IPR: Internationales Erbrecht und Ehegüterrecht: Qualifikation der pauschalen Erhöhung des Ehegattenerbteils nach § 1371 I BGB bei ausländischem Erbstatut; Substitution und Angleichung


OLG Schleswig, Beschluss v. 19.8.2013 - 3 Wx 60/13


Fundstelle:

NJW 2014, 88


Amtl. Leitsatz:

1. § 1371 Abs. 1 BGB ist zugunsten der überlebenden Ehefrau anzuwenden, wenn im Erbfall österreichisches Erbstatut und deutsches Güterrechtsstatut gelten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass § 1371 Abs. 1 BGB international privatrechtlich als güterrechtliche Norm zu qualifizieren ist.
2. Die Anwendung von § 1371 Abs. 1 BGB steht nicht im Widerspruch zur erbrechtlichen Quote für den überlebenden Ehegatten von 1/3 nach § 757 östABGB, denn diese Norm des österreichischen gesetzlichen Erbrechts will nicht auch die Abwicklung der güterrechtliche Beteiligung des überlebenden Ehegatten regeln. Durch Angleichung ist allerdings dafür zu sorgen, dass dem überlebenden Ehegatten nur das zukommt, was ihm nach jedem Recht höchstens zusteht.


Zentrale Probleme:

Es geht um ein klassisches IPR-Problem des internationalen, die Qualifikation von § 1371 I BGB. Ist die Norm auch anwendbar, wenn der Erblasser nach ausländischen Recht beerbt wird, aber im deutschen Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt hat? Der BGH hat diese Frage bislang offen gelassen (s. BGH v. 12.9.2012 - IV ZB 12/12), die Rspr. der Instanzgerichte ist uneinheitlich, s. dazu die Anm. zu OLG Stuttgart NJW-RR 2005, 740 sowie LG Mosbach JuS 1999, 296 und OLG Karlsruhe NJW 1990, 1420. Das OLG Schleswig folgt der in der Literatur h.M.. Wegen der uneinheitlichen Rspr. hat das OLG die weitere Beschwerde an den BGH zugelassen. Vielleicht kommt es ja endlich zu einer höchstrichterlichen Entscheidung ... s. jetzt BGH v. 13.5.2015 - IV ZB 30/14!

©sl 2013


Gründe:

I.

Der Erblasser ist österreichischer Staatsangehöriger. Die Beteiligte zu 1. ist das einzige Kind des Erblassers aus dessen erster, im Jahre 1998 geschiedenen Ehe. Der Erblasser heiratete in zweiter Ehe in Deutschland die Beteiligte zu 2., eine deutsche Staatsangehörige. Der Erblasser verstarb 2011 während eines vorübergehenden Arbeitsaufenthaltes in Dänemark. Sein Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt war zu diesem Zeitpunkt in Deutschland.

Zu Protokoll des Rechtspflegers des Amtsgerichts Bad Segeberg vom 9. Juli 2012 beantragte die Beteiligte zu 1. die Erteilung eines Erbscheins nach gesetzlicher Erbfolge. Erteilt werden sollte ein gemeinschaftlicher Erbschein dahin, dass der Erblasser beerbt worden sei von der Beteiligten zu 1. zu 2/3 des Nachlasses und von der Beteiligten zu 2. zu 1/3 des Nachlasses.

Bereits zuvor hatte die Beteiligte zu 1. mit Anwaltsschriftsatz vorgetragen, es komme nach Art. 25 EGBGB und § 28 Abs. 1 öster. IPRG österreichisches Zivilrecht zur Anwendung und trete nach dortigem gesetzlichen Erbrecht gemäß den §§ 727, 730, 731, 732, 757 Abs. 1 ABGB gesetzliche Erbfolge mit den im Erbscheinsantrag genannten Quoten ein. Sie - die Beteiligte zu 1. - sei nach § 731 Abs. 1 ABGB Erbin ersten Grades. Ehegatten würden im österreichischen Recht nach § 757 Abs. 1 ABGB neben Erben ersten Grades nur zu 1/3 erben. Diese Quote stehe auch nicht im Widerspruch zu den güterrechtlichen Folgen der Ehe des Erblassers. Weil die Eheleute in Deutschland geheiratet hätten, unterliege zwar das Güterrechtstatut dem deutschen Recht. Auch würde nach deutschem Recht der Zugewinnausgleich durch pauschalierte Erhöhung der Erbquote gemäß § 1371 Abs. 1 BGB um 1/4 erfolgen. Das gelte aber nur, wenn auch deutsches Recht als Erbstatut einschlägig sei, was hier indes nicht der Fall sei. Der Zugewinnausgleich könne deshalb nicht über eine Erbquote, sondern müsse durch eine konkrete Berechnung nach § 1371 Abs. 2 BGB außerhalb der erbrechtlichen Regelung erfolgen (unter Verweis auf die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf, Beschluss vom 3. August 1987, 3 Wx 207/87).

