Auflockerung des Deliktsstatuts nach Art. 41 I, II Nr. 2 EGBGB

LG Berlin, Urteil vom 8. 4. 2002 - 58 S 269/01


Fundstellen:

NJW-RR 2002, 1107
JuS 2002, 1126 mit Anm. Hohloch


(Eigener) Leitsatz:

Zur Anwendbarkeit deutschen Deliktsrechts bei einem Verkehrsunfall im Ausland, wenn beide am Unfall beteiligte Fahrzeuge in Deutschland zugelassen und versichert sind und der Geschädigte seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort in Deutschland hat.


Zum Sachverhalt:

Der Kl. macht Ansprüche auf restlichen Schadensersatz auf Grund eines Verkehrsunfalls vom 6. 6. 2000 in Oppeln/Polen geltend. Der Kl. war der Eigentümer des Pkw Passat mit dem amtlichen Kennzeichen B … . Bei der Bekl. war das Kfz Ford Transit mit dem amtlichen Ausfuhrkennzeichen der Stadt Kleve haftpflichtversichert. Der Versicherungsnehmer der Bekl. fuhr auf das Heck des klägerischen Fahrzeugs auf. Der klägerische Pkw erlitt dabei einen Totalschaden. Die Bekl. regulierte den Fahrzeugschaden sowie Gutachterkosten und Standkosten durch Zahlung in Höhe von 12414,78 DM. Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kl. den Ausgleich restlicher Schäden, die er mit Anwaltskosten in Höhe von 1447,10 DM, Kosten der An- und Abmeldung in Höhe von 200 DM, einer Kostenpauschale und Nutzungsausfall von 35 Tagen in Höhe von 3395 DM beziffert.
Das AG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Kl. hatte nach Teilrücknahme Erfolg.

Aus den Gründen:

Der Kl. kann von der Bekl. die Zahlung von 1751,17 Euro aus § 7 I und § 17 I StVG sowie aus § 3 Nr. 1 PflVG wegen des Unfallgeschehens vom 6. 6. 2000 in Polen verlangen. Die Einstandspflicht der Bekl. für den Unfallschaden des Kl. dem Grunde nach ist zwischen den Parteien unstreitig. Dem Kl. steht sowohl die ebenfalls der Höhe nach unstreitige Nutzungsausfallentschädigung von 3395 DM als auch die geltend gemachte Kostenpauschale von 30 DM zu. Denn für die Regulierung der Ansprüche des Geschädigten ist in der hier vorliegenden Konstellation die Anwendung deutschen Rechtes nach Art. 41 EGBGB gerechtfertigt. Danach kann ausnahmsweise von der Anwendung des Tatortrechts abgesehen werden, wenn mit dem Recht eines anderen Staates eine wesentlich engere Verbindung besteht als mit demjenigen des Tatortes, Art. 41 I EGBGB. In diesem Fall findet das Recht dieses anderen Staates Anwendung. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn unter Berücksichtigung der Gesamtumstände zwischen den Beteiligten eine besondere rechtliche oder tatsächliche Beziehung im Zusammenhang mit dem Schuldverhältnis besteht, die enger ist als der Zusammenhang zu dem Tatort, Art. 41 II Nr. 1 EGBGB. Ein solcher Fall liegt hier vor. Denn beide am Unfall beteiligte Fahrzeuge waren in Deutschland zugelassen und auch dort versichert, und der geschädigte Kl. hat noch zusätzlich seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort in Deutschland.
Die Zulassung der Unfallfahrzeuge in demselben Land wäre für die Abweichung vom Tatortrecht allein allerdings nicht ausreichend. Dies würde nur dann für die Anwendung der „engeren Beziehung“ genügen, wenn mehr als zwei an einem Verkehrsunfall beteiligte Fahrzeuge in demselben Staat zugelassen sind (vgl. BT-Dr 14/343 zu Art. 40 II EGBGB). Aber auch dann, wenn nur zwei am Unfall beteiligte Fahrzeuge in demselben Staat zugelassen sind, ist dies immerhin als ein Indiz für das Bestehen einer engen Beziehung zu diesem Staat zu werten (Palandt/Heldrich, BGB, 61. Aufl., Art. 40 EGBGB Rdnr. 6). Kommt außerdem zu der Zulassung in demselben Staat noch ein weiterer Umstand hinzu, der eine Beziehung zu diesem Staat herstellt, z.B. noch ein gemeinsames Vertragsrecht für beide Unfallbeteiligte, dann ist eine Näherbeziehung zum abweichenden Recht vom Tatort begründet (Spickhoff, NJW 1999, 2209 [2213]; ebenso Looschelders, VersR 1999, 1316 [1320]). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Außerdem hat der Geschädigte - wie bereits erwähnt - sogar noch seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort in Deutschland, so dass noch ein weiterer Umstand für die Anwendung deutschen Rechts spricht.
Schließlich steht der Anwendung von deutschem Recht im Ergebnis auch keine Beeinträchtigung des Schädigers entgegen. Da er auf Grund seiner Versicherung ohnehin Versicherungsschutz nach deutschem Recht genießt, stehen seine Interessen nicht gegen die Anwendung von Art. 41 EGBGB. Ihm erwächst kein Nachteil daraus. Die noch währende Dauer des Versicherungsschutzes ist dagegen unerheblich, so dass es keine Rolle spielt, dass es sich um ein zeitlich begrenztes Versicherungsverhältnis gehandelt hat.