Voraussetzungen des Vollmachtsmißbrauchs


BGH, Urt. v. 29. 6. 1999  XI ZR 2 77/98 (Nürnberg)


Fundstelle:

NJW 1999, 2883



Amtl. Leitsatz:

Zur objektiven Evidenz des Mißbrauchs einer umfassenden Kontovollmacht.



Zentralproblem:

Der Bekl. hatte sich von der Kl. eine Kontovollmacht für deren Sparkonto geben lassen und anschließend deren "Sparbuch geplündert". Die Kl. macht Ansprüche gegen die Sparkasse geltend. Dabei geht es nicht um Ersatzansprüche, sondern schlicht und einfach darum, ob die Sparkasse insoweit den Anspruch der Klägerin aus dem Sparvertrag auf Auszahlung des Betrags (nach h.M. aus § 607 BGB) nach § 362 I, II, 185 BGB erfüllt hat. Dabei kam es entscheidend auf die Wirksamkeit der Kontovollmacht an. Wegen der Abstraktion der Vollmacht vom Innenverhältnis ist die Ausübung einer Vollmacht auch dann wirksam, wenn der Bevollmächtigte sie in einer Weise ausübt, die (nur) im Innenverhältnis zum Vollmachtgeber unzulässig ist. Um dies zu verhindern, muß ein Vollmachtgeber (soweit rechtlich möglich) die Vollmacht selbst nach außen einschränken. Nur ausnahmsweise kann ein solcher Mißbrauch im Innenverhältnis die Vertretungsmacht nach außen beschränken. Der BGH präzisert hier lehrbuchartig die Voraussetzungen, unter denen nach den Grundsätzen des Vollmachtsmißbrauchs keine befreiende Leistung der Sparkasse angenommen werden kann. Er läßt weiterhin offen, inwieweit die Frage des Mitverschuldens hier relevant werden kann.



Zum Sachverhalt:

Die Kl. fordert von der Bekl. den Restbetrag eines Sparguthabens, das die Bekl. an einen Bevollmächtigten der Kl. ausbezahlt hat. Die damals 70jährige Kl. hatte bei der Sparkasse Sein Sparkonto, das im Frühjahr 1992 ein Guthaben von rund 150 000 DM aufwies. Im April 1992 eröffnete sie ein Sparkonto bei der Bekl., für das sie ihrem Hausarzt Dr. D Verfügungsvollmacht erteilte. Dieser hatte der Kl. nach ihrer Darstellung angeboten, ihre Ersparnisse zins-günstig bei einer Bank in Luxemburg anzulegen und behauptet, daß dafür ein Mindestbetrag von 200 000 DM erforderlich sei. Das bei der Sparkasse S angelegte Sparguthaben wurde im Mai 1992 auf das neue Sparkonto bei der Bekl. übertragen. Außerdem nahm die Kl. bei der Sparkasse 5 ein Darlehen in Höhe von 50000 DM auf. Den Darlehensbetrag übergab die Kl. Dr. D, der ihn auf dem Sparkonto der Kl. bei der Bekl. einzahlte. Das Sparkonto wies damit ein Guthaben von insgesamt 203 041,90 DM auf. Wenige Tage nach der Übertragung des Sparguthabens löste die Ehefrau von Dr. D das Sparkonto auf. Einen Teilbetrag von 3040,90 DM ließ sie sich in bar auszahlen. 200 000 DM zahlte sie sogleich bei der Bekl. zur Tilgung von bei dieser bestehenden Darlehensverbindlichkeiten ihres Ehemannes ein. Dr. D, der diese abredewidrige Verwendung des Geldes von vornherein beabsichtigt hatte, wurde u. a. dafür wegen Betrugs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. In einem Rechtsstreit zwischen der Kl. und Dr. D verpflichtete sich Dr. D in einem Vergleich zur Zahlung eines Teilbetrags von 80000 DM, der auch geleistet wurde. Die Kl. fordert von der Bekl. die Erstattung ihres restlichen Schadens in Höhe von 121 040,90 DM. Die Kl. ist der Ansicht, daß die Bekl. nicht an Frau D hätte leisten dürfen, so daß ihre Ansprüche auf Rückzahlung des Sparguthabens weiterbesründen. Die Bekl. macht geltend, daß die Auszahlung des Sparguthabens befreiende Wirkung gehabt habe, weil die Kl. Dr. D eine umfassende Verfügungsvollmacht über das neu eröffnete Sparkonto eingeräumt habe.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Das BerGer. hat das Urteil des LG abgeändert, die Bekl. zur Zahlung von 50260,22 DM verurteilt und im übrigen die Berufung der Kl. zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgte die Kl. ihr Anliegen weiter. Die Bekl. erstrebte mit der Anschlußrevision die völlige Abweisung der Klage. Die Revision der Kl. war begründet. Die Anschlußrevision der Bekl. blieb erfolglos.