Diesem Erbscheinsantrag ist die Beteiligte zu 2. mit Anwaltsschriftsatz vom 6. August 2012 entgegen getreten und hat zugleich beantragt, einen Erbschein dahingehend zu erlassen, dass der Erblasser beerbt worden sei von der Beteiligten zu 1. und der Beteiligten zu 2. zu je 1/2 des Nachlasses.

Die Beteiligte zu 2. hat ausgeführt: Zwar seien die Angaben der Beteiligten zu 1. in ihrem Erbscheinsantrag nicht zu beanstanden. Auch sei es richtig, dass hier gemäß Art. 25 EGBGB für die Rechtsnachfolge von Todes wegen österreichisches Recht anzuwenden ist. Danach würden der überlebende Ehegatte zu 1/3 und die Kinder des Erblassers zu 2/3 als Erben berufen sein. Entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 1. sei mit Rücksicht auf den Güterstand des Erblassers aber auch § 1371 Abs. 1 BGB zu beachten. Diese Vorschrift sei nicht erbrechtlicher, sondern güterrechtlicher Natur. Insoweit sei deutsches Güterrecht anwendbar, so dass der Beteiligten zu 2. zusätzlich zu dem nach österreichischem Recht zu berechnenden Erbteil von 1/3 auch der pauschalierte Zugewinnausgleich nach deutschem Recht von 1/4 zustehe. Dies würde mathematisch bedeuten, dass sich der 1/3-Miterbenanteil der Beteiligten zu 1. auf insgesamt 7/12 erhöhen würde. Das wäre dann mehr, als es der Beteiligung der Beteiligten zu 1. nach deutschem Recht entsprechen würde. Deshalb müsse der beispielsweise von Palandt/Thorn, BGB, Art. 15 EGBGB Rn. 26 vertretenen Auffassung zugestimmt werden, wonach eine Anpassung dahin zu erfolgen habe, dass der Erbteil des überlebenden Ehepartners eines verstorbenen österreichischen Staatsangehörigen letztlich 1/2 betrage.

Dieser Argumentation ist die Beteiligte zu 1. in einer Replik entgegen getreten und hat ausgeführt, dem österreichischen Recht sei eine Erbquotenbildung aus erb- und güterrechtlichen Normen unbekannt. Dem werde dort über die höhere Erbquote für den Ehegatten von 1/3 Rechnung getragen. Vor diesem Hintergrund scheide eine Anwendung des § 1371 Abs. 1 BGB aus. Eine Lösung lasse sich über § 1371 Abs. 2 BGB finden. Es werde auf Entscheidungen des OLG Frankfurt vom 20. Oktober 2009 (20 W 80/07), des OLG Stuttgart am 8. März 2005 (8 W 96/04) und des OLG Köln vom 5. August 2011 (2 Wx 115/11) verwiesen. Eine unmittelbare Anwendung der deutschen güterrechtlichen Regelung würde unzulässig auf die anzuwendende österreichische Norm einwirken und könne deshalb nicht erfolgen. Eine solche Anwendung sei weder notwendig, noch würden Anhaltspunkte bestehen, dass der österreichische Gesetzgeber den konkreten Fall im Sinne einer ausfüllungsbedürftigen Regelungslücke nicht gesehen habe oder durch Anwendung der deutschen Normen im Sinne einer Rückverweisungsmöglichkeit hätte lösen wollen.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht die zur Erteilung eines Erbscheins gemäß Antrag der Beteiligten zu 1. erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet und angekündigt, einen Erbschein dahin zu erlassen, dass der Erblasser beerbt worden ist von der Beteiligten zu 1. zu 2/3 des Nachlasses und von der Beteiligten zu 2. zu 1/3 des Nachlasses. Es hat die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses ausgesetzt und die Erteilung des Erbscheins bis zur Rechtskraft des Beschlusses zurückgestellt.

