Kein
Nutzungsersatzanspruch gegenüber einem Verbraucher/Käufer bei Nacherfüllung
durch Neulieferung (§ 439 IV BGB); richtlinienkonforme Auslegung ("Quelle
AG"): Entscheidung im Anschluss an
EuGH NJW
2008, 1433; Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung
BGH, Urteil vom 26.
November 2008 - VIII ZR 200/05
Fundstelle:
NJW 2009, 427
für BGHZ vorgesehen
Amtl. Leitsatz:
a) Der von der
Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften geprägte
Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung verlangt von den nationalen
Gerichten über eine Gesetzesauslegung im engeren Sinne hinaus auch, das
nationale Recht, wo dies nötig und möglich ist, richtlinienkonform
fortzubilden.
b) Eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung im Wege der teleologischen
Reduktion setzt eine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen
Unvollständigkeit des Gesetzes voraus; eine solche planwidrige
Unvollständigkeit kann sich daraus ergeben, dass der Gesetzgeber in der
Gesetzesbegründung ausdrücklich seine Absicht bekundet hat, eine
richtlinienkonforme Regelung zu schaffen, die Annahme des Gesetzgebers, die
Regelung sei richtlinienkonform, aber fehlerhaft ist.
c) § 439 Abs. 4 BGB ist unter Beachtung des Urteils des Gerichtshofs der
Europäischen Gemeinschaften vom 17. April
2008 (Rs. C-404/06, NJW 2008, 1433 – Quelle AG/Bundesverband der
Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände) im Wege der
richtlinienkonformen Rechtsfortbildung in Fällen des Verbrauchsgüterkaufs (§
474 Abs. 1 Satz 1 BGB) einschränkend anzuwenden: Die in § 439 Abs. 4 BGB in
Bezug genommenen Vorschriften über den Rücktritt (§§ 346 bis 348 BGB) gelten
in diesen Fällen nur für die Rückgewähr der mangelhaften Sache selbst,
führen hingegen nicht zu einem Anspruch des Verkäufers gegen den Käufer auf
Herausgabe der gezogenen Nutzungen oder auf Wertersatz für die Nutzung der
mangelhaften Sache.
Zentrale Probleme:
Der „Quelle-Fall“ (s. die Anm. zu
BGH NJW 2006, 3200
(Vorlagebeschluß) sowie zu EuGH NJW
2008, 1433) ist endlich durchentschieden und fast zeitgleich – was
das konkrete Problem betrifft – durch einen gesetzgeberischen Eingriff
erledigt: Es geht um die Frage, ob ein Verbraucher, der im Rahmen der
Sachmängelgewährleistung nach § 439 I BGB Nacherfüllung im Wege der
Neulieferung verlangt, neben der nach § 439 IV BGB geschuldeten Rückgabe der
mangelhaften Sache auch zum Ersatz der Nutzungen verpflichtet ist, die er
bis dahin aus der Sache gezogen hat. In der Praxis stehen hier als Nutzungen
insbesondere die Gebrauchsvorteile (§ 100 BGB) im Vordergrund, für welche
nach §§ 439 IV, 346 I, II Nr. 1 BGB Wertersatz in Höhe des zeitanteiligen
Wertverzehrs zu leisten wäre.
Die Entscheidung ist jetzt "nur" noch methodisch von
Interesse, da der Gesetzgeber nunmehr reagiert hat: § 474 II BGB lautet seit
dem 16.12.2008 (s. BGBl. 2008 I S. 2400):"(2) Auf die in diesem Untertitel
geregelten Kaufverträge ist § 439 Abs.4 mit der Maßgabe anzuwenden, dass
Nutzungen nicht herauszugeben oder durch ihren Wert zu ersetzen sind. Die §§
445 und 447 sind nicht anzuwenden".
Der Senat hatte in einem dieser Entscheidung vorangehenden Vorlagebeschluss
an den EuGH zunächst dargelegt, dass sich diese Rechtsfolge klar nicht nur
aus dem Wortlaut des Gesetzes, sondern auch aus dessen Systematik ergebe und
auch dem eindeutig geäußerten Willen des Gesetzgebers entspreche (
BGH NJW 2006, 3200).
In der Literatur schon seit langem geäußerte Zweifel an der
Richtlinienkonformität der Regelung (s. dazu die Nachw. bei S. Lorenz, in:
MünchKomm, Vorbem. zu § 474 Rdnr. 19) hatte er geteilt und die Frage der
Auslegung der Richtlinie deshalb nach Art. 234 EGV dem EuGH vorgelegt.
Dieser erachtete dann – erwartungsgemäß – die Regelung des deutschen Rechts
für richtlinienwidrig. Zentrale Aussage der Entscheidung des EuGH war, dass
„jede finanzielle Forderung des Verkäufers im Rahmen der Erfüllung seiner
Verpflichtung zur Herstellung des vertragsmäßigen Zustands des
Verbrauchsguts, auf das sich der Vertrag bezieht, ausgeschlossen ist“ (EuGH,
NJW 2008, 1433 Tz. 34 – Quelle AG).
Nunmehr hatte sich der Senat nach Abschluss des Vorlageverfahrens mit der
Frage der Grenzen richtlinienkonformer Auslegung bzw. Rechtsfortbildung zu
befassen. Aus diesem Grund ist die Entscheidung von allerhöchstem und
bleibendem methodischen Interesse. Das konkrete Problem hingegen ist
erledigt: Der Gesetzgeber hat mit Wirkung vom 16.12.2008 einen Anspruch auf
Ersatz von Nutzungen bzw. Wertersatz aus § 439 IV BGB im Bereich des
Verbrauchsgüterkaufs ausgeschlossen (§ 474 I 1 BGB n.F.).
