Innenverhältnis (Rechtsgrund) bei der Bürgschaft - Freistellungsanspruch nach § 775 BGB und Beweislast
BGH, Urt. v. 16. 3. 2000- IX ZR 10/99 (Köln)
Fundstelle:

NJW 2000, 1643
JZ 2001, 45 mit Anm. Reinicke/Tiedtke aaO S. 46 ff


Zentrale Probleme:

Im Mittelpunkt der Entscheidung steht der Befreiungsanspruch des Bürgen gegen den Hauptschuldner nach § 775 BGB und damit das Innenverhältnis zwischen Hauptschuldner und Bürge (zum Innenverhältnis zwischen Hauptschuldner und Gläubiger und der Einredeerstreckung auf den Bürgen vgl. Anm zu BGH NJW 2000, 1563). Danach kann der Bürge unter bestimmten Umständen vom Hauptschuldner Befreiung von der Bürgschaft (etwa durch Zahlung an den Gl., aber eben auch in anderer Weise) verlangen, wenn ihm aus dem rechtlichen Grundverhältnis (etwa Auftrag, entgeltliche Geschäftsbesorgung oder GoA) im Falle der Zahlung einen Aufwendungsersatzanspruch hätte. Die Entscheidung setzt sich mit der Frage auseinander, welches Innenverhältnis vorliegt, wenn die Bürgschaft "gefälligkeitshalber" übernommen wird. Sie legt eine solche Vereinbarung nicht etwa so weit aus, daß der Bürge auch im Falle seiner Inanspruchnahme auf den Regreß verzichtet, sondern stellt zutreffend klar, daß bereits die unentgeltliche Stellung der Sicherheit eine "Gefälligkeit" (nämlich einen - ja per definitionem unentgeltlichen - Auftrag) darstellt (vgl. zum ganzen S. Lorenz JuS 1999, 1145 ff).
Zutreffend wir weiter dargelegt, daß die Beweislast für einen solchen Anspruch den Bürgen trifft.


Amtl. Leitsätze:

1. Ist der Rechtsgrund für eine Bürgschaftsübernahme streitig, muss der Bürge, der den Hauptschuldner auf Befreiung von der Bürgschaftsschuld in Anspruch nimmt, beweisen, dass ihm bezüglich der Bürgschaft die Rechte eines Beauftragten zustehen.
2. Der Befreiungsanspruch ist auch dann nicht auf Zahlung an den Gläubiger gerichtet, wenn dieser den Bürgen bereits in Anspruch nimmt (im Anschluss an BGHZ 140, 270 [274 f.] = NZI 1999, 148 = NZG 1999, 208 = NJW 1999, 1182 = LM H. 8/1999 GesO Nr. 48).


Zum Sachverhalt

Am 21. 3. 1994 übernahm der Kl. gegenüber der 5. K. (im Folgenden: Bank) eine selbstschuldnerische Bürgschaft über 40000 DM zur Sicherung von Ansprüchen der Bank gegen die bekl. Eheleute, mit denen der Kl. seinerzeit befreundet war. Darüber hinaus gewährte der Kl. den Bekl. Darlehen. Da die Bekl. ihre Bank-verbindlichkeiten nicht erfüllten, verklagte die Bank den Kl. aus der Bürgschaft auf Zahlung von 40000 DM nebst Zinsen. Der Kl. hat seinerseits die Bekl. darauf in Anspruch genommen, an die Bank die Beträge zu zahlen, welche die Bank von ihm - dem Kl. - begeht. Hilfsweise hat er Freistellung verlangt. Außerdem hat der Kl. die Feststellung beantragt, dass die Bekl. verpflichtet sind, ihm auch jeglichen weiteren durch die Inanspruchnahme aus der Bürgschaft entstandenen und noch entstehenden Schaden zu ersetzen. Schließlich hat er Rückzahlung der Darlehensbeträge verlangt und eine negative Feststellungsklage erhoben.
Das LG hat die Klage insgesamt abgewiesen. Das BerGer. hat ihr weitgehend stattgegeben. Dagegen wenden sich die Bekl. mit ihrer Revision. Diese hat der Senat nur insoweit angenommen, als es um die Verurteilung zur Zahlung von 40000 DM an die Bank und die Feststellung der Verpflichtung zum Schadensersatz geht. Im Umfang der Annahme war die Revision erfolgreich und führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Aus den Gründen
A. Auch die Revision der Bekl. zu 2 ist zulässig, obwohl das BerGer. für diese die Beschwer auf lediglich 55 190 DM festgesetzt hat. An diese Wertfestsetzung ist der Senat nicht gebunden (§ 546 III 2 ZPO). Sie kann nicht nur auf gesonderten Antrag vor Einlegung der Revision, sondern auch danach (vgl. BGH, NJW 1997, 1241 = LM H. 5/1997 § 546 ZPO Nr. 154) - sei es im Annahme-, sei es im Urteilsverfahren - überprüft werden.
Richtiger Ansicht nach beträgt der Wert der Beschwer für die Bekl. zu 2 - ebenso wie für den Bekl. zu 1 - 70000 DM. Die Aberkennung des Anspruchs, den der Bekl. zu 1 hilfsweise - erfolglos - gegen den Darlehensrückzahlungsanspruch zur Aufrechnung gestellt hat, ist auch bei der Festsetzung des Werts der Beschwer für die Bekl. zu 2 (allerdings lediglich in Höhe von 14810 DM) zu berücksichtigen. Bei der subjektiven Klagehäufung ist die Beschwer aller Streitgenossen zusammenzurechnen, soweit es sich nicht um wirtschaftlich identische Streitgegenstände handelt (BGH, NJW 1981, 578 = LM § 546 ZPO Nr. 101; NJW 1984, 927 [928] = LM § 546 ZPO Nr. 111; NJW 1998, 2667 = LM H. 8/ 1998 § 823 [Bf] BGB Nr. 110, insoweit in BGHZ 138, 211 nicht abgedr.). Dies ist hier nicht der Fall.