Zur Begründung hat das Amtsgericht angeführt, der Erblasser sei als österreichischer Staatsangehöriger nach österreichischem Erbstatut beerbt worden. Danach seien bei gesetzlicher Erbfolge die Ehefrau zu 1/3 und die Abkömmlinge zu 2/3 Miterben. Eine Erhöhung des Erbteils der Ehefrau nach deutschem Güterrecht - § 1371 Abs. 1 BGB - komme nicht in Betracht. Zwar sei für die güterrechtlichen Folgen der in Deutschland geschlossenen Ehe (die Eheleute hätten auch in Deutschland gelebt) deutsches Recht anzuwenden. Indes könne die Erhöhung nach § 1371 Abs. 1 BGB nur dann erfolgen, wenn Erb- und Güterstatut derselben Rechtsordnung zuzuordnen seien oder zumindest angepasst werden könnten. Hieran fehle es. Eine entsprechende Anwendung würde das ausländische Erbrecht verfälschen (unter Verweis auf OLG Stuttgart ZEV 2005, 443 f und Ludwig in jurisPK - BGB, 6. Auflage 2012, Art. 15 EGBGB Rn. 74).

Gegen diesen ihr am 26. Februar 2013 zugestellten Beschluss hat die Beteiligte zu 2. am 19. März 2013 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, entgegen der Auffassung des Nachlassgerichtes werde bei Anwendung des § 1371 Abs. 1 BGB das ausländische Erbrecht nicht verfälscht, weil es sich bei dieser Vorschrift um eine solche des Güterrechts und nicht des Erbrechts handele. Der Zugewinnausgleich sei ein maßgebliches Rechtsinstitut des deutschen Güterrechts. Dieses würde verfälscht, wenn man die genannte Bestimmung in Fällen wie dem vorliegenden nicht zur Anwendung bringen würde.

Das Amtsgericht hat dieser Beschwerde mit Beschluss vom 24. Mai 2013 nicht abgeholfen und ausgeführt: Es sei zwar zutreffend, dass es sich bei der Vorschrift des § 1371 Abs. 1 BGB nach überwiegender Ansicht um eine güterrechtliche Bestimmung handele (unter Verweis auf Mankowski in Staudinger, BGB, Art. 15 EGBGB Rn. 342). Indes folge hieraus nicht, den Zugewinn als Erbquote auch dann zu verwirklichen, wenn das anzuwendende Erbstatut eine solche Erbquote nicht kenne, da das Erbstatut die Erbquote bestimme (unter Verweis auf OLG Stuttgart a.a.O.). Ob der der Beteiligten zu 2. zustehende Zugewinnausgleich schuldrechtlich auszugleichen sei, sei nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

II.

Die Beschwerde ist nach den §§ 58 ff FamFG zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts ist § 1371 Abs. 1 BGB anzuwenden, weshalb der Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1. zurückzuweisen ist.

Im vorliegenden Fall geht es um die in Rechtsprechung und Literatur seit vielen Jahren höchst strittige Frage, ob § 1371 Abs. 1 BGB auch dann gilt, wenn im Erbfall zwar deutsches Ehestatut, aber ausländisches Erbstatut anzuwenden ist. Konkret für den Fall der Anwendung des österreichischem Erbstatuts hatte sich das Landgericht Mosbach (in
ZEV 1998, 489 f) dahin entschieden, dass § 1371 Abs. 1 BGB Anwendung finde, wegen der sich dann gegenüber dem deutschen Recht ergebenden erhöhten Erbquote aber eine Angleichung stattzufinden habe, so dass der überlebende Ehepartner insgesamt zu ½ erbe. Diese Entscheidung hat damals in der Literatur viel Zustimmung erfahren und findet sie auch weiterhin (etwa Palandt/Thorn, BGB, 72. Auflage 2013, Art. 15 EGBGB Rn. 26; Siehr in MüKo-BGB, 5. Auflage 2010, Art. 15 EGBGB Rn. 117; Otte in Bamberger/Roth, BGB, 2. Auflage 2008, Art. 15 EGBGB Rn. 67 sowie dort auch Lorenz, Art. 25 EGBGB Rn. 56). Anders entschieden hat aber das OLG Stuttgart in dem auch vom Amtsgericht im vorliegenden Verfahren in Bezug genommenen Beschluss aus dem Jahr 2005 (ZEV 2005, 443 f), der ebenfalls österreichisches Erbstatut betrifft. Es hat eine Erhöhung der Erbquote durch Anwendung von § 1371 Abs. 1 BGB in einem derartigen Fall ausgeschlossen und offen gelassen, inwieweit dann ein „schuldrechtlicher Ausgleich“ im Hinblick auf den Zugewinnausgleich vorzunehmen sei. Diese Entscheidung hat in der Literatur nur wenig Zustimmung gefunden (etwa Ludwig, jurisPK-BGB, 6. Auflage 2012, Art. 14 EGBGB Rn. 74), nicht selten dagegen entschiedene Ablehnung (statt vieler etwa nur Dörner in ZEV 2005, 444 f - er nennt die Entscheidung „höchst unzulänglich begründet“). Jüngere obergerichtliche Judikate beziehen sich indes durchaus auf die Stuttgarter Entscheidung und argumentieren für andere Länder ähnlich (etwa OLG Frankfurt, ZEV 2010, 253 ff, bei juris Rn. 9 und OLG Köln ZEV 2012, 205 ff, bei juris Rn. 17 f - diese Entscheidung kritisiert wiederum Lange in ZEV 2012, 207 f und spricht von einer „äußerst dürftige Auseinandersetzung mit der herrschenden Ansicht“).