Bekanntlich haben Richtlinien keine unmittelbare „horizontale“ Wirkung
zwischen Privatrechtssubjekten, sondern bedürfen der Umsetzung durch den
nationalen Gesetzgeber. Im Falle einer fehlenden oder – wie hier
fehlerhaften – Umsetzung sind unter anderem die nationalen Gerichte
europarechtlich verpflichtet, zur Durchführung einer europäischen Richtlinie
erlassene Gesetze „im Rahmen ihrer Zuständigkeit“ unter voller Ausschöpfung
des Beurteilungsspielraums, den ihnen das nationale Recht einräumt, im
Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen (Gebot
richtlinienkonformer Auslegung, s. dazu EuGH,
NJW 1984, 2021 – von Colson und Kamann). Der Begriff der „Zuständigkeit“
ist dabei im kompetenzrechtlichen Sinne zu verstehen, so dass die jeweilige
innerstaatliche Kompetenzabgrenzung zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung
vom Gebot richtlinienkonformer Auslegung unberührt bleibt. Die
richtlinienkonforme Auslegung ist also keine eigenständige
Auslegungsmethode, sondern nur innerhalb der methodischen Grenzen des
nationalen Rechts möglich. Damit berechtigt sie weder auf nationaler Ebene
zu einer Auslegung contra legem, noch besteht eine diesbezügliche
europarechtliche Verpflichtung (so ausdrücklich
EuGH, Slg. 2006, I-6091 = NJW 2006, 2465 – Adeneler). Genau durch diese
Kompetenzgrenze sah sich der BGH in dem Ausgangsverfahren zunächst
gehindert, einen Anspruch auf Nutzungsersatz zu versagen: Eine
einschränkende Auslegung des § 439 IV BGB dahingehend, dass die Verweisung
auf die Rücktrittsvorschriften nicht auch einen Anspruch des Verkäufers auf
Nutzungsvergütung begründet, sei „unter Berücksichtigung der Bindung der
Rechtsprechung an Recht und Gesetz (Art. 20 III GG) nicht zulässig“. Die
Möglichkeit der Auslegung ende dort, „wo sie mit dem Wortlaut und dem klar
erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde“ (BGH NJW 2006, 3200
Tz. 15).
Diese Bedenken hat der Senat nunmehr aufgegeben: Er bejaht die Möglichkeit
einer teleologischen Reduktion von § 439 IV BGB für den Bereich des
Verbrauchsgüterkaufs. Unter detaillierter Auseinandersetzung mit der
zitierten Rechtsprechung des EuGH legt er zutreffend dar, dass der Wortlaut
einer Norm nach deutschem Recht nicht die Grenze der Gesetzesauslegung
darstellt. Lassen andere anerkannte Auslegungskriterien des deutschen
Rechts, insbesondere eine historische oder teleologische Auslegung eine vom
Wortlaut der Norm abweichende Auslegung zu, ist die Grenze zur contra
legem-Auslegung nicht überschritten. Die besondere Problematik des
vorliegenden Falles besteht freilich darin, dass sich bereits der
Gesetzgeber in den Materialien zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz
intensiv mit der Frage der Richtlinienkonformität des
Nutzungsersatzanspruchs auseinandergesetzt und diese – fälschlicherweise –
bejaht hatte. Damit führen nach einer verbreiteten Literaturansicht nicht
nur eine grammatikalische und eine historische Auslegung, sondern auch eine
teleologische Auslegung zu keinem richtlinienkonformen Ergebnis. Aus dem
bloßen Willen des Gesetzgebers, richtlinienkonform zu handeln, eine
Berechtigung zu richtlinienkonformer Rechtsfortbildung herzuleiten, führt
letztlich zu einer horizontalen Direktwirkung der Richtlinie. Denn eine
solche wäre dann nur noch dann auszuschließen, wenn der Gesetzgeber – was
kaum je der Fall sein dürfte – einen bewussten Richtlinienverstoß begeht.
Der Senat sieht das im Anschluss an Herresthal (NJW 2008, 2475 sowie
eingehend ders., Rechtsfortbildung im europarechtlichen Bezugsrahmen, 2006)
differenzierter: Da der Gesetzgeber für die konkrete Regelung und
ausdrücklich die Ansicht geäußert hatte, richtlinienkonform zu handeln, sich
also mit der konkreten Richtlinienproblematik auseinandergesetzt hat (s.
dazu die Begr. des RegE zum SchuldRModG, BT-Dr 15/6060, S. 232 f.), stehe
die konkrete Regelungsabsicht hinsichtlich des Nutzungsersatzes nicht
lediglich im Widerspruch zu einem generellen, allgemein formulierten
Umsetzungswillen. Es bestehe vielmehr ein Widerspruch zur konkret
geäußerten, von der Annahme der Richtlinienkonformität getragenen
Umsetzungsabsicht des Gesetzgebers. Dies stelle eine planwidrige verdeckte
Regelungslücke dar, die dazu berechtige, im Wege der Rechtsfortbildung § 439
IV BGB für den Bereich des Verbrauchsgüterkaufs (und nur für diesen!)
einschränkend dahingehend auszulegen, dass der Verbraucher zwar die Rückgabe
der mangelhaften Sache, nicht aber Nutzungsersatz schulde.
Der Senat hat es sich mit der sorgsam begründeten Entscheidung nicht leicht
gemacht. Es bleibt zu betonen, dass der generelle Konformitätswille des
Gesetzgebers als solcher noch nicht zu einer richtlinienkonformen
Rechtsfortbildung des nationalen Rechts berechtigt. Diese setzt vielmehr
voraus, dass der Gesetzgeber sich ausdrücklich mit der
Richtlinienkonformität einer Regelung befasst hat und sich dabei geirrt hat.
Die Entscheidung ist also – wenngleich immer noch problematisch – kein
Freibrief für eine richtlinienkonforme Auslegung contra legem. Sie wird ganz
zweifellos Ausgangspunkt einer kontroversen wissenschaftlichen Diskussion
sein. Für die Zukunft sind die praktischen Folgen des „Quelle-Falls“ durch
den Gesetzgeber geklärt. Außerhalb des Verhältnisses zwischen Unternehmern
und Verbrauchern, also im Verhältnis zwischen Unternehmern bleibt es
hingegen auch in Zukunft bei der Pflicht zum Nutzungsersatz. Die an der
Regelung zutreffend geübte rechtspolitische Kritik bleibt insoweit bestehen.
©sl 2009
Tatbestand:
1 Der Kläger ist ein Verbraucherverband, der in die gemäß § 4 des
Unterlassungsklagengesetzes (UKlaG) beim Bundesverwaltungsamt geführte Liste
qualifizierter Einrichtungen eingetragen ist. Die Beklagte betreibt ein
Versandhandelsunternehmen.
