Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 11/2000 (Seiten 268 bis 272) Bayerisches Gesetz zur obligatorischen
außergerichtlichen Streitschlichtung in Zivilsachen und zur Änderung
gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften Vom 25. April 2000 Der Landtag des Freistaates Bayern hat das folgende Gesetz beschlossen, das hiermit bekannt gemacht wird: Abschnitt I Obligatorische Schlichtung als Prozessvoraussetzung Art. 1 Sachlicher Umfang der obligatorischen Schlichtung Vor den Amtsgerichten kann in folgenden bürgerlichrechtlichen Streitigkeiten mit Ausnahme der in § 15 a Abs. 2 EGZPO genannten Streitigkeiten eine Klage erst erhoben werden, wenn die Parteien einen Versuch unternommen haben, die Streitigkeit vor einer in Art. 3 genannten Schlichtungs- oder Gütestelle gütlich beizulegen:
Art. 2 Örtlicher Umfang der obligatorischen Schlichtung 1 Ein Schlichtungsversuch nach Art. 1 vor Erhebung der Klage ist nur erforderlich, wenn die Parteien ihren Wohnsitz, ihren Sitz oder ihre Niederlassung im selben Landgerichtsbezirk haben. 2 Die Bezirke der Landgerichte München I und München II gelten insoweit als ein Landgerichtsbezirk. Art. 3 Schlichtungsstellen (1) 1 Die Parteien können sich für einen Schlichtungsversuch einvernehmlich an jeden Rechtsanwalt, der nicht Parteivertreter ist, an jeden Notar oder an dauerhaft eingerichtete Schlichtungsstellen der Kammern, Innungen, Berufsverbände oder ähnliche Institutionen im Sinn von § 15 a Abs. 3 EGZPO wenden. 2 Das Einvernehmen nach Satz 1 wird unwiderleglich vermutet, wenn der Verbraucher eine branchengebundene Schlichtungsstelle, eine Schlichtungsstelle der Industrie- und Handelskammer, der Handwerkskammer oder der Innung angerufen hat. 3 Fehlt es am Einvernehmen nach den Sätzen 1 und 2, ist der Schlichtungsversuch vor einem örtlich zuständigen Schlichter der Gütestellen nach Art. 5 durchzuführen. (2) Ein Schlichter ist von der Schlichtung ausgeschlossen, wenn die Voraussetzungen des § 41 ZPO vorliegen. Art. 4 Bescheinigung über erfolglosen Schlichtungsversuch (1) 1 Bleibt der Schlichtungsversuch erfolglos, so ist dem Antragsteller darüber ein Zeugnis auszustellen, das dem Gericht bei Klageerhebung vorzulegen ist. 2 Das Zeugnis wird auf Antrag auch erteilt, wenn binnen einer Frist von drei Monaten das beantragte Schlichtungsverfahren nicht durchgeführt worden ist. 3 Die Frist beginnt nicht vor Einzahlung des Vorschusses gemäß Art. 14. (2) Das Zeugnis ist außerdem auszustellen, wenn der Schlichter den sachlichen Anwendungsbereich nach Art. 1 oder, soweit dies zwischen den Parteien strittig ist, den örtlichen Anwendungsbereich nach Art. 2 für nicht eröffnet oder die Angelegenheit für eine Schlichtung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen von vorneherein für ungeeignet erachtet. (3) 1 Das Zeugnis hat auch die Namen und die Anschriften des Antragstellers und des Antragsgegners, eine kurze Darstellung des Streitgegenstands, Angaben zum Streitwert sowie den Zeitpunkt, zu dem das Verfahren beendet ist, zu enthalten. 2 Wird das Zeugnis ausgestellt, weil der Schlichter die Angelegenheit für eine Schlichtung für ungeeignet erachtet, sind die Gründe dafür im Zeugnis anzugeben.
