Streitiger AG-Klassiker: Die Schnecke im Salat (Gemischttypischer Vertrag, Wandelung, Ausschluß der Wandelung nach §§ 467, 351 BGB)
AG Burgwedel, Urteil v. 10.04.1986 - 22 C 669/85


Fundstelle:

NJW 1986, 2647

Vgl. dazu:

Wolf, NJW 1987, 821
Freckmann, NJW 1987, 3113
Wolf, NJW 1988, 1251
Freckmann, NJW 1988, 1252
Teichmann JA 1987, 65
Jauch, JuS 1990, 706
s. auch BGH v. 5.4.2006 - VIII ZR 283/05


Leitsatz:

Zum Wandelungsrecht bei einer Schnecke im Salat innerhalb einer Menufolge.


Zentrales Problem:

Die Entscheidung wird - insoweit besteht Einigkeit - allgemein wegen ihrer Gesetzesferne kritisiert, da sie das Ergebnis nicht gesetzlich, sondern letztlich nur aus allgemeinen Billigkeitskriterien herleitet. Über die richtige Lösung des Falles wird bis heute gestritten (vgl. zusammenfassend zuletzt Jauch, JuS 1990, 706).
Der vom Gast im Restaurant geschlossene Vertrag ist ein gemischttypischer Vertrag mit kaufvertraglichen, werkvertraglichen und auch mietvertraglichen Elementen. Da der Schwerpunkt bei dem bestellten Essen liegt, ist insofern von einem Werklieferungsvertrag auszugehen. Ist das Essen mangelhaft, kann der Gast gem. §§ 462, 459, 651 BGB wegen eines Mangels, den der Gastwirt nach den Vorschriften der  §§ 459, 460 BGB zu vertreten hat, nach seiner Wahl Rückgängigmachung des Kaufs (Wandelung) oder Herabsetzung des Kaufpreises (Minderung) verlangen (§ 462 BGB). Da es sich nach der Verkehrsanschauung bei einem Menu nicht um die Lieferung "mehrerer Sachen" i.S.v. § 469 BGB, sondern um eine Gesamtsache handelt, kommt auch eine Wandelung hinsichtlich des gesamten Menus in Betracht. Zu dieser Gesamtsache gehört nach der Verkehrsanschauung auch das Menu des Ehemanns, denn Sinn eines gemeinsamen Menus ist der gemeinsame und gleichzeitige Verzehr von Speisen in dem entsprechenden Ambiente.
Zentrale Frage ist dann diejenige, ob die Wandelung (nicht die Minderung!) nach §§ 651, 462, 467, 351 BGB wegen (teilweisen) verschuldeten Untergangs der Sache ausgeschlossen ist, wenn der Gast bereits einen Teil des Menus verzehrt hat. Entscheidend ist dabei der Verschuldensbegriff des § 351 BGB. Dieses "Verschulden" ist nur im Falle der direkten Anwendung von § 351 BGB, d.h. beim vertraglichen Rücktrittsrecht ein echtes Verschulden i.S.v. § 276 BGB, weil nur in diesem Fall der Schuldner weiß bzw. wissen muß, daß er die Sache u.U., d.h. bei Ausübung des Rücktrittsrechts, zurückgeben muß. Im Falle der Wandelung und des gesetzlichen Rücktrittsrechts ist der Verschuldensbegriff hingegen umstritten. Vor Kenntnis des Wandelungs- oder Rücktrittsrechts geht die h.M. hierbei von einem "untechnischen Verschuldensbegriff" bzw. von einem "Verschulden gegen sich selbst" aus. Wandelung (bzw. Rücktritt) sind danach nur dann ausgeschlossen, wenn der Untergang durch eine zurechenbare Unachtsamkeit in eigenen Angelegenheiten verursacht wurde. Da man ein solches "Verschulden" beim Verzehr eines Menus nicht bejahen kann, war damit die Wandelung im vorliegenden Fall nach zutreffender Ansicht nicht ausgeschlossen. Für den bereits verzehrten Teil des Menus haftet der Wandelungsberechtigte nach h.M. nicht nach §§ 347, 989 ff BGB, sondern analog § 327 S. 2 BGB nur nach § 818 BGB (vgl. etwa BGHZ 53, 144 ff; Medicus SchuldR AT Rn. 558 m.w.N.), es kommt damit auf die noch vorhandenene Bereicherung an, die man bei einem dergestalt "verdorbenen Abend" getrost mit "0" ansetzen kann.



