Schadensersatz wegen unterlassener Widerrufsbelehrung ("Schrottimmobilien"): Verschuldens- und Kausalitätserfordernis; keine verschuldensunabhängige Haftung außerhalb der gesetzlichen Tatbestände


BGH v. 17.4.2007 - XI ZR 130/05


Fundstelle:

noch nicht bekannt


(Eigene) Leitsatz:

1. Zu den Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches bei unterbliebener Wifderrufsbelehrung des Darlehensgebers bei Immobilientsrukturvertrieb ("Schrottimmobilien")
2. Ein Schadensersatzanspruch wegen unterbliebener Widerrufsbelehrung gemäß § 2 HWiG setzt ein Verschulden des Unternehmers voraus (Bestätigung von
BGHZ 169, 109).
3. Für einen Schadensersatzanspruch aus Verschulden bei Vertragsschluss wegen unterbliebener Widerrufsbelehrung gemäß § 2 HWiG muss der Darlehensnehmer konkret beweisen, dass der Belehrungsverstoß für den Schaden ursächlich geworden ist, d.h. dass er den Darlehensvertrag bei ordnungsgemäßer Belehrung tatsächlich widerrufen hätte (Bestätigung von
BGHZ 169, 109).


Zentrale Probleme:

Der BGH bestätigt seine (restriktive) Rechtsprechung zum Schadensersatz bei unterbliebender Widerrufsbelehrung, s. dazu die Anm. zu BGHZ 168, 1 sowie zu BGHZ 169, 109 m.w.N. Die Entscheidung faßt den derzeitige Stand der Rspr. sehr konzise Zusammen und ist aus diesem Grund sehr lehrreich.

©sl 2007


Tatbestand:

1 Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Rückabwicklung zweier Darlehensverträge in Anspruch sowie auf Feststellung, dass der Beklagten hieraus keine Rechte mehr zustehen. Die Darlehen hatte die Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden: Beklagte) der Klägerin 1995 zur Finanzierung des Erwerbs einer Eigentumswohnung in B… W… gewährt.

2 Die damals 31-jährige Klägerin wurde im Jahre 1995 von einem Vermittler geworben, zwecks Steuerersparnis ohne Eigenkapital eine Eigentumswohnung in B… W… zu erwerben.

3 Zur Finanzierung des Kaufpreises und der Erwerbsnebenkosten unterzeichnete die Klägerin am 3. März 1995 zwei Darlehensverträge über 175.000,00 DM und 38.000,00 DM, die die Beklagte am 13. März 1995 gegenzeichnete. Die Darlehensverträge, denen eine Widerrufsbelehrung nach dem Haustürwiderrufsgesetz (HWiG) nicht beigefügt war, sahen unter anderem als Auszahlungsvoraussetzung die Bestellung einer Grundschuld vor.

4 Mit notarieller Urkunde vom 8. März 1995 erteilte die Klägerin Frau S… P… (im Folgenden: Geschäftsbesorgerin) im Rahmen eines Angebots auf Abschluss eines Geschäftsbesorgungsvertrages zur Durchführung des Erwerbs der Eigentumswohnung eine umfassende Vollmacht. Die Geschäftsbesorgerin, die über eine Erlaubnis nach dem Rechtsberatungsgesetz nicht verfügte, sollte unter anderem den Kaufvertrag abschließen sowie zur Bestellung der dinglichen und persönlichen Sicherheiten befugt sein.

5 Am 27. Juni 1995 nahm sie das Angebot auf Abschluss des Geschäftsbesorgungsvertrages an und schloss zugleich für die Klägerin einen notariellen Kaufvertrag über die Eigentumswohnung. Mit notarieller Urkunde vom 29. Juni 1995 wurde zu Gunsten der Beklagten eine Grundschuld in Höhe von 213.000,00 DM zzgl. 16% Zinsen bestellt. Gemäß Ziffer 4 der Urkunde übernahm die Klägerin die persönliche Haftung in Höhe des Grundschuldbetrages und unterwarf sich der Zwangsvollstreckung in ihr gesamtes Vermögen. Die Darlehen wurden vertragsgemäß ausgezahlt.

