Haftung aus pVV, Verschulden und Beweislast ("Pferdefutter"-Fall)

RG, Urteil v. 9.7.1907

Fundstelle:

RGZ 66, 289 ff



Leitsatz:

Wen trifft, wenn der Käufer einer nur der Gattung nach bestimmten, nach seiner Behauptung seitens des Verkäufers schuldhaft mangelhaft gelieferten Ware Ersatz des ihm infolge des Mangels entstandenen Schadens verlangt, bezüglich der Frage des Verschuldens die Beweislast?



Sachverhalt:

Der Kläger hatte von der Beklagten Pferdefutter - indischen Mais - gekauft, das er weiter an K. und W. verkaufte. Die Abkäufer haben demnächst gegen den Kläger Klage erhoben mit der Behauptung, daß ihre Pferde infolge des Genusses dieses Futters verendet seien, und Ersatz des ihnen dadurch erwachsenen Schadens begehrt. Infolge dieser Prozesse, in denen festgestellt wurde, daß in dem Mais sich giftige Rizinussamenkörner befunden haben, deren Genuß das Verenden der Pferde zur Folge hatte, bezahlte Kläger an K. im ganzen 3472,33 M und an W. 136,71 M. Die vom Kläger an K. auf Erstattung dieser Beträge gegen die Beklagte als Verkäuferin erhobene Klage wurde vom Landgericht abgewiesen, da der Schaden vorwiegend durch ein grobes Verschulden der Leute des Klägers entstanden sei, das dieser zu vertreten habe. Dagegen hat das Kammergericht auf die von dem Kläger eingelegte Berufung die Beklagte zur Zahlung von 3609.04 M nebst 4 Prozent Zinsen seit dem 1. April 1906 verurteilt.
Letzteres Urteil wurde aufgehoben, un die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Aus den Gründen:

"Das Berufungsgericht geht rechtlich zutreffend davon aus, daß der Verkäufer einer nur der Gattung nach bestimmten Sache bei schuldhafter Lieferung einer mangelhaften Sache dem Käufer zum Ersatze des demselben durch den Mangel verursachten Schadens aus diesem Verschulden verpflichtet ist. Daß dem Kläger durch die Lieferung von indischem Mais, in welchem sich giftige Rizinuskörner befanden, seitens der Beklagten der eingeklagte Schaden entstanden ist, indem mehrere Pferde der Abnehmer desselben infolge der Fütterung mit diesem Mais verendeten, und er diesen den dadurch entstandenen Verlust nach Durchführung des Vorprozesses mit K. hat bezahlen müssen, ist nicht streitig. Auch über die objektive Mangelhaftigkeit der zu Futterzwecken bestimmten Ware gemäß § 243 BGB kann ein Zweifel nicht bestehen. Die Beklagte hat dagegen bestritten, daß ihr bei Lieferung der einen Teil einer größeren Sendung bildenden Ware ein Verschulden zur Last falle. Das Berufungsgericht hat demgegenüber angenommen, die Beklagte hätte hinsichtlich der in Frage stehenden Lieferung die Beobachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns zu vertreten gehabt; angesichts der Vertragswidrigkeit der Lieferung treffe sie hierfür die Beweislast; dieser Beweispflicht hätte sie, wie näher dargelegt wird, nicht genügt; daher sei der Klaganspruch begründet.
Dieser rechtlichen Annahme kann indessen für das Recht des Bürgerlichen Gesetzbuches nicht beigepflichtet werden. Richtig ist, daß von der früheren Rechtsprechung sowohl des preußischen Obertribunals, als des Reichsoberhandelsgerichts und des Reichsgerichts angenommen wurde, daß bei mangelhafter Vertragserfüllung, insbesondere der vertragswidrigen Lieferung von Waren, der Verkäufer, um sich von der Verpflichtung zur Leistung des Erfüllungsinteresses frei zu machen, sich zu entlasten habe, daß er nachzuweisen habe, er sei ungeachtet gehöriger Sorgfalt nicht in der Lage gewesen, vertragsmäßig zu erfüllen.
    Vgl. Entsch. des Obertribunals Bd. 74, S.153; Entsch. des R.O.H.G.'s Bd. 14, S. 15, Bd. 15, S. 293; Entsch. des R.G.'s in Zivils. Bd. 21 S. 205, Bd. 22 S. 172, Bd. 25 S. 113, 114; Bolze, Bd. 1 Nr. 477; Staub, 6./7. Aufl. zu § 347 Anm. 16.
Diese Rechtsprechung, die auf der dem Standpunkte des preußischen Allgemeinen Landrechts entnommenen Auffassung beruhte, daß schon die vertragswidrige und mangelhafte Erfüllung an sich der Regel nach als eine von dem Verpflichteten verschuldete anzusehen sei., kann für das Bürgerliche Gesetzbuch als rechtlich zutreffend nicht erachtet werden. Dasselbe hat die Gewährleitungsfolgen wegen Mängel der Sache in den §§ 459 flg. lediglich an die Tatsache der objektiven Mangelhaftigkeit ohne Rücksicht auf die Frage der subjektiven Verschuldung geknüpft. Die bereits oben erwähnte Rechtsprechung, welche neben den Gewährleitungsansprüchen im Falle der schuldhaften Lieferung einer nur der Gattung nach bestimmten mangelhaften Sache dem Käufer auch einen Anspruch auf Ersatz des ihm infolge der Mangelhaftigkeit entstandenen Schadens zuerkennt, gründet sich im wesentlichen auf den im § 276 BGB ausgesprochenen Grundsatz, daß der Schuldner mangels anderweiter Bestimmung Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten habe, indem angenommen wird, daß diese Vertretungspflicht "nicht anders verwirklicht werden könne, als das der Schuldner dem anderen Teile den Schaden ersetze, der demselben durch sein vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln entstanden sei".
    Vgl. Entsch. des RG's in Zivils. Bd. 52 S. 19, Bd. 53 S. 202.
Nach dieser rechtlichen Konstruktion bildet aber dieses vorsätzliche oder fahrlässige Handeln einen besonderen und selbständigen Grund den Schadensersatzanspruch, den derjenige, der ihn erhebt, zu beweisen hat (vgl. Staub-Könige, 8. Aufl. zu § 377 Anm. 130). Daß in vielen Fällen das Verschulden schon in der bei der Lieferung selbst nicht beobachteten Sorgfalt tatsächlich gefunden werden mag, kann an dieser nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch sich ergebenden rechtlichen Sachlage bezüglich der Frage der Beweislast nichts ändern.
Das Berufungsgericht ist daher bei der Beurteilung der für den Klaganspruch auf Schadensersatz entscheidenden Schuldfrage von einer rechtlich nicht zutreffenden Verteilung der Beweislast ausgegangen, und auch soweit die Ausführungen desselben für die positive Annahme eines Verschuldens der Beklagten bei Lieferung des mit giftigen Rizinuskörnern durchsetzten Maises an den Kläger zu sprechen scheinen, bleibt es zweifelhaft, ob diese Annahme nicht durch jene rechtlich unzutreffende Auffassung beeinflußt wurde. Das angefochtene Urteil mußte daher aufgehoben, die Sache selbst aber zur erneuten Verhandlung und Entscheidung über diesen Punkt, wobei davon ausgegangen sein wird, daß die Beweislast für das Verschulden der Beklagten den Kläger trifft, an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden."...