Eine jüngste Entscheidung des OLG München (ZEV 2012, 591 ff, bei juris Rn. 19 f) spricht sich für die Anwendbarkeit der güterrechtlich qualifizierten Vorschrift des § 1371 Abs. 1 BGB in Fällen ausländischen Erbstatuts aus (vgl. dazu auch die Anm. von Süß in MittBayNot 2013, 74 f).

1. Im Ausgangspunkt ist das Amtsgericht mit beiden Beteiligten zutreffend davon ausgegangen, dass sich das Erbstatut des Erblassers nach österreichischem Recht richtet. Gemäß Art. 25 Abs. 1 EGBGB unterliegt die Rechtsfolge von Todes wegen dem Recht des Staates, dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes angehörte. Das österreichische Recht nimmt diese Verweisung gemäß den §§ 28 Abs. 1 und 9 Abs. 1 österreichisches IPRG an. Nach österreichischem Recht - § 757 Abs. 1 Satz 1 ABGB - ist der Ehegatte des Erblassers neben ehelichen Kindern Erbe zu 1/3.

2. Das Amtsgericht ist mit der Rechtsauffassung beider Beteiligten auch zutreffend davon ausgegangen, dass sich das Güterrechtstatut des Erblassers nach deutschem Recht richtet. Für diese im Jahr 2000 geschlossene Ehe ist Art. 15 EGBGB in der derzeit geltenden Fassung anzuwenden (vgl. Art. 220 Abs. 3 Satz 2 EGBGB). Nach Art. 15 Abs. 1 EGBGB unterliegen die güterrechtlichen Wirkungen der Ehe dem bei der Eheschließung für die allgemeinen Wirkungen der Ehe maßgebenden Recht. Weil die Eheleute weder für die Ehewirkungen noch für die güterrechtlichen Wirkungen der Ehe eine Rechtswahl getroffen haben (vgl. Bl. 24 d.A.) und weil sie unterschiedlichen Staaten angehören greift Art. 14 Abs. 1 Ziffer 2 EGBGB ein. Danach unterliegen die allgemeinen Wirkungen der Ehe dem Recht des Staates, in dem beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben oder während der Ehe zuletzt hatten, wenn einer von ihnen dort noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Hier ist die Ehe nicht nur in Deutschland geschlossen worden, sondern hatten die Beteiligte zu 2. und der Erblasser ihren gewöhnlichen Aufenthalt auch zuletzt in Deutschland.

3. Gilt somit deutsches Güterrechtsstatut und standen die Eheleute im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft, so könnte § 1371 Abs. 1 BGB Anwendung finden, wonach dann, wenn der Güterstand durch den Tod eines Ehegatten beendet wird, der Ausgleich des Zugewinns dadurch verwirklicht wird, dass sich der gesetzliche Erbteil des Überlebenden um 1/4 der Erbschaft erhöht.

Indes kennt das österreichische Recht einen solchen güterrechtlichen Ausgleich nicht. Nach dem ABGB ist gesetzlicher Güterstand in Österreich die Gütertrennung. Es stellt sich deshalb die Frage, ob bei Geltung des österreichischem Erbstatuts einerseits und des deutschen Güterrechtsstatuts andererseits § 1371 Abs. 1 BGB Anwendung finden kann. Diese Frage zielt darauf ab, wie § 1371 Abs. 1 BGB international privatrechtlich zu qualifizieren ist.

Hier gibt es im Grundsatz drei Möglichkeiten: § 1371 Abs. 1 BGB kann als güterrechtliche Norm, als erbrechtliche Norm oder als eine Norm mit Doppelqualifikation (güterrechtlich/erbrechtlich) qualifiziert werden.

