Höchstbetragsbürgschaft für zukünftige Ansprüche  

BGH, Urteil v. 13.06.1996 - IX ZR 229/95  

Amtlicher Leitsatz:

Auch zukünftige Ansprüche können den Anlaß für eine wirksame formularmäßige Höchstbetragsbürgschaft geben, sofern der Bürge bei Übernahme der Haftung weiß, aus welchem Grund und bis zu welcher Höhe diese Forderungen entstehen werden.  



Fundstellen:

NJW 1996, 2369
LM H. 10/1996 § 765 BGB Nr. 109
MDR 1996, 922
BB 1996, 1578
DB 1996, 1871
WM 1996, 1391
ZIP 1996, 1289
KTS 1996, 440



Zentrale Probleme:

Vgl. Anm. zu BGHZ 130, 19 sowie zu BGH NJW 1998, 3708 ff. 


Zum Sachverhalt:

Der Ehemann der Bekl. betrieb ein Werbestudio als Einzelkaufmann. Seit 1988 verhandelte er mit der Kl. wegen der Übernahme der bis dahin bei einem anderen Kreditinstitut laufenden Darlehensverträge und gründete als weiteres Unternehmen die C-Werbung GmbH. Die Kl. erklärte sich schließlich zu einer Gesamtfinanzierung bereit, verlangte jedoch als Sicherheiten Bürgschaften beider Eheleute. Am 17. 4. 1989 unterzeichnete die Bekl. eine formularmäßig gestaltete Urkunde, in der sie die Bürgschaft zur Sicherung aller bestehenden und künftigen Ansprüche der Kl. aus der Geschäftsverbindung gegen die C-Werbung GmbH sowie den einzelkaufmännischen Betrieb ihres Ehemanns bis zum Betrag von 150000 DM zzgl. Zinsen und Kosten übernahm. Dies geschah in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Abschluß des Kreditvertrags Nr. 26026700. In der Folgezeit gewährte die Kl. eine Reihe weiterer Kredite, u.a. einen privaten Kontokorrentkredit über 20000 DM (Nr. 25575900)an den Ehemann der Bekl. am 19. 4. 1989, ein geschäftliches Darlehen zu Festkonditionen von 32500 DM (Nr. 25200530) ebenfalls an den Ehemann am 14. 7. 1989 und einen Kredit von 197968,99 DM (Nr. 25200533) an "Firma C-Werbung J H" am 12. 10. 1989. Im März 1992 wurde über das Vermögen der GmbH das Konkursverfahren eröffnet. Die Kl. stellte alle Kredite fällig und errechnete offene Forderungen gegen die GmbH und den Ehemann der Bekl. von insgesamt über 675000 DM, darin eingeschlossen auf dem Privatkono Nr. 25575900 19773,43 DM, auf dem Konto Nr. 25200530 21000 DM, auf dem Konto Nr. 25200533 178674,52 DM. Die Kl. hat beide Eheleute aus ihren Bürgschaften in Anspruch genommen und gegen den Ehemann ein rechtskräftiges Versäumnisurteil in Höhe von 250000 DM erwirkt. Ihren Anspruch aus der Bürgschaft der Bekl. stützt die Kl. auf die Forderung aus dem Konto mit der End-Nr. 533 sowie hilfsweise auf die Salden der Konten mit End-Nrn. 900 und 530. Das LG hat die Klage abgewiesen, das BerGer. die Bekl. antragsgemäß verurteilt. Diese erstrebte mit der Revision die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung und hatte Erfolg.

Aus den Gründen:

I. Nach der Auffassung des BerGer. steht der Kl. der geltend gemachte Anspruch zu. Sie habe in der mündlichen Verhandlung klargestellt, worauf sich die Inanspruchnahme der Bekl. aus der Bürgschaft beziehe. Diese bestimme die Haftung hinsichtlich der maßgeblichen Hauptforderung inhaltlich in genügender Weise. Die Ausdehnung auf alle bestehenden und künftigen Ansprüche aus der Geschäftsverbindung sei jedenfalls dann nicht zu beanstanden, wenn die Haftung des Bürgen auf einen Höchstbetrag begrenzt werde. Der Bürgschaftsvertrag sei nicht gem. § 138 I BGB wegen Sittenwidrigkeit nichtig. Es fehle schon an einem besonders groben Mißverhältnis zwischen dem Umfang der Verpflichtung und der Leistungsfähigkeit der Bekl.; diese sei aufgrund ihrer abgeschlossenen Berufsausbildung sowie der Mitarbeit im Betrieb ihres Ehemanns zudem nicht geschäftsunerfahren gewesen. Zusätzliche die Entscheidungsfreiheit der Bürgin beeinträchtigende Umstände, die die Kl. sich zurechnen lassen müsse, hätten nicht vorgelegen. Da die Bürgschaft nicht nur dem Schutz vor Vermögensverschiebungen gedient habe, sondern auch die Haftungsmasse habe erweitern sollen, sei die Kl. nicht nach § 242 BGB gehindert, ihren Anspruch durchzusetzen.
II. Die Revision greift die Ausführungen des BerGer. zu §§ 138 I, 242 BerGer. Die Ansicht des BerGer., daß der Bürgschaftsvertrag im Streitfall nicht gegen die guten Sitten verstoße, steht indessen im Einklang mit der neueren Rechtsprechung des Senats (vgl. BGHZ 128, 230 (232ff.) = NJW 1995, 592 = LM H. 6/1995 § 765 BGB Nr. 98; BGH, NJW 1996, 513 = LM H. 4/1996 § 138 (Bc) BGB Nr. 85 = WM 1996, 53; NJW 1996, 1274 = LM H. 6/1996 § 765 BGB Nr. 104 = WM 1996, 519; NJW 1996, 2096, z. Veröff. bestimmt in BGHZ). Ob die Kl. dagegen mit der Durchsetzung des Anspruchs aus der Bürgschaft rechtsmißbräuchlich handelt, braucht nicht entschieden zu werden. Die Revision hat schon deshalb Erfolg, weil die den Umfang der Bürgenhaftung betreffende Formularklausel die Kreditforderungen nicht wirksam einbezogen hat, die die Grundlage des erhobenen Anspruchs bilden.
1. Die formularmäßige Ausdehnung der Haftung auf alle bestehenden und künftigen Verbindlichkeiten aus der Geschäftsbeziehung zum Hauptschuldner benachteiligt trotz der Begrenzung auf einen Höchstbetrag den Bürgen entgegen den Grundsätzen von Treu und Glauben unangemessen (§ 9 I AGBG).
a) Der Senat hat im Urteil vom 18. 5. 1995 (BGHZ 130, 19 = NJW 1995, 2553 = LM H. 11/1995 § 765 BGB Nr. 99/100/101 = WM 1995, 1397 (1401)) - das noch nicht veröffentlicht war, als das Berufungsurteil erging - die weite Zweckerklärung der Haftung in AGB beanstandet, weil sie mit der gesetzlichen Bestimmung des § 767 I 3 BGB nicht zu vereinbaren ist. Diese schützt den Bürgen davor, für neue Schulden einzustehen, deren Entstehung und ordnungsgemäße Tilgung er nicht beeinflussen kann. Die Vorschrift soll verhindern, daß der Bürge durch Maßnahmen des Hauptschuldners und des Gläubigers, an denen er nicht mitwirkt, in eine für ihn unübersehbare Haftung gerät. Wegen dieses Verbots der Fremddisposition über die Bürgenschuld ist eine formularmäßige Ausdehnung der Verpflichtung auf alle bestehenden und künftigen Verbindlichkeiten des Hauptschuldners aus der bankmäßigen Geschäftsverbindung grundsätzlich nach § 9 AGBG unwirksam, soweit sie Forderungen aus künftigen Verträgen und nachträglichen Vertragsänderungen betrifft. Der Bürge wird lediglich dann nicht unbillig benachteiligt, wenn er selbst in der Lage ist, Erweiterungen der Hauptschuld zu verhindern (Senat, NJW 1996, 1274 = LM H. 6/1996 § 765 BGB Nr. 104, z. Veröff. bestimmt in BGHZ).
b) Wäre die umfassende Haftungsklausel bei Höchstbetragsbürgschaften zulässig, könnten Gläubiger und Hauptschuldner nach Erteilung der Bürgschaft in unbeschränktem Umfang neue Verbindlichkeiten begründen, die alle in Höhe der vereinbarten Haftungssumme von der Bürgschaft gedeckt wären. Für den Bürgen wäre demzufolge das Risiko, anstelle des Hauptschuldners leisten zu müssen, im Zeitpunkt der Begründung seiner Verbindlichkeit nicht abschätzbar. Es könnte selbst bei zwischenzeitlicher Tilgung aller Gläubigeransprüche jederzeit wieder aufleben, solange der Bürge den Vertrag nicht kündigt. Eine so geartete Regelung ist mit Inhalt und Ziel des § 767 BGB nicht zu vereinbaren. Nach der gesetzlichen Regelung hat der Bürge eine Erhöhung der ursprünglichen Hauptforderung mit Wirkung gegen seine Person nur hinzunehmen, soweit sie auf einem Verschulden des Hauptschuldners gegenüber dem Gläubiger beruht oder bestimmte Kosten der