I BGB kann der Erblasser ein Testament durch von ihm eigenhändig geschriebene und unterschriebene Erklärung errichten. Der Erblasser soll zwar gemäß § 2247 II BGB in der Erklärung angeben, zu welcher Zeit (Tag, Monat und Jahr) er sie niedergeschrieben hat, doch steht die — wie hier - fehlende Angabe des Tags der Niederschrift der Gültigkeit des Testaments nicht entgegen (vgl. Palandt-Edenhofer, BGB, 63. Aufl., § 2247 Rz. 17).

cc) Das LG hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass das Schriftstück vom September 1992 eine vom Testierwillen der Erblasserin getragene letztwillige Verfügung enthält. Allerdings kann eine schriftlich niedergelegte Erklärung des Erblassers, auch wenn sie den formalen Voraussetzungen des § 2247 BGB genügt, nur dann als letztwillige Verfügung gelten, wenn sie auf einem ernstlichen Testierwillen des Erblassers beruht. Daher muss außer Zweifel stehen, dass der Erblasser die von ihm erstellte Urkunde als rechtsverbindliche letztwillige Verfugung angesehen hat oder zumindest das Bewusstsein hatte, die Urkunde könne als Testament angesehen werden. Ob ein solcher ernstlicher Testierwille vorgelegen hat, ist im Wege der Auslegung (§ 133 BGB) unter Berücksichtigung aller erheblichen, auch außerhalb der Urkunde liegenden Umstände und der allgemeinen Lebenserfahrung zu beurteilen (BayObLG, FamRZ 1999, 534, 535, m. w. N.).

Für die Auslegung des Schriftstücks als letztwillige Verfügung ist das Fehlen einer ausdrücklichen Bezeichnung des Schriftstücks als „Testament", „Mein letzter Wille" oder einen ähnlichen Ausdruck unschädlich. Entscheidend ist, dass sich hier aus dem Schriftstück der Wille der Erblasserin ergibt, die Folgen ihres Todes ernsthaft und umfassend zu regeln. Diese Regelungen betreffen einerseits persönliche Aspekte wie Bestattung und Grabpflege, andererseits die materiellen Aspekte der Rechtsnachfolge in Bezug auf den Nachlass. Zu Letzterem hat die Erblasserin inhaltlich vollständig den Übergang des Vermögens auf die Bet. zu 2 und 3 verfugt. Dies rechtfertigt die zweifelsfreie Annahme des LG, dass das Schriftstück vom September 1992 eine auf einem ernsthaften Testierwillen der Erblasserin beruhende letztwillige Verfügung darstellt.
Soweit der Beschwerdeführer demgegenüber die Wirksamkeit des Testaments unter Hinweis darauf in Zweifel zieht, dass Form und Inhalt des Testaments vom September 1992 dem Persönlichkeitsbild der Erblasserin widersprechen, wie es insbesondere in dem früheren Testament v. 7. 4. 1981 seinen Ausdruck gefunden habe, kann er mit seinem Vorbringen nicht durchdringen. Die Erblasserin konnte, da sie erbrechtlich nicht gebunden war, jederzeit aufgrund der verfassungsrechtlich garantierten (Art. 14 I S. l GG) Testierfreiheit ihr Vermögen durch letztwillige Verfügung an Personen ihrer Wahl verteilen (§ 1937 BGB). Da feststeht, dass das Testament vom September 1992 von der eigenen Hand der Erblasserin stammt, hat die Erblasserin nach dem Tod ihres in dem Testament v. 7. 4. 1981 in erster Linie begünstigten Ehemanns offenbar Anlass gesehen, ihren letzten Willen neu festzulegen. Dass dies in anderer formaler Ausgestaltung und wesentlich knapperer Weise als bei dem unter anderen Umständen mehr als 11 Jahre früher abgefassten Testament geschah, vermag Zweifel am Testierwillen der Erblasserin bei Errichtung des Schriftstücks vom September 1992 nicht zu begründen.

dd) In Anwendung der §§ 2087 I, 2091 BGB hat das LG die in dem Testament vom September 1992 enthaltene Verfügung, dass die Bet. zu 2 und 3 das Vermögen erhalten sollen, zutreffend als Erbeinsetzung der Bet. zu 2 und 3 je zur Hälfte angesehen, welche die Erbeinsetzung weiterer Personen durch das Testament v. 7. 4. 1981 ausschließt (§ 2258 I BGB). Die von der Erblasserin verwendete Formulierung „unser" Vermögen hat das LG plausibel damit erklärt, dass die bei Abfassung des Testaments seit wenigen Wochen verwitwete Erblasserin damit sowohl ihr seit jeher eigenes als auch ihr von ihrem Ehemann ererbtes Vermögen gemeint hat.