2 Im Sommer 2002 bestellte die Käuferin B. für ihren privaten Gebrauch bei
der Beklagten ein sogenanntes "Herd-Set" zum Preis von 524,90 €. Die Ware
wurde im August 2002 geliefert. Im Januar 2004 stellte die Käuferin fest,
dass sich an der Innenseite des zu dem "Herd-Set" gehörenden Backofens die
Emailleschicht abgelöst hatte. Da eine Reparatur des Gerätes nicht möglich
war, tauschte die Beklagte den Backofen vereinbarungsgemäß noch im Januar
2004 aus. Das ursprünglich gelieferte Gerät gab die Käuferin an die Beklagte
zurück. Für dessen Nutzung verlangte die Beklagte eine Vergütung, die die
Käuferin an die Beklagte zahlte.
3 Gestützt auf eine entsprechende Ermächtigung durch die Käuferin verlangt
der Kläger Rückzahlung der Vergütung in Höhe von 67,86 € nebst Zinsen.
Daneben hat er, soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse, beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, Verbrauchern im Falle der
Ersatzlieferung Beträge für die Nutzung der mangelhaften Ware in Rechnung zu
stellen.
4 Das Landgericht (LG Nürnberg-Fürth, NJW 2005, 2558) hat dem Zahlungsantrag
stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Oberlandesgericht (OLG
Nürnberg, NJW 2005, 3000) hat die Berufung der Beklagten und hinsichtlich
des vorbezeichneten Unterlassungsantrags auch die Berufung des Klägers
zurückgewiesen und die Revision für beide Parteien zugelassen.
Die Beklagte erstrebt mit ihrer Revision die Abweisung der Zahlungsklage.
Der Kläger verfolgt mit seiner Revision den Unterlassungsanspruch weiter.
5 Der Senat hat das Verfahren durch Beschluss vom 16. August 2006 (NJW
2006, 3200) ausgesetzt und den Gerichtshof der Europäischen
Gemeinschaften gemäß Art. 234 EG um eine Vorabentscheidung ersucht. Der
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat hierüber durch Urteil vom
17. April 2008 (Rs. C-404/06, NJW 2008, 1433
– Quelle AG/Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände)
entschieden.
Entscheidungsgründe:
6 Die Revision der Beklagten ist unbegründet, die des Klägers ist begründet.
A.
7 Das Berufungsgericht hat, soweit für das Revisionsverfahren noch von
Interesse, zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
8 Die Zahlung einer Nutzungsentschädigung sei ohne Rechtsgrund erfolgt und
könne daher nach § 812 Abs. 1 BGB zurückgefordert werden. Aus der Verweisung
des § 439 Abs. 4 BGB auf § 346 Abs. 1 BGB könne die Beklagte keinen Anspruch
auf Nutzungsentschädigung herleiten. Die Vorschrift des § 439 Abs. 4 BGB
enthalte keine Rechtsfolgenverweisung auf § 346 Abs. 1 Alt. 2 BGB
(Herausgabe von tatsächlich gezogenen Nutzungen). Die Begründung des
Gesetzgebers für eine Verpflichtung des Käufers, im Falle der
Ersatzlieferung eine Nutzungsentschädigung zu zahlen, überzeuge nicht. Es
sei nicht gerechtfertigt, im Falle einer Ersatzlieferung alle aus dem
Rücktritt resultierenden Rechtsfolgen anzuwenden. Zwar habe der Käufer bei
der Ersatzlieferung dadurch einen Vorteil, dass er anstelle der
ursprünglichen Sache nun eine neue ungebrauchte Sache mit einer neuen
Gewährleistungsfrist erhalte und grundsätzlich mit einer längeren
Lebensdauer der Ware rechnen könne. Dem Verkäufer bleibe als Nachteil eine
unverkäufliche, weil mangelbehaftete Sache; allerdings behalte er den vollen
Kaufpreis und damit den eigentlichen Gewinn. Im Falle des Rücktritts stelle
sich die Situation für den Verkäufer deutlich ungünstiger dar. Er müsse
nicht nur die mangelhafte Ware behalten, sondern zusätzlich noch den im
Kaufpreis enthaltenen Gewinn herausgeben. Demgegenüber erhalte der Käufer
den vollen Kaufpreis zurück und könne sich von seinem Vertragspartner lösen.
Nur in diesem Fall sei es interessengerecht, wenn der Käufer eine
Nutzungsentschädigung zahle.
9 Auch wenn der Beklagten somit im Falle der Ersatzlieferung kein Anspruch
auf Nutzungsentschädigung zustehe, sei der auf § 2 Abs. 2 Nr. 1 UKlaG
gestützte Unterlassungsantrag unbegründet, weil das Verhalten der Beklagten
nicht gegen eine Vorschrift verstoße, die dem Schutz der Verbraucher diene.
Die Erwähnung von § 439 BGB in § 475 BGB lasse die erstgenannte Bestimmung
nicht generell zu einer verbraucherschützenden Vorschrift werden. Denn in §
475 BGB werde als spezielle Regelung über den Verbrauchsgüterkauf nur die
grundsätzliche Unabdingbarkeit des § 439 BGB festgeschrieben. Würde jede
Abweichung von den Bestimmungen der §§ 433 ff. BGB, soweit diese die
Vorgaben der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie umsetzten, dem § 2 Abs. 2 Nr. 1
UKlaG unterfallen, hätte dies die nicht beabsichtigte Folge, dass aus jedem
Rechtsstreit, in dem ein Unternehmer bei einem Verbrauchsgüterkauf
unterliege, ein allgemeiner, vom Kläger durchzusetzender
Unterlassungsanspruch herrührte. Ohnehin sei dem § 439 BGB ein Verbot, eine
Nutzungsentschädigung verlangen zu dürfen, nicht zu entnehmen. Die
Vorschrift des § 439 Abs. 4 BGB biete lediglich keine Anspruchsgrundlage für
ein derartiges Verlangen, enthalte aber kein diesbezügliches Verbot.
B.
10 Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht in
jeder Hinsicht stand.
11 I. Revision der Beklagten
12 Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass die
Käuferin gegen die Beklagte einen Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1
BGB auf Rückzahlung eines Betrages von 67,86 € nebst Zinsen hat, den der
Kläger aufgrund der Ermächtigung durch die Käuferin im eigenen Namen geltend
machen kann.
