Abgrenzung zwischen Sachmangel und aliud beim Gattungskauf ("Glykolwein"-Fall)

BGH, Urteil v. 23.11.1988  - VIII ZR 247/87

Fundstelle:

NJW 1989, 218 ff
(s. dazu auch BGHZ 115, 286 ff = NJW 1992, 566 ff sowie RGZ 86, 90 ff



Amtl. Leitsatz:

1. Die Lieferung eines als Auslese gekauften Weins stellt eine Falschlieferung dar, wenn er die Merkmale einer Auslese nur deshalb aufweist, weil ihm weinrechtlich unerlaubte Fremdstoffe (hier: Diethylenglykol) zugesetzt wurden.
2. Der Verdacht einer gesundheitsschädlichen Beschaffenheit gelieferter Waren bildet keinen Sachmangel, wenn er sich nachträglich als unbegründet herausstellt.



Zum Sachverhalt:

Die Kl. lieferte dem Bekl. aufgrund einer entsprechenden Bestellung drei Posten Wein: am 20. 3. 1985 120 Flaschen 1983er Westhofener Bergkloster, Auslese, Rheinhessen, zum Preise von 725,04 DM und 200 Flaschen 1982er St. Georgener Auslese, Burgenland, Österreich, zum Preise von 934,80 DM sowie am 16. 4. 1985 150 Flaschen 1982er St. Georgener Auslese der vorbezeichneten Lage zum Preise von 701,10 DM. Der St. Georgener aus der Lieferung vom 20. 3. 1985 enthält 3,4 g Diethylenglykol (DEG) pro Liter. Erst durch die Zugabe dieses Stoffes erreichte er die Merkmale einer Auslese. Er ist neben anderen von der Kl. abgefüllten österreichischen Weinen in der vom Bundesminister für Gesundheit am 17. 2. 1986 herausgegebenen DEG-Liste aufgeführt, in der unter Angabe des Herkunftsgebietes, der AP-Nummer und des jeweiligen Abfüllers Weine benannt sind, deren Untersuchung auf DEG-Zusätze einen positiven Befund ergeben hatte. Der am 16. 4. 1985 gelieferte St. Georgener ist - wie im Verlaufe des vorliegenden Prozesses unstreitig wurde - glykolfrei. Ob dies auch für den Westhofener Bergkloster zutrifft, ist ungeklärt. Nachdem im Sommer 1985 der sogenannte Glykol-Skandal aufgedeckt und am 10. 7. 1985 vom Bundesminister für Gesundheit generell vor dem Genuß österreichischer Weine gewarnt worden war, rügte der Bekl. am 13. 8. 1985, daß der Westhofener Bergkloster und der am 16. 4. 1985 gelieferte St. Georgener DEG-haltig seien, und am 21. 12. 1985, daß dies auch bei dem St. Georgener aus der Lieferung vom 20. 3. 1985 der Fall sei. Er verweigerte die Zahlung des Kaufpreises und verlangte Wandelung. Die Kl. hat den Bekl. daraufhin klageweise auf Zahlung von 2360,94 DM nebst Zinsen in Anspruch genommen und gegenüber dem aufrechterhaltenen Wandelungsbegehren des Bekl. die Einrede der Verjährung erhoben.
Das LG hat der Klage in Höhe von 1426,14 DM (725,04 DM + 701,10 DM) nebst Zinsen stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen. Die Sprungrevisionen beider Parteien hatten keinen Erfolg.

Aus den Gründen:

A. Die Revision der Kl. ist unbegründet.
I. Das LG hat der Kl. den Kaufpreisanspruch für die am 20. 3. 1985 gelieferten 200 Flaschen St. Georgener Auslese in Höhe von 934,80 DM mit der Begründung aberkannt, daß der Bekl. insoweit wirksam vom Kaufvertrag zurückgetreten sei. Dieser Wein erfülle nicht die an eine Auslese zu stellenden Anforderungen. Es handele sich vielmehr um einen minderwertigen Wein, dem Glykol zugesetzt worden sei, um die zuckerfreien Extraktwerte des Weins zu erhöhen und damit die Qualitätsstufe einer Auslese zu erreichen. Durch die Zugabe von Glykol werde ein minderwertiger Wein aber nicht zu einer Auslese. Es liege daher eine Falschlieferung vor, auf die nicht die Gewährleistungsvorschriften der §§ 459 ff. BGB, sondern die §§ 320 ff. BGB Anwendung fänden. Da die Kl. sich ernsthaft und endgültig geweigert habe, die vertragsmäßige Leistung zu erbringen,  habe der Bekl. ohne vorherige Nachfristsetzung und Ablehnungsandrohung nach § 326 BGB vom Vertrag zurücktreten können. Der Rücktritt sei spätestens mit Schriftsatz vom 7. 5. 1987 erklärt worden.
II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand.
1. Die Entscheidung hängt - wovon auch das LG ausgegangen ist - davon ab, ob der mit Glykol versetzte Wein lediglich eine mangelhafte Auslese oder wegen Fehlens der an eine Auslese zu stellenden Anforderungen eine Falschlieferung (aliud) darstellt.
Im ersten Fall wäre der Bekl. zur Zahlung verpflichtet, weil er den Mangel erst im Dezember 1985 und damit nach Ablauf der mit der Anlieferung (=20. 3. 1985) beginnenden sechsmonatigen Verjährungsfrist des § 477 BGB angezeigt hat. Er könnte daher weder Wandelung (§ 462 BGB) beanspruchen noch gem. § 478 I BGB die Zahlung des Kaufpreises verweigern. Handelt es sich dagegen um ein aliud, so greift die kaufrechtliche Gewährleistung und damit auch die Verjährungsvorschrift des § 477 BGB nicht ein (Senat, NJW 1969, 787 = WM 1969, 95 (96); NJW 1984, 1955 = WM 1984, 1059 (1060)). Vielmehr richten sich die - insoweit der 30-jährigen Verjährung nach § 195 BGB unterfallenden - Rechte des Bekl. nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 320 ff. BGB. In diesem Fall ist der Bekl., was das LG rechtlich zutreffend angenommen hat und von der klägerischen Revision hinsichtlich der tatsächlichen Voraussetzungen auch nicht angegriffen wird, wirksam gem. § 326 BGB vom Vertrag zurückgetreten.
Dies träfe selbst dann zu, wenn einem Teil der Rechtslehre zu folgen wäre, wonach auch unter Nichtkaufleuten im Falle einer Falschlieferung die kaufrechtliche Gewährleistung gelten soll, sofern die gelieferte Ware nicht i. S. von § 378 HGB genehmigungsunfähig ist (vgl. Reinicke-Tiedtke, KaufR, 3. Aufl., S. 137 ff., und die w. Nachw. in Fußn. 268). Genehmigungsunfähigkeit ist anzunehmen, wenn der Verkäufer bei objektiver Betrachtungsweise schlechterdings nicht erwarten kann, der Käufer werde die Falschlieferung als Erfüllung akzeptieren (vgl. Senat, NJW 1969, 787). Das Vorliegen einer solchen Fallgestaltung hat das LG hier indessen mit Rücksicht auf die - aus damaliger Sicht - gesundheitsgefährdende Verfälschung des am 20. 8. 1985 gelieferten Weins aus dem Burgenland rechtlich bedenkenfrei festgestellt. Die Revision wendet sich auch nicht dagegen.
2. Bei den am 20. 3. 1985 als Auslese gelieferten 200 Flaschen St. Georgener handelt es sich um eine Falschlieferung, nämlich um eine andere als die bedungene Ware.
a) Eine Falschlieferung liegt bei nur gattungsmäßiger Bestimmung vor, wenn die gelieferten Waren einer anderen als der geschuldeten Gattung entstammen. Welche Gattung konkret geschuldet ist, bestimmt sich unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung in erster Linie nach der Parteivereinbarung (Senat, NJW 1986, 659 = WM 1985, 1361 (1362 unter III 2 a) m. w. Nachw.). Die Vertragspartner haben es danach weitgehend in der Hand, durch genaue Bestimmung der für die zu liefernden Waren maßgeblichen Eigenschaften eng begrenzte Warengattungen festzulegen (Senat, NJW 1975, 2011 = WM 1975, 562 (563)).