Geht man von einer rein erbrechtlichen Qualifikation aus, kommt eine Anwendung bei Geltung eines ausländischen Erbstatuts - wie hier das österreichische Erbrechtsstatuts - nicht in Betracht. Eine reine erbrechtliche Qualifikation wird allerdings soweit ersichtlich nur in bereits sehr alter Literatur vertreten (Auflistung bei Mankowski in Staudinger, Neubearbeitung 2011, Art. 15 EGBGB Rn. 343 - wenn Mankowski dort OLG Frankfurt ZEV 2010, 253 f für diese Ansicht anführen will, dürfte das nicht richtig sein. Das OLG Frankfurt folgt a.a.O. Rn. 9 und 12 ff der Lösung des OLG Stuttgart a.a.O., das seinerseits aber wohl der güterrechtlichen Lösung folgen will, im Ergebnis indes der Lösung über die Doppelqualifikation nahe kommt).

Geht man von einer Doppelqualifikation aus, wäre das nachvollziehbare Ergebnis, dass § 1371 Abs. 1 BGB nur anzuwenden ist, wenn sowohl deutsches Güter- als auch das deutsches Erbstatut gilt. Dieser Auffassung möchte wohl das Amtsgericht im angefochtenen Beschluss folgen. Eine Doppelqualifikation wird offenbar (nicht gänzlich eindeutig) vertreten vom OLG Köln (in ZEV 2012, 205 ff, bei juris Rn. 17) und in der Literatur von Birk (in MüKo-BGB, 5. Auflage 2010, Art. 25 EGBGB Rn. 158; weitere Nachweise für diese Auffassung bei Mankowski in Staudinger a.a.O., Art. 15 EGBGB Rn. 343; in der Literatur wird teilweise ausgeführt, dass die Entscheidungen des OLG Stuttgart a.a.O. und OLG Frankfurt ZEV 2010, 253 ff letztlich eine Lösung vertreten würden, die der Doppelqualifikation nahestehe).

Qualifiziert man aber § 1371 Abs. 1 BGB als (allein) güterrechtliche Norm, dann steht unter der Voraussetzung, dass deutsches Güterrechtstatut anzuwenden ist, einer Anwendung dieser Norm auch im Falle eines ausländischen Erbstatuts nichts Grundsätzliches entgegen (zu einer Einschränkung insoweit später). Die wohl nach wie vor ganz überwiegende Meinung qualifiziert § 1371 Abs. 1 BGB als güterrechtliche Norm (OLG Stuttgart, a.a.O., bei juris Rn. 11 eigentlich eindeutig: „Der Zugewinnausgleich des § 1371 Abs. 1 BGB ist güterrechtlicher Art“; LG Mosbach, a.a.O.; OLG München, a.a.O., bei juris Rn. 19; offen gelassen von OLG Düsseldorf ZEV 2009, 190 ff bei juris Rn. 44 - dort Alternative: sowohl güter- als auch erbrechtlich qualifiziert, also möglicherweise Doppelqualifikation; in der Literatur für allein güterrechtliche Einordnung der Norm etwa: Dörner in Staudinger, Neubearbeitung 2007, Art. 25 EGBGB Rn. 34 und ders., Anm. zu OLG Stuttgart in ZEV 2005, 444; Mörsdorf-Schulte in Bamberger/Roth, BGB, 2. Auflage 2008, Art. 15 EGBGB Rn. 47; Lorenz in Bamberger/Roth a.a.O., Art. 25 EGBGB Rn. 56; Ludwig in jurisPK-BGB, a.a.O., Art. 15 EGBGB Rn. 71; Mankowski in Staudinger a.a.O., Art. 15 EGBGB Rn. 346 ff; in manchen Kommentaren wird die Auffassung vertreten, die güterrechtliche Qualifikation von § 1371 Abs. 1 BGB werde inzidenter auch vom BGH in einer bereits älteren Entscheidung aus dem Jahr 1963, BGHZ 40, 32, 34 f, vertreten - deutlich ist das dort allerdings nicht herauszulesen).