13 Die von der Käuferin geleistete Zahlung für die Nutzung des zunächst
gelieferten mangelhaften Herdes ist ohne Rechtsgrund erfolgt. Der Beklagten
steht ein Anspruch auf Wertersatz dafür, dass die Käuferin die anfangs
gelieferte Ware in der Zeit von August 2002 bis Januar 2004 nutzen konnte,
nicht zu. Ein derartiger Anspruch ergibt sich entgegen der Ansicht der
Beklagten auch nicht aus § 439 Abs. 4 BGB in Verbindung mit § 346 Abs. 1,
Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 100 BGB.
14 1. Zwar kann nach dem Wortlaut des § 439 Abs. 4 BGB der Verkäufer, der
zum Zwecke der Nacherfüllung eine mangelfreie Sache liefert, vom Käufer
Rückgewähr der mangelhaften Sache "nach Maßgabe der §§ 346 bis 348"
verlangen. Neben der Rückgabe der empfangenen Leistung selbst sieht § 346
Abs. 1 BGB im Falle des Rücktritts die Pflicht zur Herausgabe der gezogenen
Nutzungen vor, zu denen auch die Gebrauchsvorteile nach § 100 BGB gehören.
Für diese Vorteile hat der Rückgewährschuldner nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr.
1 BGB dem Rückgewährgläubiger Wertersatz zu leisten. Dies gilt nach dem
Wortlaut der Vorschriften auch dann, wenn es sich – wie im vorliegenden Fall
– um einen Verbrauchsgüterkauf (§ 474 Abs. 1 Satz 1 BGB) handelt.
15 2. Diese – im rechtswissenschaftlichen Schrifttum sehr umstrittene (vgl.
Senatsbeschluss vom 16. August 2006, aaO, Tz. 10 ff. m.w.N.) – Vorschrift
steht aber nicht im Einklang mit Art. 3 der
Richtlinie 1999/44/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten
Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl.
EG Nr. L 171, S. 12; im Folgenden: Richtlinie). Nach Art. 3 Abs. 2 der
Richtlinie hat der Verbraucher bei Vertragswidrigkeit des Verbrauchsgutes
entweder Anspruch auf die unentgeltliche Herstellung des vertragsgemäßen
Zustands durch Nachbesserung oder Ersatzlieferung oder auf angemessene
Minderung des Kaufpreises oder auf Vertragsauflösung. Art. 3 Abs. 3 Satz 1
der Richtlinie bestimmt, dass der Verbraucher vom Verkäufer die
unentgeltliche Nachbesserung des Verbrauchsgutes oder eine unentgeltliche
Ersatzlieferung verlangen kann, sofern dies nicht unmöglich oder
unverhältnismäßig ist. In Art. 3 Abs. 3 Satz 3 der Richtlinie heißt es, dass
die Nachbesserung oder die Ersatzlieferung innerhalb angemessener Frist und
ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher erfolgen müsse. Nach
Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie umfasst der Begriff "unentgeltlich" in den
Absätzen 2 und 3 die für die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des
Verbrauchsguts notwendigen Kosten, insbesondere Versand-, Arbeits- und
Materialkosten.
16 Der Senat hat dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften durch
Beschluss vom 16. August 2006 (aaO) folgende
Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
"Sind die Bestimmungen des Art. 3 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 3 Satz 1 und
Abs. 4 oder des Art. 3 Abs. 3 Satz 3 der Richtlinie dahin auszulegen, dass
sie einer nationalen gesetzlichen Regelung entgegenstehen, die besagt, dass
der Verkäufer im Falle der Herstellung des vertragsgemäßen Zustandes des
Verbrauchsgutes durch Ersatzlieferung von dem Verbraucher Wertersatz für die
Nutzung des zunächst gelieferten vertragswidrigen Verbrauchsgutes verlangen
kann?"
17 Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat die Frage mit
Urteil vom 17. April 2008 (aaO) wie folgt
beantwortet:
"Art. 3 der Richtlinie ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen
Regelung entgegensteht, die dem Verkäufer, wenn er ein vertragswidriges
Verbrauchsgut geliefert hat, gestattet, vom Verbraucher Wertersatz für die
Nutzung des vertragswidrigen Verbrauchsguts bis zu dessen Austausch durch
ein neues Verbrauchsgut zu verlangen."
18 Zur Begründung hat der Gerichtshof im Wesentlichen ausgeführt: Dem
Wortlaut und den einschlägigen Vorarbeiten der Richtlinie zufolge habe der
Gemeinschaftsgesetzgeber die Unentgeltlichkeit der Herstellung des
vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts durch den Verkäufer zu einem
wesentlichen Bestandteil des durch die Richtlinie gewährleisteten
Verbraucherschutzes machen wollen (Rdnr. 33). Diese dem Verkäufer auferlegte
Verpflichtung, die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des
Verbrauchsguts unentgeltlich zu bewirken, solle den Verbraucher vor
drohenden finanziellen Belastungen schützen, die ihn davon abhalten könnten,
seine Ansprüche geltend zu machen. Das bedeute, dass jede finanzielle
Forderung des Verkäufers im Rahmen der Erfüllung seiner Verpflichtung zur
Herstellung des vertragsmäßigen Zustands des Verbrauchsguts ausgeschlossen
sei (Rdnr. 34). Diese Auslegung werde dadurch bestätigt, dass nach Art. 3
Abs. 3 Unterabs. 3 der Richtlinie die Nachbesserung oder die Ersatzlieferung
auch ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher zu erfolgen habe
(Rdnr. 35). Der 15. Erwägungsgrund betreffe nur den in Art. 3 Abs. 5 der
Richtlinie vorgesehenen Fall der Vertragsauflösung mit gegenseitiger
Herausgabe der erlangten Vorteile und könne somit nicht als allgemeiner
Grundsatz verstanden werden (Rdnr. 39). Der
- 9 -
Verbraucher werde durch die Erlangung eines neuen Verbrauchsguts als Ersatz
für das vertragswidrige Verbrauchsgut nicht ungerechtfertigt bereichert. Er
erhalte lediglich verspätet ein den Vertragsbestimmungen entsprechendes
Verbrauchsgut, wie er es bereits zu Beginn hätte erhalten müssen (Rdnr. 41).
Die finanziellen Interessen des Verkäufers seien durch die Verjährungsfrist
von zwei Jahren nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie und durch die ihm in Art.
3 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie eröffnete Möglichkeit geschützt, die
Ersatzlieferung zu verweigern, wenn sich diese Abhilfe wegen unzumutbarer
Kosten als unverhältnismäßig erweist (Rdnr. 42).
19 3. An dieses Auslegungsergebnis sind die nationalen Gerichte gebunden.
Sie sind nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen
Gemeinschaften aufgrund des Umsetzungsgebots gemäß Art. 249 Abs. 3 EG und
des Grundsatzes der Gemeinschaftstreue gemäß Art. 10 EG zudem verpflichtet,
die Auslegung des nationalen Rechts unter voller Ausschöpfung des
Beurteilungsspielraums, den ihnen das nationale Recht einräumt, soweit wie
möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der
Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen (vgl. nur
EuGH, Urteil vom 10. April 1984 – Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891, Rdnr. 26, 28 –
von Colson und Kamann/ Nordrhein-Westfalen;
Urteil vom 5. Oktober 2004 – Rs. C-397/01 bis C-403/01, Slg. 2004, I S.
8835, Rdnr. 113 – Pfeiffer u.a./Deutsches Rotes Kreuz, Kreisverband Waldshut
e.V.).
20 a) Allerdings lässt sich dieses Gebot richtlinienkonformer Auslegung
im vorliegenden Fall nicht im Wege einer (einschränkenden) Gesetzesauslegung
im engeren Sinne umsetzen, also einer Rechtsfindung innerhalb des
Gesetzeswortlauts (vgl. Canaris in: Festschrift für Bydlinski, 2002, S.
47, 81; Gebauer in: Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem
Einfluss, 2005, Kap. 3 Rdnr. 38), deren Grenze durch den möglichen
Wortsinn gebildet wird (vgl. Larenz, Methodenlehre der
Rechtswissenschaft, 6. Aufl., S. 343; Staudinger/Coing/Honsell, Einleitung
zum BGB [2005], unter VIII 4). Dem steht der eindeutige Wortlaut des
Gesetzes entgegen, weil § 439 Abs. 4 BGB für den Fall der Ersatzlieferung
uneingeschränkt auf die §§ 346 bis 348 BGB Bezug nimmt. Es sind keine
Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass dadurch allein die Rückgabe der
mangelhaften Sache selbst geregelt und nicht dem Verkäufer auch ein Anspruch
auf Herausgabe der vom Käufer gezogenen Nutzungen zugebilligt werden soll.
Denn dann wäre zumindest die Verweisung auf § 347 BGB sinnlos, weil diese
Vorschrift ausschließlich die Frage der Nutzungen (und Verwendungen) regelt
(vgl. Senatsbeschluss vom 16. August 2006, aaO, Tz. 14).
21 b) Der von der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen
Gemeinschaften geprägte Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung
verlangt von den nationalen Gerichten aber mehr als bloße Auslegung im
engeren Sinne. Der Gerichtshof ist bei der Verwendung des Begriffs
"Auslegung" nicht von der im deutschen Rechtskreis – anders als in anderen
europäischen Rechtsordnungen – üblichen Unterscheidung zwischen Auslegung
(im engeren Sinne) und Rechtsfortbildung ausgegangen. Auch die vom
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften formulierte Einschränkung, nach
der die richtlinienkonforme Auslegung nicht als Grundlage für eine Auslegung
des nationalen Rechts contra legem dienen darf (vgl.
EuGH, Urteil vom 4. Juli 2006 – Rs. C-212/04, Slg. 2006, I S. 6057, Rdnr.
110 – Adeneler u.a./Ellinikos Organismos Galaktos), bezieht sich
nicht auf die Wortlautgrenze. Der Begriff des
Contra-legem-Judizierens ist vielmehr funktionell zu verstehen; er
bezeichnet den Bereich, in dem eine richterliche Rechtsfindung nach
nationalen Methoden unzulässig ist (Canaris, aaO, S. 91). Der
Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung fordert deshalb auch, das
nationale Recht, wo dies nötig und möglich ist, richtlinienkonform
fortzubilden (Canaris, aaO, S. 81 f.; Gebauer, aaO; Franzen,
Pri-vatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, 1999, S. 358;
Herresthal, Rechtsfortbildung im europarechtlichen Bezugsrahmen, 2006, S.
317 f.; Baldus/Becker, ZEuP 1997, 873, 883; aA Habersack/Mayer, WM 2002,
253, 256; Ehricke, ZIP 2004, 1025, 1029 f.). Daraus folgt hier das Gebot
einer richtlinienkonformen Rechtsfortbildung durch teleologische Reduktion
(zum Begriff Larenz, aaO, S. 391) des § 439 Abs. 4 BGB auf einen mit Art. 3
der Richtlinie zu vereinbarenden Inhalt.
22 aa) Eine Rechtsfortbildung im Wege der teleologischen Reduktion setzt
eine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit
des Gesetzes voraus (vgl. BGHZ 149, 165, 174; BGH, Beschluss vom 20.
Januar 2005 – IX ZB 134/04, NJW 2005, 1508, unter II 3 b aa (1), jeweils
m.w.N.). Diese Voraussetzung ist erfüllt.
23 In der Begründung des Koalitionsentwurfs zum
Schuldrechtsmodernisierungsgesetz heißt es in der Einzelbegründung zu § 439
Abs. 4 BGB (BT-Drs. 14/6040, S. 232 f.):
"Ebenso wie bisher § 480 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 467 Satz 1 steht
dem Verkäufer ein Rückgewähranspruch nach den Vorschriften über den
Rücktritt zu. Deshalb muss der Käufer, dem der Verkäufer eine neue Sache zu
liefern und der die zunächst gelieferte fehlerhafte Sache zurückzugeben hat,
gemäß §§ 439 Abs. 4, 346 Abs. 1 RE auch die Nutzungen, also gemäß § 100 auch
die Gebrauchsvorteile, herausgeben. Das rechtfertigt sich daraus, dass der
Käufer mit der Nachlieferung eine neue Sache erhält und nicht einzusehen
ist, dass er die zurückzugebende Sache in dem Zeitraum davor unentgeltlich
nutzen können soll und so noch Vorteile aus der Mangelhaftigkeit ziehen
können soll. (…)
Mit der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie ist eine derartige Verpflichtung des
Verbrauchers (Käufers) vereinbar. Zwar bestimmt deren Artikel 3 Abs. 2
ausdrücklich den Anspruch des Verbrauchers auf eine „unentgeltliche“
Herstellung des vertragsgemäßen Zustands. (…) Der vertragsgemäße Zustand
wird indes durch die Lieferung der neuen Ersatzsache hergestellt. (…) Zu den
Kosten kann aber nicht die Herausgabe von Nutzungen der vom Verbraucher
benutzten mangelhaften Sache gezählt werden.
(…) Des Weiteren werden dem Verbraucher auch nicht Kosten, auch nicht solche
der Rückgabe der gebrauchten, mangelhaften Sache auferlegt. Es geht vielmehr
um die Herausgabe der Vorteile, die der Verbraucher (Käufer) aus dem
Gebrauch der Sache gezogen hat, (…)
Schließlich wird diese Wertung durch den Erwägungsgrund (15) der
Verbrauchsgüterkaufrichtlinie bestätigt. (…)"
24 Daraus ergibt sich, dass die Absicht des Gesetzgebers einerseits dahin
ging, dem Verkäufer für den Fall der Ersatzlieferung einen Anspruch auf
Herausgabe der vom Käufer gezogenen Nutzungen zuzubilligen. Andererseits
sollte aber – was die weiteren Ausführungen in der Gesetzesbegründung
belegen – auch eine Regelung geschaffen werden, die mit der Richtlinie
vereinbar ist. Die explizit vertretene Auffassung, dass die Regelung über
den Nutzungsersatz den Anforderungen der Richtlinie genüge, ist jedoch
fehlerhaft, wie der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften nunmehr mit
Bindungswirkung festgestellt hat.
25 Damit erweist sich das Gesetz als planwidrig unvollständig. Es liegt
eine verdeckte Regelungslücke (vgl. Larenz, aaO, S. 377) vor, weil die
Verweisung in § 439 Abs. 4 BGB keine Einschränkung für den Anwendungsbereich
der Richtlinie enthält und deshalb mit dieser nicht im Einklang steht.
Dass diese Unvollständigkeit des Gesetzes planwidrig ist, ergibt sich
daraus, dass der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung ausdrücklich seine
Absicht bekundet hat, auch und gerade hinsichtlich des Nutzungsersatzes eine
richtlinienkonforme Regelung zu schaffen. Somit steht die konkrete
Regelungsabsicht hinsichtlich des Nutzungsersatzes nicht lediglich im
Widerspruch zu einem generellen, allgemein formulierten Umsetzungswillen (so
aber Schmidt, ZGS 2006, 408, 410). Vielmehr besteht ein Widerspruch zur
konkret geäußerten, von der Annahme der Richtlinienkonformität getragenen
Umsetzungsabsicht des Gesetzgebers. Deshalb ist auszuschließen, dass der
Gesetzgeber § 439 Abs. 4 BGB in gleicher Weise erlassen hätte, wenn ihm
bekannt gewesen wäre, dass die Vorschrift nicht im Einklang mit der
Richtlinie steht. Diese Annahme wird dadurch bestätigt, dass der
Gesetzgeber nunmehr eine Gesetzesänderung in die Wege geleitet hat, die der
im Streitfall ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen
Gemeinschaften Rechnung tragen und eine richtlinienkonforme Umsetzung der
Richtlinie gewährleisten soll (Beschlussempfehlung und Bericht des
Rechtsausschusses vom 15. Oktober 2008,
BT-Drucks. 16/10607 S. 4, 5.).
Danach soll § 474 Abs. 2 BGB dahingehend neu gefasst werden, dass § 439 Abs.
4 BGB auf einen Verbrauchsgüterkauf mit der Maßgabe anzuwenden ist, dass
Nutzungen nicht herauszugeben oder durch ihren Wert zu ersetzen sind.
26 bb) Die bis zu einer gesetzlichen Neuregelung bestehende verdeckte
Regelungslücke ist durch eine einschränkende Anwendung des § 439 Abs. 4 BGB
für Fälle des Verbrauchsgüterkaufs (§ 474 Abs. 1 Satz 1 BGB) zu schließen.
Die Vorschrift ist in solchen Fällen einschränkend dahingehend anzuwenden,
dass die in Bezug genommenen Vorschriften über den Rücktritt nur für die
Rückgewähr der mangelhaften Sache selbst eingreifen, hingegen nicht zu einem
Anspruch des Verkäufers auf Herausgabe der gezogenen Nutzungen oder auf
Wertersatz für die Nutzung der mangelhaften Sache führen (so auch
Gebauer, AnwBl 2007, 314, 319; Theisen, GPR 2007, 276, 281 f.; Witt, NJW
2006, 3322, 3325). Diese Einschränkung ist nach dem Gebot
richtlinienkonformer Rechtsfortbildung erforderlich, weil eine Verpflichtung
des Käufers zur Zahlung von Nutzungsersatz mit Art. 3 der Richtlinie nicht
vereinbar ist. Anders lässt sich der dargestellte Widerspruch zwischen den
gesetzgeberischen Zielen – einerseits Begründung eines Anspruchs auf
Nutzungsersatz, andererseits Richtlinienkonformität –, der eine planwidrige
Regelungslücke begründet, im Wege richterlicher Rechtsfortbildung nicht
lösen.
27 Die Regelungslücke besteht zwar nur im Hinblick auf den im Verhältnis
zu § 13 BGB engeren Verbraucherbegriff des Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der
Richtlinie. Die Ausfüllung der Lücke im Wege der richtlinienkonformen
Rechtsfortbildung ist jedoch auf alle Konstellationen des
Verbrauchsgüterkaufs und damit des Verbraucherbegriffs gemäß § 13 BGB zu
erstrecken, weil insoweit der Einheitlichkeitswille des nationalen
Gesetzgebers in Bezug auf den Verbraucherbegriff zu berücksichtigen ist
(vgl. Herresthal, NJW 2008, 2475, 2477, unter Hinweis auf BT-Drs. 14/3195,
S. 32).
28 Hingegen bleibt es in Fällen, in denen kein Verbrauchsgüterkauf im
Sinne des § 474 Abs. 1 Satz 1 BGB vorliegt, bei der uneingeschränkten
Anwendung des § 439 Abs. 4 BGB. Eine Ausdehnung der teleologischen Reduktion
des § 439 Abs. 4 BGB auch auf solche Fälle widerspräche dem Wortlaut und dem
eindeutig erklärten Willen des Gesetzgebers, dem Verkäufer für den Fall der
Ersatzlieferung einen Anspruch auf Herausgabe der vom Käufer gezogenen
Nutzungen zuzubilligen (vgl. Senatsbeschluss vom 16. August 2006, aaO, Tz.
15 m.w.N.). Da solche Fälle außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie
liegen, ergibt sich insoweit aus der fehlenden Richtlinienkonformität auch
keine planwidrige Regelungslücke.
29 cc) Die teleologische Reduktion führt nicht zur faktischen Derogation des
§ 439 Abs. 4 BGB, denn die Regelung bleibt in Fällen des
Verbrauchsgüterkaufs hinsichtlich der Verweisung auf die
Rücktrittsvorschriften über die Rückgewähr der mangelhaften Sache und in den
übrigen Fällen insgesamt anwendbar. Es bedarf deshalb keiner Erörterung, ob
im Rahmen einer gemeinschaftsrechtskonformen Rechtsfortbildung auch die
vollständige Nichtanwendung einer Norm gerechtfertigt sein kann (so
Herresthal, Rechtsfortbildung, aaO, S. 321 ff.; aA Canaris, aaO, S. 94;
Gebauer, aaO, Rdnr. 51).
30 dd) Die Rechtsfortbildung verletzt (entgegen Hummel, EuZW 2007, 268,
272) auch nicht die Bindung der Gerichte an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3
GG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Befugnis
der Gerichte zur Fortbildung des Rechts anerkannt; aus dem in Art. 20 Abs. 3
GG angeordneten Vorrang des Gesetzes folgt kein Verbot für die Gerichte,
vorhandene Lücken im Wege richterlicher Rechtsfortbildung zu schließen (BVerfGE
82, 6, 11 f.; 111, 54, 82, jeweils m.w.N.).
31 Zwar dürfen die Gerichte eine eindeutige Entscheidung des Gesetzgebers
nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern. Durch die
hier vorgenommene Rechtsfortbildung wird jedoch der erkennbare Wille des
Gesetzgebers nicht beiseite geschoben. Vielmehr wird aus der in der
Gesetzesbegründung niedergelegten Regelungsabsicht des Gesetzgebers
entnommen, dass eine Lücke besteht und in welcher Weise sie geschlossen
werden soll (vgl. BVerfGE 82, aaO). Denn aus den Gesetzesmaterialen ist
– wie bereits dargelegt – die konkrete Absicht des Gesetzgebers erkennbar,
eine richtlinienkonforme Regelung zu schaffen. Somit liegt eine der
richtlinienkonformen teleologischen Reduktion des § 439 Abs. 4 BGB
entgegenstehende Wertungsentscheidung des Gesetzgebers nicht vor (vgl. auch
Herresthal, NJW 2008, aaO; aA Fischinger, EuZW 2008, 312, 313).
32 ee) Der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit spricht ebenfalls (entgegen
Schmidt, aaO, S. 409) nicht gegen die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung.
33 Das rechtsstaatliche Prinzip der Rechtssicherheit (Art. 20 Abs. 3 GG)
bedeutet in erster Linie Vertrauensschutz für den Bürger. Durfte die
betroffene Partei mit der Fortgeltung der bisherigen Rechtslage rechnen und
verdient dieses Interesse bei einer Abwägung mit den Belangen des
Vertragspartners und den Anliegen der Allgemeinheit den Vorzug, liegt ein
Eingriff in rechtlich geschützte Positionen vor (vgl. BVerfGE 72, 175,
196; 84, 212, 227; BGHZ 132, 119, 130). Das ist hier schon deshalb nicht der
Fall, weil die teleologische Reduktion des § 439 Abs. 4 BGB sich im Rahmen
vorhersehbarer Entwicklung hält. Eine uneingeschränkte Anwendung der
Vorschrift konnte nicht als gesichert angesehen werden, weil § 439 Abs. 4
BGB von Anfang an in hohem Maße umstritten war (vgl. Senatsbeschluss vom 16.
August 2006, aaO, Tz. 10 f. m.w.N.) und auch die Richtlinienkonformität der
Vorschrift von zahlreichen Stimmen im Schrifttum verneint wurde (aaO, Tz. 20
m.w.N.).
34 ff) Der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung lässt sich schließlich
nicht entgegenhalten, sie laufe auf eine horizontale Direktwirkung der
Richtlinie hinaus, die dieser nicht zukomme (so Habersack/Mayer, aaO, S.
257; Schulze, GPR 2008, 128, 131; vgl. auch Franzen, JZ 2003, 321, 327).
35 Allerdings kann nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der
Europäischen Gemeinschaften auch eine klare, genaue und unbedingte
Richtlinienbestimmung, mit der dem Einzelnen Rechte gewährt oder
Verpflichtungen auferlegt werden sollen, im Rahmen eines Rechtsstreits, in
dem sich ausschließlich Private gegenüberstehen, nicht als solche Anwendung
finden (EuGH, Urteil vom 26. Februar 1986 – Rs. 152/84, Slg. 1986, S.
723, Rdnr. 48 – Marshall/Southampton and South-West Hampshire Area Health
Authority; Urteil vom 5. Oktober 2004, aaO, Rdnr. 108 f. – Pfeiffer u. a./
Deutsches Rotes Kreuz, Kreisverband Waldshut e.V.; Urteil vom 7. Juni 2007 –
Rs. C-80/06, Slg. 2007, I S. 4473, Rdnr. 20 – Carp Snc di L. Moleri e.V.
Corsi/Ecorad Srl.). Um eine unmittelbare Anwendung der Richtlinie geht es
hier jedoch nicht, auch nicht in Form einer (lediglich) negativen Anwendung
der Richtlinie im Verhältnis zwischen Privaten (dafür aber Kreße, ZGS
2007, 215, 216; ablehnend zu einem solchen Rechtsinstitut von Danwitz, JZ
2007, 697, 702 ff.). Der Senat beschränkt sich vielmehr auf eine
richtlinienkonforme Rechtsfortbildung im Wege der teleologischen Reduktion,
die – wie ausgeführt – im Rahmen des vom nationalen Recht eingeräumten
Beurteilungsspielraums möglich und notwendig ist.
36 II. Revision des Klägers
37 Zu Unrecht hat das Berufungsgericht einen Unterlassungsanspruch des
Klägers nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UKlaG verneint. Der Kläger kann gemäß § 2
Abs. 1 Satz 1 UKlaG von der Beklagten verlangen, dass diese es unterlässt,
im Zusammenhang mit einer Ersatzlieferung im Sinne des § 439 Abs. 1 BGB
Verbrauchern für die Nutzung der mangelhaften Sache Beträge in Rechnung zu
stellen.
