IZPR: Maßgeblichkeit des deliktischen Gerichtsstands (Art. 5 Nr. 3 EuGVO) für negative Feststellungsklagen; anderweitige Rechtshängigkeit (Art. 27 EuGVO)


EuGH v. 25.10.2012 - Rs. C-133/11 (Folien Fischer)


Fundstelle:

NJW 2013, 287


Tenor:

Art. 5 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass eine negative Feststellungsklage mit dem Antrag, festzustellen, dass keine Haftung aus einer unerlaubten Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, besteht, unter diese Bestimmung fällt.


Zentrale Probleme:

Es geht um die Frage, ob die Zuständigkeitsvorschrift des Art. 5 Nr. 3 EuGVO für den deliktischen Gerichtsstand auch für negative Feststellungsklagen gilt. Der EuGH bejaht diese Frage in einem auf Vorlage des BGH ergangenen Beschluss mit überzeugender Begründung. Gegenstand ist eine klassische "Torpedoklage", mit der einer Klage der anderen Seite mit Rechtshängigkeitssperre entgegengewirkt werden soll. S, dazu jetzt auch EuGH v. 3.4.2014 - Rs. C-438/12 (Weber).

©sl 2011


Urteil:

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Folien Fischer AG (im Folgenden: Folien Fischer) und der Fofitec AG (im Folgenden: Fofitec), beide mit Sitz in der Schweiz, auf der einen Seite und der Ritrama SpA (im Folgenden: Ritrama) mit Sitz in Italien auf der anderen Seite über den Antrag der beiden Erstgenannten auf negative Feststellung, dass keine Haftung aus unerlaubter Handlung im Bereich des Kartellrechts besteht.

 Rechtlicher Rahmen

3        Nach ihrem zweiten Erwägungsgrund wird mit der Verordnung Nr. 44/2001 im Interesse eines reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts darauf abgezielt, „Bestimmungen zu erlassen, um die Vorschriften über die internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen zu vereinheitlichen und die Formalitäten im Hinblick auf eine rasche und unkomplizierte Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen aus den durch diese Verordnung gebundenen Mitgliedstaaten zu vereinfachen“.

4        Der elfte Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 44/2001 lautet:
„Die Zuständigkeitsvorschriften müssen in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten, und diese Zuständigkeit muss stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. Der Sitz juristischer Personen muss in der Verordnung selbst definiert sein, um die Transparenz der gemeinsamen Vorschriften zu stärken und Kompetenzkonflikte zu vermeiden.“

5        Der zwölfte Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 44/2001 sieht vor:
„Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten muss durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind.“

6        Im 15. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 44/2001 heißt es:
„Im Interesse einer abgestimmten Rechtspflege müssen Parallelverfahren so weit wie möglich vermieden werden, damit nicht in zwei Mitgliedstaaten miteinander unvereinbare Entscheidungen ergehen. …“

7        Der 19. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 44/2001 lautet:
„Um die Kontinuität zwischen dem [Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der durch die aufeinanderfolgenden Übereinkommen über den Beitritt neuer Mitgliedstaaten zu diesem Übereinkommen geänderten Fassung (im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen)] und dieser Verordnung zu wahren, sollten Übergangsvorschriften vorgesehen werden. Dies gilt auch für die Auslegung der Bestimmungen des Brüsseler Übereinkommens durch den Gerichtshof …“

8        Die Zuständigkeitsvorschriften sind in Kapitel II der Verordnung Nr. 44/2001, in den Art. 2 bis 31, enthalten.

9        Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001, der zu Abschnitt 1 („Allgemeine Vorschriften“) des Kapitels II gehört, bestimmt:
„Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.“

10      Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001, der zu demselben Abschnitt gehört, bestimmt:
„Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, können vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats nur gemäß den Vorschriften der Abschnitte 2 bis 7 dieses Kapitels verklagt werden.“

11      Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001, der zu Abschnitt 2 („Besondere Zuständigkeiten“) des Kapitels II gehört, sieht vor:
„Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden:

3.      wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“.

12      Art. 27 der Verordnung Nr. 44/2001 lautet:
„(1)      Werden bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht, so setzt das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht.
(2)      Sobald die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht, erklärt sich das später angerufene Gericht zugunsten dieses Gerichts für unzuständig.“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

13      Folien Fischer, die in der Schweiz ansässig ist, befasst sich mit der Entwicklung, der Herstellung und dem Verkauf beschichteter Papierwaren und Folien. Sie vertreibt u. a. in Deutschland Trägermaterial für Kartenformulare in Endlosform.

14      Fofitec, die ihren Geschäftssitz ebenfalls in der Schweiz hat und zur Unternehmensgruppe von Folien Fischer gehört, ist Inhaberin von Patenten, die bestimmte Formulare zur Übermittlung eines Anschreibens zusammen mit einem Mitgliedsausweis oder dergleichen sowie das Trägermaterial für diese Kartenformulare unter Schutz stellen.

15      Ritrama, die in Italien ansässig ist, entwickelt, produziert und vertreibt Laminate und veredelte Folien
verschiedener Art.

16      Im März 2007 beanstandete Ritrama mit einem Schreiben das Vertriebsverhalten von Folien Fischer und deren Weigerung, Patentlizenzen zu erteilen, als kartellrechtswidrig.

17      Nach Erhalt dieses Schreibens erhoben Folien Fischer und Fofitec beim Landgericht Hamburg (Deutschland) eine negative Feststellungsklage, mit der sie beantragen, festzustellen, dass Folien Fischer nicht verpflichtet ist, ihre Verkaufspraxis in Bezug auf die Rabattierung und Ausgestaltung der Vertriebsverträge zu unterlassen, und dass Ritrama hinsichtlich dieser Verkaufspraxis weder ein Beseitigungs‑ noch ein Schadensersatzanspruch zusteht. Ferner beantragten Folien Fischer und Fofitec die Feststellung, dass Fofitec nicht zur Gewährung einer Lizenz in Bezug auf zwei ihr zustehende Patente, mit denen die Herstellung von Formularen sowie Trägermaterialien für die Herstellung von Formularen geschützt wird, verpflichtet ist.

18      Nach der Erhebung dieser negativen Feststellungsklage reichten Ritrama und die Ritrama AG, eine in der Schweiz ansässige Tochtergesellschaft, beim Tribunale di Milano (Italien) eine Leistungsklage ein, mit der sie geltend machten, Folien Fischer und Fofitec verhielten sich kartellrechtswidrig, und Schadensersatz sowie die Verurteilung von Fofitec zur Erteilung von Lizenzen an den in Rede stehenden Patenten beantragten. In der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof hat Ritrama erklärt, dass dieses Verfahren ausgesetzt sei.

19      Die von Folien Fischer und Fofitec erhobene negative Feststellungsklage wurde vom Landgericht Hamburg als unzulässig abgewiesen. Das Urteil dieses Gerichts wurde im Berufungsverfahren durch das Oberlandesgericht Hamburg (Deutschland) bestätigt.

20      Das Oberlandesgericht Hamburg verneinte in seiner Entscheidung die Zuständigkeit der deutschen Gerichte mit der Begründung, dass der Deliktsgerichtsstand nach Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 für eine negative Feststellungsklage wie die von Folien Fischer und Fofitec erhobene nicht gegeben sei, da mit dieser geltend gemacht werde, dass gerade keine unerlaubte Handlung begangen worden sei.

21      Der Bundesgerichtshof, der mit der von Folien Fischer und Fofitec eingelegten Revision befasst ist, fragt sich, ob eine Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 auch dann gegeben ist, wenn der potenzielle Schädiger eine negative Feststellungsklage erhebt, mit der er die Feststellung beantragt, dass dem potenziellen Geschädigten keine Ansprüche aus einer möglichen unerlaubten Handlung zustehen. Er hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin gehend auszulegen, dass der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung auch für eine negative Feststellungsklage eröffnet ist, mit der vom potenziellen Schädiger geltend gemacht wird, dass dem potenziellen Geschädigten aus einem bestimmten Lebenssachverhalt keine Ansprüche aus unerlaubter Handlung (hier: Verstoß gegen kartellrechtliche Vorschriften) zustehen?

 Zur Vorlagefrage

 Zur Zulässigkeit

22      Ritrama bestreitet die Relevanz der Vorlagefrage für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits. Ihr Schreiben vom März 2007, auf das sich das vorlegende Gericht beziehe, stelle sich nicht als formale Abmahnung, sondern als einfache Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen zur Lösung der Meinungsverschiedenheit dar. Dieses Schreiben sei im prozessualen Sinne keine geeignete Grundlage und kein geeigneter Anlass dafür, sie mit einer Klage zu überziehen. Folien Fischer und Fofitec fehle somit das Feststellungsinteresse.

23      Ritrama macht ferner geltend, dass die streitige unerlaubte Handlung nicht im prozessualen Sinne in Deutschland vorgenommen worden sein könne, da sie in diesem Mitgliedstaat nicht mit Folien Fischer und Fofitec in Wettbewerb stehe. Folglich könnten die deutschen Gerichte ihre Zuständigkeit nicht auf Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 stützen.

24      Insoweit ist zum einen festzustellen, dass Ritrama darauf abzielt, das Rechtsschutzinteresse von Folien Fischer und Fofitec im Verfahren vor dem vorlegenden Gericht in Frage zu stellen, und die Erheblichkeit der Vorlagefrage rügt. Wie der Gerichtshof bereits dargelegt hat, ist jedoch allein das vorlegende Gericht für die Feststellung und die Würdigung des Sachverhalts des ihm vorliegenden Rechtsstreits und für die Auslegung und die Anwendung des nationalen Rechts zuständig (vgl. Urteile vom 11. September 2008, Eckelkamp u. a., C‑11/07, Slg. 2008, I‑6845, Randnr. 32, und vom 26. Mai 2011, Stichting Natuur en Milieu u. a., C‑165/09 bis C‑167/09, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 47).

25      Zum anderen entspricht es jedenfalls ständiger Rechtsprechung, dass nur das nationale Gericht im Hinblick auf die Besonderheiten der bei ihm anhängigen Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden Fragen zu beurteilen hat (Urteile vom 7. Dezember 2010, VEBIC, C‑439/08, Slg. 2010, I‑12471, Randnr. 41, und vom 16. Februar 2012, Eon Aset Menidjmunt, C‑118/11, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 76 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26      Die Entscheidung über eine von einem nationalen Gericht zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage kann nur dann abgelehnt werden, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. u. a. Urteile vom 22. Juni 2010, Melki und Abdeli, C‑188/10 und C‑189/10, Slg. 2010, I‑5667, Randnr. 27, und vom 28. Februar 2012, Inter-Environnement Wallonie und Terre wallonne, C‑41/11, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 35).
27      Dies ist hier nicht der Fall, da das vorlegende Gericht klar angegeben hat, aus welchen Gründen es das Vorabentscheidungsersuchen vorgelegt hat und warum eine Beantwortung der Frage für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits erforderlich ist.
 
28      Das Vorabentscheidungsersuchen ist daher zulässig.

 Zur Beantwortung der Frage

29      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass eine negative Feststellungsklage mit dem Antrag, festzustellen, dass keine Haftung aus unerlaubter Handlung besteht, unter diese Bestimmung fällt.

 Einleitende Bemerkungen

30      Erstens ist zum einen darauf hinzuweisen, dass die Bestimmungen der Verordnung Nr. 44/2001 autonom und unter Bezugnahme auf die Systematik und die Zielsetzungen dieser Verordnung auszulegen sind (vgl. u. a. Urteile vom 16. Juli 2009, Zuid-Chemie, C‑189/08, Slg. 2009, I‑6917, Randnr. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 25. Oktober 2011,
eDate Advertising und Martinez, C‑509/09 und C‑161/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 38).

31      Zum anderen gilt, da die Verordnung Nr. 44/2001 in den Beziehungen der Mitgliedstaaten das Brüsseler Übereinkommen ersetzt, die Auslegung der Bestimmungen dieses Übereinkommens durch den Gerichtshof auch für die Bestimmungen der Verordnung, soweit die Bestimmungen dieser Rechtsakte als gleichbedeutend angesehen werden können (Urteile Zuid-Chemie, Randnr. 18, und
eDate Advertising und Martinez, Randnr. 39).

32      In den in der vorliegenden Rechtssache relevanten Bestimmungen der Verordnung Nr. 44/2001, Art. 5 Nr. 3 und Art. 27, kommt die gleiche Systematik zum Ausdruck wie in den Bestimmungen des Brüsseler Übereinkommens, und sie haben darüber hinaus nahezu denselben Wortlaut. In Anbetracht der derart festgestellten Bedeutungsgleichheit ist entsprechend dem 19. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 44/2001 die Kontinuität bei der Auslegung dieser beiden Rechtsakte zu wahren (vgl. Urteil Zuid-Chemie, Randnr. 19).

33      Zweitens ist zum einen darauf hinzuweisen, dass die Verordnung Nr. 44/2001 einen der Rechtssicherheit dienenden Zweck verfolgt, der darin besteht, den Rechtsschutz der in der Europäischen Union ansässigen Personen in der Weise zu verbessern, dass ein Kläger ohne Schwierigkeiten festzustellen vermag, welches Gericht er anrufen kann, und ein Beklagter bei vernünftiger Betrachtung vorhersehen kann, vor welchem Gericht er verklagt werden kann (vgl. u. a. Urteil vom 23. April 2009, Falco Privatstiftung und Rabitsch, C‑533/07, Slg. 2009, I‑3327, Randnr. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 17. November 2011, Hypoteční banka, C‑327/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 44).

34      Zum anderen sind die Vorschriften der Verordnung Nr. 44/2001, in denen besondere Zuständigkeiten vorgesehen sind, entsprechend dem zwölften Erwägungsgrund dieser Verordnung unter Berücksichtigung des Ziels der Förderung einer geordneten Rechtspflege auszulegen.

35      Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 ist im Licht dieser Erwägungen auszulegen.

 Der Geltungsbereich von Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001

36      Die in Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 aufgestellte besondere Zuständigkeitsregel ist nach dem Wortlaut dieser Vorschrift allgemein für Fälle vorgesehen, in denen „eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder … Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden". Diese Formulierung erlaubt es damit nicht, eine negative Feststellungsklage ohne Weiteres vom Geltungsbereich dieser Vorschrift auszuschließen.
 
37      Nach ständiger Rechtsprechung beruht die besondere Zuständigkeitsregel, mit der in Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 vom Grundsatz der Zuständigkeit der Gerichte am Beklagtenwohnsitz abgewichen wird, darauf, dass zwischen der Streitigkeit und den Gerichten des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht, eine besonders enge Beziehung besteht, die aus Gründen einer geordneten Rechtspflege und einer sachgerechten Gestaltung des Prozesses eine Zuständigkeit dieser Gerichte rechtfertigt (vgl. Urteile Zuid-Chemie, Randnr. 24, und
eDate Advertising und Martinez, Randnr. 40).

38      Bei unerlaubten Handlungen ist nämlich das Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht, insbesondere wegen der Nähe zum Streitgegenstand und der leichteren Beweisaufnahme in der Regel am besten in der Lage, den Rechtsstreit zu entscheiden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 1. Oktober 2002, Henkel, C‑167/00, Slg. 2002, I‑8111, Randnr. 46, und Zuid-Chemie, Randnr. 24).

39      Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die Wendung „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“ in Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 sowohl den Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs als auch den Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens meint, so dass der Beklagte nach Wahl des Klägers vor dem Gericht eines dieser beiden Orte verklagt werden kann (Urteil vom 19. April 2012, Wintersteiger, C‑523/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40      Ein nationales Gericht muss daher einen dieser beiden Anknüpfungspunkte feststellen, um sich für einen Rechtsstreit über eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung für zuständig erklären zu können.

41      Es geht also darum, zu bestimmen, ob die gerichtliche Zuständigkeit für eine negative Feststellungsklage ungeachtet ihrer Besonderheit auf der Grundlage der in Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 aufgestellten Kriterien eröffnet sein kann.

42      Hierzu ist festzustellen, dass die Besonderheit einer negativen Feststellungsklage darin besteht, dass der Kläger die Feststellung begehrt, dass die Voraussetzungen der Haftung, aus der sich für den Beklagten ein Schadensersatzanspruch ergeben könnte, nicht gegeben sind.

43      Vor diesem Hintergrund hat eine negative Feststellungsklage, wie der Generalanwalt in Nr. 46 seiner Schlussanträge dargelegt hat, daher zur Folge, dass sich die im Deliktsrecht üblichen Rollen umkehren, da Kläger der potenzielle Schuldner einer Forderung aus unerlaubter Handlung ist, während Beklagter der potenzielle Geschädigte dieser Handlung ist.

44      Durch diese Umkehrung der Rollen wird eine negative Feststellungsklage aber nicht vom Geltungsbereich des Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 ausgeschlossen.

45      Die mit dieser Bestimmung verfolgten Ziele der Vorhersehbarkeit des Gerichtsstands und der Rechtssicherheit, auf die in der Rechtsprechung wiederholt hingewiesen wurde (vgl. Urteile vom 15. März 2012, G, C‑292/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 39, und Wintersteiger, Randnr. 23), hängen nämlich weder mit der Verteilung der Rollen von Kläger und Beklagtem noch mit dem Schutz von Kläger oder Beklagtem zusammen.

46      Insbesondere wird mit Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 nicht wie mit den Zuständigkeitsvorschriften in den Abschnitten 3 bis 5 des Kapitels II dieser Verordnung bezweckt, der schwächeren Partei einen verstärkten Schutz zu gewährleisten (vgl. Urteil vom 20. Mai 2010, ČPP Vienna Insurance Group, C‑111/09, Slg. 2010, I‑4545, Randnr. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

47      Wie Folien Fischer und Fofitec sowie die deutsche, die französische, die niederländische und die portugiesische Regierung und die Europäische Kommission zutreffend vortragen, hängt die Anwendung von Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 daher nicht von der Voraussetzung ab, dass das mutmaßliche Opfer die Klage erhoben hat.

48      Zwar unterscheiden sich die Interessen desjenigen, der eine negative Feststellungsklage erhebt, und die Interessen desjenigen, der eine Klage erhebt, die auf die Feststellung der Haftung des Beklagten für einen Schaden und auf seine Verurteilung zu Schadensersatz gerichtet ist. In beiden Fällen bezieht sich die von dem angerufenen Gericht vorgenommene Prüfung aber im Wesentlichen auf dieselben tatsächlichen und rechtlichen Aspekte.

49      Im Übrigen ergibt sich aus Randnr. 45 des Urteils vom 6. Dezember 1994, Tatry (C‑406/92, Slg. 1994, I‑5439), auch wenn dieses die Auslegung von insbesondere Art. 21 des Brüsseler Übereinkommens über die Rechtshängigkeit – jetzt Art. 27 der Verordnung Nr. 44/2001 – betrifft, dass eine Klage, die auf die Feststellung, dass der Beklagte für einen Schaden haftet, und auf seine Verurteilung zur Zahlung von Schadensersatz gerichtet ist, und eine von dem entsprechenden Beklagten erhobene Klage auf Feststellung, dass er für diesen Schaden nicht haftet, denselben Anspruch betreffen.

50      Zu präzisieren bleibt noch, dass das angerufene Gericht im Stadium der Prüfung der internationalen Zuständigkeit weder die Zulässigkeit noch die Begründetheit der negativen Feststellungsklage nach den Vorschriften des nationalen Rechts prüft, sondern nur die Anknüpfungspunkte mit dem Staat des Gerichtsstands ermittelt, die seine Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 rechtfertigen.

51      Unter diesen Umständen wirkt sich die in Randnr. 42 des vorliegenden Urteils dargelegte Besonderheit der negativen Feststellungsklage nicht auf die Prüfung aus, die ein nationales Gericht im Hinblick auf die Bestimmung seiner gerichtlichen Zuständigkeit für eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung vorzunehmen hat, da es nur darum geht, das Vorliegen eines Anknüpfungspunkts mit dem Staat des Gerichtsstands festzustellen.

52      Wenn die Umstände, die bei einer negativen Feststellungsklage in Rede stehen, eine Anknüpfung an den Staat rechtfertigen können, in dem sich entweder das ursächliche Geschehen ereignet hat oder der Schaden eingetreten ist oder einzutreten droht, kann sich somit das Gericht eines dieser beiden Orte nach der in Randnr. 39 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung gemäß Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 für diese Klage zu Recht für zuständig erklären, ohne dass es darauf ankäme, ob die Klage vom mutmaßlichen Opfer einer unerlaubten Handlung oder vom potenziellen Schuldner einer Forderung aus dieser Handlung erhoben wurde.

53      Dagegen darf sich ein Gericht, das im Staat des Gerichtsstands keinen der beiden in Randnr. 39 des vorliegenden Urteils genannten Anknüpfungspunkte feststellen kann, nicht für zuständig erklären, da es sonst die Ziele von Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 missachten würde.

54      Nach alledem ist eine negative Feststellungsklage im Hinblick auf die Bestimmung der Zuständigkeit der nationalen Gerichte nicht vom Geltungsbereich des Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 ausgeschlossen.

55      Folglich ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass eine negative Feststellungsklage mit dem Antrag, festzustellen, dass keine Haftung aus einer unerlaubten Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, besteht, unter diese Bestimmung fällt.

 Kosten
56      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:
Art. 5 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass eine negative Feststellungsklage mit dem Antrag, festzustellen, dass keine Haftung aus einer unerlaubten Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, besteht, unter diese Bestimmung fällt.