Gutglaubensschutz bei der Zession bei mehrfacher Abtretung (§ 408 BGB); Bereicherungsausgleich nach § 816 II BGB


BGH, Urteil vom 22. Oktober 2015 - IX ZR 171/14


Fundstelle:

noch nicht bekannt


Amtl. Leitsatz:

Der Sicherungszessionar, dessen Forderung nach nochmaliger, an sich unwirksamer Abtretung gemäß §§ 408, 407 BGB erloschen ist und dessen dadurch entstandener Bereicherungsanspruch aus § 816 Abs. 2 BGB infolge einer erfolgreichen Insolvenzanfechtung wegen Wegfalls der Bereicherung des Bereicherungsschuldners nicht mehr durchsetzbar ist, hat gegen den Verwalter Anspruch auf Herausgabe des Erlangten.


Zentrale Probleme:

Der Fall betrifft eine spezielle insolvenzrechtliche Konstellation, die im Studium nur für den entsprechenden Schwerpunktbereich von Interesse sein dürfte und auf die deshalb hier nicht weiter eingegangen wird. Die zessionsrechtliche Grundproblematik und die bereicherungsrechtlichen Folgen sollte man aber "drauf haben": Der Sicherungszedent tritt eine bereits sicherungshalber an den Sicherungszessionar (Z 1) abgetretene Forderung erneut an Z 2 ab. Der Schuldner der abgetretenen Forderung, der keine Kenntnis hiervon hat, zahlt an Z 2. Der immer noch gutgläubige Z 2 leitet dann den Betrag (aus insolvenzrechtlichen Gründen) an den Zedenten (der nunmehr in der Insolvenz ist) zurück: Der Schuldner ist hier nach §§ 408 I, 407 I BGB durch Zahlung an Z 2 befreit. Z 1 hat jetzt gegen Z 2 einen Anspruch auf Herausgabe aus § 816 II BGB, dem Z 2 allerdings § 818 III BGB entgegenhalten kann, weil er den Betrag an den Sicherungszedenten (bzw. dessen Insolvenzverwalter) herausgegeben hat und deshalb nicht mehr bereichert ist (was wiederum insolvenzrechtliche Gründe hat). Folge. Anspruch von Z 1 gegen den Zedenten (bzw. den Insolvenzverwalter) aus Nichtleistungskondiktion, d.h, Bereicherung "in sonstiger Weise" (§ 812 I S. 1 Alt. 2 BGB) - schönes Dreieck (oder besser: Viereck)!

©sl 2016


Tatbestand:

1 Die klagende S. war die Hausbank der G. G. mbH (fortan: Schuldnerin). Am 20. Januar 1997 trat ihr die Schuldnerin zur Sicherung aller Ansprüche aus bankmäßiger Geschäftsverbindung sämtliche gegenwärtigen und künftigen Ansprüche aus Warenlieferungen und Leistungen gegen alle Kunden und Schuldner mit den Anfangsbuchstaben A bis Z ab. Mit Schreiben vom 24. Juni 2004 gab die Klägerin die von der Globalzession erfassten Forderungen der Schuldnerin gegen das H. aus den Auftragslosen 1, 4, 7 und 9 frei.
Hintergrund war eine vom zuständigen Finanzamt ausgebrachte Kontenpfändung, die durch die Abtretung der freigegebenen Forderungen abgewendet werden sollte. Die Schuldnerin trat neben den freigegebenen Forderungen auch die Forderungen aus dem Auftragslos 2 an das Finanzamt ab. In der Zeit vom 17. November 2004 zum 25. Januar 2005 zahlte das H. Beträge von insgesamt 143.193,37 € auf Forderungen aus dem Los 2 an das Finanzamt.

2 Auf Antrag vom 31. Januar 2005 wurde am 1. März 2005 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Das Finanzamt gewährte die insgesamt erhaltenen 143.193,37 € infolge der geltend gemachten Insolvenzanfechtung an die Insolvenzmasse zurück.

3 Nunmehr verlangt die Klägerin - soweit im Revisionsverfahren noch von Belang - die Zahlung von 127.519,66 € nebst Zinsen, wobei sie eine Feststellungs- und Verwertungspauschale von 9 v.H. in Abzug gebracht hat. Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage insgesamt abgewiesen. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision will die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erreichen.

Entscheidungsgründe:

4 Die Revision führt im Ergebnis zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

I.

