Prozeßführungsbefugnis eines Miterben nach § 2039 BGB zur Vollstreckungsgegenklage bei Vollstreckung in ein Nachlaßgrundstück wegen Nachlaßerbenschulden; (subjektive) Reichweite der materiellen Rechtskraft


BGH, Urteil vom 5. April 2006 - IV ZR 139/05


Fundstelle:

NJW 2006, 1969
BGHZ 167, 150


Amtl. Leitsatz:

Ein einzelner Miterbe ist gemäß § 2039 Satz 1 BGB prozessführungsbefugt für eine Vollstreckungsgegenklage gemäß § 767 ZPO gegen die Zwangsvollstreckung in ein Nachlassgrundstück, wenn damit ein zum Nachlass gehörender Anspruch durchgesetzt werden soll (im Anschluss an BGHZ 14, 251).


Zentrale Probleme:

In der in Bezug auf die Geltendmachung von Nachlaßforderung nach § 2039 BGB sehr lehrreichen Entscheidung (s. zu diesem Thema auch BGH NJW 2005, 2779) geht es um die Frage, ob eine Miterbe alleine eine Vollstreckungsgegenklage nach § 767 Abs. 1 ZPO erheben kann, wenn mehrere Miterben eine Grundschuld an einem Nachlaßgrundstück bestellt haben und der Gläubiger in dieses vollstreckt. Zwar handelt es sich, so der BGH, hierbei nicht um einen Anspruch, sondern um eine prozessuale Gestaltungsklage. Da diese aber nur ein prozessuales Mittel zur Durchsetzung eines Anspruchs auf Rückübertragung/Aufhebung der Grundschuld darstellt, ist § 2039 BGB anwendbar (auf die Ausübung von Gestaltungsrechten wie Anfechtung, Rücktritt etc. wäre die Regelung nicht anwendbar!). Folge: Die Rechtskraft eines klageabweisenden Urteils würde nicht gegen den anderen Miterben wirken, im Prozeß kann er Zeuge sein, weil er nicht Partei ist.

©sl 2006


Tatbestand:

Der Kläger wendet sich im Wege der Vollstreckungsgegenklage gegen die Zwangsvollstreckung aus zwei Grundschulden.

Er ist mit seinem Bruder - dem vormaligen Kläger zu 2) - in ungeteilter Erbengemeinschaft Eigentümer eines Grundstücks. Hieran bestellten beide der beklagten Bank mit notariellen Urkunden vom 16. Januar und 14. April 1998 zwei Grundschulden über 400.000 DM bzw. 270.000 DM und unterwarfen sich der sofortigen Zwangsvollstreckung. Die Grundschulden sollten von der Beklagten an die B. GmbH ausgereichte Darlehen sichern. Der Kläger wirft der Beklagten vor, ihn über Liquiditätsprobleme der GmbH nicht aufgeklärt und insoweit getäuscht zu haben. Die finanzielle Situation sei ihr als Hausbank der - inzwischen insolventen - GmbH bekannt gewesen. Die Beklagte dürfe wegen Sittenwidrigkeit der Grundschuldbestellungen und bestehender Gegenansprüche auf Schadensersatz aus § 826 BGB und Verschulden bei Vertragsschluss (cic) nicht aus den Grundschulden vollstrecken; sie müsse diese Sicherheiten zurückgewähren. Zusätzlich hat der Kläger die Grundschuldbestellungen wegen arglistiger Täuschung angefochten, da er nicht über den - seiner Ansicht nach überhöhten -Grundschuldzins von 18% aufgeklärt worden sei.

Das Landgericht hat der Klage hinsichtlich der ersten Grundschuld stattgegeben, im Übrigen die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Vollstreckungsgegenklage insgesamt als unzulässig abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat es zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren insgesamt weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Das Berufungsgericht hält den Kläger nicht für allein prozessführungsbefugt. Diese Befugnis ergebe sich unter anderem nicht aus § 2039 Satz 1 BGB. Dessen Anwendungsbereich sei auf materiell-rechtliche Ansprüche beschränkt. Dafür sprächen prozessökonomische Erwägungen wegen sonst möglicher "Vervielfachung von Klageverfahren mit identischem Streitgegenstand" und ein Vergleich mit dem weiter gefassten § 2038 Abs. 1 Satz 2 BGB. Auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGHZ 14, 251) lägen die Voraussetzungen des § 2039 Satz 1 BGB nicht vor, da weder die Anfechtung der Grundschuldbestellungen noch deren Sittenwidrigkeit oder auf § 826 BGB oder cic gestützte Zurückbehaltungsrechte materiell-rechtliche Ansprüche seien. Im Übrigen stehe § 767 Abs. 3 ZPO, der in prozessualer Hinsicht lex specialis zu § 2039 BGB sei, Vollstreckungsabwehrklagen einzelner Miterben entgegen. Anderenfalls könnten nicht alle Einwendungen - die einzelner Miterben nach § 2039 BGB einerseits und die, wie etwa Gestaltungsrechte, gemäß § 2040 BGB zwingend von der gesamten Erbengemeinschaft vorzubringenden andererseits - gebündelt geltend gemacht werden.

