Anfechtung der Erbausschlagung (§ 1954 ff BGB): "Rechtsfolgenirrtum" als Inhaltsirrtum nach § 119 I BGB in Abgrenzung vom unbeachtlichen Motivirrtum; Unwirksamkeit der Ausschlagung unter einer Bedingung (§ 1947 BGB)


OLG Düsseldorf, Beschluß vom 17. 9. 1997 - 3 Wx 287-97


Fundstelle:

NJW-RR 1998, 150
FamRZ 1998, 387


Amtl. Leitsatz:

Schlägt ein testamentarischer Erbe die Erbschaft in der Annahme aus, dadurch gerieten im Testament angeordnete Auflagen in Wegfall und er sei „befreiter“ gesetzlicher Erbe, so kann darin ein zur Anfechtung berechtigender Irrtum liegen.


Zum Sachverhalt:

Mit privatschriftlichem Testament vom 16. 1. 1996 setzte die Erblasserin die Bet. zu 1, ihre Enkelin, zur alleinigen befreiten Vorerbin ein, beschränkte sie jedoch durch einige Auflagen in der Verfügungsbefugnis. Unter Nr. IV der Verfügung ordnete sie unter „Sonstiges“ an, daß die Bet. zu 2 und 3 je zur Hälfte Ersatzerben sein sollen, falls die Bet. zu 1 die Auflagen nicht akzeptiert. In diesem Fall soll ihr nur der gesetzliche Pflichtteil verbleiben. Mit notarieller Urkunde vom 23. 12.1996 hat die Bet. zu 1 nach Beratung durch Notar N die Erbschaft als testamentarisch berufene Erbin ausgeschlagen und gleichzeitig als gesetzliche Alleinerbin angenommen. Ihre Erklärung lautete: „. . . Ich schlage hiermit die Erbschaft als Testamentserbin aus. Durch meine Ausschlagung tritt die gesetzliche Erbfolge ein . . .“ Auf die Mitteilung durch das NachlaßG, die Erbschaft falle nunmehr den Bet. zu 2 und 3 als Ersatzerben an, hat die Bet. zu 1 mit notarieller Urkunde vom 16. 1. 1997 die Anfechtung der Ausschlagung erklärt und die Erteilung eines Erbscheins gemäß dem Testament vom 16. 1. 1996 beantragt.
Das AG hat den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, die Bet. zu 1 sei einem unbeachtlichen Motivirrtum erlegen, der nicht zur Anfechtung berechtigt. Das LG hat die Beschwerde zurückgewiesen. Die weitere Beschwerde führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Aus den Gründen:

II. 1. Die angefochtene Entscheidung beruht auf einem Rechtsfehler i. S. von § 27 I 2 FGG i. V. mit § 550 ZPO, § 12 FGG. Soweit das LG zur Annahme eines bloß unbeachtlichen Motivirrtums gekommen ist, hat es den zugrundeliegenden Sachverhalt nicht in einer dem § 12 FGG genügenden Weise ermittelt. Es hätte nahegelegen, den Notar N zu vernehmen und die Bet. zu 1 anzuhören, um erschöpfend festzustellen, worin die Fehlvorstellung der Bet. zu 1 bei Abgabe der Ausschlagungserklärung bestand.

Aus dem Inhalt der Anfechtungserklärung wie auch aus der Beschwerdebegründung ergeben sich Anhaltspunkte, nach denen das Vorliegen eines beachtlichen Inhaltsirrtums gem. § 119 I BGB möglich erscheint. Die Bet. zu 1 hat in der Beschwerdebegründung erklärt, sie habe aufgrund eines Beratungsfehlers mit der Ausschlagung bewirken wollen, daß sie „unmittelbar“ durch die Erklärung gesetzliche Erbin wird. Ebenso hat sie in der Anfechtungserklärung ausgeführt, ihr sei die gem. § 1953 II BGB eintretende Wirkung der Ausschlagungserklärung nicht klar gewesen. Es erscheint danach nicht ausgeschlossen, daß die Bet. zu 1 ihrer Ausschlagungserklärung unmittelbare rechtsgeschäftliche Wirkungen beimaß, die diese nicht entfaltet.