5 Das Berufungsgericht hat ausgeführt (NZI 2014, 861): Ein Anspruch aus § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO stehe der Klägerin nicht zu, denn der Beklagte habe keine Forderung verwertet, an der ein Absonderungsrecht bestanden habe. Auch ein Ersatzabsonderungsrecht entsprechend § 48 InsO stehe der Klägerin nicht zu. Durch die Zahlung der Drittschuldnerin an das Finanzamt sei die Schuldnerin von Steuerschulden in entsprechender Höhe freigeworden. Eine Verminderung der Passiva stelle jedoch keine im Sinne von § 48 Satz 2 InsO unterscheidbar in der Masse vorhandene Gegenleistung dar. An dem im Wege der Anfechtung zur Masse gelangten Betrag sei kein neues Absonderungsoder Ersatzabsonderungsrecht der Klägerin entstanden.

II.
6 Diese Ausführungen halten zwar einer rechtlichen Prüfung stand, übersehen jedoch die klagebegründende Anspruchsgrundlage.

7 1. Der Klägerin steht kein Absonderungs- oder Ersatzabsonderungsrecht an den Beträgen zu, die der Beklagte im Wege der Anfechtung zur Masse gezogen hat.

8 a) Nach § 48 InsO kann der Aussonderungsberechtigte, dessen Recht durch eine Verfügung des Schuldners oder des Verwalters vereitelt worden ist, die Abtretung des Rechts auf die Gegenleistung verlangen, soweit diese noch aussteht. Er kann die Gegenleistung aus der Masse verlangen, soweit sie dort noch unterscheidbar vorhanden ist. Auf Absonderungsrechte ist die Vorschrift des § 48 InsO entsprechend anwendbar (BGH, Urteil vom 19. Januar 2006 - IX ZR 154/03, ZIP 2006, 959 Rn. 16, 21 ff).

9 Die Klägerin, der die Werklohnforderungen aus dem Auftragslos 2 zur Sicherheit abgetreten worden waren und die insoweit nicht auf ihre Rechte verzichtet hatte, stand ein Recht zu, welches gemäß § 51 Nr. 1 InsO nach der Eröffnung zur abgesonderten Befriedigung berechtigt hätte. Mit der erneuten Abtretung dieser Forderungen an das Finanzamt, welches sie mit Wirkung auch gegenüber der Klägerin eingezogen hat, hat die Schuldnerin unberechtigt über sie verfügt. Die Abtretung war zwar mangels Verfügungsberechtigung der Schuldnerin zunächst unwirksam, während § 48 InsO eine wirksame Verfügung voraussetzt (MünchKomm-InsO/Ganter, 3. Aufl., § 48 Rn. 43; Jaeger/Henckel, InsO, § 48 Rn. 40 f; HK-InsO/Lohmann, 7. Aufl., § 48 Rn. 7). Die Zahlungen, welche die Drittschuldnerin an das Finanzamt geleistet hat, führten dann aber gemäß §§ 408, 407 Abs. 1 BGB zum Erlöschen der Forderungen auch mit Wirkung gegenüber der Klägerin.

10 Es fehlt jedoch an einer unterscheidbar in der Masse vorhandenen Gegenleistung, die Gegenstand einer Ersatzabsonderung sein könnte. Die Schuldnerin ist in Höhe der geleisteten Zahlungen von Steuerforderungen frei geworden. Ihre Verbindlichkeiten haben sich verringert. Damit mag sich der Wert ihres Vermögens erhöht haben. Eine Wertsurrogation sieht § 48 InsO aber gerade nicht vor (vgl. MünchKomm-InsO/Ganter, 3. Aufl., § 48 Rn. 5; Schmidt/Thole, InsO, 18. Aufl. § 48 Rn. 6).

11 b) An dem Anfechtungsanspruch aus §§ 143, 129 ff InsO und dem hierbei erzielten Erlös hat die Klägerin keine Rechte erworben. Der Anfechtungsanspruch entsteht originär mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, stellt damit kein Surrogat des zuvor durch Zahlung erloschenen Absonderungsrechts der Klägerin dar.

12 2. Der Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf Zahlung von 127.519,66 € nebst Zinsen folgt aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 BGB, § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO.

13 a) Der Beklagte hat die im Wege der Insolvenzanfechtung erlangten Beträge unmittelbar auf Kosten der Klägerin erlangt.

