Verfassungsrechtlicher Schutz der Testierfreiheit: Testierverbot nach § 14 HeimG


BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), Beschluß vom 3. 7. 1998 - 1 BvR 434-98


Fundstellen:

NJW 1998, 2964
ZEV 1998, 312
FamRZ 1998, 1498
RPfleger 1998, 516
VersR 1998, 1245
BWNotZ 1999, 176
s. auch
BGH v. 26.10.2011 - IV ZB 33/10; zum Schutz der Testierfreiheit s. weiter BVerfG NJW 2004, 2008 sowie BVerfG, Beschl.  v. 19.4.2005 - 1 BvR 1644/00 und 1 BvR 188/03


Eigener Leitsatz:

Das Testierverbot nach § 14 HeimG ist verfassungsgemäß.


Zum Sachverhalt:
 

Die Bf. betrieb mit Unterstützung des Bf. eine Hotelpension, in der sie über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren auf Dauer mindestens drei alte und pflegebedürftige Menschen betreute. Dafür erhielt sie von ihren Pflegegästen monatlich 5000 DM. Mit Wissen der Bf. errichtete einer ihrer Pflegegäste im Jahre 1988 ein handschriftliches Testament, in dem er die Bf. zu ihren Erben einsetzte. Nach dem Tod der Erblasserin beantragten die Bf. die Erteilung eines Erbscheins. Diesen Antrag lehnten die Zivilgerichte im wesentlichen mit der Begründung ab, daß das Testament gegen das gesetzliche Verbot des § 14 HeimG a. F. verstoße und daher nichtig sei.

Auch die Verfassungsbeschwerde hatte keinen Erfolg.


Aus den Gründen:

II. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an, da die Annahmevoraussetzungen des § 93 a BVerfGG nicht vorliegen.

1. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Es ist in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung geklärt, daß die Testierfreiheit ein bestimmendes Element der Erbrechtsgarantie ist (BVerfGE 67, 329 [341] = NJW 1985, 1455; BVerfGE 91, 346 [358] = NJW 1995, 2977 = NVwZ 1996, 54 L) und daß der Gesetzgeber bei der näheren Ausgestaltung des Erbrechts den grundlegenden Gehalt der verfassungsrechtlichen Gewährleistung wahren muß (BVerfGE 67, 329 [340] = NJW 1985, 1455). Er darf insbesondere von Elementen des Erbrechts, die Bestandteil der verfassungsrechtlichen Gewährleistung sind, nur in Verfolgung eines verfassungsrechtlich legitimen Zwecks und nur unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit abweichen (BVerfGE 91, 346 [360] = NJW 1995, 2977 = NVwZ 1996, 54 L).

Gemessen an diesen Grundsätzen stellt das Testierverbot des § 14 HeimG a. F. eine verhältnismäßige Einschränkung der Testierfreiheit dar (BVerwG, NJW 1990, 2268; BGH, ZEV 1996, 145 f.; BayObLG, NJW 1992, 55 f.; 1993, 1143 f.). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist entgegen den in der Literatur geäußerten Bedenken (Jacobi, ZfSH-SGB 1994, 633 f.; Brox, in: E. Klein, Festschr. f. Ernst Benda, 1995, S. 17 ff.; Münzel, NJW 1997, 112) nicht verletzt.

Das Testierverbot dient legitimen Gemeinwohlzielen. § 14 HeimG a. F. verfolgt im wesentlichen drei Zwecke. Erstens soll verhindert werden, daß die Hilf- oder Arglosigkeit alter und pflegebedürftiger Menschen in finanzieller Hinsicht ausgenützt wird. Sie sollen vor der nochmaligen oder überhöhten Abgeltung von Pflegeleistungen bewahrt werden (BT-Dr 7-180, S. 12, 15). Zweitens soll der Heimfriede geschützt werden. Es soll verhindert werden, daß durch die Gewährung von finanziellen Zusatzleistungen oder Zusatzversprechen eine unterschiedliche (privilegierende oder benachteiligende) Behandlung der Bewohner eines Altenheims eintritt (BT-Dr 7-180, S. 12; 11-5120, S. 17 f.). Drittens dient § 14 HeimG a. F. dazu, die Testierfreiheit der Heimbewohner zu sichern (vgl. BT-Dr 11-5120, S. 17). Die Vorschrift soll alte Menschen davor bewahren, daß ihr Recht auf freie Verfügung von Todes wegen durch offenen oder versteckten Druck faktisch gefährdet wird.

