Gutgläubiger Erwerb nach § 934 Alt. 2 BGB - Beendigung des mittelbaren Besitzes oder gleichstufiger mittelbarer Nebenbesitz beim "Doppelspiel" des unmittelbaren Besitzers ("Lagerhalter-Fall II")?
RG, Urt. v. 11.11.1932, VII 235/32
Fundstelle:

RGZ 138, 265


Zentrales Problem:

Im Zentrum des Falles steht (wie bereits in RGZ 135, 75 ff) die Frage des gutgläubigen Eigentumserwerbs nach §§ 929, 931 934 Alt. 2 BGB. Da der nichtberechtigte Veräußerer nicht mittelbarer Besitzer war (er hatte keinen Herausgabeanspruch gegen den Lagerhalter), konnte er dem gutgl. Erwerber nur dann Eigentum verschaffen, wenn er ihm Besitz verschaffte (§ 934 Alt. 2 BGB). Auf das tatsächliche Bestehen des abgetretenen Herausgabeanspruchs kommt es in diesem Fall nicht an. Auch genügt die Verschaffung mittelbaren Besitzes (ganz h.M.). Fraglich ist, ob der Erwerber mittelbarer Besitzer wurde. Hierzu ist alleiniger mittelbarer Besitz notwendig. Das RG geht davon aus, daß dadurch, daß der Lagerhalter (durch Ausstellung des Lagerscheins) nunmehr den Erwerber als Oberbesitzer anerkenne, er nur noch "für diesen" besitzen wolle, so daß der Eigentümer mittelbaren Besitz verliert. Die wohl h.M. sieht in dem Doppelspiel des Lagerhalters, der für beide (Eigentümer und Erwerber) besitzen wolle, nur den Erwerb sog. gleichstufigen mittelbaren Nebenbesitzes, was für einen gutgl. Erwerb nach § 934 Alt. 2 BGB nicht ausreiche (vgl. etwa Lorenz/Riehm, JuS Lern-CD ZivilR I Rn. 733; Medicus BürgR Rn. 558).



Leitsätze:

Zur Anwendung des § 934 BGB.


Sachverhalt:

Der Zuckerhändler St. in H. kaufte im Herbst 1929 größere Mengen Zucker von der Beklagten. Den Abschlüssen  lagen deren Verkaufsbedingungen zugrunde, die einen Eigentumsvorbehalt bis zur vollständigen Zahlung des Kaufpreises vorsahen. Da die Beklagte den Zucker vor Bezahlung des Kaufpreises nicht an St. ausliefern wollte, lagerte sie ihn als ihr Eigentum und auf ihren Namen bei dem Lagerhalter K. in H. gegen Lagerscheine ein, die auf ihren Namen von K. ausgestellt wurden.
St., für den die klagende Bank Zollsicherheiten gestellt hatte, übereignete von diesem Zucker durch Vertrag vom 4. Februar 1930 der T. Aktiengesellschaft, die dabei als Treuhänderin für die Klägerin tätig wurde, 2900 Sack raffinierten Zucker Marke ZNM. Die Übergabe wurde dadurch ersetzt, daß St. seine angeblichen Ansprüche gegen K. auf Herausgabe dieser 2900 Sack Zucker an die T. AG abtrat. Diese erhielt über die abgetretene Menge den auf ihren Namen ausgestellten Lagerschein vom 6. Februar 1930 Nr. 151, der die Unterschrift des K. trägt, sowie eine am 14. Februar 1930 ausgestellte Skizze über die Lagerung der 2900 Sack Zucker. Die Skizze war von St. und von einer Angestellten des K. namens R. unterzeichnet, die dem Aufdruck des Firmenstempels des K. den handschriftlichen Zusatz "I. A. R." beigefügt hatte. Die 2900 Sack Zucker wurden darauf von Angestellten der Klägerin auf dem Lager des K. besichtigt und festgestellt.

