Arglistige Täuschung durch Unterlassen: Aufklärungspflicht des Verkäufers Kontaminierung des Grundstücks; Beweislast für Verletzung der Aufklärungspflicht
BGH, Urt. v. 20. 10. 2000- VZR 285/99 (Dresden)
Fundstelle:

NJW 2001, 64


Amtl. Leitsätze:

1. Sind dem Verkäufer eines Grundstücks Altlasten bekannt, so genügt er seiner Aufklärungspflicht nicht dadurch, dass er dem Käufer von einem bloßen Altlastenverdacht Mitteilung macht. Infolgedessen besteht die Offenbarungspflicht fort, wenn dem Käufer Umstände bekannt sind oder durch eine Besichtigung hätten bekannt werden können, aus denen sich ein Altlastenverdacht ergibt.
2. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Verkäufer den Käufer über offenbarungspflichtige Umstände nicht aufgeklärt hat, trifft den Käufer. Dieser muss allerdings nicht alle theoretisch denkbaren Möglichkeiten einer Aufklärung ausräumen. Vielmehr genügt er seiner Darlegungs- und Beweislast, wenn er die von dem Verkäufer vorzutragende konkrete, d.h. räumlich, zeitlich und inhaltlich spezifizierte, Aufklärung widerlegt.


Zum Sachverhalt: 

Mit notariellem Vertrag vom 17. 9. 1993 kaufte der Kl. von der Rechtsvorgängerin der Bekl. für 200 000 DM ein Grundstück, auf dem deren Rechtsvorvorgänger, ein VEB, einen metallverarbeitenden Betrieb unterhalten hatte. Die Gewährleistung für Sachmangel, auch für Altlasten, wurde ausgeschlossen. Wegen des Kaufpreises unterwarf sich der Kl. in der Vertragsurkunde der sofortigen Zwangsvollstreckung. Wie die Verkäuferin wusste, war das Grundstück in erheblichem Maße durch Mineralkohlenwasserstoffe verunreinigt, die beim Betrieb der Metallverarbeitung in den Boden des Hauptgebäudes und in den darunter liegenden Graben gelangt waren. Ob der Kl. hierüber vor dem Kauf oder bei Vertragsschluss aufgeklärt worden ist, ist unter den Parteien streitig. Nach den von dem Kl. in Auftrag gegebenen Gutachten von Juli/August 1997 sind erhebliche Sanierungskosten zu erwarten. Die Schätzungen belaufen sich auf etwa 270 000 bis etwa 480 000 DM. Am 5. 5. 1998 focht der Kl. den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung an.
Seiner Klage auf Erklärung der Zwangsvollstreckung als unzulässig hat das LG stattgegeben. Das OLG hat sie abgewiesen. Die Revision führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Aus den Gründen: 

I. Das BerGer. hält die Voraussetzungen einer Anfechtung nach §§ 123, 142 BGB nicht für gegeben.

Es fehle an einer Täuschungshandlung, weil eine Aufklärung über Mängel, die einer Besichtigung zugänglich bzw. ohne weiteres erkennbar seien, vom Käufer nicht erwartet werden könne. So lägen die Dinge hier, da der Kl. bei Anwendung der im eigenen Interesse zu erwartenden Sorgfalt habe erkennen können, dass ein Altlastenverdacht bestehe. Im Rahmen einer "ordnungsgemäßen Besichtigung" habe er die Ölverschmutzungen erkennen können, auf die verschiedene Indizien (Färbung des Betonfußbodens, Ölspuren an der Wand, Geruchsbildung) hingewiesen hätten. Angesichts dessen könne es dahingestellt bleiben, ob die Verkäuferin den Kl. vor Abschluss des Kaufvertrags auf das Vorhandensein der Altlasten oder zumindest auf den bestehenden Altlastenverdacht hingewiesen habe.

