Weitergeltung eines gemeinschaftlichen Testaments nach Scheidung und erneuter Eheschließung


BayObLG, Beschluß vom 23.05.1995 - 1Z BR 128/94


Fundstellen:

BayObLGZ 1995, 197
NJW 1996, 133
JuS 1996, 361


Amtl. Leitsätze:

1. Ist ein gemeinschaftliches Testament seinem ganzen Inhalt nach unwirksam geworden, weil die Ehe der Testierenden durch Scheidung aufgelöst worden ist, so wird es bei einer Wiederheirat der geschiedenen Ehegatten nicht wieder wirksam.

2. Die Weitergeltung der in einem gemeinschaftlichen Testament enthaltenen Verfügungen kann jedoch dem durch Auslegung zu ermittelnden wirklichen oder hypothetischen Willen der Ehegatten im Zeitpunkt der Testamentserrichtung entsprochen haben. Eine spätere Wiederheirat der geschiedenen Ehegatten ist im Rahmen dieser Auslegung zu würdigen.


Tatbestand:

Der kinderlose Erblasser hatte erstmals im Jahre 1948 mit der Mutter der Bet. zu 1 die Ehe geschlossen. Die Ehe wurde im Jahre 1958 rechtskräftig geschieden. Im Jahre 1961 heirateten der Erblasser und seine frühere Ehefrau erneut. Diese Ehe bestand bis zum Tod der Ehefrau im Jahre 1991. Während ihrer ersten Ehe, am 19. 11. 1954, errichteten der Erblasser und seine Ehefrau in notarieller Form ein gemeinschaftliches Testament. Darin setzten sie sich gegenseitig zu Alleinerben ein und bestimmten, Erbin des Zuletztversterbenden von ihnen solle die Bet. zu 1 sein, eine voreheliche Tochter der Ehefrau. Am 24. 6. 1986 schrieb und unterzeichnete die Ehefrau des Erblassers eigenhändig folgendes Testament:

"Wir, die Eheleute A, setzen uns hiermit gegenseitig zu Alleinerben ein. Nach dem Tode des Letztversterbenden von uns soll unser beiderseitiger Nachlaß wie folgt auf unsere Kinder übergehen: Zwei Drittel an die Tochter E (eine weitere voreheliche Tochter der Ehefrau), ein Drittel an Tochter H (Bet. zu 1)."

Der Erblasser unterschrieb diese letztwilige Verfügung nicht. Nach dem Tod der Ehefrau erklärte er vor dem Nachlaßgericht, er sei sowohl aufgrund des Testaments vom 19. 11. 1954 als auch des Testaments vom 24. 6. 1986 Alleinerbe geworden und nehme die Erbschaft an. Am 1. 2. 1992 schrieb und unterzeichnete der Erblasser eigenhändig ein Testament, worin er seine Lebensgefährtin (Bet. zu 2) als Alleinerbin seines Vermögens einsetzte. Aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments vom 19. 11. 1954 beantragte die Bet. zu 1 beim Nachlaßgericht einen Erbschein als Alleinerbin. Die Bet. zu 2 vertrat die Ansicht, dieses Testament sei durch die Scheidung der testierenden Ehegatten im Jahr 1958 unwirksam geworden, deshalb sei das Testament des Erblassers vom 1. 2. 1992 für die Erbfolge maßgebend, und stellte ihrerseits Antrag auf Erteilung eines Alleinerbscheins.

Das Nachlaßgericht kündigte nach Anhörung der Bet. und Vernehmung zweier Zeuginnen die Erteilung eines Erbscheins gem. dem Antrag der Bet. zu 2 an. Hiergegen legte die Bet. zu 1 Beschwerde ein. Das LG hörte die Bet. erneut persönlich an und hob die Entscheidung des Nachlaßgerichts auf. Die hiergegen gerichtete weitere Beschwerde der Bet. zu 2 blieb erfolglos.


Aus den Gründen:

1. …

2. Zutreffend ist das LG davon ausgegangen, daß der Erblasser durch das gemeinschaftlich mit seiner damaligen Ehefrau (§ 2265 BGB) errichtete Testament vom 19. 11. 1954 die Bet. zu 1 als Schlußerbin eingesetzt hat (§ 2269 I BGB, vgl. Palandt/Edenhofer, BGB, 54. Aufl., § 2269 Rdnr. 3). Die Erbeinsetzung seiner Stieftochter hat der Erblasser gem. § 2258 I BGB widerrufen, als er in seinem formwirksam gem. § 2247 BGB errichteten Testament vom 1. 2. 1992 seine Lebensgefährtin, die Bet. zu 2, zur Alleinerbin einsetzte. Diese Verfügung, auf die die Bet. zu 2 ihren Erbscheinsantrag stützt, konnte der Erblasser nach dem Tod seiner Ehefrau nur dann wirksam treffen, wenn er nicht gem. § 2271 II 1 BGB an die im gemeinschaftlichen Testament vom 19. 11. 1954 enthaltene Regelung der Schlußerbfolge gebunden war (vgl. Palandt/Edenhofer, § 2271 Rdnr. 9, 15f.). Das LG hat eine Bindung bejaht, weil die Regelung der Schlußerbfolge wechselbezüglich i.S. von § 2270 BGB getroffen und das gemeinschaftliche Testament mit der Wiederheirat der geschiedenen Ehegatten seinem ganzen Inhalt nach wieder wirksam geworden sei. Dieser Rechtsauffassung schließt sich der Senat nicht an. Gleichwohl erweist sich die landgerichtliche Entscheidung im Ergebnis als richtig.

a) Ein gemeinschaftliches Testament ist grundsätzlich gem. § 2268 I, § 2077 I 1 BGB seinem ganzen Inhalt nach unwirksam, wenn die Ehe der Testierenden vor dem Tod eines der Ehegatten aufgelöst wird. Dem liegt der Gedanken zugrunde, daß Ehegatten bei der Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments im Regelfall vom Bestehen ihrer Ehe bis zum Tod ausgehen (vgl. BayObLGZ 1993, 240 (245) = NJW-RR 1993, 1157; OLG Hamm,OLGZ 1992, 272 (273)). § 2268 I BGB enthält ebenso wie § 2077 I BGB eine dispositive Auslegungsregel entsprechend dem vom Gesetz vermuteten Willen der Ehegatten (vgl. BGH, FamRZ 1960, 28 (29); BayObLGZ 1993, 240 (245f.) = NJW-RR 1993, 1157 m.w. Nachw.; a.A. Kipp/Coing, ErbR, 14. Aufl., § 23 V 4 zu § 2077; Foer, AcP 153, 492 (512); Muscheler, DNotZ 1994, 733 (736)).

b) Ist ein gemeinschaftliches Testament gem. §§ 2268 I , 2077 I 1 BGB seinem ganzen Inhalt nach unwirksam geworden, weil die Ehe der Testierenden durch Scheidung aufgelöst worden ist, so wird es nach h.M. bei einer Wiederheirat der geschiedenen Ehegatten nicht wieder wirksam (vgl. KG, FamRZ 1968, 217 (218); Staudinger/Kanzleiter, BGB, 12. Aufl. § 2268 Rdnr. 7; Soergel/Wolf, BGB, 12. Aufl. § 2268 Rdnr. 5; Musielak, in: MünchKomm, 2. Aufl. § 2268 Rdnr. 14; Johannsen, in: RGRK, 12. Aufl., § 2268 Rdnr. 2; Erman/Schmidt, BGB, 9. Aufl. § 2268 Rdnr. 5; Schaper in: AK-BGB § 2268 Rdnr. 23; Dittmann/Bengel,Testament und Erbvertrag, 2. Aufl. § 2268 Rdnr. 5; Nieder, Hdb. d. Testamentsgestaltung Rdnr. 606; Dieterle, BWNotZ 1970, 170 (171)). Dem schließt der Senat sich an. Der vom Beschwerdegericht vertretenen Ansicht, das Testament werde mit der zweiten Eheschließung erneut wirksam, wenn dies dem Willen der Ehegatten im Zeitpunkt ihrer Wiederheirat entspreche (so Palandt/Edenhofer, § 2268 Rdnr. 3; Keuk, Der Erblasserwille post testamentum, S. 53f.; Foer, S. 510f.), vermag der Senat nicht zu folgen. Es kann dahinstehen, ob die Wirksamkeit einer einseitigen letztwilligen Verfügung im Fall der Wiederheirat geschiedener Ehegatten nach dem Zeitpunkt des Erbfalles zu beurteilen und die Verfügung aufrechtzuerhalten ist, weil die Ehegatten ihre Wiederheirat als Behebung der Scheidung empfinden mögen (vgl. Staudigern/Otte,§ 2077 Rdnr. 19) und die der Zuwendung an den Ehegatten regelmäßig zugrundeliegende Erwartung der familienrechtlichen Bindung bis zum Erbfall in der zweiten Ehe letztlich erfüllt wird (vgl.Leipold, in: MünchKomm, § 2077 Rdnr. 18; Soergel/Loritz,§ 2077 Rdnr. 17; Johannsen, in: RGRK, Rdnr. 6; Palandt/Edenhofer, § 2077 Rdnr. 7; Finger in: AK-BGB, Rdnr. 5; Lange/Kuchinke, ErbR, 3. Aufl., § 34 I 5c; Nieder, Rdnr. 606; Tappmeier,DNotZ 1987, 715 (722f.); Dieterle, BWNotZ 1970, 170; Battes,JZ 1978, 733 (737); Keuk, S. 53; a.A. Erman/Schmidt, § 2077 Rdnr. 1). Bei einem gemeinschaftlichen Testament kommt ein "Wiederaufleben" nicht in Betracht, weil es schon vor dem Eintritt des ersten Erbfalls Rechtswirkungen entfaltet, insbesondere die Testierfreiheit der Ehegatten beschränkt (§ 2271 I 2 BGB). Sind diese Rechtswirkungen mit der Auflösung der Ehe weggefallen, so leben sie mit der Wiederheirat der geschiedenen Ehegatten nicht wieder auf, denn es wird nicht die alte Ehe wiederhergestellt, sondern eine neue geschlossen. Daher kann der Wille der Ehegatten, das unwirksam gewordene Testament erneut in Kraft zu setzen, keine Beachtung finden, wenn er nicht in der für letztwillige Verfügungen vorgeschriebenen Form zum Ausdruck kommt (vgl. KG, FamRZ 1986, 217 (218)).