Dies haben die Parteien hier getan, indem sie den Vertragsgegenstand u. a. auch durch das Prädikat "Auslese" näher beschrieben. Damit haben sie den zu liefernden Wein gattungsmäßig von Weinen anderer Prädikats(Qualitäts-) stufen abgegrenzt (vgl. Senat, NJW 1985, 2403 = WM 1985, 837 (838)). Die Ansicht der Revision, nach der Verkehrsauffassung gehörten die weinrechtlich anerkannten Prädikate nicht zu den Gattungsmerkmalen eines Weines, geht fehl. Sie beruht auf der irrtümlichen Annahme, innerhalb der Oberbegriffe "Qualitätswein", "Qualitätswein bA" oder "Qualitätswein mit Prädikat" seien gattungsmäßige Eingrenzungen nicht möglich. Im Urteil vom 24. 4. 1985 (NJW 1985, 2403 (unter II 2 b)) hat der erkennende Senat bereits ausdrücklich hervorgehoben, daß nicht nur die Angabe von Lage, Jahrgang, Rebsorte usw., sondern auch der Begriff "Spätlese" - und die daraus weinrechtlich zu stellenden Anforderungen - zur gattungsmäßigen Eingrenzung des geschuldeten Weins dienen.
b) Der von der Kl. gelieferte, mit Glykol versetzte Wein entspricht nicht der geschuldeten Gattung "Auslese". Dies wäre nur der Fall, wenn der Wein schon vor dem Glykolzusatz die an eine Auslese zu stellenden Anforderungen erfüllt hätte und durch das Glykol lediglich noch innerhalb dieser Qualitätsstufe "verbessert" worden wäre. Wie das LG in Übereinstimmung mit dem beiderseitigen Parteivortrag festgestellt hat, gehörte der als Auslese verkaufte St. Georgener aus der Lieferung vom 20. 3. 1985 indessen einer niedrigeren Qualitätsstufe an und erhielt erst durch die Zugabe von Glykol, mit der eine Erhöhung der zuckerfreien Extraktwerte und eine Abrundung sowie Intensivierung der Geschmacksqualität erreicht wurden, die für die Einstufung als Auslese maßgeblichen Merkmale. Damit wurde, wie das LG zutreffend angenommen hat, der einer niedrigeren Qualitätsstufe zugehörige Wein jedoch nicht zu einer Auslese (ebenso AG Bad Kreuznach, NJW-RR 1987, 242 = MDR 1987, 232). Der weinrechtlich unerlaubte (vgl. §§ 3 IV, 8 I WeinG i. V. mit Art. 46 VO 337/79/EWG) Zusatz von Fremdstoffen, die die Merkmale einer höheren Qualitätsstufe hervorrufen, hebt Wein nicht - wie die Revision meint - gattungsmäßig aus der Qualitätsstufe heraus, der er nach seinen natürlichen, arteigenen Eigenschaften zuzuordnen ist.
Daran vermag nichts zu ändern, daß - was die klägerische Revision geltend macht - dem in Rede stehenden Wein "amtlich" das Prädikat "Auslese" verliehen worden war. Dies beruhte ersichtlich allein darauf, daß die Prüfstelle die Zugabe von Glykol nicht erkannt hatte. Entgegen der Auffasung der Revision ist es auch unerheblich, ob der Wein trotz vorschriftswidriger künstlicher Verbesserung verkehrsfähig im Sinne des Weingesetzes blieb. Die Verkehrsfähigkeit besagt nichts darüber, ob der gelieferte Wein der Gattung entstammt, der er vereinbarungsgemäß zugehören soll.
B. Auch der Revision des Bekl. war im Umfange ihrer Annahme der Erfolg zu versagen.
I. Das LG hat ausgeführt, dem Anspruch der Kl. auf Zahlung des Kaufpreises für die am 16. 4. 1985 gelieferten 150 Flaschen St. Georgener Auslese (=701,10 DM) könne der Bekl. keine Rechte aus §§ 320 ff. BGB oder §§ 480, 459 ff. BGB entgegenhalten, weil dieser Wein weder einer andern als der geschuldeten Gattung angehöre noch mangelhaft sei. Er enthalte, wie im Verhandlungstermin unstreitig geworden sei, kein Glykol. Darauf, daß einmal der Verdacht einer Glykolhaltigkeit und Gesundheitsgefährdung bestanden habe, vermöge der Bekl. seine Zahlungsverweigerung nicht zu stützen. Dieser Verdacht sei bei Lieferung des Weines noch nicht aufgekommen gewesen. Deshalb sei fraglich, ob ein durch diesen Verdacht etwa begründeter Mangel überhaupt im maßgeblichen Zeitpunkt des Gefahrüberganges vorgelegen habe. Diese Frage brauche jedoch nicht entschieden