Gutgläubiger Erwerb vom Nichtberechtigten bei Kraftfahrzeugen: Bedeutung des Kfz-Briefs für die Gutgläubigkeit des Erwerbers

BGH, Urteil v. 30.10.1995  - II ZR 254/94 (Saarbrücken)


Fundstellen:

NJW 1996, 314
LM H. 3/1996 § 932 BGB Nr. 46
WM 1996, 172
ZIP 1996, 27
NJW 1996, 314

Vgl. auch BGH NJW 1996, 2226 sowie BGH v. 9.2.2005 - VIII ZR 82/03 und die Anm. zu BGH v. 13.9.2006 - VIII ZR 184/05.



Amtl. Leitsatz:

Zur Frage des gutgläubigen Erwerbs von fabrikfremden Neuwagen durch die Niederlassung eines Autoherstellers, wenn eine veräußernde Privatperson Fahrzeugbriefe ohne Haltereintragung vorlegt.



Zum Sachverhalt:

Die Kl. betreibt einen Handel mit Neufahrzeugen und Gebrauchtwagen. Im März 1992 schloß sie mit Herrn A einen schriftlichen Kaufvertrag über den gebrauchten Pkw M-Diesel zum Preis von 30000 DM. Der Fahrzeugbrief wurde Herrn A bei der Übergabe des Fahrzeugs ausgehändigt. Er wurde als Halter eingetragen. Ebenfalls im März 1992 verkaufte die Kl. Herrn A zwei Neuwagen Pkw A 2,8 E zum Kaufpreis von 44000 DM und Pkw G zum Kaufpreis von 38000 DM. Die Fahrzeugbriefe beider Neufahrzeuge wurden Herrn A übergeben. Eine Haltereintragung erfolgte nicht. Die Zahlung des Kaufpreises für die Fahrzeuge an die Kl. blieb aus. Herr A verkaufte Ende März/Anfang April 1992 seinerseits die von der Kl. erworbenen drei Fahrzeuge an die Bekl. und übergab sie ihr mit den dazugehörigen Fahrzeugbriefen. Für den Gebrauchtwagen M-Diesel zahlte die Bekl. an Herrn A einen Kaufpreis von 24000 DM in bar aus. Die Neufahrzeuge A und G wurden der Bekl. von der F+A-GbR, H., mit Rechnung vom 1. 4. 1992 mit Beträgen von 43000 DM und 28000 DM berechnet. Herr M erhielt auch diese Kaufpreise in bar ausgezahlt. Die Bekl. hatte sich durch ein Schreiben vom 1. 4. 1992 von der F + A-GbR bestätigen lassen, daß an den Neufahrzeugen Aund G keine Rechte Dritter bestünden. Mit der Klage hat die Kl. von der Bekl. zunächst Herausgabe der drei Fahrzeuge verlangt. Während des Rechtsstreits hat die Bekl. den Gebrauchtwagen M zum Preis von 23500 DM und das Neufahrzeug G zum Preis von 28947 DM weiterverkauft. Die Kl. hat daraufhin Schadensersatz für den Pkw M in Höhe von 30000 DM und für den Pkw G in Höhe von 38000 DM verlangt.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat die Berufung der Kl. zurückgewiesen. Die Revision der Kl. hatte Erfolg und führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das BerGer.

Aus den Gründen:

I. Das OLG hat ausdrücklich offengelassen, ob - was die Bekl. bestritten hat - die Kl. die Fahrzeuge an Herrn A unter Eigentumsvorbehalt verkauft hat. In der Revisionsinstanz muß daher davon ausgegangen werden, daß A kein Eigentum an den Fahrzeugen erworben und darüber als Nichtberechtigter verfügt hat.
II. Das BerGer. geht davon aus, daß die Bekl. beim Ankauf der drei Fahrzeuge keine weiteren Nachforschungen über die Eigentumsverhältnisse an den Fahrzeugen anstellen mußte, weil sich darunter zwei Neufahrzeuge befunden hätten, deren Fahrzeugbriefe üblicherweise keine Haltereintragungen enthielten. Es sei deshalb für die Gutgläubigkeit der Bekl. ausreichend gewesen, daß sie in den Fahrzeugbrief des dritten, als Gebrauchtwagen verkauften Fahrzeugs Einsicht genommen habe, in dem der Verkäufer als Halter eingetragen gewesen sei. Wenn sie sich als Erwerberin vom Verkäufer zusätzlich eine schriftliche Bestätigung über seine Verfügungsbefugnis hinsichtlich der Neufahrzeuge habe aushändigen lassen, habe sie ihrer Erkundigungspflicht genügt. Diese Erwägungen sind nicht frei von Rechtsirrtum.
1. Im Ansatz zutreffend hat das BerGer. die vom BGH allgemein entwickelten Voraussetzungen für den gutgläubigen Erwerb von Kfz und die dabei vom Erwerber zu beobachtenden Sorgfaltspflicht am Maßstab der groben Fahrlässigkeit (§ 932 II BGB) umschrieben (BGHZ 10, 14 (16) = NJW 1953, 1139 = LM § 932 BGB Nr. 2; BGH, NJW 1975, 735 (736) = LM § 366 HGB Nr. 13; NJW-RR 1987, 1456 = LM § 142 BGB Nr. 8; Senat, NJW 1991, 1415 (1417) = LM H. 2/1992 § 936 BGB Nr. 1; NJW 1994, 2022 (2023) = LM H. 9/1994 § 932 BGB Nr. 43). Bei der Anwendung dieses Sorgfaltsmaßstabs auf den hier zu beurteilenden Erwerb von zwei Neufahrzeugen und einem Gebrauchtwagen sind dem BerGer. jedoch revisible Rechtsfehler unterlaufen.
a) Rechtsfehlerhaft ist zunächst die Auffassung des OLG, die Bekl. habe beim Ankauf der zwei Neufahrzeuge A und G keinen Anlaß zur weiteren Überprüfung der Rechtsstellung des Veräußerers A gehabt, weil er, wie im Neuwagengeschäft üblich, Fahrzeugbriefe vorgelegt habe, in die die Halter noch nicht eingetragen waren. Die Begründung des BerGer., die Rechtsprechung habe eine Nachprüfungspflicht nur in Fällen des Verkaufs von gebrauchten Kfz durch Privatpersonen angenommen, in denen der Veräußerer zwar im Besitz des Kfz-Briefs, aber selbst nicht als Halter eingetragen gewesen sei, wird der vorliegenden Fallgestaltung nicht gerecht. Zwar entspricht es der für den Gutgläubigensschutz beim Handel mit Gebrauchtwagen entwickelten Rechtsprechung, daß der Besitz des Kfz samt dem Fahrzeugschein und dem Fahrzeugbrief den Rechtsschein der Verfügungsmacht über einen gebrauchten Kraftwagen begründet und daß nur das Unterlassen der Einsicht in den Fahrzeugbrief i.d.R. einen gutgläubigen Erwerb beim Käufer eines Gebrauchtwagens ausschließt (BGH, NJW 1975, 735 (736) = LM § 366 HGB Nr. 13; Reinking/Eggert, Der Autokauf, 5. Aufl., Rdnr. 1491).
b) Daraus darf indessen nicht der Schluß gezogen werden, daß beim Kauf von Neuwagen der Eintragung des Halters im Fahrzeugbrief nur untergeordnete Bedeutung zukomme. Im Streitfall ging es darum, daß beim Kauf von zwei Neuwagen Fahrzeugbriefe ohne Haltereintragung vorgelegt wurden. Das mag beim Neuwagenkauf von einem autorisierten und zuverlässigen Vertragshändler mangels sonstiger Auffälligkeiten nicht zu beanstanden sein. Das kann aber auf einen Autokauf aus Privathand nicht ohne weiteres übertragen werden. Weder A noch die F+A-GbR waren