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung bereits im Ansatz nicht stand.

1. Die Prozessführungsbefugnis des Klägers ergibt sich aus § 2039 Satz 1 BGB, der ihn berechtigt, in gesetzlicher Prozessstandschaft für die Erbengemeinschaft - und nicht etwa in Vertretung der übrigen Miterben - zum Nachlass gehörende Ansprüche ohne deren Mitwirkung auch klageweise geltend zu machen (einhellige Auffassung, vgl. BGH, Urteil vom 6. Oktober 2004 - XII ZR 323/01 - ZEV 2005, 63 unter 1 b; BGHZ 44, 367, 370 ff.; RGZ 149, 193, 194; BVerfG, NJW-RR 1998, 1081; BVerwG, Buchholz 424.01 § 149 FlurbG Nr. 5; Ann, Die Erbengemeinschaft S. 258; Soergel/Wolf, BGB 13. Aufl. § 2039 BGB Rdn. 9; Lohmann in Bamberger/Roth, BGB § 2039 Rdn. 2; Staudinger/Werner, BGB [2002] § 2039 Rdn. 25; MünchKomm-BGB/Heldrich, 4. Aufl. § 2039 Rdn. 20; Schlüter in Erman, BGB 11. Aufl. § 2039 Rdn. 1; Stürner in Jauernig, BGB 11. Aufl. § 2039 Rdn. 3). Die davon abweichende Auffassung des Berufungsgerichts überzeugt nicht; die von ihm dafür angeführten Gründe sind nicht tragfähig.

a) Die verschiedenen sprachlichen Fassungen der §§ 2038 Abs. 1 Satz 2 und 2039 Satz 1 BGB beruhen allein auf deren unterschiedlichen Regelungsbereichen. Sie rechtfertigen deshalb auch keine einschränkende Auslegung des § 2039 BGB, wie sie das Berufungsgericht vornehmen möchte. So reicht § 2038 BGB einerseits weiter als § 2039 BGB, da er nicht auf Ansprüche beschränkt ist, sondern auch rein tatsächliche und - anders als § 2039 BGB - auch belastende und nicht nur begünstigende Maßnahmen gestattet (vgl. Senatsurteil vom 28. September 2005 - IV ZR 82/04 - zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ 164, 181 Rdn. 12). Andererseits geht § 2039 Satz 1 BGB über § 2038 Abs. 1 Satz 2 BGB hinaus, indem er zur Geltendmachung eines Anspruchs durch einen einzelnen Miterben keine Dringlichkeit voraussetzt (vgl. BGH, Urteil vom 6. Oktober 2004 - XII ZR 323/01 - ZEV 2005, 63 unter 1 c bb). § 2039 Satz 1 BGB soll so gewährleisten, dass jeder Miterbe die durch Untätigkeit einzelner Miterben drohenden Nachteile abwenden kann, ohne selbst einen unberechtigten Sondervorteil zu haben und ohne erst umständlich auf Zustimmung der übrigen klagen zu müssen (Protokolle zum BGB Bd. V S. 864 f.; RGZ 149, 193, 194; Soergel/Wolf, aaO § 2039 BGB Rdn. 1).

b) Das Bündelungsgebot des § 767 Abs. 3 ZPO steht der durch § 2039 Satz 1 BGB gewährten Prozessführungsbefugnis nicht entgegen. Es bewirkt nur eine Präklusion von Einwendungen für spätere - wiederholte - Vollstreckungsgegenklagen (Zöller/Herget, ZPO 25. Aufl. § 767 Rdn. 22). Daraus ergibt sich entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts aber keine prozessuale Pflicht, alle möglichen Einwendungen schon im ersten Verfahren geltend zu machen, mit der Folge, dass bei Nichteinhaltung dieser Pflicht eine sonst gegebene Prozessführungsbefugnis entfiele.

c) Im Falle mehrerer Klagen einzelner Miterben hinsichtlich desselben Anspruchs können sich allerdings - prozessökonomisch gesehen - Reibungsverluste ergeben. Das liegt in der Natur des jeweils individuellen Streitgegenstandes. Danach erstreckt sich die Rechtskraft eines durch einen einzelnen Miterben nach § 2039 Satz 1 BGB erwirkten Urteils nicht auf die am Prozess nicht beteiligten Miterben (RGZ aaO; BFHE 156, 8, 10). Dies ist als notwendige Folge der gesetzlichen Regelung hinzunehmen (BVerwG RÜ BARoV 2003, 7; Ann, aaO S. 259; vgl. auch BGH, Urteil vom 21. Dezember 1988 - VIII ZR 277/87 - NJW 1989, 2133 unter II 2 b).