Abschnitt II Gütestellen nach § 15 a Abs. 1 EGZPO Art. 5 Einrichtung der Gütestellen (1) Jeder Notar ist als Träger eines öffentlichen Amtes Gütestelle. (2) 1 Jeder Rechtsanwalt, der sich gegenüber der Rechtsanwaltskammer dazu verpflichtet hat, Schlichtung als dauerhafte Aufgabe zu betreiben, ist durch die Rechtsanwaltskammer als Gütestelle zuzulassen. 2 Die Zulassung kann widerrufen werden, wenn die Pflichten nach Art. 8 gröblich vernachlässigt werden. (3) 1 Die Gütestellen nach den Absätzen 1 und 2 sind landesrechtlich anerkannte Gütestellen nach § 15 a Abs. 6 EGZPO. 2 Der Präsident des Bayerischen Obersten Landesgerichts kann weitere Gütestellen nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO unter den Voraussetzungen des Art. 22 AGGVG einrichten und anerkennen. Art. 6 Auswahl unter den Gütestellen 1 Unter mehreren Gütestellen des Landgerichtsbezirks hat die antragstellende Partei die Auswahl. 2 Bestehen in dem Amtsgerichtsbezirk, in dem der Antragsgegner seinen Wohnsitz, seinen Sitz oder seine Niederlassung hat, Gütestellen, so kann die antragstellende Partei nur unter diesen auswählen. 3 Die zuerst angerufene Gütestelle ist auch für einen Gegenantrag zuständig. Art. 7 Aufnahme des Schlichtungsantrags durch die Gütestelle 1 Die Gütestelle nimmt den schriftlichen Schlichtungsantrag während der üblichen Geschäftszeiten entgegen und registriert ihn. 2 Der Schlichtungsantrag kann auch zu Protokoll der Gütestelle erklärt werden. Art. 8 Schlichter, Pflichten aus dem Schlichteramt (1) 1 Schlichter der Gütestellen nach Art. 5, Abs. 1 und 2 sind Personen, die den Beruf des Notars oder des Rechtsanwalts ausüben. 2 Sie beachten bei Ausübung des Schlichteramts ihre allgemeinen Berufspflichten. 3 Sie üben ihr Amt unparteiisch und unabhängig aus. 4 Sie tragen für eine zügige Erledigung der Schlichtungsverfahren Sorge. (2) 1 Den Schlichtern steht hinsichtlich der Tatsachen, die Gegenstand des Schlichtungsverfahrens sind, ein Zeugnisverweigerungsrecht zu. 2 Wer als Schlichter tätig war, kann in derselben Sache keine der Parteien im gerichtlichen Verfahren vertreten. (3) 1 Die Aufsicht über die Notare als Schlichter führt die Landesnotarkammer, die Aufsicht über die Rechtsanwälte als Schlichter die jeweils zuständige Rechtsanwaltskammer. 2 Die Aufsichtsbehörde kann die hierfür erforderlichen Verwaltungsanordnungen treffen. 3 Sie hat darauf zu achten, dass die Schlichter den ihnen nach diesem Gesetz obliegenden Verpflichtungen nachkommen. 4 Sie kann jederzeit Auskunft über alle die Geschäftsführung betreffenden Angelegenheiten verlangen.