Die gegenteilige Auffassung, die das LG vertreten hat, mag zwar im Einzelfall zu Ergebnissen führen, die den Vorstellungen der Ehegatten entsprechen. Hat jedoch ein Ehegatte zwischenzeitlich anderweitig letztwillig verfügt, so ergeben sich im Hinblick auf die Bindungswirkung des § 2271 I 2 BGB kaum lösbare Probleme.

c) Die Gültigkeit des gemeinschaftlichen Testaments ist jedoch im vorliegenden Fall im Weg der Auslegung zu bejahen.

aa) Gem. § 2268 BGB bleiben die Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testaments insoweit wirksam, als anzunehmen ist, daß sie auch für den Fall der Auflösung der Ehe getroffen sein würden. Daher ist durch Auslegung der letztwilligen Verfügung (§§ 133 , 2084 BGB) zu ermitteln, ob deren Weitergeltung für den Fall der Ehescheidung dem wirklichen oder, falls ein solcher nicht festgestellt werden kann, dem mutmaßlichen (hypothetischen) Willen der Ehegatten im Zeitpunkt der Testamentserrichtung entsprochen hat. Dabei kommt es nicht allein auf den Willen des Erblassers an, um dessen Verfügung es geht. Diese ist Bestandteil eines gemeinschaftlichen Testaments, daher ist bei ihrer Auslegung zu prüfen, ob ein nach dem Verhalten des einen Ehegatten mögliches Auslegungsergebnis auch dem Willen des anderen Teils entsprochen hat (BGH, NJW 1993, 256; BayObLGZ 1993, 240 (246) = NJW-RR 1993, 1157). Da es auf den Zeitpunkt ankommt, zu dem die letztwillige Verfügung errichtet wurde, können spätere Umstände nur als Anzeichen für einen bereits in jenem Zeitpunkt vorhandenen Erblasserwillen berücksichtigt werden (vgl. zu § 2077 BGB BGH, FamRZ 1960, 28 (29) und LM § 7 BGB Nr. 2 = FamRZ 1961, 364 (366) sowie BayObLG, NJW-RR 1913, 12 = FamRZ 1993, 362 (363) m.w. Nachw.; zu § 2268 BGB OLG Hamm, OLGZ 1992, 272 (274); OLG Frankfurt,Rpfleger 1978, 412 (413)).

bb) Das LG hat es unterlassen, das gemeinschaftliche Testament im Hinblick auf einen im Zeitpunkt der Errichtung gegebenen wirklichen oder hypothetischen Aufrechterhaltungswillen der Ehegatten auszulegen, weil es rechtsfehlerhaft auf den Willen der Ehegatten im Zeitpunkt ihrer Wiederverheiratung abgestellt hat. Nachdem weitere Ermittlungen nicht erforderlich sind, weil sie ein sachdienliches, die Entscheidung beeinflussendes Ergebnis nicht erwarten lassen, tritt der Senat an die Stelle des Beschwerdegerichts und kann die gebotene Auslegung der letztwilligen Verfügung selbst vornehmen (BayObLGZ 1982, 159 (164) und st. Rspr.).

