"Ohne Schuß kein ius": Keine Zustellung der Klage ohne Kostenvorschuß, Fristwahrung durch  "Demnächst-Zustellung" (§ 270 III ZPO bzw. § 167 ZPO i.d.F. des Zustellungsreformgesetzes vom 25.6.2001)

BGH, Urteil v. 27.05.1993 - I ZR 100/91 (Hamm)


Fundstellen:

NJW 1993, 2320
LM § 270 ZPO 1976 Nr. 15
WM 1993, 1738


Amtl. Leitsatz:

Eine vier Tage nach Ablauf der Verjährungsfrist zugestellte Klage ist im Sinne des § 270 III ZPO mit verjährungsunterbrechender Wirkung demnächst zugestellt, wenn der Kostenvorschuß für die mehrere Monate zuvor eingereichte Klage zwei Wochen vor Ablauf der Verjährungsfrist bei Gericht eingezahlt worden war.


Zentrales Problem:

Maßgeblich für die Frage, ob eine Zustellung i.S.v. § 270 III ZPO bzw. § 167 ZPO i.d.F. des Zustellungsreformgesetzes "demnächst" und damit fristwahrend erfolgt ist, ist nicht der Zeitraum zwischen Einreichung und Zustellung, sondern derjenige zwischen dem Zeitpunkt des Fristablaufs und der Zustellung: Fristen dürfen ausgeschöpft werden!
Beachte, daß nach der Schuldrechtsreform die Klageerhebung nach § 204 I Nr. 1 BGB lediglich Hemmung und nicht mehr Unterbrechung (jetzt: "Neubeginn") der Verjährung bewirkt.
S. dazu auch BGH v. 22.9.2009 - XI ZR 230/08


Zum Sachverhalt:

Der Bekl. betreibt ein Ingenieurbüro. Am 25. 4. 1984 trafen die Parteien eine Vereinbarung über ihre Zusammenarbeit. Diese endete durch Kündigung des Bekl. zum 31. 12. 1985. Mit am 16. 4. 1987 eingereichter und am 4. 1. 1988 zugestellter Klage hat der Kl. auf Grund der vorgenannten Vereinbarung Zahlung von Provisionen für vermittelte Abschlüsse in der Zeit von Januar bis Juni 1985 in Höhe von 32599,10 DM einschließlich ausgerechneter Zinsen begehrt; im Wege der Stufenklage hat er Auskunft über Erst- und Folgeaufträge des Bekl. mit von ihm vermittelten Auftraggebern in der Zeit vom 1. 7. 1985 bis 30. 6. 1986 und Bezahlung der sich nach Erteilung der Auskunft ergebenden Vergütung verlangt. Der Bekl. ist dem entgegengetreten. Er hat vorgetragen, durch Zahlungen in Höhe von 57624,33 DM im Jahre 1985 seien alle Ansprüche des Kl. ausgeglichen; anläßlich der Zahlung eines darin enthaltenen Betrages von 32604 DM am 15. 10. 1985 seien die Parteien übereingekommen, daß damit alle restlichen Ansprüche des Kl. abgegolten seien. Die begehrte Auskunft könne er nicht mehr erteilen, da ihm die Angebotsordner, die allein Aufschluß über eine Kontaktaufnahme des Kl. zu Drittfirmen hätten geben können, entwendet worden seien. Der Bekl. hat ferner die Einrede der Verjährung erhoben.
Das LG hat nach einer Beweisaufnahme durch Teilurteil der Zahlungsklage in Höhe von 25170,40 DM nebst Zinsen stattgegeben und den Bekl. zur Auskunft hinsichtlich einzelner Kunden verurteilt. Auf die Berufung des Bekl. hat das BerGer. die Klage, auch soweit das LG über sie noch nicht entschieden hatte, abgewiesen. Die Revision des Kl. führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Aus den Gründen:


I. Das BerGer. hat ausgeführt:
Die Ansprüche des Kl. seien verjährt. Entgegen der Annahme des LG sei der Kl. nicht als Handelsvertreter für den Bekl. tätig gewesen, da er nicht i. S. von § 84 I 1 HGB "ständig" damit betraut gewesen sei, für diesen Geschäfte abzuschließen oder zu vermitteln. Demgemäß verjährten die Klageansprüche nicht in vier Jahren (§ 88 HGB). Vielmehr seien sie (mit Ausnahme der Ansprüche für die Zeit von Januar bis Juni 1986 - was bei der Entscheidung übersehen worden sei -) nach Ablauf der zweijährigen Verjährungsfrist des § 196 I Nr. 1 bzw. 7 BGB verjährt. Die Verjährung sei nicht rechtzeitig nach § 209 BGB unterbrochen worden. Die fristwahrende Wirkung des § 270 III ZPO greife vorliegend nicht ein, da die Klageschrift bereits am 16. 4. 1987 eingegangen sei und wegen des Zeitablaufs von etwa acht Monaten bis zur Zustellung am 4. 1. 1988 diese nicht mehr als "demnächst" bewirkt angesehen werden könne.
II. Die dagegen gerichtete Revision hatte Erfolg.
1. Entgegen der Auffassung der Revision konnte zwar das BerGer. - ungeachtet der hier nicht zu entscheidenden Frage, ob der Erlaß des Teilurteils durch das LG tatsächlich ein Verfahrensfehler war, wie das BerGer. gemeint hat - von seinem Standpunkt aus die vom LG noch nicht entschiedenen Klageansprüche an sich ziehen (BGHZ 30, 213 (215) = NJW 1959, 1824 = LM § 537 ZPO Nr. 9; BGH, NJW 1959, 1827 (1828) = LM § 537 ZPO Nr. 8 = GRUR 1959, 552 (553) - Bundfitsche; BGH, NJW 1985, 2405 (2407) = LM § 138 (Ca) BGB Nr. 15; BGH, NJW-RR 1992, 1021 = LM H. 1/1993 § 254 ZPO Nr. 15 = GRUR 1992, 562).
2. Indessen hält seine Annahme, die geltend gemachten Zahlungsansprüche und die mit der Auskunftsklage vorbereiteten Zahlungsansprüche seien verjährt, einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Für die Beurteilung dieser Frage kann dahinstehen, ob die Vereinbarung der Parteien vom 25. 4. 1984, die die Grundlage der Klageansprüche bildet, als Handelsvertretervertrag oder als Maklervertrag anzusehen ist. Verjährt wären die Klageansprüche in keinem Fall. Denn Ansprüche des Kl. wären auch dann nicht verjährt, wenn sie der zweijährigen Frist des § 196 I Nr. 1 oder Nr. 7 BGB i. V. mit § 201 BGB unterfielen und bereits im Jahre 1985 entstanden sein sollten. Daß durch die Zustellung der Klage am 4. 1. 1988 die Verjährungsfrist für im Jahre 1986 entstandene Ansprüche unterbrochen worden ist, hat das BerGer. zutreffend gesehen. Die Zustellung der Klage am 4. 1. 1988 bewirkte aber auch eine Unterbrechung der Verjährung hinsichtlich der im Jahre 1985 entstandenen Ansprüche. Nach § 209 I BGB wird die Verjährung unterbrochen, wenn der Berechtigte vor Ablauf der Frist durch Zustellung eines Schriftsatzes (§ 253 I ZPO) Klage erhebt (Anm.: Seit dem 1.1.2002 bewirkt die Klageerhebung nach § 204 I Nr. 1 BGB lediglich eine Hemmung der Verjährung). Nach § 270 III ZPO (Anm.: Ab dem 1.7.2002: § 167 ZPO) tritt diese Wirkung aber auch dann ein, wenn die Klageschrift, wie hier, zwar erst nach Ablauf der Verjährungsfrist zugestellt wird, aber schon vor Ablauf dieser Frist bei Gericht eingereicht wird und die Zustellung "demnächst" erfolgt. Hiernach genügt es, daß die Klage am letzten Tag des Laufs der Verjährungsfrist eingereicht wird. Es kommt infolgedessen nicht, wie das BerGer. gemeint hat, darauf an, daß im vorliegenden Fall zwischen Einreichung der Klage im April 1987 und der Zustellung am 4. 1. 1988 etwa acht Monate lagen, sondern allein darauf, ob die Klage, gemessen vom Tag des Ablaufs der Verjährungsfrist, "demnächst" zugestellt wird (BGH, NJW 1972, 208 (209) = LM § 261b ZPO Nr. 16; BGH, LM Art. 34 GrundG Nr. 135 = VersR 1983, 831 (832); BGH, NJW 1986, 1347 (1348); BGH, BGHR ZPO § 270 III - demnächst 3). Das BerGer. hätte demnach bei der Beurteilung der Frage, ob die Klage "demnächst" zugestellt worden war, nur zugrunde legen dürfen, daß zwischen dem Ablauf der Verjährungsfrist und der Zustellung lediglich vier Tage lagen. Nachdem im Zeitpunkt des Ablaufs der Verjährungsfrist die Klage eingereicht und der Prozeßkostenvorschuß, wenn auch in vollem Umfang erst etwa acht Monate nach der Aufforderung, gezahlt war und die Verzögerung nur vier Tage betrug, ist die Verjährung nach § 270 III ZPO unterbrochen worden, da eine solche Verzögerung unerheblich ist (BGH, NJW 1971, 891 (892) = LM § 693 ZPO Nr. 4; BGH, NJW 1986, 1347 (1348)).