Scheidungsstatut nach Art. 17 I, 14 I Nr. 1 EGBGB, versteckte Rückverweisung durch Zuständigkeitsnorm des verwiesenen Rechts ("hidden renvoi")


OLG Stuttgart v. 6.7.2004, 17 UF 69/04


Fundstelle:

FamRZ 2005, 911


(Eigener) Leitsatz:

"Hidden renvoi" beim Scheidungsstatut sri-lankischer Ehegatten


Zentrale Probleme:

Es geht um die Scheidung sri-lankischer Staatsangehöriger durch ein deutsches Gericht. Art. 17 I i.V.m. Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 verweist auf das Recht Sri Lankas, nach Art. 4 I 1 EGBGB ist zu prüfen, ob das IPR Sri Lankas diese Verweisung für das Scheidungsstatut (nicht etwa für das allgemeine Ehewirkungsstatut des Art. 14 EGBGB) annimmt oder zurück- bzw. weiterverweist. In englischer Tradition enthält das Recht Sri Lankas aber keine Kollisionsnorm, sondern geht von der Zuständigkeit aus: Es regelt, wann Gerichte Sri Lankas zuständig sind, die dann nach dem lex fori-Prinzip stets das eigene Recht anwenden. Darin wird - in nicht ganz unproblematischer Weise - "von außen" nun folgende Regel erblickt: Wenn ein ausländisches Gericht nach den Maßstäben des Rechts von Sri-Lanka international zuständig wäre, soll es ebenfalls "sein Recht", d.h. die lex fori anwenden. Damit kommt das Gericht über eine (in der Zuständigkeitsregel) "versteckte Rückverweisung" zur Anwendung deutschen Rechts. Dem sri-lankischen Recht eine solche Kollisionsregel zu unterstellen, ist in hohem Maße fiktiv. Teilweise wird in diesem Zusammenhang deshalb auch - ehrlicher - von einem "fiktiven" oder "hypothetischen" renvoi gesprochen (s. dazu etwa Bamberger/Roth-Lorenz, Einl. IPR Rn. 46 m.w.N.).
S. auch
OLG Stuttgart FamRZ 1997, 958 sowie OLG Stuttgart FamRZ 2003, 1669.

©sl 2005


Gründe:

I. Das FamG hat die am 22. 10. 1979 vor dem Bezirksstandesbeamten in J./Sri Lanka geschlossene Ehe der Parteien, die beide die Staatsangehörigkeit von Sri Lanka haben, nach deutschem Recht geschieden. Von der Durchführung des Versorgungsausgleichs wurde abgesehen.

Mit ihrer Berufung erstrebt die Ehefrau eine Abweisung des Scheidungsantrags, hilfsweise die Durchführung des Versorgungsausgleichs.

II. Die zulässige Berufung der AGg. hat keinen Erfolg, soweit sie sich gegen die vom AmtsG ausgesprochene Scheidung ihrer Ehe wendet.

Die deutschen Gerichte sind für das Scheidungsverfahren der Parteien international zuständig, da der antragstellende Ehemann, der i. J. 1984 nach Deutschland gekommen ist und seither hier ununterbrochen lebt, hier seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 2 la, 5. Spiegelstrich der Verordnung - EG - Nr. 13477 2000 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterl. Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten v. 29. 5. 2000 - Brüssel II).

Die Ehefrau rügt zu Unrecht, das FamG habe auf den Scheidungsantrag des Ehemannes nicht deutsches Recht anwenden dürfen, weil sich die Scheidung der Ehe nach dem Recht von Sri Lanka beurteile. Im Ausgangspunkt ist es zutreffend, dass sich nach Art. 17 I i. V. mit Art. 14 I Nr. l EGBGB die Ehescheidung nach dem Recht von Sri Lanka als dem gemeinsamen Heimatrecht der Parteien beurteilt. Allerdings haben die international zuständigen deutschen Gerichte deutsches Recht anzuwenden, sofern das gemeinsame Heimatrecht der Parteien auf deutsches Recht zurückverweist (Art. 4 I EGBGB). Dies ist hier der Fall.

Das nicht kodifizierte internationale Privatrecht von Sri Lanka folgt dem englischen Recht, welches vom Domizilprinzip ausgeht (Bergmann /Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Länderteil Sri Lanka, S. 21, 22, unter Berufung auf Tambiah, Sri Lanka, National Reports 1985, S. 125 ff). Hinzu tritt die Regel, dass die Gerichte in Scheidungssachen stets ihr eigenes Recht anwenden. Somit ist von den international zuständigen deutschen Gerichten auf die Ehescheidung deutsches Recht anzuwenden, wenn wenigstens ein Ehegatte — hier der ASt. - in Deutschland ein „Domicile" im englischen Sinne hat (sog. „versteckte" Rückverweisung; Johannsen/ Henrich, Eherecht, 4. Aufl., Art. 17 EGBGB Rz. 18, mit Rechtsprechungsnachweisen).

Das FamG hat unter Berufung auf ein von ihm eingeholtes Gutachten ... v. 15. 10. 2001 zu Recht entschieden, dass der ASt. in Deutschland ein „Domicile of Choice" begründet hat, nachdem er seit 1984 ununterbrochen in Deutschland lebt, hier eine Arbeitsstelle hat und im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis ist.

