Obligatorische Güteverhandlung nach § 15a EGZPO i.V.m. Landesschlichtungsgesetzen: Keine Nachholbarkeit bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung


BGH, Urteil vom 23. November 2004 - VI ZR 336/03


Fundstelle:

NJW 2005, 437
S. auch den das
Bayerisches Schlichtungsgesetz - BaySchlG v. 25.4.2000.


Zentrale Probleme:

Der BGH entscheidet hier die in der Literatur str. Frage, ob die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens nach dem entsprechenden Landesgesetz (zu dem § 15a EGZPO ermächtigt) noch bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung nachgeholt werden kann, weil dieser Zeitpunkt der für das Vorliegen von Prozeßvoraussetzungen maßgebliche ist (s. dazu etwa den Wortlaut von Art. 1 des Bayerischen Schlichtungsgesetzes - BaySchlG: "Vor den Amtsgerichten kann ... eine Klage erst erhoben werden"). Der BGH verneint dies aus teleologischen Gründen (ebenso bereits AG Nürnberg NJW 2001, 3489). Er ist der Ansicht, daß der "generalpräventive" Zweck des Schlichtungsverfahrens anders nicht erreicht werden kann, selbst wenn im Einzelfall die Prozeßökonomie für eine Nachholbarkeit sprechen sollte.

©sl 2004


Amtl. Leitsatz:

Ist durch Landesrecht ein obligatorisches Güteverfahren vorgeschrieben, so muß der Einigungsversuch der Klageerhebung vorausgehen. Er kann nicht nach der Klageerhebung nachgeholt werden. Eine ohne den Einigungsversuch erhobene Klage ist als unzulässig abzuweisen.


Tatbestand:

Die Beklagte war 1999 Mieterin in einem Wohnhaus des Klägers. Dieser nimmt sie mit der Behauptung, sie habe ihn bei einem körperlichen Angriff im September 1999 verletzt, auf Zahlung von Schmerzensgeld und Ersatz materiellen Schadens in Anspruch. Er hat deshalb im September 2002 Klage beim Amtsgericht St. Wendel (Saarland) eingereicht. Das Amtsgericht hat den Streitwert der Klage - von den Parteien unbeanstandet - auf 545,36 € festgesetzt. Ein Schlichtungsverfahren nach §§ 37a ff. des saarländischen Landesschlichtungsgesetzes vom 21. Februar 2001 (Amtsblatt 532) ist vor Klageerhebung nicht durchgeführt worden. Ein Antrag des Klägers, gemäß § 251 ZPO das Ruhen des Verfahrens zwecks Nachholung des Schlichtungsverfahrens anzuordnen, blieb ohne Erfolg. Der Kläger ließ ein klageabweisendes Versäumnisurteil gegen sich ergehen. Mit der Einspruchsschrift legte er die Bescheinigung einer anerkannten Schiedsperson über die Erfolglosigkeit eines Sühneversuchs vor.
Das Amtsgericht hat das Versäumnisurteil aufrechterhalten, weil die Klage mangels eines der Klageerhebung vorangegangenen Schlichtungsverfahrens unzulässig sei. Das Landgericht hat in dem angefochtenen Urteil die vom Amtsgericht zugelassene Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

 I. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, das nach dem Landesschlichtungsgesetz obligatorische Schlichtungsverfahren könne nicht nach Klageerhebung nachgeholt werden. Der allgemeine Grundsatz, daß die Prozeßvoraussetzungen bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung nachholbar seien, gelte insoweit nicht. Nach Sinn und Zweck des Verfahrens und der Gesetzesbegründung zu § 15a EGZPO müsse der Einigungsversuch der Klageerhebung zwingend vorausgehen.

II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung stand. Eine Klage, deren Zulässigkeit nach § 15a EGZPO und dem dazu bestehenden Landesrecht die Durchführung eines Güteversuchs vor einer Schlichtungsstelle voraussetzt, ist nur dann zulässig, wenn das Schlichtungsverfahren der Klageerhebung vorausgegangen ist. Seine Nachholung bis zum letzten Termin zur mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz führt nicht zur Zulässigkeit der Klage.

1. Der Bundesgerichtshof darf über diese Frage entscheiden. Die Voraussetzungen des § 545 Abs. 1 ZPO liegen vor. Nach § 15a EGZPO kann durch Landesgesetz bestimmt werden, daß in bestimmten Fällen die Erhebung der Klage erst zulässig ist, nachdem von einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle versucht worden ist, die Streitigkeit einvernehmlich beizulegen. Die vorliegend zu klärende Streitfrage betrifft die Auslegung dieser Norm, also von Bundesrecht. Daß sich der Geltungsbereich des saarländischen Landesschlichtungsgesetzes nicht über einen Oberlandesgerichtsbezirk hinaus erstreckt, ist schon deshalb ohne Bedeutung.
Im übrigen beruhen die Vorschriften der von einzelnen Bundesländern erlassenen Landesschlichtungsgesetze (vgl. den Abdruck bei Prütting, Außergerichtliche Streitschlichtung, S. 251 ff.; Stein/Jonas/Schlosser, ZPO, 22. Aufl., Anhänge zu § 15a EGZPO), soweit es um die Zulässigkeitssperre geht, einheitlich auf der Vorgabe des § 15a EGZPO und stimmen insoweit überein. Auch danach sind die Voraussetzungen des § 545 Abs. 1 ZPO zu bejahen (vgl. BGHZ 34, 375, 377 f.; BGH, Urteile vom 28. Januar 1988 - IX ZR 75/87 - NJW-RR 1988, 1021; vom 14. Juli 1997 - II ZR 168/96 - VersR 1997, 1540).

2. Nach § 37a Abs. 1 Nr. 1 des saarländischen Landesschlichtungsgesetzes ist, wenn die Parteien im Saarland wohnen, in vermögensrechtlichen Streitigkeiten vor dem Amtsgericht über Ansprüche, deren Gegenstand an Geld oder Geldeswert die Summe von 600 € nicht übersteigt, eine Klage erst zulässig, nachdem von einer in § 37b genannten Gütestelle versucht worden ist, die Streitigkeit einvernehmlich beizulegen (Schlichtungsverfahren). Die Annahme der Vorinstanzen, daß danach im vorliegenden Fall ein Schlichtungsverfahren zwingend durchzuführen war, stellt die Revision nicht in Frage. Für eine Unrichtigkeit dieser Annahme ist auch nichts ersichtlich.

3. Die Frage, ob das obligatorische Streitschlichtungsverfahren der Klageerhebung zwingend vorausgehen muß, wird unterschiedlich beantwortet.

Sie wird teilweise bejaht (LG Ellwangen, NJW-RR 2002, 936; LG Karlsruhe, Justiz 2003, 265; AG München, NJW-RR 2003, 515; AG Nürnberg, IMJW 2001, 3489; NJW-RR 2002, 430; MDR 2002, 1189; AG Rosenheim, NJW 2001, 2030; AG Wuppertal, ZInsO 2002, 91 f.; Jenkel, Der Streitschlichtungsversuch als Zulässigkeitsvoraussetzung in Zivilsachen, S. 252 f.; Beunings, AnwBl. 2004, 82, 84; Fricke, VersR 2000, 1194, 1195; Kothe/Anger, Schlichtungsgesetz Baden-Württemberg, § 1 Rn. 40; Schläger, ZMR 2000, 504, 506; Schwarzmann/Walz, Das Bayerische Schlichtungsgesetz, Art. 1 Anm. 4; Stickelbrock, JZ 2002, 633, 636 f.; Wesche, MDR 2003, 1029, 1032 Fn. 36; Wetekamp, NZM 2001, 614, 616).
Abweichend davon wird die Ansicht vertreten, eine Nachholung des Schlichtungsverfahrens während des Rechtsstreits führe zur Zulässigkeit der Klage (OLG Hamm, MDR 2003, 387; AG Königstein, NJW 2003, 1954, 1955; MünchKomm-ZPO/Wolf, Aktualisierungsband, 2. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 4; Zöller/Gummer, ZPO, 24. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 25; Prütting/Krafka, aaO, Rn. 223; Prütting/Schmidt, aaO, Rn. 105 ff.; Reiß, Obligatorische außergerichtliche Streitschlichtung, Diss. 2003, S. 24 f.; Friedrich, NJW 2002, 798, 799; 2003, 3534; Heßler, MittBayNot 2000, Sonderheft zu Ausgabe 4, S. 7; Mankowski, EWiR 2002, 347, 348; Schmidt, DAR 2001, 481, 486; Unberath, JR 2001, 355, 356 f.).
Vereinzelt wird sogar vertreten, auf die Durchführung des obligatorischen Schlichtungsverfahrens könne vollends verzichtet werden, wenn eine Streitschlichtung offenkundig ergebnislos wäre (LG München II, NJW-RR 2003, 355 f.).

4. Der erkennende Senat folgt der erstgenannten Auffassung.

a) Dafür spricht der Wortlaut des § 15a EGZPO. Danach kann durch Landesgesetz bestimmt werden, daß die Erhebung der Klage erst zulässig ist, nachdem die Streitschlichtung versucht worden ist. Diesen Wortlaut haben die Landesschlichtungsgesetze übernommen, so auch der hier einschlägige § 37a des saarländischen Landesschlichtungsgesetzes. Durch den Wortlaut wird zum Ausdruck gebracht, daß die Durchführung des Schlichtungsverfahrens nicht nur besondere Prozessvoraussetzung sein soll, die (erst) zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorliegen muß, sondern daß schon die Erhebung der Klage nur dann zulässig ist, wenn das Schlichtungsverfahren bereits durchgeführt wurde. Die Erhebung der Klage erfolgt nach § 253 Abs. 1 ZPO durch Zustellung der Klageschrift. Das Schlichtungsverfahren muß also vor diesem Zeitpunkt bereits stattgefunden haben.

b) Dies entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers. In dem Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der außergerichtlichen Streitbeilegung vom 4. Mai 1999 heißt es zu § 15a EGZPO (BT-Drs. 14/980, S. 6):
"Ist durch Landesrecht ein obligatorisches Güteverfahren vorgeschrieben, so muß der Einigungsversuch der Klageerhebung vorausgehen. Eine ohne diesen Versuch erhobene Klage ist unzulässig.
Nach Absatz 1 Satz 2 muß der Kläger die von einer Gütestelle ausgestellte Bescheinigung über den erfolglosen Einigungsversuch mit der Klage einreichen. Hat dieser Versuch vor Einreichung der Klage stattgefunden, so kann die Bescheinigung bis zur Entscheidung des Gerichts über die Zulässigkeit der Klage nachgereicht werden. Dagegen kann - wie sich aus dem Wortlaut der Vorschrift eindeutig ergibt - der Einigungsversuch selbst nicht nachgeholt werden."

c) Auch Sinn und Zweck des obligatorischen Schlichtungsverfahrens sprechen für diese Auslegung. In der Gesetzesbegründung zu § 15a EGZPO (BT-Drs. 14/980, S. 5) ist dazu ausgeführt, angesichts des ständig steigenden Geschäftsanfalls bei den Gerichten sei es notwendig, Institutionen zu fördern, die im Vorfeld der Gerichte Konflikte beilegen. Neben einer Entlastung der Justiz werde durch eine Inanspruchnahme von Schlichtungsstellen erreicht, daß Konflikte rascher und kostengünstiger bereinigt werden könnten. Durch die Öffnungsklausel werde den Ländern, in denen ein hinreichendes Netz von Gütestellen bestehe oder in kurzer Zeit geschaffen werden könne, ermöglicht, ohne Mitwirken des Bundes zu versuchen, den Arbeitsanfall bei ihren Gerichten zu vermindern.
Diese Zielsetzung kann nur erreicht werden, wenn die Verfahrensvorschrift des § 15a EGZPO konsequent derart ausgelegt wird, daß die Rechtssuchenden und die Anwaltschaft in den durch Landesgesetz vorgegebenen Fällen vor Anrufung der Gerichte auch tatsächlich den Weg zu den Schlichtungsstellen beschreiten müssen. Könnte ein Schlichtungsversuch noch nach Klageerhebung problemlos nachgeholt werden, ohne daß Rechtsnachteile befürchtet werden müßten, so wären die vom Gesetzgeber angestrebten Zwecke kaum zu verwirklichen. Das Vorgehen der Rechtssuchenden wäre dann vielfach schon von vornherein auf ein paralleles Vorgehen abgestellt mit dem festen Willen, eine Schlichtung scheitern zu lassen. Das obligatorische Schlichtungsverfahren könnte sich auf diesem Hintergrund im Bewußtsein der Rechtssuchenden und der Anwaltschaft kaum als dem gerichtlichen Verfahren zwingend vorgeschaltete Institution etablieren. Die Frage, ob der jeweilige Streitfall zu den Fällen gehört, bei denen zwingend zunächst die Schlichtung versucht werden muß, würde vielfach nur nachlässig geprüft, weil ohnehin nichts passieren könnte. Wäre aber erst einmal Klage erhoben, so könnte kaum erwartet werden, daß ein ausschließlich zum Zwecke der Herbeiführung der Zulässigkeit eingeleitetes Schlichtungsverfahren von dem ernsthaften Willen der Beteiligten getragen wäre, das bereits kostenträchtig eingeleitete Klageverfahren nicht fortzusetzen.

d) Aus diesen Gründen überzeugt der Hinweis der Gegenmeinung auf den Gesichtspunkt der Prozeßökonomie nicht. Prozeßökonomische Überlegungen dürfen sich angesichts der aufgezeigten Problemlage nicht nur auf den gerichtlichen Prozeß beziehen. Sicher erscheint es auf den ersten Blick wenig sinnvoll, eine Klage abzuweisen, wenn diese nach Durchführung des Schlichtungsverfahrens sogleich wieder erhoben werden kann. Prozeßökonomische Überlegungen müssen im vorliegenden Zusammenhang aber die vom Gesetzgeber angestrebte Neuregelung des Verfahrensganges unter Einschluß des zwingend vorgeschalteten Schlichtungsverfahrens in den Blick nehmen. Bei dieser Sichtweise erweist sich die Zulassung einer Nachholung des Verfahrens als nachgerade kontraproduktiv und damit ersichtlich nicht prozeßökonomisch.
Daß es, insbesondere in einer Übergangszeit, vermehrt zu Klageabweisungen kommen kann, weil das Bewußtsein von der Notwendigkeit eines vorgeschalteten Schlichtungsverfahrens noch nicht ausreichend verbreitet ist, muß hingenommen werden. Dem können die Gerichte im übrigen vorbeugen, indem sie in den einschlägigen Verfahrensarten eingereichte Klagen nicht ohne Prüfung der Zulässigkeit zustellen, sondern den Kläger auf die Unzulässigkeit der Klage bereits nach deren Eingang hinweisen und eine Klagerücknahme, die auch schon vor Klagezustellung erklärt werden kann (Zöller/Greger, aaO, § 269 Rn. 8a ff.; vgl. auch BGH, Beschluß vom 18. November 2003 - VIII ZB 72/03 -NJW 2004, 1530 f.), anregen. Damit lassen sich die Kosten denkbar gering halten.
Der teilweise von der Gegenmeinung erhobene Einwand, es sei nicht einzusehen, warum die in § 15a EGZPO geregelte Prozeßvoraussetzung als nicht nachholbar und damit anders behandelt werden sollte als andere Prozeßvoraussetzungen, überzeugt ebenfalls nicht. Aus dem allgemeinen Zivilprozeßrecht läßt sich kein Grundsatz herleiten, der den Gesetzgeber hindern könnte, aus wohlerwogenen Gründen bereits die Zulässigkeit der Klageerhebung von bestimmten Voraussetzungen abhängig zu machen.
5. Im vorliegenden Fall erweisen sich die Aufrechterhaltung des klageabweisenden Versäumnisurteils und die Zurückweisung der dagegen eingelegten Berufung demnach als richtig. Der Kläger kann sein Klagebegehren, nachdem das Schiedsverfahren nunmehr durchgeführt ist, nur mit einer neuen Klage verfolgen (vgl. dazu Jenkel, aaO, S. 253 ff.). Ob - wozu in den Instanzen vorgetragen worden ist - der Anspruch inzwischen verjährt ist, ist hier nicht zu prüfen. Selbst wenn dies der Fall wäre, könnte nicht abweichend entschieden werden.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.