Rechtsverfolgung betrifft (§ 767 I 2, II BGB). Darüber hinaus kann eine Erweiterung der Verpflichtung des Bürgen ohne seine Zustimmung grundsätzlich nicht begründet werden. Auf diese Weise wird der Schutz seiner Privatautonomie sichergestellt (zutr. Horn, in: Festschr. f. Merz, S. 217 (225)). Eine Bestimmung, die im Gegensatz dazu es dem Gläubiger gestattet, innerhalb eines Haftungshöchstbetrags unbeschränkt zukünftige Forderungen der Haftung des Bürgen zu unterlegen, entfernt sich von dem gesetzlichen Leitbild so weit, daß sie mit dem Grundgedanken der im BGB getroffenen Regelung nicht mehr vereinbar ist (§ 9 II Nr. 1 AGBG). Aus diesen Gründen ist - wie der Senat bereits mit Urteil vom 7. 3. 1996 (NJW 1996, 1470 = LM H. 8/1996 § 767 BGB Nr. 31/32 = WM 1996, 766) entschieden hat - die formularmäßige Erstreckung der Bürgenhaftung über diejenigen Forderungen hinaus, die Anlaß zur Verbürgung gaben, auf zukünftige Ansprüche des Gläubigers unwirksam.
2. Für die Kreditforderungen, die der Klage zugrunde liegen, hat die Bekl. nicht einzustehen. a) Die Kl. hat in der Berufungsinstanz vorgetragen, die Bürgschaft sei zusammen mit der Unterzeichnung des Kreditvertrags Nr. 26026700 - der offenbar die neu gegründete GmbH betraf - erteilt worden. Daraus allein ergibt sich kein Zusammenhang mit den hier geltend gemachten Forderungen aus Geschäftskrediten, die erst erhebliche Zeit nach Erteilung der Bürgschaft begründet wurden. Dies gilt sowohl für den Darlehensvertrag mit der End-Nr. 533, welcher nicht mit der GmbH, sondern dem Ehemann der Bekl. als Inhaber des einzelkaufmännischen Unternehmens am 12. 10. 1989 geschlossen wurde, als auch für die Forderung aus dem Vertrag vom 14. 7. 1989 (End-Nr. 530). Auf Ansprüche aus dem Vertrag vom 19. 4. 1989 (End-Nr. 900) erstreckt sich die Bürgschaft ohnehin nicht, weil sie nur Geschäftskredite und keine privaten Verbindlichkeiten des Ehemanns der Bekl. sichert.
b) Die Kl. hat in der Revisionsverhandlung erklärt, sie hätte, wenn ihr die inzwischen vollzogene Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung in der mündlichen Verhandlung vor dem Tatrichter bekannt gewesen wäre, bereits dort dargelegt, daß die im Jahre 1989 vollzogene Umschuldung Anlaß für die Bürgschaft gewesen sei und die Bekl. dies gewußt habe. Mit dem Vertrag vom 14. 7. 1989 (End-Nr. 530) sei ein Teil des Kreditengagements bei der Sparkasse übernommen worden. Dieses Vorbringen vermag indessen eine Haftung der Bekl. auch für diese Forderung nicht zu begründen. § 9 AGBG schließt allerdings nicht generell aus, daß eine formularmäßig auf alle Forderungen aus einer Geschäftsverbindung bezogene Bürgschaft auch einen zukünftigen Anspruch wirksam erfaßt. Das berechtigte Interesse des Bürgen, nicht für Forderungen einstehen zu müssen, deren Inhalt und Umfang er bei Erteilung seiner Willenserklärung nicht absehen kann, ist bei zukünftigen Ansprüchen dann gewahrt, wenn der Kreis der Hauptschulden, auf die sich seine Verpflichtung bezieht, nach Grund und Umfang von Anfang an klar und übersichtlich abgesteckt ist. Der Bürge muß aufgrund der Erklärungen der Bank oder aus eigener Kenntnis wissen, welche nach Gegenstand und Grund individualisierten Forderungen in die Haftung einbezogen werden sollen, damit er genau erkennen kann, welches Risiko er in dieser Hinsicht auf sich nimmt. Dazu hätte die Kl. im Streitfall die Bekl. vor Unterzeichnung der Bürgschaft darauf hinweisen müssen, daß zur Umschuldung die Gewährung des Darlehens gehörte, das dann am 13. 7. 1989 gewährt wurde. Eine solche Erläuterung war nur dann entbehrlich, wenn der Bekl. dieser Sachverhalt aus eigener Kenntnis der Geschäftsvorgänge bekannt war. Da die Revisionserwiderung entsprechende Voraussetzungen nicht dargetan hat, ist dieses Darlehen nicht von der formularmäßig gegebenen Bürgschaft gedeckt.
3. Die eingeschränkte Wirksamkeit der den Haftungsumfang betreffenden Formularklausel gilt bereits im Streitfall, obwohl der Senat die Bestimmung früher in weiterem Umfang als gültig angesehen hat. Der mit der Entscheidung verbundenen Rückwirkung auf einen in der Vergangenheit liegenden, noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt stehen verfassungsrechtliche Gründe nicht entgegen. Das hat der Senat im Urteil vom 18. 1. 1996 (NJW 1996, 924 = LM H. 6/1996 § 765 BGB Nr. 105 = WM 1996, 436 (437f.); vgl. auch NJW 1996, 1467 = LM H. 9/1996 § 765 BGB Nr. 107 = WM 1996, 762 (765f.)), im einzelnen begründet; die dortigen Erwägungen gelten hier entsprechend.  



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