Aus den Gründen:

I. 1. Das BerGer. hat zur Begründung folgendes ausgeführt:
Die Bekl. habe bei der Auflösung des Sparguthabens und der Abhebung des Guthabens der Kl. ihre vertragliche Sorgfaltspflicht gegenüber der Kl. fahrlässig verletzt, so daß sie unter Berücksichtigung eines erheblichen Mitverschuldens der Kl. für ein Viertel des Gesamtschadens, also 50260,22 DM, hafte. Die Bekl. habe das gesamte Guthaben an Dr. D, vertreten durch seine Ehefrau, ausbezahlt. Dazu sei sie aufgrund der bestehenden Verfügungsvollmacht zwar befugt gewesen. Trotzdem habe die Bekl. die ihr gegenüber der Kl. obliegenden Sorgfaltspflichten schuldhaft verletzt. Die Bekl. sei aufgrund des Sparvertrags verpflichtet gewesen, im Rahmen des Zumutbaren Vermögens-verluste der Kl. zu vermeiden. Aufgrund der vertraglichen Beziehungen zwischen den Parteien habe eine Verpflichtung der Bekl. bestanden, bei der Kl. nachzufragen, ob sie mit Rechtsgeschäften einverstanden sei, die in auffälliger Weise aus dem üblichen Rahmen fallen. Dazu habe unter den hier vorliegenden Umständen Anlaß bestanden. Beim Umfang der Haftung sei zu berücksichtigen, daß der vorsätzlich und strafbar handelnde Dr. D die Hauptverantwortung für den Schaden trage. Unter Abwägung aller Umstände sei der Haftungsanteil der Bekl. bei Berücksichtigung eines Mitverschuldens der Kl. auf ein Viertel zu schätzen.