6 Mit Schreiben vom 4. März 2002 widerrief die Klägerin - gestützt auf ein Widerrufsrecht nach § 1 HWiG - ihre auf den Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen. Mit ihrer Klage begehrt sie die Rückzahlung der auf die Darlehensverträge erbrachten Leistungen von 61.410,96 € zuzüglich Zinsen sowie die Feststellung, dass der Beklagten hieraus keine Ansprüche mehr zustehen. Die Beklagte beruft sich hilfsweise darauf, die Verurteilung dürfe nur Zug um Zug gegen Rückzahlung des offenen Darlehensbetrages erfolgen. Äußerst hilfsweise verlangt sie dessen Rückzahlung im Wege der Widerklage.

7 Die Klage ist in beiden Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit der - vom erkennenden Senat zugelassenen - Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

8 Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

9 Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt:

10 Es könne dahinstehen, ob die Darlehensverträge wirksam nach dem Haustürwiderrufsgesetz widerrufen worden seien. Auch bei wirksamem Widerruf müsse die Klägerin die empfangene Leistung zuzüglich einer Nutzungsvergütung zurückgewähren, was vorliegend die Tilgung der Darlehen und die Zahlung marktüblicher Zinsen beinhalte. Die Annahme eines verbundenen Geschäfts im Sinne des § 9 VerbrKrG scheide schon mit Rücksicht darauf aus, dass es sich bei den Darlehen um Realkredite im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 2 VerbrKrG handele. Dies widerspreche auch nicht gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben. Ansprüche aus Aufklärungsverschulden habe die Klägerin nicht dargetan.

II.

11 Das Berufungsurteil hält rechtlicher Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.

12 1. Rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass der Darlehensgeber bei wirksamem Widerruf gegen den Darlehensnehmer gemäß § 3 Abs. 1 HWiG einen Anspruch auf Erstattung des ausgezahlten Nettokreditbetrages sowie auf dessen marktübliche Verzinsung hat (Senat, BGHZ 152, 331, 336, 338; Senatsurteile vom 26. November 2002 - XI ZR 10/00, WM 2003, 64, 66, vom 15. Juli 2003 - XI ZR 162/00, ZIP 2003, 1741, 1744, vom 28. Oktober 2003 - XI ZR 263/02, WM 2003, 2410, vom 18. November 2003 - XI ZR 322/01, WM 2004, 172, 176, vom 21. März 2006 - XI ZR 204/03, ZIP 2006, 846, 847 und vom 16. Mai 2006 - XI ZR 6/04, WM 2006, 1194, 1196 Tz. 20, für BGHZ 168, 1 vorgesehen). Dieser Rückgewähranspruch ist - worauf die Revision zu Recht hinweist - der Sache nach kein vertraglicher Anspruch, sondern ein Anspruch auf Herausgabe des rechtsgrundlos Erlangten und damit ein besonders ausgestalteter Bereicherungsanspruch (BGHZ 131, 82, 87 f.; 152, 331, 339; Senatsurteil vom 26. November 2002 - XI ZR 10/00, WM 2003, 64, 66 m.w.N.).

13 2. Richtig ist auch die weitere Annahme des Berufungsgerichts, dass ein Darlehensnehmer im Falle des wirksamen Widerrufs eines Realkreditvertrages zur Finanzierung des Kaufs einer Immobilie zur Rückzahlung des Kapitals gemäß § 3 HWiG verpflichtet ist und die finanzierende Bank nicht unter Hinweis auf § 9 Abs. 3 VerbrKrG auf die Immobilie mit der Begründung verweisen kann, bei dem Darlehensvertrag und dem finanzierten Immobilienerwerb handele es sich um ein verbundenes Geschäft. § 9 VerbrKrG findet nach dem eindeutigen Wortlaut des § 3 Abs. 2 Nr. 2 VerbrKrG auf Realkreditverträge, die - wie hier - zu für grundpfandrechtlich abgesicherte Kredite üblichen Bedingungen gewährt worden sind, keine Anwendung (Senat, BGHZ 152, 331, 337; 161, 15, 25; Senatsurteile vom 26. November 2002 - XI ZR 10/00, WM 2003, 64, 66, vom 28. Oktober 2003 - XI ZR 263/02, WM 2003, 2410, 2411, vom 18. November 2003 - XI ZR 322/01, WM 2004, 172, 175, vom 18. Januar 2005 - XI ZR 201/03, WM 2005, 375, 376, vom 27. September 2005 - XI ZR 79/04, BKR 2005, 501, 504 und vom 16. Mai 2006 - XI ZR 6/04, WM 2006, 1194, 1196 Tz. 21, für BGHZ 168, 1 vorgesehen).