Nicht ausgeschlossen ist nämlich, daß sie - laienhaft - in dem Irrtum handelte, unmittelbare tatbestandliche Folge der Ausschlagung sei der Wegfall der Auflagen und der Erhalt der befreiten Stellung als gesetzliche Erbin, und ihr gerade nicht klar war, daß der Eintritt der gesetzlichen Erbenstellung allein von außerhalb der Ausschlagungserklärung liegenden Umständen abhängig ist.

Ein solcher Irrtum berechtigte nach § 119 I BGB zur Anfechtung. Denn er beschränkte sich nicht allein auf die außerhalb des - vorgestellten - Tatbestandes der Erklärung liegende Sekundärfolge, wem der Wegfall der testamentarischen Erbenstellung zugute kommt. Er beträfe vielmehr den - vorgestellten - rechtsgeschäftlichen Inhalt der Erklärung. Ein solcher Irrtum wäre den höchstrichterlich entschiedenen Fällen gleichzustellen, in denen zu Recht ein beachtlicher Inhaltsirrtum bejaht wurde, weil der Ausschlagende glaubte, die Ausschlagung sei das Rechtsgeschäft, mit dem er unmittelbar seinen Erbteil auf eine andere Person übertragen bzw. mit Auflagen beschränkte Erbteile in Pflichtteilsansprüche umwandeln könne (vgl. KG, JW 1938, 858 f.; OLG Hamm, OLGZ 1982, 41 [49 f.]; grundsätzlich zur Abgrenzung zum bloßen Motivirrtum RGZ 88, 278 [284 f.]).

Zur Aufklärung der genauen Irrtumslage hätte es nahe gelegen, den beurkundenden Notar N über die der Ausschlagung vorangegangene Beratung zu vernehmen. Seine Aussage könnte Aufschluß über das Vorstellungsbild der Bet. zu 1 von den rechtsgeschäftlichen Wirkungen der Ausschlagungserklärung geben. Denn durch die Beratung wurde es maßgeblich beeinflußt. Ebenso hätte es nahegelegen, die Bet. zu 1 persönlich zu ihrer Vorstellung anzuhören, um einen von juristischen Begrifflichkeiten befreiten und möglichst unverfälschten Eindruck der Irrtumslage zu erhalten.

Allerdings sind die Ausführungen der Bet. zu 1 ambivalent. Sie enthalten ebenfalls Anhaltspunkte für die Annahme, daß sie sich zumindest laienhaft bewußt war, daß die unmittelbare rechtsgeschäftliche Folge der Ausschlagungserklärung nur der rückwirkende Wegfall der Stellung als testamentarische Erbin gem. § 1953 I BGB war. Hierfür spricht insbesondere der in der Anfechtungsbegründung enthaltene Satz: „Nach einer nicht eindeutigen Bestimmung des Testamentes in Nr. IV „Sonstiges“, der ich bislang keine Beachtung geschenkt habe, fällt der Nachlaß jedoch offensichtlich im Fall meines Vorversterbens, sofern ich keine Abkömmlinge habe an die im Testament genannten Ersatzerben“.

Ein solcher Irrtum allein über die Person, der die Ausschlagung zugute kommt, ist - wie die Kammer zutreffend ausgeführt hat - bloßer Irrtum im Motiv und berechtigte nicht zur Anfechtung (vgl. KG, HRR 1932, 7 f.; Soergel-Stein, BGB, 12. Aufl., § 1954 Rdnr. 2; Johannsen, in: RGRK, § 1954 Rdnr. 3; Pohl, AcP 177 [1977], 73 f.; Lange-Kuchinke, ErbR, 4. Aufl., S. 203 f.).