Überzeugend erscheint dem Senat die herrschende Meinung, die § 1371 Abs. 1 BGB allein güterrechtlich qualifiziert. Die Norm regelt die der erbrechtlichen Verteilung grundsätzlich (zeitlich) vorgelagerte Frage, wie im Falle des Todes einer der Ehepartner der güterrechtliche Ausgleich erfolgen soll. Es geht dort also nicht um einen Modus der Verteilung des Nachlasses, sondern um die davon abweichende, zuvor zu klärende güterrechtliche Frage, wie der überlebende Ehegatte an dem während der Ehe erfolgten Vermögenszuwachs zu beteiligen ist. Mithin spricht neben der Stellung der Norm im Gesetz (nämlich im Titel: Eheliches Güterrecht) auch gerade der Sinn und Zweck der Vorschrift für eine güterrechtliche Qualifikation (LG Mosbach a.a.O.; Mankowski in Staudinger, a.a.O., Art. 15 EGBGB Rn. 346 f). Es liegt ganz auf dieser Linie, dass sich auch bei der Auslegung der ErbRVO eine Tendenz abzeichnet, § 1371 Abs. 1 BGB als rein güterrechtliche Vorschrift zu qualifizieren, die nach Art. 1 Abs. 2 lit. d ErbRVO vom Anwendungsbereich der ErbRVO ausgenommen ist (Simon/Buschbaum, Die neue EU-Erbrechtsverordnung, NJW 2012, 2393, dort unter II.2.b.).

Bei der technischen Durchführung dieses güterrechtlichen Ausgleichs entscheidet sich das deutsche Recht in § 1371 Abs. 1 BGB zwar dafür, ihn durch eine pauschale Erbteilserhöhung zu realisieren. Dabei geht es aber nur um die Verwirklichung des grundsätzlichen Ziels, einen Ausgleich des Vermögens, das während der Ehe entstanden ist, zu erreichen, also eine güterrechtliche Lösung herbeizuführen. Allein dieser rechtstechnische Weg, der aus Gründen der Vereinfachung und der Streitvermeidung gewählt worden ist, rechtfertigt nicht, der Norm eine auch erbrechtliche Qualifikation beizulegen. Solches rechtfertigt sich auch nicht vor dem Hintergrund, dass der pauschale Ausgleich nach § 1371 Abs. 1 BGB selbst in dem Falle erfolgt, wo der verstorbene Ehegatte einen auszugleichenden Zugewinn tatsächlich nicht erzielt hat. Denn auch dies betrifft nur den vom Gesetzgeber zur Lösung des güterrechtlichen Problems gewählten rechtstechnischen Weg und die von ihm dabei zur Streitvermeidung gewollte Pauschalierung und Vereinfachung (Mankowski, a.a.O., Art. 15 EGBGB Rn. 352 f). Nachvollziehbar wird in der Literatur gegen die Doppelqualifikation letztlich angeführt (Mankowski a.a.O., Art. 15 EGBGB Rn. 358 bis 361; Horn in ZEV 2008, 417, 418;), dass die Vertreter dieser Auffassung der eigentlichen Qualifikationsentscheidung aus dem Weg gehen, nämlich einer notwendigen Entscheidung nach dem gewichteten Schwerpunkt. Würde man den Vertretern der Doppelqualifikation folgen, wäre im Übrigen § 1371 Abs. 1 BGB nur ein kleinstmöglicher internationaler Anwendungsbereich vermittelt und entstünde ein deutlicher „Normmangel“, weil das dann ungelöste güterrechtliche Problem nur über Wege gelöst werden könnte, die sich für die rechtsuchenden Bürger als schwierig und umständlich erweisen würden (ihnen Steine statt Brot gibt, so Dörner Anm. zu OLG Stuttgart ZEV 2005, 444, 445 ) - nämlich etwa über eine entsprechende Anwendung von § 1371 Abs. 2 BGB oder der §§ 1373 ff BGB.

4. Ist § 1371 Abs. 1 BGB als güterrechtliche Norm zu qualifizieren, kommt es gerade unter Berücksichtigung des Umstands, dass das Güterrechtsstatut Priorität vor dem Erbstatut genießt, weil zur erbrechtlichen Verteilung nur gelangt, was nach einer güterrechtlichen Auseinandersetzung noch im Nachlass verbleibt (Dörner Anm. zu OLG Stuttgart ZEV 444, 445; derselbe in Staudinger, Neubearbeitung 2007, Art. 25 EGBGB Rn. 38; Horn ZEV 2008, 417, 418), grundsätzlich zu einer Anwendung dieser Norm trotz Geltung des ausländischen - hier österreichischen - Erbstatuts. So entscheidet sich auch das LG Mosbach (in ZEV 1998, 489 f.) in einem Sachverhalt, der einen österreichischen Erblasser betrifft.

