Bereicherungsrechtliche Mehrpersonenverhältnisse ("Anweisungslage"): Kein "Vorrang der Leistungsbeziehung" bei irrtümlicher Doppelausführung eines Überweisungsauftrags durch eine Bank: Empfängerhorizont contra Zurechnung bei Nichtvorliegen einer Anweisung


OLG Frankfurt a.M. Zivilsenat Darmstadt, Urteil vom 29. 11. 2002 - 24 U 91/01


Fundstelle:

 

NJOZ 2003, 346


Amtl. Leitsätze:

 

1. Führt eine Bank einen ihr erteilten Überweisungsauftrag versehentlich zweimal aus, so hat die bereicherungsrechtliche Abwicklung unmittelbar zwischen der Bank und dem Überweisungsempfänger stattzufinden.

2. Die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Ausschlusses der „Eingriffskondiktion“ wegen des Vorranges der Leistungskondiktion hat der Zahlungsempfänger nachzuweisen.


Zentrale Probleme:

 

Die Klägerin, eine Bank, führt einen Überweisungsauftrag des Schuldners (S) an den Beklagten (Gläubiger) irrtümlich zwei Mal aus. Auch der Betrag der zweiten Überweisung war vom Schuldner tatsächlich geschuldet, er hatte aber die Überweisung nicht veranlaßt. Der Gl. hielt die zweite Überweisung hingegen für eine vom Schuldner veranlaßte Zahlung auf die noch ausstehende Forderung. Die Kl. (Bank) fordert den Betrag der zweiten Überweisung vom Bekl. zurück. Das Gericht bejaht zutreffend einen solchen Anspruch, der sich aus einer Kondiktion wegen Bereicherung "in sonstiger Weise" ergibt. Trotz des tatsächlichen Bestehens einer Schuld im (Valuta-)Verhältnis zwischen S und dem Bekl. liegt nämlich keine vorrangige "Leistung" des S an den Bekl. vor. Zwar konnte letzterer aus dem Empfängerhorizont von einer solchen ausgehen, jedoch ist dieser Eindruck mangels Zurechenbarkeit an den (nur scheinbar leistenden) S nicht ausreichend, ein "Leistungsverhältnis" zwischen S und dem Bekl. zu begründen. S. zum Ganzen die ausf. Anmerkung die Anm. zu BGH NJW 2003, 582 sowie BGHZ 40, 272, BGHZ 111, 382 = NJW 1990, 3194; BGH NJW 2001, 2880. Zu einem ähnlichen Sachverhalt s. BGH v. 29.4.2008 - XI ZR 371/07.
 

sl 2003


Zum Sachverhalt:

 

Der Bekl. entwickelt und vermietet Arbeitsmaschinen. Er stellte einer Fa. R in A. (Österreich) für mehrere Monate eine Holzeinschlagmaschine zur Verfügung. Man einigte sich darauf, dass vorläufig 20000 DM monatlich als Abschlag auf die Schlussrechnung gezahlt werden sollten. Die Fa. R zahlte sehr schleppend. Die Abschlagszahlung für Oktober 1998 erfolgte erst im Dezember 1998; die Zahlung für November 1998 erfolgte am 5./7. 1. 1998, dies jeweils über die kl. Bank. Am 8./11. 1. 1998 führte die Kl. erneut eine Überweisung an den Bekl. aus, dies wiederum über 20000 DM. Mit Schreiben vom 20. 1. 1999 forderte die Kl. den Bekl. zur Rückzahlung auf; sie habe ein- und denselben Überweisungsauftrag versehentlich zweimal ausgeführt. Die Bekl. wies das Ansinnen der Kl. mit Schreiben vom 29. 1. 1999 zurück und führte aus, die Zahlung vom 8./11. 1. 1999 habe dem Ausgleich der Abschlagsrechnung für Dezember 1998 gedient: Der Inhaber ihrer Kundin, Herr R habe im Rahmen einer Unterredung am 10. 1. 1999 versichert, er habe sämtliche noch ausstehende Abschlagszahlungen aus dem vierten Quartal 1998 veranlasst. Die Kammer hat im Rechtshilfewege zwei Zeugen über die Frage vernehmen lassen, ob die zweite Überweisung - 8./11. 1. 1999 - versehentlich erfolgt oder durch einen Überweisungsauftrag gedeckt gewesen sei.