(1) Der festgestellte Sachverhalt bietet keine Anhaltspunkte dafür, daß die Ehegatten schon im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments vom 19. 11. 1954 mit der Scheidung ihrer damaligen Ehe gerechnet haben. Ein auf die Fortgeltung dieses Testaments gerichteter wirklicher Wille der Testierenden (vgl. BGHFamRZ 1960, 28f. zu § 2077 BGB) kommt daher nicht in Betracht.

(2) Deshalb ist zu prüfen, ob die Aufrechterhaltung des gemeinschaftlichen Testaments dem mutmaßlichen (hypothetischen) Willen der Ehegatten im Zeitpunkt der Errichtung entsprochen hat, d.h. ob sie ihre letztwilligen Verfügungen auch dann getroffen hätten, wenn sie die Scheidung und ihre anschließende Wiederverheiratung als möglich vorausgesehen hätten, Umstände, die zeitlich nach der Ehescheidung liegen, sind zwar bei der ergänzenden Auslegung gem. §§ 2077 III , 2268 II BGB in der Regel ohne Bedeutung (vgl. zur Eheschließung mit einem neuen Partner (BGH, FamRZ 1960, 28f. und LM § 7 BGB Nr. 2 = FamRZ 1961, 364 (366) sowie BayObLGZ 1993, 240 (247) = NJW-RR 1993, 1157). Es kann dahinstehen, inwieweit dies allgemein für Umstände gilt, die das Verhältnis der Ehegatten nach der Scheidung betreffen (vgl. BayObLG, NJW-RR 1993, 12 = FamRZ 1993, 362 (363) zu § 2077 BGB; Soergel/Loritz, § 2077 Rdnr. 17; Brox, ErbR, 14. Aufl., Rdnr. 216). Die Wiederheirat der geschiedenen Ehegatten ist jedoch ein den Status der Testierenden in gleicher Weise wie die Scheidung betreffender Umstand, der deshalb bei der ergänzenden Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments gem. § 2268 II BGB nach Auffassung des Senats Berücksichtigung finden kann (a.A. wohl Staudinger/Kanzleiter, § 2268 Rdnr. 7). Mit der erneuten Eheschließung werden die familienrechtlichen Beziehungen neu begründet, die die Grundlage für die Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments gebildet haben. Die Ehegatten könnten gem. § 2265 BGB erneut gemeinschaftlich testieren, wenn sie dies wollten und dazu Veranlassung sähen. Je nach dem Umständen des Einzelfalls kann auch die Erwartung des Fortbestands der Ehe bis zum Tod, die der Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments in der Regel zugrunde liegt (vgl. vorstehend unter a und Musielak, in: MünchKomm, § 2268 Rdnr. 1), nach dem Verständnis der testierenden Ehegatten letztlich berechtigt erscheinen, wenn sie nach der Scheidung ein zweites Mal heiraten und diese Ehe erst durch den Tod eines der Ehegatten aufgelöst wird. Dies kommt jedenfalls dann in Betracht, wenn - wie hier - die zweite Ehe verhältnismäßig kurze Zeit nach der Scheidung geschlossen wird und keiner der Ehegatten in der Zwischenzeit anderweitig letztwillig verfügt hat.

(3) Im vorliegenden Fall hat das LG festgestellt, der Erblasser und seine Ehefrau hätten sich zu beider Lebzeiten wiederholt in dem Sinn geäußert, daß es bei dem notariellen gemeinschaftlichen Testament geblieben sei oder bleibe. Die Schwester der Ehefrau habe glaubhaft angegeben, die Eheleute hätten bis kurz vor ihrem Tod erklärt, bezüglich des Testaments bleibe es so, wie es gemacht worden sei, und alles sei geregelt. Gegenüber den Kindern der Bet. zu 1, die 1960 und 1962 geboren sind, hätten die Eheleute von ihrem gemeinsamen Testament gesprochen und mehrfach erklärt, die Mutter (die Bet. zu 1) würde einmal alles erben. Nach dem Tod der Ehefrau habe der Erblasser gegenüber der Bet. zu 1 unter Berufung auf "das Testament" erklärt, erst erbe er und dann sie. Der Bet. zu 2, mit der er längere Zeit liiert gewesen sei, habe der Erblasser bereits nach dem Kennenlernen im Jahr 1972 von dem gemeinschaftlichen Testament erzählt, später auch von dem abändernden Testament der Ehefrau aus dem Jahr 1986, das er aber nicht mit unterschrieben habe.