II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
1. Das BerGer. verkennt nicht, dass den Verkäufer eine Offenbarungspflicht hinsichtlich solcher Umstände trifft, die für die Entschließung des Käufers von entscheidender Bedeutung sind und deren Mitteilung dieser nach der Verkehrsauffassung erwarten durfte (st. Rspr. des Senats, NJW 1979, 2243 = LM § 123 BGB Nr. 54; WM 1982, 960 m.w. Nachw.). Es geht ferner zutreffend davon aus, dass bei einem Grundstücksverkauf die Kontaminierung des Grundstücks mit Altölrückständen einen solchen offenbarungspflichtigen Umstand darstellt und dass der Verkäufer arglistig handelt, wenn er diesen Umstand verschweigt, obwohl er ihn kennt oder ihn jedenfalls für möglich hält und dies in Kauf nimmt (s. nur Senat, WM 1983, 990). Schließlich ist es auch nicht zu beanstanden, wenn das BerGer. eine Offenbarungspflicht hinsichtlich solcher Mängel der Kaufsache verneint, die einer Besichtigung zugänglich und damit ohne weiteres erkennbar sind. Der Käufer kann insoweit eine Aufklärung nicht erwarten, weil er diese Mängel bei einer im eigenen Interesse gebotenen Sorgfalt selbst wahrnehmen kann (vgl. nur Senat, BGHZ 132, 30 [34] = NJW 1996, 1339 = LM H. 6/1996 § 463 BGB Nr. 75).
2. Das BerGer. hat diese Grundsätze im konkreten Fall aber nicht fehlerfrei angewendet.
a) Es unterscheidet schon nicht ausreichend zwischen dem offenbarungspflichtigen Umstand eines Altlastenverdachts und dem einer vorhandenen Kontaminierung. Sind dem Verkäufer Altlasten bekannt, genügt er seiner Aufklärungspflicht nicht dadurch, dass er dem Käufer von einem bloßen Altlastenverdacht Mitteilung macht. Der Käufer kann vielmehr erwarten, dass er über eine konkret vorhandene Kontamination Aufklärung erhält. Infolgedessen besteht die Offenbarungspflicht fort, wenn dem Käufer Umstände bekannt sind oder durch eine Besichtigung hätten bekannt werden können, aus denen sich ein Altlastenverdacht ergibt. Hält der Verkäufer in einer solchen Situation mit konkretem Wissen über vorhandene Altlasten zurück, so handelt er arglistig, wenn er es für möglich hält, dass der Käufer lediglich einen Altlastenverdacht hat.
b) Darüber hinaus rechtfertigen die vom BerGer. getroffenen Feststellungen weder den Schluss auf einen Altlastenverdacht, geschweige denn auf konkrete Altlasten.
aa) Nach dem Gutachten des Sachverständigen T vom 20. 8. 1997 war eine durchgehend dunkle Färbung des Betonfußbodens im Erdgeschoss des Hauptgebäudes zu sehen. Diese hätte auch der Kl. bei einer Besichtigung vor Abschluss des Kaufvertrags erkennen können. Es ist jedoch nicht ersichtlich, wieso sich für einen Laien - daß der Kl. besondere Fachkenntnisse hatte oder dass er wusste, was früher auf dem Gelände produziert wurde, ist nicht festgestellt - hieraus der Schluss auf konkrete Altlasten ergeben sollte. Die Färbung konnte vielfache Ursachen haben und musste nicht auf einen unsachgemäßen Umgang mit Öl schließen lassen. Jedenfalls lässt das BerGer. Feststellungen vermissen, die diesen Schluss nahe legen und bei der Bekl. die Erwartung begründen konnte, der Kl. wisse Bescheid und bedürfe keiner weiteren Aufklärung.
bb) Der Sachverständige T hat ferner festgestellt, dass Öl bzw. Bohrölemulsion "an der Wand heruntergelaufen ist". Aus dem Gesamtzusammenhang ergibt sich jedoch, dass diese Ölspuren bei einer Besichtigung nicht erkennbar waren, sich dem Sachverständigen vielmehr erst nach Öffnen des Betonfußbodens offenbarten. In dem darunter liegenden Hohlraum von 1,5 bis 2 m zeigten sich diese Rückstände von heruntergelaufenem Öl. Als Erkenntnisquelle für die vom BerGer. angenommene Erkennbarkeit für den Kl. scheidet dieser Umstand daher aus, unabhängig davon, ob ein Käufer hieraus überhaupt auf Altlasten größeren Ausmaßes schließen kann.
cc) Die Annahme, man habe die Kontaminierung durch Öl riechen können, hat das BerGer. nicht nachvollziehbar belegt. Einerseits geht das Gericht davon aus, der Kl. habe bei einer Besichtigung der aufstehenden Gebäude, und zwar auch bei trockener Witterung, Ölgeruch wahrnehmen können, da dies eine Bodenprobe ergeben habe. Dabei übersieht es jedoch, dass die Boden-probe irgendwo außerhalb des Gebäudes entnommen wurde und nichts über Wahrnehmungsmöglichkeiten innerhalb des Gebäudes besagt. Zum anderen stellt das Gericht selbst darauf ab, dass die Probe aus dem Grundstück außerhalb der Gebäude entnommen wurde. Dann aber ist ebenso wenig nahe liegend, dass dem Kl. Ölgeruch hätte auffallen müssen. Zwar ist nachvollziehbar, dass eine kontaminierte Bodenprobe nach Öl riecht. Das bedeutet aber nicht, dass in gleicher Weise Ölgeruch wahrnehmbar ist, wenn die Probe nicht entnommen ist und ein etwaiger Ölgeruch durch andere Gerüche oder Umstände überdeckt oder zumindest erheblich gemindert wird.
dd) Das das Herumliegen von geringen Mengen von verwitterten Metallspänen nichts über eine Kontaminierung aussagt, sondern allenfalls die vage Überlegung rechtfertigt, dass bei der Produktion mit Öl gearbeitet worden sein könnte und dass es dabei - wie vielfach - zu unsachgemäßem Umgang hiermit gekommen sein kann, bedarf keiner näheren Darlegung.
III. Fehlt es somit an einer Grundlage für die Annahme, dass die Bekl. erwarten durfte, der Kl. bedürfe keiner weiteren Aufklärung, da er sich bei einer Besichtigung selbst ein Bild über die vorhandenen - und ohne weiteres erkennbaren - Kontaminationen hätte machen können, kann das angefochtene Urteil nicht bestehen bleiben. Es kommt daher auf die Frage an, ob die Bekl. den Kl. hinreichend aufgeklärt hat. Entgegen der Meinung des LG ist hierfür nicht die Bekl. darlegungs- und beweispflichtig. Vielmehr muss der Kl., der für den gesamten Arglisttatbestand die Darlegungs- und Beweislast trägt, vortragen und nachweisen, dass die Bekl. ihn nicht gehörig aufgeklärt hat (vgl. nur Baumgärtel/Laumen, Hdb. der Beweislast im PrivatR, 2. Aufl., § 123 Rdnr. 5 m.w. Nachw.). Dabei muss er allerdings nicht alle theoretisch denkbaren Möglichkeiten einer Aufklärung ausräumen. Vielmehr genügt er seiner Darlegungs- und Beweislast, wenn er die von der Bekl. vorzutragende konkrete, d.h. räumlich, zeitlich und inhaltlich spezifizierte, Aufklärung widerlegt.