14 3. Zutreffend ist das Berufungsgericht auch davon ausgegangen, dass diese Rechtsprechung keinen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht darstellt. Wie der erkennende Senat bereits in dem Senatsurteil vom 16. Mai 2006 (XI ZR 6/04, a.a.O. S. 1197 f. Tz. 26 ff., für BGHZ 168, 1 vorgesehen) im Einzelnen ausgeführt hat, ergibt sich eine andere rechtliche Beurteilung auch nicht unter Berücksichtigung der Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 25. Oktober 2005 (WM 2005, 2079 ff. - Schulte und WM 2005, 2086 ff. - Crailsheimer Volksbank).

15 Der Gerichtshof hat darin in Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen ausdrücklich betont, dass die Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (ABl. EG Nr. L372/31 vom 31. Dezember 1985 - "Haustürgeschäfterichtlinie") es nicht verbietet, den Verbraucher nach Widerruf eines Darlehensvertrages zur sofortigen Rückzahlung der Darlehensvaluta zuzüglich marktüblicher Zinsen zu verpflichten, obwohl die Valuta nach dem für die Kapitalanlage entwickelten Konzept ausschließlich der Finanzierung des Erwerbs der Immobilie diente und unmittelbar an deren Verkäufer ausgezahlt wurde. Die Rechtsprechung des erkennenden Senats ist damit bestätigt worden.

16 Wie der Senat mit Urteil vom 16. Mai 2006 entschieden und im Einzelnen begründet hat, steht dem aus § 3 HWiG folgenden Rückzahlungsanspruch auch nicht entgegen, dass der Verbraucher nach Ansicht des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (im Folgenden: EuGH) durch die Haustürgeschäfterichtlinie vor den Folgen der in den Entscheidungen des EuGH angesprochenen Risiken von Kapitalanlagen der vorliegenden Art zu schützen ist, die er im Falle einer ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung der kreditgebenden Bank hätte vermeiden können (hierzu im Einzelnen: Urteil vom 16. Mai 2006 - XI ZR 6/04, a.a.O. S. 1197 f. Tz. 28 ff., für BGHZ 168, 1 vorgesehen).

17 4. Das Berufungsurteil hält rechtlicher Überprüfung aber nicht stand, da der Klägerin im Anschluss an die genannten Urteile des EuGH vom 25. Oktober 2005 (WM 2005, 2079 ff. - Schulte und WM 2005, 2086 ff. - Crailsheimer Volksbank) nach dem für die Revision zugrunde zu legenden Sachverhalt ein Schadensersatzanspruch wegen unterbliebener - dem Haustürwiderrufsgesetz entsprechender - Widerrufsbelehrung zustehen kann. Außerdem hat das Berufungsgericht übersehen, dass das Begehren der Klägerin nach Feststellung, dass der Beklagten aus den Darlehensverträgen keine Ansprüche zustehen, begründet ist, wenn die Klägerin ihre Darlehensvertragserklärungen wirksam widerrufen hat.

18 Da das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft keine entgegen stehenden Feststellungen getroffen hat, ist für die Revision davon auszugehen, dass die Darlehensverträge aufgrund einer Haustürsituation geschlossen und mangels einer Widerrufsbelehrung von der Klägerin wirksam widerrufen worden sind. Wie der Senat zur Umsetzung der Urteile des EuGH vom 25. Oktober 2005 (a.a.O.) in nationales Recht entschieden und näher begründet hat (Senatsurteil vom 19. September 2006 - XI ZR 204/04, WM 2006, 2343, 2347 Tz. 40 ff., für BGHZ 169, 109 vorgesehen), kann ein Schadensersatzanspruch wegen unterbliebener Widerrufsbelehrung gegeben sein, sofern die Darlehensnehmer zum Zeitpunkt des Abschlusses des Darlehensvertrages noch nicht an den Kaufvertrag gebunden waren (vgl. auch Senatsurteil vom 16. Mai 2006 - XI ZR 6/04, WM 2006, 1194, 1199 Tz. 38, für BGHZ 168, 1 vorgesehen). Das ist hier der Fall. Die Klägerin hatte die nicht mit Widerrufsbelehrungen versehenen Darlehensverträge vom 3./13. März 1995 bereits abgeschlossen, bevor die Geschäftsbesorgerin am 27. Juni 1995 den notariellen Kaufvertrag unterzeichnete.