38 Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UKlaG kann im Interesse des Verbraucherschutzes
auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer in anderer Weise als durch
Verwendung oder Empfehlung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen Vorschriften
zuwiderhandelt, die dem Schutz der Verbraucher dienen
(Verbraucherschutzgesetze). Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind hier
erfüllt.
39 1. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts handelt es sich bei der
Bestimmung des § 439 BGB um eine Vorschrift, die dem Schutz des Verbrauchers
dient. Dies ergibt sich bereits aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 UKlaG. Danach sind
Verbraucherschutzgesetze insbesondere die Vorschriften des Bürgerlichen
Gesetzbuchs, die für Verbrauchsgüterkäufe gelten. Dass § 439 BGB auch auf
einen Verbrauchsgüterkauf im Sinne des § 474 Abs. 1 Satz 1 BGB anwendbar
ist, bedarf keiner näheren Erörterung. Die Vorschrift des § 439 BGB wäre nur
dann nicht als Verbraucherschutzgesetz anzusehen, wenn der Verbraucherschutz
in der Norm nur untergeordnete Bedeutung hätte oder nur eine zufällige
Nebenwirkung der Regelung wäre (BT-Drs. 14/2658, S. 53 zur insofern
unverändert übernommenen Vorgängerregelung in § 22 AGBG). Dies ist indes
nicht der Fall.
40 Die Vorschrift über die Nacherfüllung in § 439 BGB dient auch dem
Verbraucherschutz. Sie bezweckt, Art. 3 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie
umzusetzen (BT-Drs. 14/6040, S. 230). Deren verbraucherschützender Charakter
kommt dadurch zum Ausdruck, dass die Richtlinie nach ihrem Art. 10 in den
Anhang der "Liste der Richtlinien nach Art. 1" der Richtlinie 98/27/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 1998 über
Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen (ABl. EG Nr. L 166,
S. 51) als verbraucherschützende Richtlinie aufgenommen worden ist. Die
Richtlinie über Unterlassungsklagen wiederum ist durch die Vorgängerregelung
zu § 2 UKlaG, § 22 AGBG, in deutsches Recht umgesetzt worden (vgl. BT-Drs.
14/2658, S. 52).
41 Dass § 439 BGB seinem Wortlaut nach nicht ausdrücklich auf den
Verbrauchsgüterkauf Bezug nimmt, vielmehr in seinem Anwendungsbereich nicht
auf Verbrauchsgüterkäufe beschränkt ist, ist unerheblich. Der Gesetzgeber
des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes hat sich dafür entschieden, die
Verbrauchsgüterkaufrichtlinie nicht in einem separaten
Verbrauchsgüterkaufgesetz in nationales Recht umzusetzen, sondern die
allgemeinen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über den Kauf (§§ 433
ff. BGB) nach den Vorgaben der Richtlinie auszugestalten und nur einige
wenige Bestimmungen in ihrem Anwendungsbereich auf den Verbrauchsgüterkauf
zu beschränken (§§ 476 bis 479 BGB). Dass § 439 Abs. 4 BGB (auch) dem Schutz
der Verbraucher dient, erhellt schon daraus, dass nach § 475 Abs. 1 BGB eine
von § 439 BGB zu Lasten des Verbrauchers abweichende Vereinbarung unzulässig
ist.
42 2. Verlangt die Beklagte im Zusammenhang mit einer Ersatzlieferung im
Sinne des § 439 Abs. 1 BGB von Verbrauchern Wertersatz für die Nutzung der
mangelhaften Sache, handelt sie damit der Vorschrift des § 439 Abs. 4 BGB
zuwider. § 439 Abs. 4 BGB ist – wie bereits ausgeführt – im Falle des
Verbrauchsgüterkaufs einschränkend dahingehend anzuwenden, dass dem
Verkäufer, der zum Zwecke der Nacherfüllung eine mangelfreie Sache liefert,
kein Anspruch auf Wertersatz für Nutzungen gegen den Käufer zusteht. Da auch
eine andere Anspruchsgrundlage für ein derartiges Begehren des Verkäufers
nicht ersichtlich ist, hat die Ersatzlieferung nach § 439 Abs. 4 BGB im
Falle des Verbrauchsgüterkaufs in der Weise zu erfolgen, dass der Verkäufer
eine mangelfreie Sache liefert und vom Käufer lediglich Rückgewähr der
mangelhaften Sache fordern kann. Verlangt der Verkäufer in einem solchen
Fall darüber hinaus Wertersatz für Nutzungen, macht er – der Vorschrift des
§ 439 Abs. 4 BGB zuwider – einen Anspruch geltend, der ihm nicht zusteht.
43 3. Schließlich liegt die Inanspruchnahme der Beklagten auf Unterlassung
auch im Interesse des Verbraucherschutzes, weil der dargelegte Verstoß die
Kollektivinteressen der Verbraucher berührt. Er reicht seinem Gewicht und
seiner Bedeutung nach über den Einzelfall hinaus, weil anzunehmen ist, dass
Verkäufer in einer Vielzahl von Fällen von Verbrauchern die Zahlung einer
Nutzungsentschädigung verlangen. Dies lässt eine generelle Klärung der Frage
geboten erscheinen (vgl. BT-Drs. 14/2658, S. 53).
C.
44 Nach alledem ist die Revision der Beklagten zurückzuweisen. Auf die
Revision des Klägers ist das Berufungsurteil aufzuheben, soweit die Berufung
des Klägers gegen die Abweisung des mit der Revision allein noch verfolgten
Unterlassungsantrages (ursprünglicher Klageantrag zu I 2) zurückgewiesen
worden ist (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat hat insoweit in der Sache selbst zu
entscheiden, da keine weiteren Feststellungen erforderlich sind und die
Sache damit zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Da der Kläger
von der Beklagten verlangen kann, dass diese es unterlässt, im Zusammenhang
mit einer Ersatzlieferung im Sinne des § 439 Abs. 1 BGB Verbrauchern Beträge
für die Nutzung der mangelhaften Sache in Rechnung zu stellen, ist das
erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Beklagte entsprechend zu
verurteilen.
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