B. Die Revision führt im Umfang der Annahme zur Aufhebung und Zurückverweisung.

I. Das BerGer. hat ausgeführt, der Kl. mache - im Hinblick auf seine Inanspruchnahme als Bürge - einen Befreiungsanspruch gem. § 775 1 Nr. 3 BGB geltend. Dessen Voraussetzungen seien gegeben, weil die Bekl. mit der Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten gegenüber der Bank in Verzug seien. Dies folge aus ihrer - von den Bekl. eingeräumten - gerichtlichen Inanspruchnahme seitens der Bank. Aus demselben Grunde sei der Befreiungsanspruch ausnahmsweise auf Zahlung der Bürgschaftssumme an die Bank gerichtet. Ihre Behauptung, dass der Kl. die Bürgschaft als vorläufige Gegenleistung für die Übertragung von Geschäftsanteilen übernommen habe, hätten die Bekl. nicht bewiesen; dies gehe zu ihren Lasten.
Der positive Feststellungsanspruch sei gerechtfertigt, weil dem Kl. aus seiner Inanspruchnahme als Bürge über die Zahlung der Bürgschaftssumme hinaus ein Schaden entstehen könne, den die Bekl. als Gesamtschuldner zu ersetzen hätten.

II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Die Verurteilung der Bekl. zur Zahlung von 40000 DM nebst Zinsen auf die Bürgschaftsverpflichtung des Kl. gegenüber der Bank beruht auf Rechtsfehlern.
a) Der Rechtsgrund für die Verbürgung durch den Kl. ist zwischen den Parteien umstritten. Der Kl. hat behauptet, er habe die Bürgschaft "aus Freundschaft" übernommen, um den Bekl. aus einer vorübergehenden Geldverlegenheit zu helfen. Die Bekl. haben demgegenüber geltend gemacht, die Übernahme der Bürgschaft sei als "vorläufige Gegenleistung" für die Abtretung von GmbH-Anteilen durch die Bekl. zu 2 an den Kl. anzusehen. Dieses Vorbringen ist dahin zu verstehen, dass ein Bürgenregress ausgeschlossen sein sollte.
b) Zu Unrecht meint die Revision, der Kl. habe die Voraussetzungen eines Befreiungsanspruchs gem. § 775 BGB schon nicht schlüssig dargetan. Allerdings hat einen solchen Befreiungsanspruch nur ein Bürge, der die Bürgschaft kraft Auftrags, auftragsloser Geschäftsführung oder Geschäftsbesorgungsvertrags für den Hauptschuldner übernommen (§ 775 I 1 BGB) und aus diesem Verhältnis gegen den Hauptschuldner einen Rückgriffsanspruch hat (Staudinger/Horn, BGB, 13. Bearb., § 775 Rdnr. 7; Habersack, in: MünchKomm, 3. Aufl., § 775 Rdnr. 1; Palandt/Sprau, BGB, 59. Aufl., § 775 Rdnr. 1; Schmitz, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, BankR-Hdb., § 91 Rdnr. 96). Die erforderliche Auslegung des Prozessvortrags, eine Bürgschaft sei "aus Freundschaft" übernommen worden, kann der Senat selbst vornehmen (vgl. BGH, NJW 1995, 2593 [2594] = LM H. 10/1995 § 556 ZPO Nr. 29 [unter 2 b]; NJW-RR 1996, 1210 [1211]). Dass eine Bürgschaft "aus Freundschaft" übernommen wurde, schließt das Bestehen eines Auftragsverhältnisses usw. nicht aus. Den Vortrag des Kl. so zu verstehen, dass er sich "gefälligkeitshalber" - und nicht auf Grund eines Auftrags oder Geschäftsbesorgungsvertrags - verbürgt habe und im Falle seiner Inanspruchnahme als Bürge keinen Rückgriff gegen die Bekl. habe nehmen wollen, wäre nicht interessengerecht. Wer eine Bürgschaft übernimmt und damit für einen anderen Schuldhilfe leistet, kann dies von der Zahlung einer Vergütung (Avalprovision) durch den Hauptschuldner abhängig machen. Sieht er davon ab, kann man bereits die Annahme des Auftrags zur Ubernahme der Bürgschaft als einen "Freundschaftsdienst" auffassen. Die Freundschaft muss aber nicht so weit gehen, dass der Bürge im Falle seiner Inanspruchnahme beim Hauptschuldner keinen Regress nimmt. Für einen entsprechenden Verzicht müssen besondere Anhaltspunkte vorliegen. Solche haben die Bekl. nicht vorgetragen.