2. Die Auffassung des Berufungsgerichts, der Kläger mache keinen Nachlassanspruch im Sinne des § 2039 Satz 1 BGB geltend und sei deswegen daraus auch nicht prozessführungsbefugt, ist mit dem grundlegenden Urteil des Bundesgerichtshofes vom 13. Juli 1954 (BGHZ 14, 251) nicht zu vereinbaren.

a) Richtig ist allerdings, dass auch nach dieser Rechtsprechung, von der abzuweichen der Senat keinen Anlass sieht, Nachlassansprüche gemäß § 2039 Satz 1 BGB nur solche im Sinne des § 194 Abs. 1 BGB sein können. Das hindert einen einzelnen Miterben aber nicht schon grundsätzlich, eine prozessuale Gestaltungsklage zu erheben, wie sie die auf Beseitigung der einem Anspruch gewährten Vollstreckbarkeit gerichtete Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO i.V. mit §§ 794 Abs. 1 Nr. 5, 795, 797 ZPO darstellt (BGHZ 118, 229, 235 f.; 22, 54, 56). Zwar behält § 2040 BGB auch die Ausübung von Gestaltungsrechten der gesamten Erbengemeinschaft vor, doch gilt dies nur für rechtsgeschäftliche Verfügungen. Bei der Vollstreckungsgegenklage hat indes nur - wie bei der Nichtigkeitsklage aus § 579 ZPO (BGHZ 14, 251, 255) - das richterliche Urteil Gestaltungswirkung.

b) Die bloße Einkleidung der Vollstreckungsgegenklage als Rechtsgestaltungsklage kann - ebenso wie bei der Nichtigkeitsklage - nicht verhüllen, dass die Klage nur das Mittel ist, den vom Kläger behaupteten (materiellen) Anspruch durchzusetzen (vgl. BGHZ aaO). Dieser zielt darauf, die Unterlassung der Zwangsvollstreckung aus den Grundschulden und damit letztlich deren Rückgewähr zu erreichen. Für dieses sachlichrechtliche Begehren kommen Ansprüche aus der Sicherungsabrede (vgl. Wenzel, Sicherung von Krediten durch Grundschulden Rdn. 2410, 2421, 2426 m.w.N.), § 812 Abs. 1 BGB i.V. mit § 138 BGB, § 826 BGB oder cic in Betracht (vgl. BGHZ 151, 316, 327; BGH, Urteil vom 7. Mai 1987 - IX ZR 198/85 - NJW-RR 1987, 1291 unter 1). Mit seinem für das Revisionsverfahren als zutreffend zu unterstellenden Vortrag legt der Kläger deren Voraussetzungen hinreichend schlüssig dar. Solche im Zusammenhang mit der Bestellung von Grundschulden für ein Nachlassgrundstück stehende Ansprüche auf Rückgewähr oder entsprechenden Schadensersatz könnte jeder Miterbe nach § 2039 Satz 1 BGB geltend machen. Nichts anderes kann dann aber gelten, wenn diese Ansprüche nicht unmittelbar, sondern in der verfahrensrechtlichen Einkleidung einer Vollstreckungsgegenklage durchgesetzt werden sollen (vgl. BGHZ 14, 251; ausdrücklich zustimmend Soergel/Wolf, aaO § 2039 Rdn. 5, 8; vgl. auch MünchKomm-BGB/Heldrich, aaO § 2039 Rdn. 2, 19; Lange/Kuchinke, Erbrecht 5. Aufl. § 43 III 4 a).

3. Entgegen der Revision bestehen schließlich keine Zweifel, dass der vom Kläger verfolgte Anspruch zum Nachlass gehört. Diese Zugehörigkeit ist gegeben, wenn die Erbengemeinschaft als solche Rechtsträgerin des Anspruchs ist (BGHZ 23, 207, 212; Staudinger/Werner, aaO § 2039 Rdn. 7; Soergel/Wolf, aaO § 2039 Rdn. 3; MünchKomm-BGB/Heldrich, aaO Rdn. 3). Hier richtet sich der titulierte dingliche Anspruch aus §§ 1147, 1192 Abs. 1 BGB gegen die Miterbengemeinschaft, der das Eigentum am belasteten Grundstück zur gesamten Hand zusteht (§§ 2032 ff. BGB; Senatsurteil vom 27. Oktober 2004 - IV ZR 174/03 -NJW 2005, 284 unter 2 a). Ist aber die Gesamthand Schuldnerin eines Grundpfandrechts, so kann für einen Anspruch, der im Ergebnis auf die Rückabwicklung eben dieser Sicherheitenbestellung abzielt, nichts anderes gelten (vgl. BGH, Urteil vom 30. Oktober 1986 - IX ZR 126/85 - NJW 1987, 434 unter II 3 b zu § 2041 Satz 1 BGB; auch MünchKomm-BGB/Heldrich, aaO § 2039 Rdn. 2). Auch dieser Anspruch steht den Miterben zur gesamten Hand zu, er gehört zum Nachlass und kann vom Kläger allein für die Erbengemeinschaft geltend gemacht werden. Der damit möglich gewordenen Zeugenstellung seines Miterben (vgl. nur MünchKomm-BGB/Heldrich, aaO § 2039 Rdn. 20) kann im Rahmen der Beweiswürdigung hinreichend Rechnung getragen werden (vgl. BGH, Urteile vom 2. Oktober 1987 - V ZR 182/86 - NJW-RR 1988, 126 unter II 2 b; vom 12. Dezember 1987 - II ZR 21/87 - NJW 1988, 1585 unter II 1).