Indes kommt das OLG Stuttgart (in ZEV 2005, 443 f) trotz des grundsätzlich gleichen Ausgangspunktes - der Zugewinnausgleich des § 1371 Abs. 1 BGB ist güterrechtlicher Art - zu einem anderen Ergebnis. Zur Begründung führt es an, es rechtfertige sich nicht, den Zugewinn als Erbquote auch dann zu verwirklichen, wenn das anzuwendende ausländische Erbrecht (wie hier das österreichische Recht) eine solche Erbquote nicht kenne. Unter Hinweis auf diese Argumentation des OLG Stuttgart formuliert das OLG Köln (in ZEV 2012, 205 ff) dahin, die im ausländischen Recht verankerten Erbquoten müssten abschließend bleiben, und deswegen könne § 1371 Abs. 1 BGB keine Anwendung finden, weil diese Norm ihr Ziel mit einem erbrechtlichen Instrument, nämlich der pauschalen Erhöhung der Erbquoten, umsetze und sich insoweit auf die Erbquote des ausländischen Rechts auswirke (ähnlich wohl auch die Auffassung des OLG Frankfurt in ZEV 2010, 253 ff).

Bei dieser Begründung wird verkannt, dass die Anwendung von § 1371 Abs. 1 BGB nicht im Widerspruch zu den erbrechtlichen Quoten des ausländischen Rechts stehen kann, wenn das ausländische Erbstatut eben nur die erbrechtliche Quote des Ehegatten als Erben nach dem verstorbenen Erblasser festlegt, nicht aber die güterrechtliche Beteiligung des überlebenden Ehegatten an dem während der Ehe erarbeiteten Zugewinn regeln will. Es wird in diesem Zusammenhang von der zitierten Rechtsprechung auch übersehen, dass § 1371 Abs. 1 BGB mit der Erhöhung der Erbquote des Ehegatten nur einen rechtstechnischen Weg beschreitet, um ein anderes, nicht erbrechtlich bestimmtes Ziel zu erreichen, nämlich den güterrechtlichen Ausgleich. So gesehen vermag der Senat die Anwendung von § 1371 Abs. 1 BGB in solchen Fällen nicht als unzulässigen Eingriff in das ausländische Erbstatut zu werten.

5. Zu prüfen ist aber noch, ob im vorliegenden Fall die Voraussetzungen des § 1371 Abs. 1 BGB auch gegeben sind. Nach dieser Norm wird dann, wenn der Güterstand durch den Tod eines Ehegatten beendet wird, der Ausgleich des Zugewinns dadurch verwirklicht, dass sich „der gesetzliche Erbteil des überlebenden Ehegatten“ um 1/4 der Erbschaft erhöht. Geklärt werden muss, ob dieser „gesetzliche Erbteil“ im Sinne der genannten Norm auch ein Erbteil sein kann, der sich aus der Anwendung ausländischen Rechts ergibt.

Nach ganz überwiegender Auffassung ist diese Frage nicht eine solche des Kollisionsrechts, sondern der Auslegung der Norm selbst. Die Lösung des Auslegungsproblems wird durch Heranziehung der gesetzlich allerdings nicht fixierten, aber anerkannten Regeln der sogenannten Substitution gefunden. Nach diesen Regeln kann eine fremde Rechtserscheinung unter eine inländische Sachnorm subsumiert werden, wenn die fremde Rechtserscheinung mit den von der deutschen Sachnorm beschriebenen inländischen Vorgängen und Rechtsverhältnissen funktionell gleichwertig ist (Dörner in Staudinger, Neubearbeitung 2007, Art. 25 EGBGB Rn. 36; Horn in ZEV 2008, 417, 419; Siehr in MüKo-BGB, 5. Auflage 2010, Art. 15 EGBGB Rn. 117; Lorenz in Bamberger/Roth, a.a.O., Art. 25 EGBGB Rn. 57). Diese Voraussetzungen liegen jedenfalls dann vor, wenn das ausländische Erbrecht mit der Erbquote für den überlebenden Ehegatten nicht gerade auch dessen güterrechtliche Beteiligung an dem abzuwickelnden Güterstand regeln und erfassen will. Eine solche Absicht des ausländischen Gesetzgebers sei „selten anzutreffen“ (Siehr a.a.O.).

Der Senat folgt der Auffassung, dass eine solche güterrechtliche Zielsetzung, wenn sie denn angenommen werden sollte, im Text der Norm fassbar zum Ausdruck kommen muss, etwa durch eine güterstandsspezifische Differenzierung (ebenso Dörner in Staudinger, Art. 25 EGBGB Rn. 444, 445). Das ist in § 757 des österreichischen ABGB nicht der Fall. Ebenso hat das LG Mosbach entschieden. Es hat nachvollziehbar ausgeführt, das österreichische Ehegattenerbrecht könne gar keinen güterrechtlichen Ausgleich bewirken wollen, weil gesetzlicher Güterstand nach dem ABGB die Gütertrennung sei (vgl. auch Mankowski in Staudinger, Neubearbeitung 2011, Art. 15 EGBGB Rn. 238).