14 aa) Bis zur Rückgewähr der 127.519,66 € zur Masse stand der Klägerin gegen das Finanzamt ein Anspruch aus § 816 Abs. 2 BGB auf Herausgabe dieses Betrages zu. Das Finanzamt hatte die wegen der vorgehenden Sicherungszession nicht wirksam abgetretenen Werklohnforderungen, die das Los 2 betrafen, unberechtigt eingezogen. Gemäß § 408, 407 Abs. 1 BGB musste die Klägerin die Zahlungen gegen sich gelten lassen. Das Finanzamt hätte die erlangten Beträge deshalb an die Klägerin herausgeben müssen.

15 bb) Dieser Anspruch der Klägerin gegen das Finanzamt ist durch dessen Zahlungen an den Beklagten entfallen.

16 (1) In welchem Verhältnis die Ansprüche des Sicherungszessionars aus § 816 Abs. 2 BGB und des Verwalters aus § 143 InsO zueinander stehen, ist gesetzlich nicht geregelt. Der Senat hat jedoch bereits entschieden, dass der Verwalter nicht gemäß oder entsprechend § 166 Abs. 2 InsO berechtigt ist, den Anspruch des Sicherungszessionars aus § 816 Abs. 2 BGB geltend zu machen. Der Anspruch aus § 816 Abs. 2 BGB stellt kein Surrogat des durch Zahlung an einen nachrangigen Abtretungsempfänger erloschenen Anspruchs dar und gehört nicht zur Masse. Der Verwalter kann deshalb nur aus abgetretenem Recht des Sicherungszessionars oder als dessen Prozessstandschafter tätig werden (BGH, Urteil vom 15. Mai 2003 - IX ZR 218/02, WM 2003, 1367, 1368; Be-schluss vom 25. September 2003 - IX ZR 213/03, NZI 2004, 29; ebenso HK-InsO/Landfermann, 7. Aufl., § 166 Rn. 27; Uhlenbruck/Brinkmann, InsO, 14. Aufl., § 166 Rn. 29). Im Urteil vom 15. Mai 2003 hat der Senat nicht angenommen, dass die Geltendmachung des Anspruchs aus § 816 Abs. 2 BGB aus abgeleitetem Recht des Sicherungszessionars bei bestehendem Anfechtungsrecht ausgeschlossen wäre. Das Bestehen eines Anfechtungsrechts hat er dahin gestellt sein lassen und einen Vorrang des Anfechtungsanspruchs nicht angenommen. In einem anderen Fall, in welchem eine zur Sicherheit abgetretene Forderung erneut abgetreten und durch Zahlung des Drittschuldners an den zweiten Abtretungsempfänger erloschen war, hat der Senat einen Anfechtungsanspruch aus § 143 Abs. 1, §§ 129 ff InsO gegen diesen unabhängig vom Anspruch des Sicherungszessionars aus § 816 Abs. 2 BGB bejaht (vgl. BGH, Urteil vom 29. September 2011 - IX ZR 74/09, NZI 2011, 855). Danach bestehen beide Ansprüche unabhängig voneinander. Der Zahlungsempfänger, der keinen der beiden Ansprüche erfüllt hat, kann sich gegen eine Inanspruchnahme nicht mit dem Bestand des jeweils anderen Anspruchs verteidigen.

17 (2) Ist der Zahlungsempfänger, wie hier das Finanzamt, aufgrund des Anfechtungsanspruchs auf Rückgewähr zur Masse in Anspruch genommen worden und hat er diesen Anspruch erfüllt, kann er sich gegenüber dem Anspruch des Sicherungszessionars, hier der Klägerin, gemäß § 818 Abs. 3 BGB auf Entreicherung berufen (HmbKomm-InsO/Büchler, 5. Aufl., § 166 Rn. 15 f). Dies gilt unabhängig davon, ob dem Anfechtungsanspruch oder dem Anspruch aus § 816 Abs. 2 BGB der Vorrang gebührt (aA Primozic/Schwab, NZI 2011, 927, 928; Freitag, NZI 2014, 862, 863). Der Bereicherungsanspruch der Klägerin ist also mit der Zahlung an den Beklagten erloschen.