Zum Sachverhalt:

Die Kl. betreiben ein französisches Restaurant. Der Bekl. (Dr. Ing.) hatte für sich und seine Gattin am 4. 10. 1985 einen Tisch reservieren lassen. Er bestellte Speisen und Getränke im Gesamtwert von 152 DM. Während des Essens ist im Salat, der der Ehefrau des Bekl. gereicht wurde, eine Schnecke entdeckt worden. Der Bekl. hat daraufhin mit seiner Gattin ohne zu bezahlen das Lokal verlassen. Die Kl. begehren Zahlung von 142 DM (152 DM Rechnungsbetrag abzüglich eines Abschlags von 10 DM für den Salat).Die Klage war in Höhe von 86 DM erfolgreich.
Der Zahlungsanspruch der Kl. gegen den Bekl. ergibt sich aus  § 433 II BGB. Nach dieser Vorschrift ist der Käufer verpflichtet, dem Verkäufer den vereinbarten Kaufpreis zu zahlen. Die Voraussetzungen dieser Vorschriften liegen vor. Bei dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag handelt es sich um einen im BGB nicht näher geregelten Vertragstypus, in dem Elemente des Dienst-, Werk- sowie des Kaufvertrags vorhanden sind. Schwerpunkt des Vertrags ist jedoch das Kaufvertragselement, nämlich das Bereitstellen von Getränken und Speisen gegen Entgelt, was rechtfertigt, den Zahlungsanspruch aus dem Kaufrecht herzuleiten.
Zwischen den Parteien ist ein Kaufvertrag über Speisen in einem Gesamtwert von 152 DM geschlossen worden. Diese Speisen und die Getränke haben die Kl. auch angeliefert. Dennoch ist der Bekl. nicht verpflichtet, den bestellten und gelieferten Kupferkessel zum Preise von 29,50 DM sowie das Kalbsmedaillon zum Preise von 36,50 DM zu bezahlen. Denn es war dem Bekl. und seiner Ehefrau nicht zumutbar, nach Entdecken der Schnecke den Salat einfach fortbringen zu lassen und weiter zu essen. Es ist durchaus verständlich und nachvollziehbar, daß sich bei dem Bekl. und seiner Ehefrau nach dem Auffinden einer Schnecke im Salat ein solcher Ekel und Widerwille gebildet hat, daß ein Fortsetzen des Essens für den Bekl. und seine Ehefrau unzumutbar wurde.
Da bei gehöriger Säuberung des Salats die Schnecke hätte entfernt werden müssen, ist diese Unzumutbarkeit, das Essen fortzusetzen, auch von den Kl. bzw. deren Personal verursacht worden. Wenn aber dem Bekl. und seiner Ehefrau aus Gründen, die die Kl. zu vertreten haben, ein Fortsetzen des Essens nicht zugemutet werden kann, kann auch keine Verpflichtung entstehen, insoweit den vereinbarten Preis zu zahlen.
Anders wäre die Sachlage dann, wenn die Schnecke erst zu einem Zeitpunkt gefunden und entdeckt worden wäre, als entweder der Bekl. oder seine Ehefrau bereits das für sie Bestellte verzehrt hatten. Dies konnten jedoch die Kl. nicht nachweisen. Die beiden Zeuginnen B und N waren sich bei ihrer Aussage, ob der Bekl. bereits sein Essen verzehrt habe, nicht ganz sicher. Sie meinten zwar, daß der Bekl. im wesentlichen sein Gericht schon aufgegessen hatte, mit Gewißheit konnten die Zeuginnen dies nicht sagen. Demgegenüber hat die Ehefrau des Kl. eindeutig erklärt, daß sowohl ihr Mann als auch sie erst 1/3 der gerade servierten Speisen gegessen hätten.
Den Kaufpreis wegen der bereits verzehrten Getränke und Speisen in Höhe von 86 DM hat der Bekl. jedoch in voller Höhe zu zahlen. Ein Abschlag wegen entgangenen Genußgewinnes ist nicht gegeben, da bis zum Auftauchen der Schnecke das Essen so verlaufen ist, wie es der Bekl. sich vorgestellt hat. Die nach dem Verzehr der Speisen und Getränke auftretende Unzumutbarkeit des Weiteressens rechtfertigt nicht rückwirkend eine Minderung.
Auch aus dem Umstand, daß die Kl. sich nicht beim Bekl. bzw. dessen Ehefrau entschuldigt haben, begründet keinen Minderungsanspruch für den Bekl. Eine Entschuldigung der Kl., die vielleicht üblich sein mag, auf die aber kein Anspruch besteht, hätte den Widerwillen des Bekl. und seiner Ehefrau weiter zu essen nicht aufheben können
Insgesamt ergibt sich somit, daß der Bekl. den Kaufpreis für die verzehrten Speisen in Höhe von 86 DM zu zahlen hat.



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