Vertragshändler, so daß unter den gegebenen Umständen die fehlende Eintragung des Halters im Fahrzeugbrief entgegen der Ansicht des BerGer. nicht als üblich bezeichnet werden kann. Ungewöhnlich war hier auch, daß eine Privatperson, die offenbar mit der Bekl. nicht in ständiger Geschäftsbeziehung stand, innerhalb kurzer Zeit insgesamt drei Kraftwagen veräußerte, ohne ihrerseits - jedenfalls ist das nicht festgestellt - ein Fahrzeug zu erwerben. Zudem handelt es sich bei zwei Fahrzeugen für die Bekl. um Fabrikate anderer Autohersteller. Für die Frage des guten Glaubens i.S. des § 932 BGB ist auf das Gesamtbild der in zeitlichem Zusammenhang erfolgten Verkäufe abzustellen.
2. Waren bereits diese Umstände geeignet, Zweifel an dem Eigentum des A an den Neuwagen zu erwecken, so mußte die das Gesamtbild ebenfalls beeinflußende Preisgestaltung bei zwei von drei Wagen die Verdachtsmomente noch verstärken. Beim G lag der von der Bekl. gezahlte Preis von 28000 DM mit 26,31 % unter dem von der Kl. angegebenen Mindestverkehrswert von 38000 DM. Bei dem zusammen mit den beiden Neufahrzeugen von der Bekl. angekauften Gebrauchtfahrzeug M hat der Verkäufer A der Bekl. zwar den Fahrzeugbrief vorgelegt, in dem er auch als Halter eingetragen war. Aber auch die Umstände bei diesem Erwerb hätten bei der Bekl. Verdacht erregen müssen, weil der Kauf aufgrund des engen zeitlichen Zusammenhangs Teil eines Gesamtvorgangs war und auch hier der von der Bekl. gezahlte Kaufpreis mit 24000 DM 20 % unter dem von der Kl. behaupteten üblichen Marktpreis lag. Auch dieses festgestellte auffällige Mißverhältnis zwischen dem beim Ankauf an Herrn A gezahlten Preis und dem üblichen "marktgerechten" Preis bei den zwei Fahrzeugen hätte Anlaß geben müssen, Nachforschungen nach dem Voreigentümer der Neufahrzeuge anzustellen. Dies hätte z.B. bei den Neuwagen anhand der Fahrgestellnummer durch Nachfrage beim Hersteller erfolgen können.
3. Ein sich auch aus beiden Umständen aufdrängender Verdacht, der Verkäufer A könnte nicht Eigentümer der Neufahrzeuge sein, war auch nicht dadurch zu entkräften, daß sich die Bekl. die Erklärung vom 1. 4. 1992 übermitteln ließ, in der bestätigt wurde, an den beiden Neufahrzeugen bestünden keine Rechte Dritter. Die von der F+A-GbR abgegebene Erklärung läßt den vom OLG nicht näher aufgeklärten Widerspruch zwischen der Tatsache offen, daß der Verkauf der Neufahrzeuge durch A als Privatperson erfolgte, während die Erklärung durch eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts abgegeben wurde, die als Handelsagentur für Industriegüter und Kommunikationswesen nicht mit dem Handel von Kfz befaßt war. Die Erklärung ist auch nach ihrem Inhalt nicht geeignet, einem sich auf den guten Glauben berufenden Erwerber sichere Anhaltspunkte über die Herkunft der fabrikneuen Fahrzeuge und über die Verfügungsbefugnis oder das Eigentum des Verkäufers zu geben.
Zweifel hätten um so mehr auftreten müssen, als die Bekl. den Kaufpreis für die Neufahrzeuge und das dritte hochwertige Gebrauchtfahrzeug M in Höhe von insgesamt 95000 DM nicht einmal an die F+A-GbR gezahlt hat. Diese hat zwar der Bekl. für den Verkauf der beiden Neufahrzeuge und ein weiteres - nicht in diesem Rechtsstreit befangenes - Gebrauchtfahrzeug unter dem 1. 4. 1992 eine Rechnung erteilt. Den hohen Kaufpreis hat die Bekl., ein eingeführtes Unternehmen der Automobilbranche, dem Verkäufer A dagegen in bar ausgehändigt, was ebenso ungewöhnlich ist.



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