Sein durch Geburt begründetes „Domicile of Origin" in Sri Lanka hat er — trotz Beibehaltung der Staatsangehörigkeit von Sri Lanka — aufgegeben, da er seine Heimat bis auf einen einzigen Besuch i. J. 1991 nicht mehr besucht hat und nach seinen glaubwürdigen Ausführungen dorthin auch nicht mehr zurückkehren möchte. Seine Eltern sind verstorben; seine Geschwister (mit eigenen Familien) leben dauerhaft im Ausland, u. a. in Deutschland. Der ASt. wird auch nicht mehr zu der AGg. zurückkehren, mit der er seit 1984 nicht mehr zusammenlebt, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob es der ASt. nach seiner Einreise in Deutschland abgelehnt hat, seine Familie nachzuholen, oder ob es die AGg. abgelehnt hat, mit den Kindern nach Deutschland zu ihrem Ehemann zu ziehen. Auch der Kontakt zu seinen inzwischen volljährigen Kindern, die der ASt. im Dezember 1993 und Dezember 1995 in Indien zuletzt persönlich gesehen hat, ist seit 2001 abgebrochen.

Im Ergebnis ist damit im Hinblick auf den langen Aufenthalt des ASt. in Deutschland und seine klare Entscheidung, weiterhin in Deutschland zu leben und nicht nach Sri Lanka zurückzukehren, ein „Domicile of Choice" in Deutschland begründet mit der Folge, dass auf seinen Scheidungsantrag deutsches Recht anzuwenden ist.

Hiernach hat das FamG zu Recht die Ehe der Parteien nach § 1565 I BGB geschieden. Die Ehe der Parteien ist zerrüttet, nachdem die Eheleute seit vielen Jahren getrennt leben. Nach § 1565 II BGB wird unwiderlegbar vermutet, dass die Ehe gescheitert ist, wenn die Ehegatten seit drei Jahren getrennt leben.

Somit ist die Berufung der AGg., soweit sie sich gegen die Ehescheidung wehrt, als unbegründet zurückzuweisen.

III. Dagegen ist die Berufung der AGg. begründet, soweit sie sich dagegen wehrt, dass das FamG von der Durchführung des Versorgungsausgleich abgesehen hat.

Die AGg. hat gemäß Art. 17 III S. 2 EGBGB den Antrag gestellt, den Versorgungsausgleich (Ausgleich von Anwartschaften auf eine Altersversorgung, die die Parteien während der Ehezeit erworben haben) durchzuführen, nachdem der ASt. aufgrund seiner Erwerbstätigkeit in Deutschland eine inländische Versorgungsanwartschaft erworben hat. Nach der Auskunft der Landesversicherungsanstalt [LVA] Baden-Württemberg v. 3. 9. 2003 hat er in der gesetzlichen [ges.] Rentenversicherung [RV] in der gemäß § 1587 II BGB maßgeblichen Ehezeit (1. 10. 1979 bis 31. 5. 2002) in der ges. RV Rentenanwartschaften i. H. von 192,48 € monatlich erworben.

Nach Art. 17 III S. 2 EGBGB ist der Versorgungsausgleich durchzuführen, soweit die Durchführung im Hinblick auf die beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse auch während der nicht im Inland verbrachten Zeit der Billigkeit nicht widerspricht. Die AGg. hat nach ihrer Darstellung keine Altersversorgung erworben. Im Hinblick darauf, dass sie während der Ehezeit die gemeinsamen Kinder (geb. 1981 und 1983) betreut hat, widerspricht die Durchführung des Versorgungsausgleich nicht der Billigkeit. Auch wenn man in Rechnung stellt, dass die vom ASt. erworbenen Rentenanwartschaften unter dem Sozialhilfeniveau liegen, ist die Durchführung des Versorgungsausgleich nicht unbillig, weil die AGg. keine Altersversorgung hat und somit ebenfalls darauf angewiesen ist, an der Altersversorgung des ASt. zu partizipieren.

Gemäß § 1587a II BGB steht der AGg. die Hälfte der vom ASt. in der Ehezeit erworbenen Rentenanwartschaften zu, somit ein Betrag von 96,24 € monatlich. Der Ausgleich erfolgt gemäß § 1587b I BGB, indem vom Versicherungskonto des ASt. bei der LVA auf ein für die AGg. noch einzurichtendes Versicherungskonto bei der Bundesversicherungsanstalt oder auf ihren Antrag bei einer LVA (§ 126 III SGBVI) monatliche Rentenanwartschaften i. H. von 96,24 € übertragen werden.

Die Durchführung des öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich scheitert auch nicht an § 1587b IV BGB. Denn mit der Übertragung monatlicher Rentenanwartschaften über 96,24 € überschreitet die AGg. die Wartezeit von 60 Monaten, die Voraussetzung für den Bezug einer Regelaltersrente ist. Und schließlich scheitert der Versorgungsausgleich auch nicht an dem Umstand, dass die ausgleichsberechtigte AGg. Ausländerin ist und ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat; denn nach dem in §§ 110 ff., 271 f., 317 ff. SGBVI geregelten Auslandsrentenrecht hat auch die im Ausland lebende AGg. einen Anspruch auf Rentenzahlungen aus der deutschen ges. RV.