Die Kammer hat den Bekl. antragsgemäß verurteilt.

Die Berufung hatte keinen Erfolg.

 

Aus den Gründen:

 

Die Berufung des Bekl. ist unbegründet. Die Kammer hat ihn zu Recht zur Rückzahlung der am 8./11. 1. 1998 überwiesenen 20000 DM an die Kl. verurteilt.

1. Durch diese Überweisung erlangte der Bekl. auf Kosten der Klägerin den überwiesenen Betrag; um ihn ist er ungerechtfertigt bereichert, da es im Verhältnis des Bekl. zur Kl. keinen Rechtsgrund für die Überweisung gab - sie schuldete ihm nichts.

2. Der hieraus folgende Herausgabeanspruch der Kl. wegen ungerechtfertigter Bereicherung „in sonstiger Weise“ (§ 812 I 1 BGB) ist nicht unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des „Vorrangs der Leistungskondiktion“ ausgeschlossen. Zwar scheidet in Fällen, in denen - wie hier - außerhalb einer unmittelbaren Leistungsbeziehung die eine Partei etwas auf Kosten der anderen Partei rechtsgrundlos erlangt hat, ein Bereicherungsausgleich unter diesen Parteien dann aus, wenn die Vermögensverschiebung ihre Grundlage in der Leistungsbeziehung des Empfängers zu einem anderen Beteiligten hat; bereicherungsrechtlich genießt die Leistungskondiktion stets den Vorrang vor der sog. Eingriffskondiktion (Bereicherung in sonstiger Weise; BGHZ 40, 272; Palandt/Sprau, BGB, 61. Aufl. [2000], § 812 Rdnr. 2). Dass die Zahlung der Kl. sich aber einer Leistungsbeziehung eines anderen Beteiligten zum Bekl., nämlich einer Leistungsbeziehung der Firma R, A, zum Bekl. zuordnen ließe, hat sich tatbestandlich nicht ergeben.

a) Die Übermittlung des umstrittenen Betrages am 8./11. 1. 1998 - auf die unstreitig von der Firma R veranlasste Überweisung vom 5./7. 1. 1998 folgend - lässt sich nicht als Leistung, als zweckgerichtete Zuwendung aus dem Vermögen der Firma R an den Bekl. (zum Leistungsbegriff vgl. BGHZ 111, 382 = NJW 1990, 3194; OLG Bamberg, NJW-RR 2001, 129) verstehen. Eine solche Zuordnung der Überweisung würde voraussetzen, dass die Firma R (über ihre Hausbank) die Kl. angewiesen hätte, den streitigen Betrag zu überweisen. Nur auf der Grundlage einer vom Kontoinhaber - bzw. des von ihm beauftragten Bankinstituts - erteilten Anweisung wird die bankmäßige Übermittlung von Geld zu einer Leistung des Kontoinhabers an den Geldempfänger, denn die überweisende Bank handelt für alle Beteiligten offensichtlich nicht, um eigene Vermögenswerte an den Empfänger zu übertragen, vielmehr, um Geld des Anweisenden an den Empfänger zu übermitteln (BGHZ 61, 289; BGHZ 89, 376; BGHZ 111, 382 = NJW 1990, 3194; BGHZ 147, 145 = NJW 2001, 1855; OLG Bamberg, NJW-RR 2001, 129).

b) Die Auffassung des Bekl., er habe die Überweisung guten Gewissens als Leistung der Firma R verstehen dürfen, weil die Firma R ihm in der Tat (auch den am 8./11. 1. 1998) überwiesenen Betrag schuldete, begründet eine Zurechnung der Zahlung an die Firma R, damit eine Einbindung in eine Leistungsbeziehung der Firma R zum Bekl. und zugleich einen Ausschluss eines Bereicherungsausgleichs in sonstiger Weise zwischen der Kl. und dem Bekl. nicht. Denn der gute Glaube des Überweisungsempfängers - der so genannte Empfängerhorizont - kann die für eine Zurechnung zu einer Leistungsbeziehung notwendige Anweisung des Kontoinhabers - des Schuldners - nicht ersetzen (BGHZ 147, 145 = NJW 2001, 1855; OLG Bamberg, NJW-RR 2001, 129).