19 Wie der Senat ebenfalls bereits entschieden hat (Senatsurteil vom 19. September 2006 - XI ZR 204/04, WM 2006, 2343, 2347 Tz. 42, für BGHZ 169, 109 vorgesehen), muss das Unterlassen der Widerrufsbelehrung auf einem Verschulden der finanzierenden Bank - insbesondere einem vom Berufungsgericht festzustellenden verschuldeten Rechtsirrtum - beruhen. Einer verschuldensunabhängigen Haftung stehen wesentliche Grundsätze des nationalen Haftungsrechts entgegen, insbesondere der in § 276 Abs. 1 BGB a.F. verankerte allgemeine Grundsatz, dass eine Schadensersatzpflicht in der Regel nur bei schuldhaftem Verhalten besteht. Zwar ermöglichte die Vorschrift des § 276 Abs. 1 BGB a.F. auch eine verschuldensunabhängige Haftung, sofern "ein anderes bestimmt war". Für eine solche Bestimmung, die sich aus dem Gesetz, den vertraglichen Vereinbarungen oder dem Inhalt des Schuldverhältnisses ergeben kann, fehlt hier jedoch jeder Anhalt. Auch die Annahme einer Gefährdungshaftung kommt nicht in Betracht. Die für einzelne, näher umschriebene Tatbestände normierten Gefährdungshaftungen stellen spezielle Ausnahmen dar, die der an das Gesetz gebundene Richter nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht von sich aus erweitern darf (vgl. BGHZ 54, 332, 336 f.; 55, 229, 232 f., 234; 114, 238, 240 f.; 115, 38, 42 f.; 119, 152, 168).

20 Darüber hinaus muss für den Fall der Annahme eines solchen Verschuldens die Schadensursächlichkeit des Belehrungsverstoßes feststehen (Senatsurteil vom 19. September 2006 - XI ZR 204/04, WM 2006, 2343, 2347 Tz. 43, für BGHZ 169, 109 vorgesehen). Es genügt nicht, dass die Klägerin bei ordnungsgemäßer Belehrung die Möglichkeit gehabt hätte, mit dem Widerruf der Darlehensverträge auch Risiken des Anlagegeschäftes zu vermeiden. Dies wäre mit dem Grundprinzip des nationalen Schadensersatzrechts, dass eine Pflichtverletzung nur dann zum Ersatz des Schadens verpflichten kann, wenn er auch auf den Pflichtenverstoß ursächlich zurückzuführen ist, schlechthin unvereinbar (siehe bereits Senatsurteil vom 16. Mai 2006 - XI ZR 6/04, WM 2006, 1194, 1199 Tz. 38, für BGHZ 168, 1 vorgesehen). Die Klägerin muss vielmehr konkret nachweisen, dass sie die Darlehensverträge bei ordnungsgemäßer Belehrung tatsächlich widerrufen und die Anlage nicht getätigt hätte. Auf die so genannte Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens kann sich die Klägerin, anders als etwa das Oberlandesgericht Bremen (WM 2006, 758, 766 f.) gemeint hat, nicht stützen. Diese Vermutung setzt voraus, dass es für sie bei Belehrung über ihr Widerrufsrecht damals nur eine bestimmte Möglichkeit der Reaktion gab (vgl. BGHZ 160, 58, 66 m.w.N.). Davon kann hier - worauf die Revisionserwiderung zu Recht verweist - indes nicht ausgegangen werden, da nichts dafür ersichtlich ist, dass die Risiken des Vertragswerks von der Klägerin innerhalb der einwöchigen Widerrufsfrist erkannt worden wären (vgl. OLG Celle, NJW 2006, 1817 f.; OLG München, NJW 2006, 1811, 1815; Bungeroth, WM 2004, 1505, 1509).


III.

21 Das angefochtene Urteil war nach alledem aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, war sie zur weiteren Sachaufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dieses wird - nachdem die Parteien Gelegenheit zum ergänzenden Sachvortrag hatten - die erforderlichen Feststellungen zum Abschluss der Darlehensverträge in einer Haustürsituation und zu den Voraussetzungen eines möglichen Schadensersatzanspruchs der Klägerin aus Verschulden bei Vertragsschluss wegen unterbliebener Widerrufsbelehrung zu treffen haben.