Die Substitutionsvoraussetzungen liegen hier deshalb trotz des Umstandes vor, dass das gesetzliche Erbrecht des Ehegatten in Österreich mit 1/3 etwas höher als in Deutschland - 1/4 gegenüber miterbenden Kindern - ausfällt.

6. Durch die Kombination des deutschen Ehegüterrechtsstatuts und des österreichischen Erbstatuts würde sich allerdings die 1/3-Quote des überlebenden Ehegatten aus § 757 ABGB um 1/4 nach § 1371 Abs. 1 BGB auf dann insgesamt 7/12 erhöht und mithin insgesamt höher liegen, als wenn isoliert nur das österreichische oder nur das deutsche Recht angewandt wird.

Indes ist dieser Fall der Überhöhung durch Normenhäufung im internationalen Privatrecht durchaus bekannt und kann im Wege der sogenannten Angleichung dadurch gelöst werden, dass dem überlebenden Ehegatten nur das zukommt, was ihm nach jedem Recht höchstens zustünde (LG Mosbach ZEV 1998, 489, 490; OLG Hamm IPPrax 1994, 49; Mörsdorf-Schulte in Bamberger/Roth, a.a.O., Art. 15 EGBGB Rn. 49; Mankowski in Staudinger, a.a.O., Art. 15 EGBGB Rn. 376 ff; speziell auch für das österreichische Erbstatut Dörner in ZEV 2005, 444, 445; Thorn in Palandt, a.a.O., Art. 15 EGBGB Rn. 26).

Dieser Lösung durch Angleichung folgt auch der Senat. Sie führt dazu, dass den Parteien nicht „Steine statt Brot“ (Dörner, a.a.O.) gegeben werden muss, wie dies bei der Lösung des OLG Stuttgart und einem anschließenden, nicht näher bestimmten „schuldrechtlichen Ausgleich“ der Fall wäre.

7. Das Amtsgericht hat ausdrücklich nur über den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1. entschieden, jedenfalls den widersprechenden Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 2. nicht ausdrücklich zurückgewiesen. Der Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 2. ist damit vorläufig unerledigt geblieben, was in einem solchen Fall auch zweckmäßig erscheint (Zimmermann in Keidel, FamFG, 17. A. 2011, § 352 Rn. 124). Über den noch nicht erledigten Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 2. wird das Amtsgericht zu entscheiden haben.

8. Die Gerichtskostenfreiheit für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus § 131 Abs. 3 KostO. Kostenerstattung war unter Heranziehung von § 81 Abs. 1 S. 1 FamFG nicht anzuordnen. Bei der Ermessensentscheidung war zu berücksichtigen, dass die Beschwerde der Beteiligten zu 2. zwar Erfolg hat (gegen die Rechtsprechung insbesondere des OLG Stuttgart), indes wegen der sehr kontroversen Diskussion in Rechtsprechung und Literatur bei Fehlen einer höchstrichterlichen Entscheidung eine offene Rechtslage vorliegt, in deren Konsequenz die Rechtsbeschwerde zuzulassen war.

Für den Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens war der reine Nachlasswert heranzuziehen (§§ 131 Abs. 4, 107 Abs. 1 u. 2, 30 KostO). Unter Berücksichtigung der Angaben der Beschwerdeführerin in ihrem Schriftsatz vom 12. August 2013 ist der Senat von …. € ausgegangen. Hiervon ist 1/6 als Geschäftswert festgesetzt worden, weil die beiden Beteiligten ausgehend von ihrem jeweils für die Erbquote vertretenen Standpunkt letztlich nur um 1/6 des Nachlasses streiten.

9. Wie aufgezeigt werden in Rechtsprechung und Literatur zu der Problematik der Anwendung von § 1371 Abs. 1 BGB bei Geltung von ausländischem Erbstatut und deutschem Güterrechtsstatut unterschiedliche Lösungsansätze vertreten und gibt es dazu eine insgesamt sehr intensive, kontroverse Diskussion. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 2 Ziffer 2 FamFG zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erscheint dem Senat zwingend (die Rechtsbeschwerde zugelassen haben bereits das OLG Köln in ZEV 2012, 205 ff und das OLG München in ZEV 2012, 591 ff ).