18 b) Der Beklagte hat die Zahlungen des Finanzamtes ohne rechtlichen Grund erlangt. Der Anspruch des Beklagten gegen das Finanzamt aus § 143 Abs. 1, § 131 Abs. 1 oder § 133 Abs. 1 InsO auf Rückgewähr oder Wertersatz stellte im Verhältnis zur Klägerin keinen Rechtsgrund dar. Gegenüber Dritten begründet die Insolvenzanfechtung keinen rechtlichen Grund für das Behaltendürfen des Anfechtungsgegenstandes (vgl. BGH, Urteil vom 16. Oktober 2014 - IX ZR 282/13, WM 2014, 2189 Rn. 10 ff; vom 8. Januar 2015 - IX ZR 300/13, ZIP 2015, 485 Rn. 17 f; zur fehlenden dinglichen Wirkung vgl. MünchKomm-InsO/Kirchhof, 3. Aufl., Vor §§ 129-147 Rn. 39).

19 c) Rechtsfolge des Anspruchs aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 BGB ist die Verpflichtung zur Herausgabe des Erlangten. Da die streitgegenständlichen Beträge erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Masse gelangt sind, stellt der Bereicherungsanspruch der Klägerin gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO eine Masseverbindlichkeit dar (vgl. BGH, Urteil vom 29. Januar 2015 - IX ZR 258/12, WM 2015, 385 Rn. 16, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt). Gegen die Forderungsberechnung hat der Beklagte keine Einwände mehr erhoben.

20 d) Dieses Ergebnis steht nicht im Widerspruch zum Senatsurteil vom 29. September 2011 (IX ZR 74/09, NZI 2011, 855). Auch in dem Fall, der dieser Entscheidung zugrunde lag, hatte die spätere Insolvenzschuldnerin eine bereits sicherungsabgetretene Werklohnforderung erfüllungshalber an eine Gläubigerin abgetreten, welche die Forderung einzog. Der Verwalter focht die Zahlung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO an. Der Senat hat trotz der vorangegangenen Sicherungsabtretung eine Gläubigerbenachteiligung gemäß § 129 Abs. 1 InsO bejaht, weil die Sicherungszessionarin zwar gemäß § 51 Nr. 1, § 50 Abs. 1 InsO zur abgesonderten Befriedigung berechtigt sei, das Recht zur Einziehung oder anderweitigen Verwertung jedoch gemäß §166 Abs. 2 InsO dem Verwalter zustehe. Dieses Recht verkörpere einen selbständigen, im Kern geschützten Vermögenswert, welcher der Masse durch die Zahlung an die Gläubigerin entgangen sei. Dass die Leistungen des Drittschuldners an die Gläubigerin (hier: an das Finanzamt) trotz der vorangegangenen Sicherungszession anfechtbar waren, sagt jedoch nichts dazu, ob die Masse den zurückgewährten Betrag behalten darf oder aber an die Sicherungszessionarin auszukehren hat. Die Entscheidung ist teilweise zwar im erstgenannten Sinne verstanden worden (vgl. etwa Habereder, EWiR 2012, 291, 292; Freitag, NZI 2014, 862; aA etwa Dahl, NJW-Spezial 2011, 758; iE auch Primozic/Schwab, NZI 2011, 927, 928). Auch insoweit gilt jedoch, dass die Anfechtung als solche nur im Verhältnis der Insolvenzmasse zum Anfechtungsgegner einen Rechtsgrund darstellt, nicht gegenüber insoweit unbeteiligten Dritten (vgl. auch BGH, Urteil vom 16. Oktober 2014 - IX ZR 282/13, WM 2014, 2189 Rn. 12 ff).

21 e) Ein Wertungswiderspruch folgt auch nicht daraus, dass das Absonderungsrecht der Klägerin dann, wenn die Schuldnerin die fraglichen Forderungen vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens - wozu sie berechtigt gewesen wäre - selbst eingezogen hätte, ersatzlos erloschen wäre. So lag der Fall hier nicht. Hätten die Forderungen nach der Eröffnung noch bestanden, hätte die Klägerin ein Absonderungsrecht gehabt. So lag der Fall hier allerdings ebenfalls nicht. Die Schuldnerin hatte die Forderungen unberechtigt nochmals abgetreten, woraufhin sie unrechtmäßig eingezogen worden sind. Der Anspruch der Klägerin aus § 816 Abs. 2 BGB, der sich nach vollzogener Insolvenzanfechtung als Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 BGB gegen die Masse fortsetzt, kann nicht mit der Begründung verneint werden, dass in anderen Fallkonstellationen kein Anspruch oder ein Anspruch in anderer rechtlicher Ausgestaltung bestanden hätte.

III.

22 Das angefochtene Urteil kann deshalb keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Aufhebung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat selbst in der Sache zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts wird zurückgewiesen.