Halterbegriff  i.S.v. § 7 StVG: Ende der Haltereigenschaft bei Unterschlagung des Fahrzeugs
BGH, Urteil v. 26.11.1996  - VI ZR 97/96 (Düsseldorf) 
Fundstelle:

NJW 1997, 660 


Amtl. Leitsätze:

1. Die Stellung als Halter eines Kraftfahrzeugs endet jedenfalls dann, wenn die tatsächliche Möglichkeit, den Einsatz des Kraftfahrzeugs zu bestimmen (Verfügungsgewalt), nicht nur vorübergehend (hier: mindestens 2 1/2 Jahre) entzogen worden ist.
2. Eine entsprechende Anwendung des § 7 III 1 Halbs. 2 StVG zu Lasten des früheren Halters ist in den Fällen des § 7 III 2 StVG nach Wechsel der Haltereigenschaft auch dann nicht möglich, wenn der neue Halter unbekannt ist.



Zum Sachverhalt:

Die Kl. begehrt vom Bekl. Ersatz von Schäden, die sie an ihrem, von ihrem Sohn gesteuerten Pkw Volvo 240 GLE bei einem Verkehrsunfall am 22. 4. 1992 auf der Autobahn A 57 erlitten hat. Auf den Pkw Volvo der Kl. fuhr ein Pkw VW-Scirocco auf, der mit einem gestohlenen polizeilichen Kennzeichen versehen war, dessen Fahrer Verkehrsunfallflucht beging und unbekannt ist. Der Bekl. hatte den Scirocco im Rahmen seines Gebrauchtwagenhandels Ende 1988 erworben und beim Straßenverkehrsamt abgemeldet. Er hatte ihn einem Kaufinteressenten Ende 1988/Anfang 1989 übergeben, ohne sich dessen Personalien zu merken. Der Interessent gab den VW nicht zurück. Der Bekl. erstattete keine Anzeige. Die Kl. hat die Ansicht vertreten, der Bekl. müsse für den Schaden eintreten, weil er noch Halter des VW-Scirocco gewesen sei oder sich zumindest als solcher behandeln lassen müsse.
Das LG hat der Klage stattgegeben; eine Verpflichtung des Bekl. zum Schadensersatz sei in entsprechender Anwendung der §§ 7 I, III StVG anzunehmen. Vor allem dann, wenn der letzte Halter es zu vertreten habe, daß eine konkrete Person als aktueller Halter nicht mehr ermittelt werden könne, gelte der Grundsatz, daß jedes Kraftfahrzeug bis zum letzten Betrieb einen Halter haben müsse. Das OLG hat das landgerichtliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die zugelassene Revision der Kl. hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen:
I. Das BerGer. hat die Abweisung der Klage im wesentlichen damit begründet, der Bekl. sei im Unfallzeitpunkt nicht mehr Halter des Pkw VW-Scirocco gewesen. Die Haftung des Halters beruhe darauf, daß er die Verantwortung für die Ingebrauchnahme des Fahrzeugs trage; sie ende mit dem endgültigen Verlust jeglicher Verfügungsgewalt über das Kraftfahrzeug. Dieser sei nach einem Diebstahl des Fahrzeugs jedenfalls dann gegeben, wenn der Täter polizeilichen Nachforschungen nicht mehr ausgesetzt sei. Im vorliegenden Fall sei der mögliche Dieb im Unfallzeitpunkt über 2 1/2 Jahre nach der Inbesitznahme des Fahrzeugs polizeilichen Nachforschungen nicht mehr ausgesetzt und damit Halter gewesen; zudem sei das Fahrzeug bei der Zulassungsstelle abgemeldet und mit gestohlenen Kennzeichen versehen gewesen. Eine weite Auslegung der Ausnahmevorschrift in § 7 III 1 Halbs. 2 StVG sei nicht zulässig. Auch eine Haftung aus § 823 I BGB deshalb, weil der Bekl. die Person des Kaufinteressenten nicht zuverlässig ermittelt gehabt habe und auf diese Weise die Benutzung des Fahrzeugs durch den Unfallfahrer und damit den Unfall ermöglicht habe, komme nicht in Betracht. Insoweit fehle der Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen dem haftungsbegründenden Ereignis und dem eingetretenen Schaden. Auch bei schuldhafter Ermöglichung eines Diebstahls oder einer Unterschlagung erstrecke § 7 III 1 Halbs. 2 StVG die Haftung des Halters nicht über den Zeitpunkt hinaus, zu dem seine Halterstellung geendet habe.
II. Das angefochtene Urteil hält den Angriffen der Revision im Ergebnis stand.
1. Der Kl. steht gegen den Bekl. kein Anspruch auf Ersatz des ihr durch den Unfall vom 22. 4. 1992 entstandenen Schadens gem. § 7 I StVG zu, denn der Bekl. war im Zeitpunkt des Unfalls nicht mehr Halter des Pkw VW-Scirocco.
Ohne Rechtsfehler geht das BerGer. davon aus, daß eine Haftung aus § 7 I StVG nach dem Verlust der Haltereigenschaft nicht mehr begründet werden kann. Halter eines Kraftfahrzeugs ist nach gefestigter Rechtsprechung, wer das Fahrzeug für eigene Rechnung in Gebrauch hat und die Verfügungsgewalt besitzt, die ein solcher Gebrauch voraussetzt (vgl. BGHZ 87, 133 (135) = NJW 1983, 1492 = LM § 7 StVG Nr. 53; BGHZ 116, 201 (202, 205f.) = NJW 1992, 900 = LM H. 8/1992 § 242 (Cd) BGB Nr. 319). Dementsprechend endet die Stellung als Halter eines Kraftfahrzeugs jedenfalls dann, wenn die tatsächliche Möglichkeit, den Einsatz des Kraftfahrzeugs zu bestimmen (Verfügungsgewalt), auf eine nicht nur vorübergehende Zeit entzogen wird. So liegt der Fall hier. Es kann daher dahinstehen, ob der Bekl. den Pkw 1988 veräußert oder ihn einem Kaufinteressenten zu einer Probefahrt überlassen hat. Jedenfalls hat dieser das Fahrzeug nicht mehr zurückgegeben, sondern mindestens 2 1/2 Jahre lang unter Ausschluß der Verfügungsmöglichkeit des Bekl. selbst genutzt oder sogar weitergegeben.
2. Auch eine Haftung aus § 7 III StVG scheidet im vorliegenden Fall aus.
a) In Betracht käme lediglich § 7 III 2 StVG. Diese Bestimmung erfaßt die Fälle, in denen der Halter das Fahrzeug einem anderen überlassen, es diesem also zu einem bestimmten Zweck anvertraut hat. Wenn dieser dann bei oder nach Erledigung der Zweckbestimmung das Fahrzeug zu einer nicht vom Willen des Halters gedeckten Schwarzfahrt benutzt (sog. Exzeß des Benutzers), bleibt § 7 III 2 StVG anwendbar (vgl. Greger, Zivilrechtliche Haftung im Straßenverkehr, 2. Aufl., § 7 StVG Rdnr. 337; amtl. Begründung zum Gesetz über die Einführung der Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter und zur Änderung des Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen sowie des Gesetzes über den Versicherungsvertrag vom 7. 11. 1939 - RGBl I, 2223 - in DJ 1939, 1771f. zu Art. II Nr. 2).
Eine Haftung nach § 7 III 2 StVG setzt aber voraus, daß der Überlassende weiterhin Halter ist. Die Bestimmung macht die Befreiung des Halters von seiner Haftung nach § 7 III 1 StVG für die Fälle, in denen sich der Schwarzfahrer eigenmächtig in den Besitz des Fahrzeugs gesetzt und der Halter das nicht verschuldet hat, rückgängig. Für eine solche Haftungsbefreiung besteht kein Anlaß, wenn der Halter für die Auswahl der Person, der er das Fahrzeug anvertraut, verantwortlich ist. Verbleibt es für diese Fälle daher bei der Haftung des Halters gem. § 7 I StVG, geht die Haftung aus § 7 III 2 StVG nicht weiter als jene und setzt damit in gleicher Weise das (Fort-)Bestehen der Haltereigenschaft zur Begründung der Haftung voraus (ebenso Greger, § 7 StVG Rdnrn. 337, 358, 369). Daran fehlt es vorliegend, wie bereits ausgeführt wurde.
b) Eine Haftung des Bekl. aus § 7 III 1 StVG kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil in den Fällen des § 7 III 2 StVG nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes Satz 1 dieser Vorschrift keine Anwendung findet. Deshalb kommt es letztlich auch nicht darauf an, ob der in der Literatur vertretenen Mindermeinung zu folgen wäre, nach der die Bestimmung des § 7 III 1 Halbs. 2 StVG in sinngemäßer Anwendung auch den Fall der unbefugten Benutzung mit Halterwechsel umfassen soll (vgl. Greger, § 7 StVG Rdnrn. 332, 357).
Soweit die Revision darüber hinaus (insoweit im Gegensatz zu Greger, § 7 StVG Rdnrn. 337, 358, 369) eine Haftung des früheren Halters für die Fälle der unbefugten Benutzung durch einen anfänglich befugten Benutzer sogar nach Halterwechsel begründen will, geht das fehl. Nach dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung des § 7 III 2 StVG schließt die anfängliche Überlassung des Fahrzeugs die unmittelbare und erst recht die entsprechende Anwendung des gesamten § 7 III 1 StVG aus. Eine entsprechende Anwendung des § 7 III 1 Halbs. 2 StVG zu Lasten des früheren Halters ist in den Fällen des § 7 III 2 StVG nach Wechsel des Halters auch dann nicht möglich, wenn der neue Halter unbekannt ist; auf die Kenntnis von der Person des Halters stellt das Gesetz nicht ab.
3. Eine Haftung des Bekl. aus § 823 BGB hat das BerGer. im Ergebnis ohne Rechtsfehler verneint. Die Revision rügt ohne Erfolg, der Bekl. habe die ihm obliegende allgemeine Pflicht verletzt, die zum Schutz Dritter notwendigen Vorkehrungen zu treffen. Die Revision meint, der Bekl. habe dadurch, daß er den Wagen für eine Probefahrt überlassen habe, ohne die Personalien des Kaufinteressenten festzuhalten, das Fahren mit einem gefälschten oder gestohlenen Kennzeichen ohne Versicherungsschutz ermöglicht. Das geht fehl. Der Bekl. war nicht gegenüber den übrigen Verkehrsteilnehmern verpflichtet, die Personalien eines Kaufinteressenten festzustellen und zu vermerken. Solche Feststellungen waren allenfalls im eigenen Interesse des Bekl. angebracht, um ihm die Durchsetzung eventueller Ansprüche zu erleichtern. Soweit er die Feststellungen unterließ, handelte er schon objektiv nicht pflichtwidrig gegenüber der Kl. Daß der Bekl. in schadensursächlicher Weise gegen seine Verpflichtung aus § 21 I Nr. 2 StVG verstoßen hätte, ist von der Revision nicht geltend gemacht und nicht ersichtlich. Das BerGer. hat mithin zu Recht einen Zurechnungszusammenhang zwischen dem Verhalten des Bekl. und dem bei der Kl. eingetretenen Schaden verneint.