Abschnitt III Durchführung des Schlichtungsverfahrens vor dem Schlichter der Gütestelle nach Abschnitt II Art. 9 Verfahrenseinleitung 1 Das Schlichtungsverfahren wird auf Antrag eingeleitet. 2 Der Antrag muss Namen und ladungsfähige Anschrift der Parteien, eine kurze Darstellung der Streitsache und den Gegenstand des Begehrens enthalten. 3 Ihm sollen die für die förmliche Mitteilung erforderlichen Abschriften beigefügt werden. Art. 10 Gang des Schlichtungsverfahrens (1) 1 Sobald dem Schlichter der Antrag vorliegt und der Vorschuss (Art. 14) eingezahlt worden ist, bestimmt er einen Schlichtungstermin, zu dem er die Parteien persönlich lädt. 2 Er erörtert mit den Parteien mündlich die Streitsache und die Konfliktlösungsvorschläge der Parteien. 3 Zur Aufklärung der Interessenlage kann er mit den Parteien in deren Einvernehmen auch Einzelgespräche führen. 4 Auf der Grundlage der Schlichtungsverhandlung kann er den Parteien einen Vorschlag zur Konfliktbeilegung unterbreiten. 5 In geeigneten Fällen sieht der Schlichter von einem Termin ab und verfährt schriftlich. (2) Die Schlichtungsverhandlung ist nicht öffentlich. (3) 1 Der Schlichter lädt keine Zeugen und Sachverständigen. 2 Zeugen und Sachverständige, die von den Parteien auf deren Kosten herbeigeschafft werden, können angehört, und ein Augenschein kann eingenommen werden, wenn dadurch der Abschluss des Schlichtungsverfahrens nicht unverhältnismäßig verzögert wird. (4) Im Übrigen bestimmt der Schlichter das zur zügigen Erledigung der Streitsache zweckmäßige Verfahren nach seinem Ermessen. Art. 11 Persönliches Erscheinen der Parteien (1) Die Parteien haben im Schlichtungstermin persönlich zu erscheinen. (2) Dies gilt nicht, wenn eine Partei zu dem Termin eine Vertretung entsendet, die zur Aufklärung des Sachverhalts in der Lage und zu einem unbedingten Vergleichsabschluss schriftlich ermächtigt ist, und der Schlichter dem Fernbleiben der Partei zustimmt. (3) Jede Partei kann sich im Termin eines Beistands oder eines Rechtsanwalts bedienen. (4) 1 Erscheint der Antragsteller unentschuldigt nicht zum Schlichtungstermin, gilt der Antrag als zurückgenommen; bei hinreichender Entschuldigung binnen 14 Tagen ist vom Schlichter ein neuer Schlichtungstermin zu bestimmen. 2 Der Antrag gilt auch als zurückgenommen, wenn der Vorschuss nach Art. 14 nicht in der vom Schlichter gesetzten Frist einbezahlt wurde. 3 Fehlt die Gegenpartei unentschuldigt, so ist dem Antragsteller frühestens nach 14 Tagen ein Zeugnis nach Art. 4 auszustellen. 4 In der Ladung sind die Parteien auf die Folgen ihres Ausbleibens hinzuweisen. Art. 12 Protokollierung der Konfliktbeilegung 1 Wird vor dem Schlichter eine Vereinbarung zur Konfliktbeilegung geschlossen, so ist diese unter Angabe des Tages ihres Zustandekommens schriftlich niederzulegen und von den Parteien zu unterschreiben. 2 Der Schlichter bestätigt den Abschluss der Vereinbarung mit seiner Unterschrift. 3 Die Konfliktregelung muss auch eine Einigung der Parteien über die Kosten des Schlichtungsverfahrens enthalten. 4 Die Kosten des Schlichtungsverfahrens sind der Höhe nach auszuweisen. 5 Die Parteien erhalten vom Schlichter auf Antrag eine Abschrift der Vereinbarung.
Abschnitt IV Vergütung für das Güteverfahrender
Gütestellen Art. 13 Vergütung (1) 1 Die Schlichter nach Art. 5 Abs. 1 und 2 erheben für ihre Tätigkeit eine Vergütung (Gebühren und Auslagen) nur nach diesem Gesetz. 2 Sie erhalten Ersatz der auf die Vergütung entfallenden Umsatzsteuer, sofern diese nicht nach § 19 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes unerhoben bleibt. (2) Die Gebühr für das Schlichtungsverfahren beträgt