Am 24. Februar 1930 erfuhr die Klägerin, daß K. geflüchtet und daß gegen ihn Haftbefehl erlassen worden war. Auf Grund einer einstweiligen Verfügung, die sie gegen ihn erwirkte, wurden 2900 Sack Zucker - angeblich die ihr übereigneten - in amtliche Verwahrung gebracht und später auf Grund eines Zwischenvergleichs veräußert. Der Erlös von 109221,07 RM wurde für die Parteien sowie für eine Reihe anderer Firmen hinterlegt, die ebenfalls Eigentumsansprüche an dem Zucker geltend machten. Mit der Klage verlangt die Klägerin Verurteilung der Beklagten zur Einwilligung in die Auszahlung des Erlöses an sie. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat sie zugesprochen. Die Revision der Beklagten blieb erfolglos.

Entscheidungsgründe:

Der Berufungsrichter geht davon aus, daß St. weder Eigentümer noch mittelbarer Besitzer der ausgesonderten 2900 Sack Zucker gewesen sei. Trotzdem nimmt er an, daß die T. AG kraft guten Glaubens Eigentümerin dieses Zuckers geworden sei, weil ihr St. seinen angeblichen Herausgabeanspruch gegen K. abgetreten und weil sie von K. den mittelbaren Besitz an dem Zucker erlangt habe. Dieser Annahme stehe - so meint der Vorderrichter - nicht entgegen, daß K. am 6. Februar 1930, dem Tage der Ausstellung des der T. AG erteilten Lagerscheins Nr. 151, und am 14. Februar 1930, dem Tage der Ausstellung der Lagerskizze, bereits flüchtig gewesen sei, denn seine Angestellte R., der er in blanko von ihm unterschriebene Lagerscheine bei seiner Abreise zur Verwendung zurückgelassen habe, sei bevollmächtigt gewesen, für ihn Lagerverträge abzuschließen. Der Zeugin R. habe K. bei seiner Abreise zwar gesagt, er reise auf zwei Wochen in den Harz; K. sei aber, obgleich er nach Südamerika geflüchtet sei, Besitzer des bei ihm eingelagerten Zuckers geblieben, da er einen organisierten Lagerbetrieb aufrechterhalten habe. Den guten Glauben der Klägerin (oder ihrer Hilfspersonen) folgert der Berufungsrichter daraus, daß St. als ein zuverlässiger Zuckerhändler gegolten und die schriftliche Versicherung abgegeben habe, ihm stehe über die 2900 Sack Zucker die freie Verfügung zu und die Ware unterliege keinem Eigentumsvorbehalt eines Dritten.
Die Auslegung des § 934 BGB (zweiter Halbsatz), die der Berufungsrichter danach zugrundelegt, entspricht der Stellung, die der erkennende Senat in den Urteilen vom 5. Februar 1932 (RGZ Bd. 135 S. 75) und vom 17. Juni 1932 VII 220/31 eingenommen hat. An dieser Stellungnahme ist auch bei erneuter Prüfung festzuhalten. Danach kommt es im Fall des § 934 BGB (2. Halbsatz) nicht darauf an, ob der Abtretende einen Herausgabeanspruch gegen den im Besitz befindlichen Dritten hat, sondern es genügt, daß er sich so benimmt, als ob ihm ein solcher Anspruch zustehe. Einen Anspruch aus § 985 BGB (rei vindicatio)  kann der Abtretende ohnehin nicht haben, weil er nicht Eigentümer ist. Aber auch einen persönlichen Anspruch auf Herausgabe braucht er nicht zu haben. Weiter hat der Senat in den genannten Entscheidungen die Meinung vertreten, daß es im Fall des § 934 (2. Halbsatz) im Gegensatz zu § 933 BGB genüge, wenn der Erwerber den mittelbaren Besitz von dem Dritten erlange. Unter Ablehnung der Auffassung von Wolff (Lehrbuch des bürgerlichen Rechts Bd. 3 Das Sachenrecht 9. Bearbeitung S. 27, insbes. Anm. 26a) hat der Senat angenommen, daß ein bisheriger mittelbarer Besitzer den mittelbaren Besitz verliere, wenn der Dritte mit dem Erwerber ein mit dem bisherigen mittelbaren Besitz nicht vereinbares Verhältnis im Sinne des § 868 BGB eingehe, kraft dessen er ihm gegenüber auf Zeit zum Besitz berechtigt und verpflichtet sei, und daß hierzu keine Handlung des Dritten gegenüber dem bisherigen mittelbaren Besitzer erforderlich sei. Die Annahme eines gleichstufigen Besitzes des alten und des neuen mittelbaren Besitzers aus verschiedenen Wurzeln, die von Wolff a. a. O. befürwortet wird und die zur Erfüllung des Tatbestandes des § 934 BGB (Halbsatz 2) nicht genügen soll, ist abgelehnt worden. Die Revision ist auf ihre Angriffe gegen diese Rechtsauffassung in der mündlichen Verhandlung nicht mehr zurückgekommen. Es kommt danach darauf an, ob im Sinne dieser Rechtsprechung diejenigen Voraussetzungen erfüllt sind, die  zum Übergang des Eigentums nach § 934 BGB (Halbsatz 2) erforderlich und genügend sind. Diese Voraussetzungen sind:

Einigung zwischen St. und der T. AG über den Eigentumsübergang an bestimmten 2900 Sack Zucker,
Übergabeersatz durch Abtretung des von St. vorgespiegelten Herausgabeanspruchs bezüglich dieser 2900 Sack Zucker,
Erwerb des mittelbaren Besitzes an diesen 2900 Sack Zucker durch  die T. AG von K.,
guter Glaube zur Zeit der Abtretung des Herausgabeanspruchs und des Erwerbs des mittelbaren Besitzes.

Die Angriffe der Revision richten sich in der Hauptsache dagegen, daß die T. AG den mittelbaren Besitz von K., der bereits flüchtig gewesen sei, noch habe erwerben können und erworben habe. Zu diesem Zweck greift die Revision zunächst die Annahme des Berufungsrichters, die Zeugin R. sei von K. zur Ausstellung des Lagerscheins bevollmächtigt gewesen, als nicht pozeßgerecht zustandegekommen an. Sie meint, K. hätte als Zeuge vernommen werden müssen, da ihn die Beklagte dafür benannte habe, daß der von der Klägerin vorgelegte Lagerschein nicht mit seinem Wissen und Willen und auch nicht mit dem Wissen und Willen einer von ihm bevollmächtigten Persönlichkeit ausgefüllt worden sei. In der Tat ist hier dem Berufungsrichter nicht beizutreten, der von der Vernehmung des inzwischen nach Deutschland zurückgekehrten K. abgesehen hat, weil der Antrag, ihn als Zeugen zu vernehmen, nach der Vernehmung der Zeugin R. nicht erneuert worden sei. Nach dem Grundsatz der Einheit der Verhandlung bedurfte es keiner Erneuerung des Beweisantritts... Gleichwohl war die Vernehmung des K. nicht erforderlich.