(4) Das LG hat aus diesen zeitlich nach der zweiten Eheschließung liegenden Umständen geschlossen, die Ehegatten hätten im Zeitpunkt ihrer Wiederverheiratung an den Verfügungen des gemeinschaftlichen Testaments vom 19. 11. 1954, mit denen sie sich gegenseitig zu Alleinerben und die Bet. zu 1 als Schlußerbin eingesetzt hatten, festhalten wollen. Der Senat wertet den vom Beschwerdegericht für das Jahr 1961 festgestellten wirklichen Willen der Ehegatten als Anhaltspunkt für einen entsprechenden hypothetischen Willen bei der Testamentserrichtung im Jahr 1954 (vgl.BGH, LM § 7 BGB Nr. 2 = FamRZ 1961, 364 (366)). Er geht deshalb davon aus, daß die Ehegatten das während ihrer ersten Ehe errichtete gemeinschaftliche Testament vom 19. 11. 1954 seinem ganzen Inhalt nach hätten aufrechterhalten wollen, wenn sie im Zeitpunkt seiner Errichtung die Scheidung dieser Ehe im Jahr 1958 und ihre Wiederheirat im Jahr 1961 bedacht hätten. Soweit dieses Testament wechselbezügliche Verfügungen enthält, ist angesichts der hier gegebenen besonderen Umstände anzunehmen, daß die Ehegatten auch deren Fortgeltung als wechselbezüglich (vgl. BayObLGZ 1993, 240 (246) = NJW-RR 1993, 1157 m.w. Nachw.; Muscheler, DNotZ 1994, 733 (741f.)) gewollt hätten. Dies ergibt sich aus den vorstehend unter (3) wiedergegebenen Tatsachen, die das LG ohne Verfahrensfehler festgestellt hat, sowie aus dem Umstand, daß die Ehefrau am 24. 6. 1986 eine die gegenseitige Erbeneinsetzung der Ehegatten wiederholende und eine abweichende Regelung der Schlußerbfolge enthaltende letztwillige Verfügung in der Form eines gemeinschaftlichen Testaments entworfen hat, die aber vom Erblasser nicht unterzeichnet worden ist.

(5) Aus alledem ergibt sich, daß die testierenden Ehegatten ihre beiden Ehen - auch in bezug auf die Erbfolge - letztlich als Einheit angesehen haben.

d) Das LG hat geprüft, ob zwischen der vom Erblasser verfügten Einsetzung seiner Stieftochter als Schlußerbin und der von der Ehefrau des Erblassers für den Fall ihres Vorversterbens verfügten Einsetzung des Erblassers zum Alleinerben Wechselbezüglichkeit i.S. von § 2270 I BGB besteht. Es ist zutreffend davon ausgegangen, daß das Testament vom 19. 11. 1954 auch insoweit der Auslegung bedarf. Enthält ein gemeinschaftliches Testament keine klare und eindeutige Anordnung zur Wechselbezüglichkeit, muß diese nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen und für jede einzelne Verfügung gesondert ermittelt werden (vgl.BayObLGZ 1991, 173 (176) = NJW-RR 1991 1288). Das LGhat dies beachtet. Es hat dem Inhalt des Testaments und den von ihm ermittelten sonstigen Umständen keine eindeutige Aussage entnehmen können und deshalb die Auslegungsregel des § 2270 II BGB herangezogen. In Anwendung dieser Vorschrift ist es zu dem Ergebnis gelangt, daß die von der vorverstorbenen Ehefrau verfügte Einsetzung des Erblassers zum Alleinerben wechselbezüglich sei zu der vom Erblasser verfügten Einsetzung der Tochter seiner Ehefrau als Schlußerbin. Dies ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden (vgl. BayObLG, FamRZ 1986, 392 (394)).

e) Die wechselbezüglich zu einer Verfügung seiner Ehefrau vorgenommene Schlußerbeneinsetzung der Bet. zu 1 konnte der Erblasser nach dem Tod der Ehefrau nicht mehr aufheben (§§ 2271 II 1 BGB, 2289 I 2 BGB in entsprechender Anwendung, vgl. BayObLG, FamRZ 1995, 251 (254); Palandt/Edenhofer, § 2271 Rdnr. 15). Die der Schlußerbenregelung widersprechende Einsetzung der Bet. zu 2 als Alleinerbin, die der Erblasser in seinem Testament vom 1. 2. 1992 verfügt hat, ist unwirksam, weil sie die Rechte der Bet. zu 1 beeinträchtigen würde (vgl. BayObLGZ1993, 240 (247f.) = NJW-RR 1993, 1157).

Das LG hat daher zu Recht den Vorbescheid des Nachlaßgerichts aufgehoben, der die Erteilung eines der Erbrechtslage nicht entsprechenden Erbscheins gem. dem Antrag der Bet. zu 2 angekündigt hatte