Wegen der Möglichkeit eines beachtlichen Inhaltsirrtums hätte das LG dennoch die naheliegenden weiteren Ermittlungen anstellen müssen. Der Amtsermittlungsgrundsatz gebietet es, Beweise zu erheben, von denen ein die Entscheidung beeinflussendes Ergebnis erwartet werden kann (vgl. Keidel-Kuntze-Winkler, FGG, 13. Aufl., § 12 Rdnrn. 86-89 m. w. Nachw.). Dem steht nicht entgegen, daß die Bet. zu 1 in den für den Tatsachenvortrag maßgeblichen Instanzen nie genau dargelegt hat, worin der behauptete Beratungsfehler des Notars gelegen hat. Das Gericht darf nach § 12 FGG Ermittlungen nicht schon deshalb unterlassen, weil notwendige Einzelheiten von den Bet. nicht vorgetragen sind (vgl. Keidel-Kuntze-Winkler, § 12 Rdnr. 87).

2. Im übrigen ist die Entscheidung des LG im Ergebnis frei von Rechtsfehlern. Die form- und fristgerecht erklärte Ausschlagung hat zunächst gem. § 1953 II BGB i. V. mit Nr. IV des formwirksamen Testaments der Erblasserin zum Anfall der Erbschaft an die Bet. zu 2 und 3 als Ersatzerben geführt. Denn die Ausschlagung war vorbehaltlich der Anfechtung wirksam.

a) Eine Nichtigkeit gem. § 1947 BGB scheidet mangels Vorliegens einer rechtsgeschäftlichen Bedingung i. S. des § 158 BGB aus. Der Eintritt der gesetzlichen Erbschaft stellt kein in der Zukunft liegendes ungewisses Ereignis dar.

b) Ebensowenig kann darin eine sog. rechtliche Gegenwartsbedingung gesehen werden. Richtig ist, daß die Auslegung einer Erklärung ergeben kann, sie solle nur wirksam sein, wenn bestimmte Erwartungen des Erklärenden zutreffen (vgl. Palandt-Heinrichs, Einf. §§ 158 ff. Rdnr. 6). Diese Erwartungen können auch im Rechtlichen liegen (insoweit zutr. Frohn, Rpfleger 1982, 56 [57]). Bedeutung hat dies für die Fälle, in denen die Wirksamkeit der Erklärung davon abhängt, ob sich eine vom Erklärenden vorgenommene Beurteilung einer unklaren Rechtslage als zutreffend erweist (vgl. Frohn, Rpfleger 1982, 56 [57]; Staudinger-Bork, Vorb. §§ 158 ff. Rdnr. 29).

Der Wortlaut der notariellen Urkunde vom 23. 12. 1996 trägt eine solche Auslegung jedoch nicht. Der Eintritt der gesetzlichen Erbfolge wird darin als sicher eintretende Folge der Ausschlagung bloß festgestellt. Vom objektiven Empfängerhorizont aus ist nicht der geringste subjektive Zweifel der Bet. zu 1 erkennbar, ob diese Feststellung rechtlich zutreffend ist. Die Bet. zu 1 hatte auch aus ihrer damaligen Sicht gar keinen Anlaß, ihre Erklärung konditional mit dieser Feststellung zu verknüpfen. Nach ihrem eigenen Vortrag ging sie gerade davon aus, daß die Rechtslage nicht unklar war.

c) Schließlich ist die Erklärung auch nach den Grundsätzen der Perplexität nicht unwirksam. Die Erklärung der Ausschlagung und die Annahme der Erbschaft als gesetzliche Erbin sind nicht als einheitliches Ganzes im Sinne einer Erklärung anzusehen, die wegen offensichtlichen inneren Widerspruchs keine Wirkung entfalten kann. Vielmehr handelt es sich aus praktischen Gründen um die Zusammenfassung zweier Erklärungen in einer Urkunde. Aus § 1948 BGB folgt auch nicht, daß Ausschlagung aus dem einen und Annahme der Erbschaft aus dem anderen Grunde grundsätzlich in einer einheitlichen Erklärung zu erfolgen haben. Die Bet. zu 1 ging - nach ihrem eigenen Vortrag - von der falschen Voraussetzung aus, sie werde unbeschränkte gesetzliche Erbin. Fehlvorstellungen über Voraussetzungen fallen aber regelmäßig in den Bereich des Irrtums, unabhängig davon, ob sie im Einzelfall einen unbeachtlichen oder beachtlichen Irrtum darstellen (vgl. Palandt-Heinrichs, Einf. § 158 Rdnr. 7).