Dass der gute Glaube des Bekl. eine wirkliche Anweisung - einen Überweisungsauftrag - der Firma R widergespiegelt hätte, hat sich nicht feststellen lassen. Die auf Ersuchen der Kammer vernommenen Zeugen R und N haben nicht bestätigt, dass auch für die hier umstrittene - die „zweite“ - Überweisung ein Auftrag der Firma R erteilt worden wäre; sie haben es vielmehr - auf die Vernehmungsprotokolle sei verwiesen - ausdrücklich verneint, und der Zeuge N hat in diesem Zusammenhang im Einzelnen dargestellt, wie es zu der versehentlichen Zweitausführung des (nur) einen Auftrages gekommen sei. Auch das vom Bekl. nunmehr vorgelegte Telefaxschreiben der Raiffeisenbank A vom 11. 1. 1999 belegt die Behauptung des Bekl. nicht, die zweite Überweisung sei von einem eigenen Auftrag gedeckt gewesen. Das Telefaxschreiben belegt allenfalls das Gegenteil, ist dort doch unter dem 11. 1. 1999 nur von einer Überweisung in Höhe von 20000 DM am 5. 1. 1999 die Rede. Wären bis zum 11. 1. 1999 zwei Aufträge eingegangen - neben dem vom 5. 1. noch ein solcher vom 8. 1. - dann hätte nichts näher gelegen, als auch diesen Auftrag zu erwähnen.

c) Dem in zweiter Instanz eingeführten Beweisangebot, gerichtet auf Vernehmung des Zeugen H zum Beweise der Behauptung, der Kunde des Bekl. R habe vor dem 10. 1. 1999 „hoch und heilig“ versichert, er habe den Anschlag für Dezember 1998 angewiesen - zu verstehen als zweite Überweisung -, ist nicht nachzugehen. Die Behauptung kann als wahr unterstellt werden; aus ihr, nämlich der bloßen Indiztatsache, dass der Zeuge R die zitierte Zusicherung in der Tat gegeben habe, würde sich die Haupttatsache, dass er die Anweisung wirklich erteilt hätte, aber nicht erweisen.

Wie der Bekl. nämlich selbst hervorhebt, war auf die Zusagen seines Kunden R nichts zu geben; er hatte schon in der Vergangenheit nur verzögert gezahlt und Zahlungszusagen nicht eingehalten; er soll selbst vor Gericht - so der Kl. ausdrücklich mit Bezug auf die Äußerungen des Zeugen R vor dem Rechtshilfegericht - gelogen haben. Auf dieser Grundlage spricht nichts für die Annahme, die vor dem 10. 1. 1999 gegebene Zusicherung des Kunden habe - dieses eine Mal und ausnahmsweise - der Wahrheit entsprochen.

d) Die Nichterweislichkeit seiner Behauptung, die Überweisung vom 8./11. 1. 1998 sei von einer Anweisung - einem Überweisungsauftrag der Kundin - getragen gewesen, fällt dem Bekl. zur Last. Denn der Ausschluss des in seinen Voraussetzungen erfüllten Anspruchs auf Herausgabe einer in sonstiger Weise erlangten Bereicherung infolge Vorranges der Leistungskondiktion ist in seinen tatsächlichen Voraussetzungen durch den Zahlungsempfänger nachzuweisen. Er ist die Partei, der die Tatsachen günstig wären, die die Zahlung als Leistung eines anderen Beteiligten erscheinen ließen.