Das in § 14 HeimG a. F. aufgestellte Verbot, von dem die Heimaufsichtsbehörde im Fall des Absatzes 1 nach dessen Satz 2 unter bestimmten Voraussetzungen Ausnahmen zulassen kann, stellt auch ein geeignetes Mittel zur Erreichung dieser Ziele dar. Dadurch, daß es dem Träger des Heims, seinem Leiter, den Beschäftigten und sonstigen Mitarbeitern verboten ist, sich über das Pflegeentgelt hinaus Vermögensvorteile für zu erbringende Leistungen versprechen zu lassen, wird der Ausnützung der Heimbewohner, der Störung des Heimfriedens durch finanzielle Konkurrenz und der Beeinträchtigung der Testierfreiheit durch versteckten oder offenen Druck entgegengewirkt. Der Schutz dieses Verbotes wird dadurch verstärkt, daß ein Zuwiderhandeln nach § 134 BGB zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts führt (BGHZ 110, 235 [240] = NJW 1990, 1603 = LM § 14 HeimG Nr. 1).

Das Verbot stellt auch ein erforderliches Mittel dar. Es trifft nicht zu, daß die allgemeinen Vorschriften über die Sittenwidrigkeit von Rechtsgeschäften (§ 138 BGB) und über den Testamentswiderruf (§§ 2253-2255 BGB) das Ziel des Gesetzgebers in gleichem Maße erreichen und einen geringeren Eingriff darstellen. Zwar begründet auch § 138 BGB einen Schutz gegen Übervorteilung. Dieser Schutz greift aber nur ein, wenn eine tatsächliche Zwangslage besteht und wenn dies im nachfolgenden Prozeß nachgewiesen werden kann. Hingegen verhindert § 14 HeimG a. F. bereits die Ausübung offenen oder versteckten Drucks und entfaltet damit eine umfassendere Schutzwürdigkeit (BGH, ZEV 1996, 145 f.). Auch die allgemeinen Widerrufsregeln für Testamente können nicht als gleich wirksames milderes Mittel angesehen werden. Denn sie verhindern nicht, daß auf die Bewohner von Alten- und Pflegeheimen offener oder versteckter Druck in bezug auf eine bestimmte Testamentsgestaltung ausgeübt wird. Sie geben den Heimbewohnern lediglich ein Mittel in die Hand, sich der Rechtsbindung einer fremdbeeinflußten testamentarischen Erklärung wieder zu entziehen. Sie wirken aber nicht der Entstehung psychischer Zwangslagen entgegen, die zur Errichtung vom freiem Willen nicht getragener Testamente führen und zu deren Beibehaltung bewegen. Ferner stellt auch die Einführung einer Meldepflicht für testamentarische Zuwendungen kein gleich wirksames milderes Mittel dar. Denn auch die Meldepflicht zwingt den Heimträger und das Heimpersonal nicht in gleichem Maße zur Zurückhaltung bei der Einflußnahme auf die Testamentsgestaltung der Heimbewohner wie ein Verbot. Als gleich wirksames, aber milderes Mittel kann auch nicht die Beschränkung des Verbots auf die aktive Einflußnahme bei der Testamentsgestaltung angesehen werden. Damit würde zwar die faktische Testierfreiheit der Heimbewohner in annähernd gleichem Maße geschützt wie durch das Verbot der passiven Vorteilsannahme. Es würde aber nicht verhindert, daß einzelne Heimbewohner sich durch testamentarische Versprechen Vorteile im Heimbetrieb "erkaufen" könnten und daß eine Art Konkurrenzsituation zwischen den Heimbewohnern entstehen würde, die geeignet wäre, den Heimfrieden zu gefährden (vgl. BT-Dr 7-180, S. 12). Damit stellt sich ein Verbot der testamentarischen Vorteilsannahme jedenfalls dann als geringstmöglicher Eingriff dar, wenn es als präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt angesehen wird und wenn dem Heimbewohner ein Anspruch auf Erlaubniserteilung eingeräumt wird, soweit die mit dem Verbot verfolgten Zwecke im Einzelfall nicht eingreifen (vgl. BVerfGE 18, 353 [363] = NJW 1965, 741; BVerfGE 71, 137 [146] = NVwZ 1986, 197).