(3) Werden Schlichter im Rahmen des Vollzugs der Vereinbarung zur Konfliktbewältigung im Auftrag beider Parteien tätig, entsteht eine weitere Gebühr in Höhe von 50 Euro. (4) 1 Mit der Gebühr werden die allgemeinen Geschäftsunkosten der Schlichter abgegolten. 2 Für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen sowie Schreibauslagen können die Schlichter einen Pauschsatz von 20 Euro fordern. Art. 14 Vorschuss für die Vergütung (1) Der Schlichter fordert vom Antragsteller vor Durchführung des Schlichtungsverfahrens einen Vorschuss in Höhe der Gebühr nach Art. 13 Abs. 2 Nr. 2 zuzüglich der Auslagen nach Art. 13 Abs. 4. (2) Nach Abschluss des Schlichtungsverfahrens rechnet der Schlichter gegenüber dem Antragsteller über den Vorschuss ab. Art. 15 Vergütungsfreiheit (1) Eine Partei, die die Voraussetzungen für die Gewährung von Beratungshilfe nach den Vorschriften des Beratungshilfegesetzes erfüllt, ist von der Verpflichtung zur Zahlung der Vergütung befreit. (2) § 4 Abs. 1, Abs. 2 Sätze 1 bis 3, §§ 5 und 6 des Beratungshilfegesetzes finden entsprechende Anwendung. (3) 1 Ist die Partei nach Absatz 1 von der Verpflichtung zur Zahlung der Vergütung befreit, erstattet die Staatskasse dem Schlichter die ihm zustehende Vergütung. 2 Die Erstattung der Schlichtervergütung durch die Staatskasse ist in der Bescheinigung nach Art. 4 zu vermerken. Art. 16 Beitreibung der Vergütung durch die Staatskasse (1) Ist dem Schlichter die Vergütung nach Art. 15 Abs. 3 erstattet worden, so geht der Anspruch auf Kostenerstattung, der sich aus der Verurteilung des Gegners in die Prozesskosten im nachfolgenden Gerichtsverfahren ergibt, insoweit auf die Staatskasse über. (2) 1 Der Vergütungsanspruch nach Absatz 1 ist von der Staatskasse nach den Vorschriften über die Einziehung der Kosten des gerichtlichen Verfahrens geltend zu machen. 2 Die Ansprüche werden bei dem Amtsgericht angesetzt, bei dem der nachfolgende Rechtsstreit geführt wurde. 3 Für die Entscheidung über eine gegen den Ansatz gerichtete Erinnerung und über die Beschwerde gilt § 5 Gerichtskostengesetz entsprechend. Art 17 Aufwendungen der Beteiligten 1 Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten. 2 Kosten werden, vorbehaltlich einer anderen Regelung in der Vereinbarung zur Konfliktbeilegung, nicht erstattet.
Abschnitt V Vollstreckung aus dem Vergleich der Gütestellen und Klauselerteilung Art. 18 Vollstreckung aus einem Vergleich Aus einem vor dem Schlichter der Gütestelle geschlossenen Vergleich findet die Zwangsvollstreckung nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statt. Art. 19 Erteilung der Vollstreckungsklausel (1) Die Vollstreckungsklausel auf einem Vergleich einer Gütestelle nach Art. 5 Abs. 1 erteilt der Notar. (2) Die Vollstreckungsklausel auf einem Vergleich einer Gütestelle nach Art. 5 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 erteilt der Rechtspfleger des Amtsgerichts, in dessen Bezirk die Gütestelle eingerichtet ist.
Abschnitt VI Änderung des AGGVG, In-Kraft-Treten, Außer-Kraft-Treten und Übergangsvorschriften Art. 20 Änderung des Gesetzes zur Ausführung des
Gerichtsverfassungsgesetzes Das Gesetz zur Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes und von Verfahrensgesetzen des Bundes - AGGVG - (BayRS 300-1-1-J), zuletzt geändert durch Art. 6 Abs. 1 des Gesetzes vom 11. Juli 1998 (GVBl S. 414), wird wie folgt geändert:
Art. 21 In-Kraft-Treten, Außer-Kraft-Treten (1) Dieses Gesetz tritt am 1. Mai 2000 in Kraft. (2) Art. 1 bis 19 und Art. 20 Nrn. 1 und 9 treten mit Ablauf des 31. Dezember 2005 außer Kraft. Art. 22 Übergangsvorschriften (1) Das Gesetz findet auf alle Klagen Anwendung, die vier Monate nach In-Kraft-Treten des Gesetzes oder später bei Gericht eingehen. (2) 1 Bis zum 31. Dezember 2001 betragen die Gebühren nach Art. 13 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3 jeweils 100,- DM. 2 Die Gebühr nach Art. 13 Abs. 2 Nr. 2 beträgt 200,- DM. 3 Der Pauschsatz nach Art. 13 Abs. 4 Satz 2 beträgt 40,- DM.
München, den 25. April 2000 Der Bayerische Ministerpräsident In Vertretung Barbara S t a m m Stellvertreterin des Ministerpräsidenten und Staatsministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit |