Nutzungsersatz im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis bei bösgläubigem bzw. verklagtem Besitzer, Unterscheidung zwischen dem Ersatz tatsächlich gezogener Nutzungen (§ 987 I BGB) und schuldhaft nicht gezogener Nutzungen (§ 987 II BGB), Beweislastverteilung für das Verschulden analog § 280 I S. 2 BGB


BGH, Versäumnisurteil vom 3. Juni 2005 - V ZR 106/04


Fundstelle:

noch nicht bekannt


Amtl. Leitsatz:

Ermöglicht der Besitz einer Sache deren Nutzung, so ist eine auf Zahlung des objektiven Ertragswerts der Sache gerichtete Klage des Eigentümers für die Zeit ab Bösgläubigkeit des Besitzers oder Rechtshängigkeit der Herausgabeklage unabhängig davon schlüssig, wie der Besitzer die Sache genutzt hat. Es obliegt dem Besitzer einzuwenden, daß er ohne sein Verschulden ganz oder teilweise keine Nutzungen gezogen hat und deshalb einen geringeren Betrag schuldet.


Zentrale Probleme:

Die Entscheidung behandelt grundlegende Fragen des Eigentümer-Bsitzer-Verhältnisses in Bezug auf den Nutzungsersatz. Der BGH wiederholt den von der hM geteilten Standpunkt, daß die §§ 987 ff BGB auch für den nicht mehr berechtigten Besitzer (hier: Mieter nach Beendigung des Mietvertrages) gelten (s. dazu auch BGH v. 14.3.2014 - V ZR 218/13). Da hier der Ersatz nicht gezogener Nutzungen in Betracht kam, war nach § 987 II BGB Verschulden des Besitzers Anspruchsvoraussetzung. Ermöglicht der Besitz objektiv eine Nutzung, handelt der bösgläubige bzw. verklagte Besitzer schuldhaft, wenn er seine Pflicht zur ordnungsgemäßen Bewirtschaftung nicht erfüllt. Nach dem Wortlaut des Gesetzestextes in § 987 II BGB hat dies eigentlich der Anspruchsteller zu beweisen. Nach Ansicht des BGH hat jedoch in entsprechender Anwendung von § 280 I S. 2 BGB der Besitzer darzulegen und zu beweisen, daß ihm die unterlassene Ziehung von Nutzungen nicht vorzuwerfen ist.

©sl 2005


Tatbestand:

Die Klägerin ist Eigentümerin eines mit mehreren gewerblich genutzten Gebäuden bebauten Grundstücks in Berlin. Die Beklagte hatte 1997 einen bis Ende 2000 befristeten Untermietvertrag über das mehr als 18.000 qm Nutzfläche umfassende Objekt geschlossen. Einige Flächen unterteilte sie in kleinere Abschnitte und vermietete diese weiter. Andere Teile des Grundstücks wurden entweder von der Beklagten selbst genutzt oder blieben ungenutzt. Im Hinblick auf den Ablauf des zwischen der Klägerin und der Hauptmieterin bestehenden Mietverhältnisses zum 31. Dezember 2000 verhandelten die Parteien über die Konditionen eines zwischen ihnen zu schließenden Mietvertrags. Eine Einigung kam jedoch nicht zustande. Mit Schreiben vom 4. Januar 2001 wies die Klägerin die Beklagte darauf hin, daß die weitere Nutzung des Grundstücks rechtsgrundlos erfolge.

Mit der Klage hat die Klägerin - neben der Räumung des Objekts und einer Auskunft über die Namen und Anschriften der Untermieter der Beklagten -ein nach dem objektiven Mietwert berechnetes Nutzungsentgelt in Höhe von 469.457,12 € für den Zeitraum vom 1. Februar 2001 bis zum 30. Juni 2001 sowie von 94.402,12 € monatlich ab dem 1. Juli 2001 geltend gemacht. Das Landgericht hat der Klage im wesentlichen stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Kammergericht unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels den Zahlungsantrag für den Zeitraum bis Ende Juni 2001 insgesamt und für die Zeit ab 1. Juli 2001 wegen des 50.677,54 € nebst Zinsen übersteigenden Betrags abgewiesen. Hiergegen richtet sich die von dem Senat zugelassene Revision der Klägerin.

Entscheidungsgründe:

I. Das Berufungsgericht meint, die Klägerin habe - über die von der Beklagten zugestandenen Mieteinnahmen von 50.677,54 € hinaus - keinen Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen gemäß den §§ 987 Abs. 1, 990 Abs. 1 BGB. Zwar sei die Beklagte seit Anfang Januar 2001 hinsichtlich ihres Besitzrechts nicht in gutem Glauben gewesen. Die Klägerin habe jedoch die Mieteinnahmen der Beklagten nicht vorgetragen und auch nicht substantiiert dargelegt, welche Gebäude oder Gebäudeteile von der Beklagten selbst genutzt und inwieweit Nutzungen nach den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft schuldhaft nicht gezogen worden seien. Eine solche Darlegung sei erforderlich, weil nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 988 BGB der Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen nicht nach dem objektiven Ertragswert der Gebrauchsvorteile bemessen werden könne, wenn Nutzungen gezogen worden seien; vielmehr beschränke sich der Anspruch in diesem Fall auf die Herausgabe der tatsächlich gezogenen Nutzungen. Entsprechendes müsse für den Anspruch aus § 987 Abs. 1 BGB gelten. Die Vorschrift des § 987 Abs. 2 BGB, die den Ersatz für nicht gezogene Nutzungen von einem Verschulden des Besitzers abhängig mache, liefe nämlich leer, wenn der Eigentümer den objektiven Mietwert der Sache bereits nach § 987 Abs. 1 BGB, also unabhängig von einem Verschulden, verlangen könne. Sofern die Klägerin zu der erforderlichen Darlegung nicht imstande sei, müsse sie zunächst Auskunft von der Beklagten verlangen.

II. Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, daß sich der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Zahlung eines „Nutzungsentgelts" nach den Vorschriften des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses bestimmt. Nach gefestigter Rechtsprechung finden die Vorschriften der §§ 987 ff. BGB auf den Besitzer, dessen ursprüngliches Besitzrecht entfallen ist (Senat, Urt. v. 24. November 1995, V ZR 88/95, NJW 1996, 921 m.w.N.), und damit auch auf den infolge des Wegfalls des Hauptmietvertrags nicht mehr zum Besitz berechtigten Untermieter Anwendung (BGHZ 131, 95, 102 f.; Senat, Urt. v. 6. November 1968, V ZR 85/65, LM § 987 BGB Nr. 10; ebenso: Staudinger/Gursky, BGB [1999], Vorbem. zu §§ 987-994 Rdn. 24; Palandt/Bassenge, BGB, 64. Aufl., Vorb. v. § 987 Rdn. 16; a.A. Staudinger/Emmerich, BGB [2003], § 540 Rdn. 30; Greiner, ZMR 1998, 403 ff.).

Da die Beklagte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts seit Anfang 2001 Kenntnis von ihrem fehlenden Besitzrecht hatte, ist sie verpflichtet, die ab diesem Zeitpunkt gezogenen Nutzungen herauszugeben (§ 990 Abs. 1 Satz 2, § 987 Abs. 1 BGB) und schuldhaft nicht gezogene Nutzungen zu ersetzen (§ 990 Abs. 1 Satz 2, § 987 Abs. 2 BGB).

2. Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Auffassung des Berufungsgerichts, die Klägerin könne auf dieser Grundlage nicht Ersatz des objektiven Ertragswerts ihres Eigentums verlangen, sondern müsse zur schlüssigen Darlegung der Anspruchshöhe im einzelnen darlegen, für welche Flächen die Beklagte Mieteinnahmen erzielt, welche sie selbst genutzt und in welcher Höhe sie nach den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft schuldhaft keine Nutzungen gezogen habe.

a) Zwar kann der Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen nach § 987 Abs. 1 BGB nicht nach dem objektiven Ertragswert der Gebrauchsvorteile bemessen werden, wenn tatsächliche Nutzungen in Form von Früchten (z.B. Mietzins) gezogen worden sind. Andernfalls entstünde ein Widerspruch zu § 987 Abs. 2 BGB, der die Herausgabe nicht gezogener Nutzungen nur nach Rechtshängigkeit bzw. bei Bösgläubigkeit des Besitzers (§ 990 Abs. 1 BGB) und unter der zusätzlichen Voraussetzung des Verschuldens anordnet (Senat, Urt. v. 21. September 2001, V ZR 228/00, NJW 2002, 60, 61). Hieraus folgt, daß der gutgläubige, unverklagte Besitzer, der die Sache nicht selbst genutzt, sondern weitervermietet hat, nur auf Herausgabe des Mietzinses nach § 987 Abs. 1 BGB in Anspruch genommen werden kann. Demgemäß gehört hier die Angabe der tatsächlichen Mieteinnahmen zu einem schlüssigen Klagevortrag.

b) Auch im Fall eines verschärft haftenden, also bösgläubigen oder verklagten Besitzers sind der Anspruch aus § 987 Abs. 1 BGB einerseits und derjenige aus § 987 Abs. 2 BGB andererseits grundsätzlich auseinander zu halten. Hinsichtlich der an einen schlüssigen Klagevortrag zu stellenden Anforderungen ist aber zu beachten, daß der Eigentümer zu dem für den Anspruch aus § 987 Abs. 2 BGB zusätzlich erforderlichen Verschulden grundsätzlich keinen gesonderten Vortrag halten muß. Ermöglicht der Besitz - wie hier - objektiv eine Nutzung, handelt der bösgläubige bzw. verklagte Besitzer regelmäßig schuldhaft, wenn er seine Pflicht zur ordnungsgemäßen Bewirtschaftung nicht erfüllt (BGH, Urt. v. 20. Dezember 2001, IX ZR 401/99, NJW 2002, 1050, 1052). Demgemäß hat der Besitzer in entsprechender Anwendung des § 282 BGB a.F. (§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB n.F.) darzulegen und zu beweisen, daß ihm die unterlassene Ziehung von Nutzungen nicht vorzuwerfen ist (vgl. Palandt/Bassenge, BGB, 64. Aufl., § 987 Rdn. 8; Bamberger/Roth/Fritzsche, BGB, § 987 Rdn. 79; Baumgärtel/Laumen, Handbuch der Beweislast im Privatrecht, Bd. 2, 2. Aufl., § 987 Rdn. 2 sowie Staudinger/Gursky, BGB [1999], Vorbem. zu §§ 987-993 Rdn. 69 u. § 989 Rdn. 35).

Für die Zeit nach Rechtshängigkeit oder Eintritt der Bösgläubigkeit ist eine auf Ersatz des objektiven Ertragswerts gerichtete Klage deshalb unabhängig davon schlüssig, wie der Besitzer die Sache genutzt hat (vgl. BGH, Urt. v. 20. Dezember 2001, IX ZR 401/99, aaO). Hat er sie unter Wert vermietet, schuldet er Herausgabe der Mieteinnahmen nach § 987 Abs. 1 BGB und Ersatz der Differenz zum üblichen Mietzins nach § 987 Abs. 2 BGB. Hat der Besitzer die Sache selbst genutzt, schuldet er Ersatz des objektiven Mietwerts, weil hiernach seine Gebrauchvorteile bewertet werden (vgl. Senat, Urt. v. 21. September 2001, V ZR 228/00, NJW 2002, 60, 61). Hat er keine Nutzungen gezogen, ist der übliche Mietzins nach § 987 Abs. 2 BGB zu ersetzen. Es obliegt dann dem Besitzer einzuwenden, daß er einen geringeren Betrag schuldet, weil er ohne sein Verschulden ganz oder teilweise keine Nutzungen aus der Sache gezogen hat.

Der Schlüssigkeit eines alternativ auf § 987 Abs. 1 und Abs. 2 BGB gestützten Klageantrags (zur Möglichkeit, einander ausschließende Anspruchsgrundlagen geltend zu machen, vgl. BGHZ 19, 387, 390; BGH, Urt. v. 20. Mai 1987, VIII ZR 282/86, WM 1987, 1013) steht nicht entgegen, daß der Besitzer, der fehlendes Verschulden an einer unterlassenen Nutzziehung einwenden will, hierzu notwendigerweise auch darlegen muß, inwieweit die Sache während seiner Besitzzeit ungenutzt geblieben ist. Zwar handelt es sich dabei um eine Tatbestandsvoraussetzung des § 987 Abs. 2 BGB, auf die sich seine - auf das fehlende Verschulden beschränkte - Darlegungs- und Beweislast nicht bezieht. Ein sachlicher Grund, es dem Eigentümer deshalb zu verwehren, seine Klage auf Herausgabe bzw. Ersatz des dem objektiven Ertragswert der Sache entsprechenden Betrags alternativ auf § 987 Abs. 1 und § 987 Abs. 2 BGB zu stützen, folgt hieraus indessen nicht. Insbesondere wird der Besitzer nicht gezwungen, Informationen preiszugeben, die der Eigentümer sonst nicht erlangen könnte. Der Besitzer ist aufgrund des Auskunftsanspruchs des Eigentümers über die von ihm gezogenen Nutzungen (§ 260 BGB, vgl. BGHZ 32, 76, 96 für § 988 BGB) materiell-rechtlich verpflichtet, nähere Angaben zu der Vermietungssituation während seiner Besitzzeit zu machen. Es ist ihm deshalb zuzumuten, im Rahmen des Entlastungsbeweises darzulegen, in welchen Zeiträumen oder hinsichtlich welcher Teile er aus der Sache des Eigentümers schuldlos keine Nutzungen zu ziehen vermochte.

III.

Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben, soweit es zu Lasten der Klägerin ergangen ist (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), damit es die erforderlichen Feststellungen zu dem objektiven Ertragswert des von der Beklagten innegehaltenen Gewerbeobjekts treffen kann. Ferner ist der Beklagten Gelegenheit zu geben, ihren Vortrag unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats zu ergänzen.

Im weiteren Verfahren wird das Berufungsgericht, soweit erforderlich, auch zu prüfen haben, ob die Klage unter dem Gesichtspunkt des Verzugs der Beklagten mit der Herausgabe des Objekts (§ 990 Abs. 2 BGB i.V.m. § 286 Abs. 1 BGB a.F.) begründet ist.

Sollte es für die neue Entscheidung - trotz der Möglichkeit der Klägerin, Nutzungsersatz in Höhe des objektiven Mietwerts zu verlangen - auf die Höhe der tatsächlich gezogenen Nutzungen ankommen, wird das Berufungsgericht den von der Revision zu Recht als übergangen gerügten Vortrag der Beklagten zu berücksichtigen haben, sie habe vor Juli 2001 Mieteinnahmen von ca. 23 DM/qm bei einem Leerstand von 25 % erzielt (Berufungsbegründung S. 2 u. 5, GA I/168 u. 171). Im übrigen wäre hinsichtlich der Darlegung der Mieteinnahmen - ungeachtet des daneben bestehenden materiell-rechtlichen Auskunftsanspruchs der Klägerin - eine sekundäre Behauptungslast der Beklagten (vgl. BGHZ 145, 170, 184 m.w.N.) naheliegend und daher von dem Berufungsgericht zu erwägen.