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Kl. hat als Gläubigerin des Sparguthabens Anspruch auf die Auszahlung ihres Guthabens (§ 607 BGB). Das BerGer. hat unberücksichtigt gelassen, daß die Kl. die im Auftrag des Kontobevollmächtigten Dr. D von dessen Ehefrau vorgenommene Abhebung nicht gegen sich gelten lassen muß, da dieser seine Vollmacht mißbraucht hat.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des BGH hat grundsätzlich der Vertretene das Risiko des Vollmachtsmißbrauchs zu tragen; den Vertragspartner trifft keine Prüfungspflicht, ob und inwieweit der Vertreter im Innenverhältnis gebunden ist, von seiner nach außen unbeschränkten Vertretungsmacht nur begrenzten Gebrauch zu machen. Der Vertretene ist gegen einen erkennbaren Mißbrauch der Vertretungsmacht im Verhältnis zum Vertragspartner jedoch dann geschützt, wenn der Vertreter von seiner Vertretungsmacht in ersichtlich verdächtiger Weise Gebrauch gemacht hat, so daß beim Vertragspartner begründete Zweifel bestehen mußten, ob nicht ein Treueverstoß des Vertreters gegenüber dem Vertretenen vorliege. Notwendig ist dabei eine massive Verdachtsmomente voraussetzende objektive Evidenz des Mißbrauchs (vgl. Senat, NJW-RR 1992, 1135 = LM H. 2/1993 § 167 BGB Nr. 35 = WM 1992, 1362 [1363]; BGH, NJW 1994, 2082 = LM H. 9/1994 § 164 BGB Nr. 75 = WM 1994, 1204 [1206], und BGHZ 127,239 = NJW 1995, 250 = LM H. 3/1995 § 164 BGB Nr. 78). Die objektive Evidenz ist insbesondere dann gegeben, wenn sich nach den gegebenen Umständen die Notwendigkeit einer Rückfrage des Geschäftsgegners bei dem Vertretenen geradezu aufdrängt (vgl. Schramm, in: Bankrechts-Hdb. § 32 Rdnr. 24 m. w. Nachw.).
b) Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Zwar ist ihre Feststellung tatrichterliche Würdigung, die im Revisionsverfahren nur beschränkt überprüfbar ist. Der Nachprüfung unterliegt aber jedenfalls, ob der Begriff der objektiven Evidenz verkannt wurde und ob bei der Beurteilung wesentliche Umstände außer Betracht gelassen wurden. Ist das der Fall, kann das RevGer. die Beurteilung selbst vornehmen, wenn die Feststellungen des BerGer.  wie hier  ein abgeschlossenes Tatsachen-bild ergeben (vgl. dazu Senat, NJW 1992, 316 [317] = LM H. 6/1 992 Art. 16 WG Nr. 5). Die Bekl. wußte, daß das von der Kl. bei ihr angelegte Sparguthaben durch eine Darlehensaufnahme der Kl. um 50000 DM auf 200 000 DM erhöht worden war. Die Kl. gewährte ihrem Hausarzt (und nicht etwa einem Familienangehörigen) eine umfassende Verfügungsvollmacht, die nur kurze Zeit nach der Eröffnung des Kontos und nur wenige Tage nach dem Eingang des Hauptbetrags von 150 000 DM dazu benutzt wurde, das Sparguthaben aufzulösen, um eigene Darlehensverbindlichkeiten des Bevollmächtigten bei der Bekl. zu tilgen. Wie das BerGer. zutreffend hervorhebt, hätte es einfachere Wege gegeben, wenn die Kl. mit dem Sparguthaben die persönlichen Schulden ihres Hausarztes hätte tilgen wollen. Es handelt sich hier nicht um ein alltägliches und normales Geschehen im bankgeschäftlichen Verkehr. Der Vorgang ist vielmehr so auffällig, daß sich der Bekl. als Vertragspartnerin der Kl. der Verdacht eines Mißbrauchs der Vollmacht hätte aufdrängen müssen. Der eigennützige Einsatz der Vollmacht gibt in der Regel Anlaß zur Aufmerksamkeit. Unter den hier gegebenen Umständen bestanden starke Verdachtsmomente, die für eine Zweckentfremdung der abgehobenen Geldbeträge und dafür sprachen, daß der Vertreter diese der Vertretenen unter Mißbrauch seiner Vollmacht entziehen wollte. Die Bekl. mußte insbesondere deshalb mißtrauisch werden, weil es sich um ein mit einem erheblichen Kreditbetrag aufgestocktes Guthaben handelte, das der Berechtigte gewöhnlich zu eigenen Anlagezwecken, nicht aber zur Tilgung der Schulden seines Kontobevollmächtigten verwenden will. Diese Zweifel drängten eine Rückfrage bei der Kl. auf. Ihr eigenes finanzielles Interesse an der Tilgung des dem Verfügungsbevollmächtigten gewährten Darlehens hätte die Bekl. demgegenüber zurückstellen müssen.
c) Da ein Fall des Vollmachtsmißbrauchs vorliegt, ist die Bekl. in ihrem Vertrauen auf den Bestand der Vertretungsmacht nicht schutzwürdig. Die Kl. braucht als Vertretene die Rechtsgeschäfte des Vertreters nicht gegen sich gelten zu lassen (st.Rspr. vgl. Senat, NJW 1990, 384 [385] = LM § 138 [Ab] BGB Nr. 13; BGH, NJW 1991, 1812 [1813] = LM H. 2/19 92 § 164 BGB Nr. 69, jew. m. w. Nachw.). Der Anspruch der Kl. auf Auszahlung des Guthabens ist durch die von dem Verfügungsbevollmächtigten veranlaßte Abhebung nicht erloschen und besteht fort.
d) Es kann offen bleiben, ob der in einem Einzelfall vertretenen Ansicht zu folgen ist, bei einem Vollmachtsmißbrauch seien in Anwendung des Rechtsgedankens des § 254 BGB die nachteiligen Folgen des Vertretergeschäfts nach dem auf beiden Seiten vorliegenden Verschulden zu verteilen (BGHZ 50, 112 [114] = NJW 1968, 1379 = LM § 50 HGB Nr. 1; abl. Erman/ Brox, BGB, 9. Aufl., § 167 Rdnr. 50; Staudinger/Schilken, BGB, 13. Bearb., § 167 Rdnr. 104; Schramm, in: MünchKomm, 3. Aufl., § 164 Rdnr. 107). Die Erteilung der Verfügungsvollmacht durch die Kl. kann für sich allein noch nicht als eine schuldhafte Mitwirkung am Mißbrauch der Vollmacht gewertet werden. Im übrigen hat die Kl. die Vollmacht dem Angehörigen eines Berufsstandes erteilt, der allgemein als vertrauenswürdig gilt. Hinsichtlich der Person des bevollmächtigten Dr. D waren im Zeitpunkt der Bevollmächtigung keine Umstände bekannt, die gegen ein solches Vertrauen sprachen. Der Kl. kann auch keine unterlassene Kontrolle des Vertreters vorgeworfen werden. Dieser hat die Kl. durch die Zahlung von Zinsen über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren in dem Glauben gelassen, daß er das Geld für sie angelegt habe.
3. Da keine weiteren Feststellungen zu treffen sind, konnte der Senat selbst entscheiden (§ 565 III Nr. 1 ZPO). Der Klage war in vollem Umfang stattzugeben.



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