c) Die Revision rügt indes mit Recht, dass das BerGer. die Bekl. für ihre Behauptung, die Bürgschaftsübernahme sei die Gegenleistung für die Übertragung von Geschäftsanteilen gewesen, als beweisfällig angesehen hat. Insofern hat das BerGer. die Darlegungs- und Beweislast verkannt. Nicht die Bekl. harten ihre Behauptung zu beweisen, sondern umgekehrt der Kl. seine Behauptung, dass ihm bezüglich der Bürgschaft die Rechte eines Beauftragten zustehen.
Der Bürge, der einen Befreiungsanspruch gem. § 775 BGB geltend macht, hat die Erteilung des Bürgschaftsauftrags bzw. den Abschluss eines Geschäftsbesorgungsvertrags oder das Vorliegen der Voraussetzungen einer Geschäftsführung ohne Auftrag darzutun und zu beweisen (Habersack in:
MünchKomm § 775 Rdnr. 16; Baumgärtel/Laumen, Hdb. der Beweislast im PrivatR, 2. Aufl., § 775 BGB Rdnr. 1). Denn dabei handelt es sich - wie vorstehend unter b dargelegt - um die Voraussetzung des Befreiungsanspruchs.
d) Nicht gefolgt werden kann dem BerGer. auch insoweit, als es angenommen hat, der Anspruch des § 775 BGB könne ausnahmsweise - so auch im vorliegenden Fall - auf Zahlung an den Gläubiger gerichtet sein. Grundsätzlich hat der Schuldner die Wahl, auf welche Art und Weise er den Bürgen freistellen will. Er kann an den Gläubiger zahlen oder diesen, zum Beispiel durch Stellung einer anderen Sicherheit, zum Verzicht auf die Bürgschaft veranlassen. Einen Zahlungsanspruch hat der Bürge erst, wenn er Rückgriff nehmen darf. Dazu ist er gem. § 774 BGB berechtigt, "soweit" er den Gläubiger "befriedigt" hat. Selbst dann, wenn der Gläubiger gegen den Bürgen bereits ein vollstreckbares Urteil auf Erfüllung erwirkt hat, wird dadurch nur ein Befreiungsanspruch begründet (§ 775 1 Nr. 4 BGB); als Voraussetzung für eine "Umwandlung" in einen Zahlungsanspruch kann dieser Umstand also nicht ausreichen. Aus diesen Gründen hat sich der Senat mit Urteil vom 14. 1. 1999 (BGHZ 140, 270 [274 f.] = NZI 1999, 148 = NZG 1999, 208 = NJW 1999, 1182 [1183 f.] = LM H. 8/1999 GesO Nr. 48) gegen die vorzeitige "Umwandlung" eines Befreiungs- in einen Zahlungsanspruch ausgesprochen. Zwar betraf diese Entscheidung einen Anspruch des Bürgen auf Zahlung an sich selbst. Für die im vorliegenden Fall begehrte Zahlung an den Gläubiger kann aber nichts anderes gelten.
2. Da das BerGer. die Voraussetzungen eines Anspruchs des Kl. auf Befreiung von der Bürgschaftsverbindlichkeit nicht rechtsfehlerfrei festgestellt hat, kann auch die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Bekl. wegen Nichterfüllung keinen Bestand haben. Zwar hat das BerGer. insoweit nicht ausdrücklich auf den Befreiungsanspruch des Kl. gegen die Bekl., sondern auf den Zahlungsanspruch der Bank gegen die Bekl. abgestellt. Die bloße Nichterfüllung der Bankverbindlichkeiten hätte die Bekl. dem Kl. gegenüber aber nicht schadensersatzpflichtig werden lassen. Dazu konnte es erst kommen, wenn die Bekl. zugleich einen Befreiungsanspruch des Kl. verletzten. Dazu ist nichts vorgetragen.