Verweigerungsrecht der Nacherfüllung im Wege der
Neulieferung nach § 439 III BGB: Maßgeblicher Zeitpunkt
BGH, Urteil vom 16. Oktober 2013 -
VIII ZR 273/12 - OLG Nürnberg
Fundstelle:
NJW 2014, 213
Amtl. Leitsatz:
Der Verkäufer, der
vorprozessual nur das Vorhandensein von Mängeln bestreitet und aus diesem
Grund die Nacherfüllung insgesamt verweigert, ist in der Regel nicht daran
gehindert sich auf die Unverhältnismäßigkeit der Kosten der vom Käufer
gewählten Art der Nacherfüllung erst im Rechtsstreit über den
Nacherfüllungsanspruch zu berufen.
Zentrale Probleme:
Es geht um die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt der
Verkäufer gegenüber einem Verlangen des Käufers nach Nacherfüllung im Wege
der Lieferung einer neuen, mangelfreien Sache, die Einrede aus § 439 III BGB
erheben, d.h. den Käufer auf Mängelbeseitigung verweisen kann. Der Senat
legt zu recht dar, dass er das auch kann, wenn er zunächst jede
Nacherfüllung verweigert hat. Dann mag zwar ein Rücktrittsrecht nach §§ 437
Nr. 2, 323 I, II Nr. 1 BGB entstanden sein, aber es gibt schlicht keine
Regelung, die dem Verkäufer die Erhebung der Einrede versagen sollte, wenn
der Käufer - trotz Bestehen eines Rücktrittsrechts - weiter Nacherfüllung
verlangt. Nicht zu entscheiden war die Frage, ob die Einrede auch noch
möglich ist, wenn der Rücktritt bereits erklärt ist (s. dazu
OLG Celle, NJW-RR 2007, 353 f. sowie
Lorenz, NJW 2007, 1, 5 f).
©sl 2013
Tatbestand:
1 Der Kläger schloss am 8. August 2009 mit der A. L. Zweigniederlassung
der V. L. GmbH in B. einen Leasingvertrag über einen als Geschäftsfahrzeug
genutzten Neuwagen A. . Das Fahrzeug wurde am 6. Oktober 2009 ausgeliefert.
Der Kläger begehrt aus abgetretenem Recht der Leasinggeberin unter Berufung
auf verschiedene Mängel des Fahrzeugs Nacherfüllung durch Lieferung eines
Neufahrzeugs.
2 Das Landgericht hat die Klage nach Einholung eines
Sachverständigengutachtens abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das
Oberlandesgericht der Klage stattgegeben. Dagegen wendet sich die Beklagte
mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision, mit der sie die Wiederherstellung
des erstinstanzlichen Urteils erstrebt.
Entscheidungsgründe:
3 Die Revision hat Erfolg.
I.
4 Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im
Wesentlichen ausgeführt:
5 Dem Kläger stehe aus abgetretenem Recht der Leasinggesellschaft gemäß §
437 Nr. 1, § 439 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Nacherfüllung in Form der
Lieferung einer mangelfreien Sache zu. Die ergänzende Beweisaufnahme durch
den Senat habe ergeben, dass das Fahrzeug des Klägers zumindest einen
wesentlichen, die Verkehrssicherheit berührenden Mangel aufweise. Die Zeugin
K. habe die Behauptung des Klägers bestätigt, dass die beiden Außenspiegel,
die beim Abstellen des Fahrzeuges - möglicherweise auch erst beim Absperren
- selbsttätig anklappten, beim Starten des Motors jedoch wieder ausklappen
müssten, diese Funktion nicht zuverlässig ausführten. Auf das Vorliegen
weiterer Fahrzeugmängel komme es daher nicht an.
6 Der Anspruch aus § 439 Abs. 1 BGB setze keine Fristsetzung voraus. Da die
Beklagte die Behebung des Mangels hinsichtlich der Funktion der Außenspiegel
verweigert habe, die möglicherweise mit verhältnismäßig geringen Kosten
durch Austausch eines elektronischen Bauteiles hätte erreicht werden können,
könne sie sich nun nicht gemäß § 439 Abs. 3 Satz 1 BGB darauf berufen,
gerade die vom Kläger geltend gemachte Art der Nacherfüllung sei für sie mit
unverhältnismäßigen Kosten verbunden.
II.
7 Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung in einem entscheidenden
Punkt nicht stand. Das Berufungsgericht hat verkannt, dass die Beklagte
nicht gehindert ist, die Einrede aus § 439 Abs. 3 BGB gegenüber dem vom
Kläger geltend gemachten Anspruch auf Ersatzlieferung zu erheben.
8 1. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht festgestellt, dass die
Außenspiegel des Fahrzeugs ihre Funktion, beim Starten des Motors wieder
auszuklappen, nicht zuverlässig ausführen und das Fahrzeug damit einen
wesentlichen, die Verkehrssicherheit berührenden Mangel aufweist. Die gegen
diese Tatsachenfeststellung von der Revision erhobenen Verfahrensrügen
greifen nicht durch; von einer näheren Begründung wird gemäß § 564 Satz 1
ZPO abgesehen.
9 2. Auch die Tatsachenfeststellung des Berufungsgerichts, dass die Beklagte
die Mangelbeseitigung insgesamt und damit auch hinsichtlich der Außenspiegel
verweigert hat, ist nicht zu beanstanden. Die Revision hält dem
entgegen, die Beklagte dürfe die Mangelbeseitigung verweigern, bis der
Kläger das Vorliegen eines Mangels bewiesen habe. Das trifft nicht zu.
10 Wenn der Verkäufer einen Mangel weiterhin bestreitet, nachdem er
Gelegenheit zur Überprüfung des Mangels erhalten hat, so geschieht dies auf
eigenes Risiko. So war es hier. Der Kläger hatte im September 2010,
also noch vor Klageerhebung, unter anderem auch das zeitweise
Nichtfunktionieren der Außenspiegel beanstandet. Im Schreiben des
Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 5. Oktober 2010 wurde das nochmals
wiederholt. Darauf erwiderte die Beklagte mit E-Mail vom 8. Oktober 2010,
dass das Fahrzeug keine Mängel aufweise beziehungsweise der Kläger die
Mängel nicht habe vorführen können. Ebenso hätten die Beanstandungen des
Klägers den Herren der A. AG nicht vorgeführt werden können; das Fahrzeug
entspreche dem Stand der Technik. Sodann heißt es: "Wir werden das Fahrzeug
daher auch nicht mehr überprüfen." Das ist eine hinreichend deutliche
Verweigerung der Mangelbeseitigung (auch) hinsichtlich der Funktionsweise
der Außenspiegel.
11 3. Die Revision beanstandet aber mit Recht, dass das
Berufungsgericht es der Beklagten versagt hat, sich gegenüber dem vom Kläger
geltend gemachten Anspruch auf Ersatzlieferung (§ 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB) auf
das Verweigerungsrecht aus § 439 Abs. 3 BGB zu berufen.
12 a) Nach § 439 Abs. 3 BGB kann der Verkäufer die vom Käufer
gewählte Art der Nacherfüllung unbeschadet des § 275 Abs. 2 und 3 BGB
verweigern, wenn sie mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden ist.
Nach dem revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Sachvortrag der Beklagten
wäre die Lieferung eines Neufahrzeugs für die Beklagte im Vergleich zur
Mangelbeseitigung mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden. Auch das
Berufungsgericht geht davon aus, dass die Funktion der Außenspiegel
möglicherweise mit verhältnismäßig geringen Kosten durch Austausch eines
elektronischen Bauteiles hätte erreicht werden können.
13 b) Bei dieser Sachlage ist der Beklagten die Berufung auf das
Verweigerungsrecht aus § 439 Abs. 3 BGB gegenüber dem vom Kläger geltend
gemachten Anspruch auf Ersatzlieferung entgegen der Auffassung des
Berufungsgerichts nicht deshalb verwehrt, weil die Beklagte eine
Mangelbeseitigung insgesamt und damit auch hinsichtlich der Außenspiegel
verweigert hat.
14 Verweigert der Verkäufer die Nacherfüllung zu Unrecht mit der
Begründung, dass keine Mängel vorhanden seien, so stehen dem Käufer die
sekundären Käuferrechte aus § 437 Nr. 2 und 3 BGB zu. Der
Käufer kann aber auch - wie hier - den Anspruch auf Nacherfüllung aus § 437
Nr. 1, § 439 BGB klageweise geltend machen mit der Folge, dass dem Verkäufer
unter den Voraussetzungen des § 439 Abs. 3 BGB das Recht zusteht, gerade die
vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung wegen unverhältnismäßiger Kosten
zu verweigern. Die Beklagte ist deshalb aus Rechtsgründen nicht
daran gehindert, sich gegenüber dem geltend gemachten Anspruch auf
Ersatzlieferung darauf zu berufen, dass die Lieferung eines Neufahrzeugs für
sie im Vergleich zur Beseitigung der vorhandenen Mängel mit
unverhältnismäßigen Kosten verbunden wäre. Die vom Berufungsgericht
vertretene Einschränkung dieses Rechts kann aus der gesetzlichen Regelung
nicht hergeleitet werden.
15 c) Die Berufung auf das Verweigerungsrecht aus § 439 Abs. 3 BGB ist
entgegen der in der Revisionserwiderung vertretenen Auffassung des Klägers
auch nicht "verfristet".
16 Es kann dahingestellt bleiben, ob sich der Verkäufer auf die
Einrede aus § 439 Abs. 3 BGB dann nicht mehr berufen kann, wenn der Käufer
bereits wirksam vom Vertrag zurückgetreten ist (so
OLG Celle, NJW-RR 2007, 353 f.; vgl. dazu
Lorenz, NJW 2007, 1, 5 f.). Ein solcher
Fall liegt hier nicht vor. Der Kläger ist nicht vom Vertrag
zurückgetreten, sondern begehrt weiterhin Nacherfüllung in Form der
Ersatzlieferung.
17 Soweit der Kläger meint, der Verkäufer sei bereits dann mit der
Einrede der Unverhältnismäßigkeit ausgeschlossen, wenn er sie nicht vor
Ablauf der ihm gesetzten Frist zur Nacherfüllung erhoben habe
(ebenso Palandt/ Weidenkaff, BGB, 72. Aufl., § 439 Rn. 14 unter Bezugnahme
auf OLG Celle, aaO), kann dem nicht
gefolgt werden. Der Anspruch des Käufers auf Nacherfüllung
ist nicht von einer Fristsetzung des Käufers gegenüber dem Verkäufer
abhängig. Ebenso wenig schreibt § 439 Abs. 3 BGB vor, dass der Verkäufer
sich nur dann auf die Einrede berufen kann, wenn er diese innerhalb einer
vom Käufer gesetzten Frist zur Nacherfüllung erhebt. Der Verkäufer ist
deshalb in der Regel nicht daran gehindert, sich auf die
Unverhältnismäßigkeit der Kosten der vom Käufer gewählten Art der
Nacherfüllung erst im Rechtsstreit über den Nacherfüllungsanspruch zu
berufen, auch wenn er vorprozessual nur das Vorhandensein von Mängeln
bestritten und aus diesem Grund die Nacherfüllung verweigert hatte. Insoweit
gilt nichts anderes als für die Verjährungseinrede, die ebenfalls auch dann
noch im Rechtsstreit geltend gemacht werden kann, wenn vorprozessual der
Anspruch insgesamt bestritten worden war.
18 d) Die von der Beklagten im Rechtsstreit erhobene Einrede aus § 439 Abs.
3 BGB ist auch nicht aus dem Grund unbeachtlich, dass die Beklagte die
behauptete Unverhältnismäßigkeit, wie der Kläger in der Revisionserwiderung
meint, nicht substantiiert hätte.
19 Das Berufungsgericht hat die Einrede nicht als unsubstantiiert angesehen;
auch der Kläger hat dies in den Vorinstanzen nicht geltend gemacht. Vielmehr
hat das Berufungsgericht die Einrede - zu Unrecht - aus materiellrechtlichen
Gründen für unbeachtlich gehalten. Es hat daher die Voraussetzungen des §
439 Abs. 3 BGB nicht abschließend geprüft, sondern nur für möglich gehalten,
dass die Funktion der Außenspiegel mit verhältnismäßig geringen Kosten durch
Austausch eines elektronischen Bauteiles hätte erreicht werden können.
III.
20 Da die Revision Erfolg hat, ist das Berufungsurteil aufzuheben (§ 562
Abs. 1 ZPO). Die nicht entscheidungsreife Sache ist an das Berufungsgericht
zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 und 3 ZPO).
21 Das Berufungsgericht wird die prozessualen und materiell-rechtlichen
Folgen zu berücksichtigen haben, die sich aus der im Revisionsverfahren
eingetretenen Beendigung des Leasingvertrages für den Klageanspruch ergeben,
soweit dieser nicht von den Parteien übereinstimmend für erledigt erklärt
worden ist.
22 Ergänzend weist der Senat auf folgendes hin: Da das Berufungsgericht -
von seinem Standpunkt aus folgerichtig - nicht abschließend geprüft hat, ob
hinsichtlich des festgestellten Mangels der Außenspiegel die Voraussetzungen
des § 439 Abs. 3 BGB gegenüber dem Anspruch auf Ersatzlieferung vorliegen,
wird es dies nachzuholen und hierzu - gegebenenfalls nach ergänzendem
Sachvortrag der Parteien - die erforderlichen Feststellungen zu treffen
haben. Wenn die Einrede aus § 439 Abs. 3 BGB insoweit begründet sein sollte,
wird zu prüfen sein, ob weitere Mängel vorliegen und der Klage auf
Ersatzlieferung - unter Berücksichtigung der Einrede aus § 439 Abs. 3 BGB -
zum Erfolg verhelfen.
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