Die Ausstellung des Lagerscheins Nr. 151 zerfällt in drei Handlungen. Die erste war seine Zeichnung durch K. in blanko und seine Überlassung an die Angestellte R. Die zweite Handlung war die Ausfüllung des Lagerscheins durch diese, die hierbei nach außen nicht in die Erscheinung trat. Der dritte rechtlich wesentliche Vorgang war die Ausstellung der Lagerskizze, die keine bloße Ausführungshandlung war, da erst hierdurch die 2900 Sack Zucker besonders gekennzeichnet wurden. Diese Lagerskizze hat die Zeugin R. unter Beidrückung des Firmenstempels des K. handschriftlich mit "I. A. R." gezeichnet. Hätte sie bereits im Lagerschein die besondere Kennzeichnung der 2900 Sack Zucker vermerkt, so könnte es keinem Zweifel unterliegen, daß K. den Lagerschein und den durch dessen Begebung an die T. AG abgeschlossenen Lagervertrag gegen sich gelten lassen müßte, auch wenn die R. dabei ihre Befugnis zur Ausfüllung überschritten hätte. Denn ein unter solchen Umständen mit seiner Unterschrift ausgefüllter und in den Verkehr gegebener Lagerschein muß als seine eigene Erklärung gelten, ohne daß es auf die Vollmachtsfrage ankommt (RGZ Bd. 105 S. 183 [185]), und es könnte sich nur fragen, ob K. in der Lage wäre, eine solcher Erklärung etwa auf Grund der §§ 119 flg. BGB anzufechten. Der Umstand, daß die Zeugin zufällig nicht so verfahren ist, sondern eine besondere Lagerskizze mit dem Firmenstempel des K. und ihrer Unterschrift versehen hat, kann keine abweichende Beurteilung rechtfertigen. Für den redlichen Verkehr ist trotzdem die Lagerskizze, in der auf den Lagerschein Nr. 151 Bezug genommen war, durch die Unterschrift des K. auf dem Lagerschein gedeckt. Zu diesem Ergebnis führt auch folgende Überlegung: Nach § 172 BGB steht es der besonderen Mitteilung einer Bevollmächtigung durch den Vollmachtgeber gleich, wenn dieser dem Vertreter eine Vollmachtsurkunde aushändigt und der Vertreter sie dem Dritten vorlegt. In solchem Fall wirkt die Vollmacht kraft Rechtsscheins gegen den Vollmachtgeber, auch wenn sie in Wahrheit nicht oder nicht mehr besteht. Bei einer Angestellten, die über Blanko-Lagerscheine ihres Dienstherrn mit dessen Willen verfügt, ist, wenn sie die Blanketturkunden ausfüllt und in den Verkehr bringt, die Lage rechtsähnlich. Mit der Sicherheit des Verkehrs würde es nicht verträglich sein, wollte man in einem solchen Fall darauf abstellen, ob der Dienstherr mit der Ausfüllung der Lagerscheine und ihrer Anlagen, auch wenn letztere von der Angestellten selbst in seinem Namen gezeichnet sind, einverstanden gewesen sein würde, wenn er davon gewußt hätte. Sache des Arbeitgebers ist es, seine Angestellten zu überwachen, denen er Blanketturkunden mit seiner Unterschrift überläßt Geschieht dies nicht, so kann nicht der redliche Verkehr die Folgen davon tragen. Im Gegenteil darf dieser davon ausgehen, daß alle Maßnahmen getroffen sind, einen Blankettmißbrauch zu verhüten. Dabei ist zu berücksichtigen, daß vom Standpunkt der Klägerin und der T. AG die Ausstellung des Lagerscheins Nr. 151 nichts Ungewöhnliches, sondern eine Angelegenheit war, wie sie der Geschäftsbetrieb eines Lagerhalters regelmäßig mit sich bringt. Die Ablehnung der Vernehmung des K. darüber, daß dieser Schein nicht mit seinem Wissen und Willen und auch nicht mit Wissen und Willen einer von ihm dazu bevollmächtigten Persönlichkeit ausgefüllt worden sei, ist daher gerechtfertigt. . .

Die Revision zieht die Annahme des Berufungsgerichts nicht in Zweifel, K. sei unmittelbarer Besitzer des Zuckers geblieben, obgleich er aus H. flüchtig wurde. Sie meint aber, durch sein Flüchtigwerden sei es ausgeschlossen gewesen, daß die T. AG den mittelbaren Besitz der 2900 Sack Zucker von ihm hätte erwerben können. Diese Ansicht der Revision ist nicht begründet. Es handelt sich auch insoweit letztlich um die Frage, ob K. die Ausfüllung des Lagerscheins und den Abschluß des Lagervertrags mit der T. AG durch die Zeugin R. gegen sich gelten lassen muß. Die Revision nimmt dies schuldrechtlich nicht in Abrede, meint aber, daß sachenrechtlich der Beklagten gegenüber etwas anderes gelten müsse. Das ist jedoch nicht richtig. Blieb K. trotz seines Flüchtigwerdens Besitzer seines Lagers, übte er diesen Besitz durch seine Angestellten und Arbeiter als seine Besitzdiener im Rahmen des von ihm eingerichteten Geschäftsbetriebs aus, so ist nicht einzusehen, warum nicht auch Änderungen der Besitzlage der hier in Frage stehenden Art an den eingelagerten Waren hätten eintreten können. Die Rechtslage ist insofern nicht anders, als wenn K. etwa zu seiner Erholung nach Amerika gefahren und den Geschäftsbetrieb seinen Angestellten überlassen hätte. Die von ihm geschaffene und für ihn arbeitende Geschäfts- und Lagerordnung genügte beim Eintritt des dafür erforderlichen Tatbestandes rechtlich für die festgestellte Besitzveränderung, sodaß K. fortan die 2900 Sack Zucker gemäß § 868 BGB als Lagerhalter der T. AG oder der Klägerin besaß. . .


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