Das in § 14 HeimG a. F. enthaltene Verbot der testamentarischen Vorteilsannahme ist auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Für den Heimträger und die Mitarbeiter des Heimes stellt sich das Verbot der Vorteilsannahme als übliche und zumutbare Einschränkung ihrer Berufs- und Gewerbeausübungsfreiheit dar. Ihren berechtigten Interessen ist bereits durch das Pflegeentgelt Rechnung getragen. Daneben schränkt das Verbot der Vorteilsannahme zwar auch die rechtlichen Testiermöglichkeiten der Heimbewohner ein. Ihnen wird die Testamentserrichtung erschwert, wenn sie freiwillig, aus menschlich nachvollziehbaren Gründen einen Altenpfleger, Heimleiter oder Heimträger testamentarisch bedenken wollen. Eine solche vom Prinzip der Testierfreiheit geschützte letztwillige Verfügung wird aber durch die Verbotsnorm des § 14 HeimG a. F. weder unmöglich noch in unzumutbarer Weise erschwert. Da § 14 HeimG a. F. nur Vorteilsversprechen verbietet, schließt die Norm testamentarische Verfügungen zugunsten des Heimträgers oder des Heimpersonals nicht aus, die dem Betroffenen nicht mitgeteilt und gleichsam im Stillen angeordnet werden. Bei fehlender Kenntnis des Begünstigten ist das Testament stets wirksam (BayObLG, NJW 1992, 55 ff.; 1993, 1143 ff.; BGH, BGHR, HeimG § 14 I 1 Vermögensvorteil 2). Möchte der Erblasser seinen letzten Willen dem bedachten Heimträger mitteilen, kann er die Wirksamkeit seiner testamentarischen Verfügung dadurch sichern, daß er vorher eine Erlaubnis für die Zuwendung beantragt (vgl. § 14 I 2 HeimG a. F.). Da der Betroffene einen Anspruch auf Genehmigung hat, wenn seine Zuwendung nicht dem Zweck des § 14 HeimG a. F. widerspricht, stellt die Durchführung eines solchen vorherigen Erlaubnisverfahrens keine unzumutbare Belastung dar. Dies gilt vor allem deshalb, weil die Einschaltung der Heimaufsichtsbehörde auch der Überprüfung der Freiwilligkeit des Testierausschlusses und damit dem Schutz des Heimbewohners dient. Eine unzumutbare Erschwerung liegt auch in den Fällen nicht vor, in denen der Altenheimbewohner erst nach Testamentserrichtung vom begünstigten Heimträger über den Erlaubnisvorbehalt aufgeklärt wird. Denn § 14 I 2 HeimG a. F. schließt jedenfalls eine erneute Testamentserrichtung nach Einschaltung der Aufsichtsbehörde nicht aus. Angesichts dieser Möglichkeiten der stillen oder erlaubten Testierung kann von einer Verletzung des Übermaßverbots keine Rede sein.

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist im vorliegenden Fall auch nicht zur Durchsetzung der Grundrechte der Bf. aus Art. 14 I GG angezeigt. Es ist nicht ersichtlich, daß die Zivilgerichte bei der Anwendung und Auslegung des § 14 HeimG a. F. auf den vorliegenden Fall Bedeutung und Tragweite der Erbrechtsgarantie grundsätzlich verkannt hätten. Die Feststellung des Sachverhalts und die Anwendung und Auslegung des einfachen Rechts sind Sache der allgemein zuständigen Gerichte und einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle weitgehend entzogen (BVerfGE 18, 85 [92 f.] = NJW 1964, 1715; BVerfGE 91, 346 [366] = NJW 1995, 2977 = NVwZ 1996, 54 L).

a) Es ist eine Frage der Anwendung und Auslegung des einfachen Rechts, ob die Verbotsnorm des § 14 HeimG a. F. nur für staatlicherseits erlaubte Heime gilt oder darüber hinaus auch für alle erlaubnispflichtigen Heime. Da § 1 HeimG a. F. den Anwendungsbereich des Gesetzes auf alle Altenheime, Altenwohnheime, Pflegeheime und gleichartigen Einrichtungen erstreckt und da § 14 HeimG a. F. keinerlei Einschränkungen enthält, ist die Ansicht der Zivilgerichte jedenfalls vertretbar, daß es auf das Vorliegen einer staatlichen Erlaubnis nicht ankommt und daß der Schutzzweck des § 14 HeimG a. F. auch bei nicht genehmigten Einrichtungen eingreift.

b) Ebenso ist es eine Frage der Anwendung des einfachen Rechts, ob der relativ kleine Pflegebetrieb der Bf. als erlaubnispflichtige Heimeinrichtung i. S. des § 1 I HeimG a. F. anzusehen ist. Nach den Feststellungen der Zivilgerichte haben die Bf. über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren Pflegeleistungen erbracht und dabei jeweils mindestens drei alte Menschen dauerhaft betreut. Soweit die Zivilgerichte davon ausgegangen sind, daß es für den Heimbegriff in erster Linie auf die Nachhaltigkeit der Pflegetätigkeit ankommt und nicht auf die Zahl der betreuten Personen, ist diese Auffassung jedenfalls vertretbar. Denn der Wortlaut des § 1 I 1 HeimG a. F. stellt allein auf eine dauerhafte Unterbringung ab und schreibt eine bestimmte Mindestzahl der Bewohner nicht vor. Schließlich konnten die Bf. - nach den nicht substantiiert angegriffenen Feststellungen des OLG - der Rechtsauskunft der Aufsichtsbehörde nicht entnehmen, daß ihr über die reine Hotelunterbringung hinausgehender Pflegebetrieb als erlaubnisfrei anzusehen sei.