ee) Zu Recht ist das LG ohne weitere Ermittlung davon ausgegangen, dass bei der Erblasserin zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung die Voraussetzungen der Testierfahigkeit (§ 2229 IV BGB) gegeben waren. Eine Aufklärungspflicht des Tatsachengerichts besteht nämlich nur insoweit, als das Vorbringen der Bet. und der festgestellte Sachverhalt zu weiteren Ermittlungen Anlass geben (vgl. BayObLG, FamRZ 1998, 1242, 1243). Weder für den im Testament angegebenen von der Unterschrift der Erblasserin gedeckten Zeitraum der Testamentserrichtung „September 92", für dessen Richtigkeit eine tatsächliche Vermutung spricht (vgl. BayObLG, FamRZ 2001, 1329), noch für einen anderen Zeitpunkt liegen substantiierte Anhaltspunkte für Zweifel an der Testierfähigkeit der Erblasserin vor.

ff) Ebenfalls ohne Rechtsfehler ist das LG zu dem Ergebnis gekommen, dass die Anfechtung der im Testament vom September 1992 erfolgten Erbeinsetzung der Bet. zu 2 und 3 durch die anfechtungsberechtigten Bet. zu 4 und 5 nicht durchgreift (§§ 2078 II, 2080 I, 2081 I, 2082 I und II BGB).
Eine letztwillige Verfügung kann gemäß § 2078 II BGB angefochten werden, soweit der Erblasser zu der Verfügung durch die irrige Annahme oder Erwartung des Eintritts oder Nichteintritts eines Umstands bestimmt worden ist. Solche irrigen Vorstellungen und Erwartungen müssen im Falle einer erfolgreichen Anfechtung bewegender Grund für den letzten Willen gewesen sein; daher setzt die Anfechtung besonders schwerwiegende Umstände voraus, die den Erblasser mit Sicherheit dazu gebracht hätten, anders zu testieren, wenn er die tatsächliche Entwicklung gekannt hätte (vgl. BGH, NJW-RR 1987, 1412, 1413; Palandt/Edenhofer, § 2078 Rz. 4).
Die Frage, ob ein Irrtum des Erblassers vorlag, liegt im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet. Die Feststellung des Sachverhalts und die Beweiswürdigung als Teil der Tatsachenfeststellung können im Verfahren der weiteren Beschwerde nur auf Rechtsfehler überprüft werden, nämlich darauf, ob das LG den maßgeblichen Sachverhalt genügend erforscht und alle wesentlichen Gesichtspunkte berücksichtigt hat, nicht gegen gesetzliche Beweisregeln, gegen Denkgesetze oder feststehende Erfahrungssätze verstoßen und ob es die Beweisanforderungen zu hoch oder zu niedrig angesetzt hat (vgl. BayObLG, FamRZ 1997, 1436, 1437; BayObLGZ 1999, l, 4).
Solche Rechtsfehler liegen nicht vor. Das LG ist von einem zutreffenden Verständnis des § 2078 II BGB ausgegangen und ist ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gekommen, bestimmender Beweggrund für die Erbeinsetzung der Bet. zu 2 und 3 sei deren vorangegangenes Verhalten gewesen. Bei der Bewertung der von der Erblasserin bezüglich ihrer Beisetzung geäußerten Wünsche als nicht bestimmendes Motiv für die Erbeinsetzung hätte sich das LG ergänzend auch noch darauf stützen können, dass diese Beisetzungswünsche im Testament vorab ohne konkrete Adressaten genannt werden und nicht - wie die Grabpflege - mit den Personen der Bet. zu 2 und 3 verknüpft sind. Schließlich erweist sich auch der Hinweis des LG als zutreffend, dass aus der Sicht der Bet. zu 2 und 3 wegen der Auskünfte, welche sie von dem Bet. zu l hinsichtlich der Regelung der Beisetzung erhalten hatten, kein Handlungsbedarf zu bestehen schien, sodass die Anfechtung in der tatsächlichen Entwicklung keine Grundlage findet.