zu werden, weil nach der Rechtsprechung des BGH der auf konkrete Tatsachen gestützte Verdacht einer gesundheitsschädlichen Beschaffenheit der gekauften Ware einen Mangel derselben nur begründe, wenn er vom Käufer nicht durch zumutbare Maßnahmen beseitigt werden könne. Gleiches müsse gelten, wenn der Verkäufer den Nachweis führe, daß der eingetretene Verdacht nicht berechtigt sei. Da der Bekl. hier das Ergebnis der Betriebsprüfung der Kl. akzeptiert habe und die Mangelfreiheit des Weins unstreitig sei, entfalle jeglicher Grund, den qualitativ einwandfreien Wein als minderwertig zu behandeln.
II. Diese Ausführungen halten im Ergebnis gleichfalls der rechtlichen Nachprüfung stand.
1. Unstreitig handelt es sich bei dem am 16. 4. 1985 gelieferten St. Georgener nicht um ein aliud, so daß die Kl. den Kaufvertrag ihrerseits erfüllt hat. Ihr Kaufpreisanspruch könnte daher allenfalls an der vom Bekl. geltend gemachten Mangelhaftigkeit scheitern. Da hieraus ableitbare Gewährleistungsrechte jedenfalls aber verjährt sind (§ 477 BGB), brauchte der Bekl. den Kaufpreis nur dann nicht zu zahlen, wenn die Voraussetzungen des § 478 I BGB vorlägen. Danach kann der Käufer, der - wie hier - den Mangel angezeigt hat, bevor der Anspruch auf Wandelung oder Minderung verjährt war, auch nach Vollendung der Verjährung die Zahlung des Kaufpreises insoweit verweigern, als er ohne Eintritt der Verjährung berechtigt gewesen wäre, Wandelung oder Minderung zu beanspruchen.
2. Ein - hier allein geltend gemachtes - Recht zur Wandelung (§ 462 BGB) stand der Bekl. indessen nicht zu.
a) Der erkennende Senat hat zwar in einem Fall, in dem der Verdacht eines Salmonellenbefalles von Gefrierhasen bestand, entschieden, daß beim Kauf zum Weiterverkauf ein Fehler der gelieferten Ware auch vorliegen kann, wenn sie wegen ihrer Herkunft unter dem auf konkrete Tatsachen gestützten, naheliegenden Verdacht gesundheitsschädlicher Beschaffenheit steht, dieser Verdacht durch dem Käufer zumutbare Maßnahmen nicht zu beseitigen ist und daher zwangsläufig die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verkäuflichkeit der Ware entfällt (BGHZ 52, 51 = NJW 1969, 1171). Diese Entscheidung hat der Senat später dahingehend ergänzt, daß bei zur Weiterveräußerung bestimmten Lebensmitteln der nicht ausgeräumte Verdacht einer gesundheitsgefährdenden Verseuchung der Ware und die dadurch herbeigeführte Unverkäuflichkeit auch dann einen bei Gefahrübergang vorhandenen Mangel bildet, wenn der Verdacht der Verseuchung zwar erst nach Gefahrübergang entsteht, aber auf Tatsachen beruht, die vor Gefahrübergang gegeben, jedoch nicht erkannt waren (NJW 1972, 1462 = WM 1972, 1314).
b) Ob diese Grundsätze sich auch auf Fälle übertragen lassen, in denen - wie hier - die Ware nicht zur Weiterveräußerung, sondern zum Verzehr durch den Käufer selbst oder dessen Gäste bestimmt war, bedarf indessen ebensowenig einer abschließenden Entscheidung wie die Beantwortung der weiteren Fragen, ob sich ein solcher Verdacht hier hinsichtlich des streitigen St. Georgener aus der Lieferung vom 16. 4. 1985 tatsächlich zunächst aufdrängen mußte und ob er durch vor dem Gefahrübergang liegende Tatsachen begründet war. Denn jedenfalls hätte der Verdacht gesundheitsschädlicher Beschaffenheit einen - ein Wandelungsrecht des Bekl. auslösenden - Mangel nur dann bilden können, wenn er nicht ausgeräumt worden wäre, also die Möglichkeit, daß Tatsachen vorliegen, die die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendbarkeit des Weins beeinträchtigen, fortbestanden hätte (vgl. Senat, NJW 1972, 1462 (unter I 3 b)). Dies ist jedoch nicht der Fall. Durch die von der Kl. durchgeführte und vom Bekl. akzeptierte Laboruntersuchung stellte sich die Glykolfreiheit des Weines und damit die Unbegründetheit des ursprünglich etwa aufgekommenen Verdachts der Glykolhaltigkeit heraus.



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