Arglistiges Verschweigen eines Mangels: "Erklärung in's Blaue" bei Nichterinnerung
BGH, Urt. v. 11. Mai 2001- V ZR 14/00 - OLG München
Fundstelle:

NJW 2001, 2326


Amtl. Leitsatz: 

Hat der Verkäufer im Zeitpunkt des Vertragsschlusses an das Vorhandensein eines offenbarungspflichtigen Mangels des Grundstücks keine Erinnerung mehr, begründet seine Versicherung in dem Kaufvertrag, daß ihm erhebliche Mängel nicht bekannt seien, auch unter dem Gesichtspunkt der "Erklärung ins Blaue hinein" nicht den Vorwurf arglistigen Verhaltens.


Zentrales Problem:

Im Mittelpunkt der Entscheidung steht die Frage der Wirksamkeit eines Gewährleistungsausschlusses bei einem Grundstückskauf sowie der Haftung wegen arglistigen Verschweigens von Mängeln. Nach den im Zuge der Schuldrechtsreform geplanten Regelungen der kaufrechtlichen Gewährleistung haftet der Verkäufer für unbehebbare Mängel zwar bereits bei bloß fahrlässigem Verschweigen, jedoch war die entscheidende Frage im vorliegenden Fall die Wirksamkeit des Haftungsausschlusses nach § 476 BGB. Diese Norm findet sich auch im Regierungsentwurf zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz wieder (§ 444 BGB-RE).


Tatbestand:

Mit notariellem Vertrag vom 10. Februar 1977 erwarb der Beklagte eine Teilfläche von ca. 3.345 qm des Flurstücks 742/2 der Gemarkung O. In Nr. VIII des Vertrags hieß es u.a.:

"Der Verkäufer hat den Käufer darauf hingewiesen, daß es sich beim Vertragsgrundstück um Aufschüttungsgelände handelt."

Wegen der Aufschüttung mußten die Fundamente einer von dem Beklagten errichteten Halle tiefer gegründet werden.

Der Beklagte veräußerte die Flurstücke 742/2 und 744/2 (579 qm groß) mit notariellem Vertrag vom 5. Juni 1992 an die S. GmbH zum Preis von 2.999.000 DM. In Nr. V 3 des Vertrags heißt es:

"Der Vertragsgegenstand wird in seinem derzeitigen Zustand veräußert.

Der Veräußerer haftet nicht für Sachmängel aller Art, insbesondere nicht für Bauzustand, Bodenbeschaffenheit und Tauglichkeit des Vertragsgegenstandes für Zwecke des Erwerbers. Er versichert jedoch, daß ihm erhebliche verborgene Mängel nicht bekannt sind. Besondere Eigenschaften, insbesondere eine bestimmte Grundstücksgröße werden nicht zugesichert."

Mit notariellem Vertrag vom 14. August 1992 verkaufte die S. GmbH das Flurstück 742/2 an die Klägerin zum Preis von 3.400.000 DM. Nr. V des Vertrags enthält einen Gewährleistungsausschluß.

Die S. GmbH trat ihre Gewährleistungsansprüche gegen den Beklagten an die Klägerin ab.

Mit der Behauptung, das Kaufgrundstück habe Bodenverunreinigungen aufgewiesen, was der Beklagte gewußt, aber verschwiegen habe, verlangt die Klägerin von dem Beklagten Schadensersatz in Höhe eines Teilbetrags von 100.000 DM nebst Zinsen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist - bis auf einen Teil der Zinsforderung - erfolgreich gewesen. Mit seiner Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht nimmt an, das verkaufte Grundstück sei fehlerhaft gewesen, was der Beklagte der S. GmbH habe offenbaren müssen. Dies sei nicht geschehen, vielmehr habe er den Umstand, daß es sich um ein Auffüllgrundstück handele, arglistig verschwiegen. Auch wenn er diesen Umstand nicht mehr in Erinnerung gehabt haben sollte, wäre ihm Arglist vorzuwerfen; er habe dann nämlich "ins Blaue hinein" versichert, daß ihm erhebliche verborgene Mängel nicht bekannt gewesen seien, anstatt korrekterweise anzugeben, daß er die Vorgänge aus der Vergangenheit nicht mehr in Erinnerung habe.

II.

Das hält einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Allerdings sieht das Berufungsgericht zutreffend in dem Umstand, daß es sich bei dem verkauften Grundstück um ein Auffüllgrundstück handelt, einen offenbarungspflichtigen Mangel. Aufgrund dieser Beschaffenheit war das Grundstück mit einem Fehler behaftet, der den Wert und die Tauglichkeit zu dem nach dem Kaufvertrag vorausgesetzten Gebrauch - nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts wurde das Grundstück als Bauland verkauft - nicht unerheblich minderte. Bei einem Auffüllgrundstück besteht nämlich nicht nur die Gefahr eines erhöhten Gründungsaufwands, worauf die Revision abstellt; vielmehr muß auch die Möglichkeit in Rechnung gestellt werden, daß das Auffüllmaterial wegen seiner Zusammensetzung eine Gefahr darstellt. Dies gilt hier in besonderem Maße, weil das Grundstück bereits vor 1977 aufgefüllt worden war, also in einer Zeit, in der die durch Bodenkontaminierungen hervorgerufenen Gefahren noch nicht so in das allgemeine Bewußtsein gedrungen waren, wie dies heute der Fall ist. Insoweit ist der vorliegende Sachverhalt mit den Fällen vergleichbar, die den Entscheidungen des Bundesgerichtshofes zur früheren Nutzung verkaufter Grundstücke als Deponie zugrunde lagen (s. nur Senatsurt. v. 3. März 1995, V ZR 43/94, NJW 1995, 1549, 1550 m.w.N.). Hier hat sich nach dem Vorbringen der Klägerin gerade die besondere Gefahr aufgrund der Zusammensetzung des Auffüllmaterials verwirklicht.

2. Zu Unrecht nimmt das Berufungsgericht jedoch ein arglistiges Verhalten des Beklagten an; die Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung tragen diese Beurteilung nicht.

a) Bei einer Täuschung durch Verschweigen eines offenbarungspflichtigen Mangels handelt arglistig, wer einen Fehler mindestens für möglich hält und gleichzeitig weiß oder damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, daß der Vertragsgegner den Fehler nicht kennt und bei Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt geschlossen hätte; das Tatbestandsmerkmal der Arglist erfaßt damit nicht nur ein Handeln des Veräußerers, das von betrügerischer Absicht getragen ist, sondern auch solche Verhaltensweisen, die auf bedingten Vorsatz im Sinne eines "Fürmöglichhaltens" reduziert sind und mit denen kein moralisches Unwerturteil verbunden sein muß

(Senatsurt. v. 3. März 1995, aaO). Das Berufungsgericht läßt es offen, ob sich der Beklagte bei den Kaufvertragsverhandlungen und dem Vertragsabschluß an den Umstand, daß es sich um ein Auffüllgrundstück handelt, erinnerte oder ihn vergessen hatte. Revisionsrechtlich ist deswegen zugunsten des Beklagten davon auszugehen, daß er keine entsprechende Erinnerung besaß. Dies schließt es denkgesetzlich aus, daß er den Fehler wenigstens für möglich hielt.

b) Arglistig kann aber auch derjenige handeln, der einem anderen versichert, eine bestimmte Kenntnis von Vorgängen oder Umständen zu haben, diese Kenntnis aber in Wirklichkeit nicht hat; eine vertragliche Zusicherung kann daher den Arglistvorwurf begründen, wenn sie zwar nicht bewußt den Tatsachen widerspricht, jedoch ohne jede sachliche Grundlage abgegeben und dieser Umstand dem Vertragspartner gegenüber verschwiegen wird (vgl. BGH, Urt. v. 8. Mai 1980, IVa ZR 1/80, NJW 1980, 2460, 2461; Urt. v. 18. März 1981, VIII ZR 44/80, NJW 1981, 1441, 1442; Senatsurt. v. 26. September 1997, V ZR 29/96, NJW 1998, 302, 303 m.w.N.). Offensichtlich haben diese Grundsätze das Berufungsgericht geleitet, dem Beklagten vorzuwerfen, er habe "ins Blaue hinein" versichert, daß ihm erhebliche verborgene Mängel nicht bekannt seien. Dieser Vorwurf ist indes unbegründet. Der Beklagte hat nämlich nicht versichert, daß das verkaufte Grundstück frei von verborgenen Mängeln gewesen sei. Seine Erklärung, daß ihm solche Mängel nicht bekannt seien, traf jedoch zu. Denn eine Kenntnis von zeitlich zurückliegenden Umständen und Vorgängen ohne Erinnerung gibt es nicht.

c) Da der Beklagte sich nicht arglistig verhalten hat, stand der S. GmbH gegen ihn auch kein Schadensersatzanspruch nach § 463 Satz 2 BGB zu. Einem Minderungsanspruch nach §§ 459 Abs. 1, 462, 472 BGB stand der vereinbarte Gewährleistungsausschluß entgegen. Deswegen ging die Abtretung von Ansprüchen der S. GmbH an die Klägerin ins Leere.

3. Da Zweifel an der fehlenden Erinnerung des Beklagten weder geltend gemacht noch angebracht und insoweit weitere Feststellungen durch das Berufungsgericht nicht erforderlich und auch nicht zu erwarten sind, ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.