Wolfgang Vogelsang, LL.M (London)
wissenschaftlicher Assistent
Lehrstuhl Prof. Dr Stephan Lorenz


Arbeitsgemeinschaft Zivilrecht IV

ZPO-Erkenntnisverfahren

3. Arbeitsgemeinschaft

Zulässigkeit der Klage II
Partei-, Prozeß- und Postulationsfähigkeit
(Prozessualer) Anspruch und Streitgegenstand
Rechtshängigkeit und Rechtskraft


Fall 12:          "Immer Ärger mit Harry!"

Teil 1:
Im ersten Prozeß klagt die K als Erbin erfolgreich gegen H auf Herausgabe einzelner Nachlaßsachen. In einem zweiten Prozeß verlangt sie weitere Nachlaßsachen heraus. B bestreitet erneut das Erbrecht der K.

  1. Wie muß das Gericht entscheiden?
  2. Besteht für die Parteien eine Möglichkeit, präjudizielle Rechtsverhältnisse rechtskräftig feststellen zu lassen?


Lösung:

Frage 1:

  1. Die zweite Klage ist zulässig, da sie einen anderen Streitgegenstand als die erste Klage hat.
  2. Das Gericht des zweiten Prozesses ist nicht an die Feststellung des ersten Gerichts gebunden, K sei Erbe, da die Rechtskraft nur den Entscheidungssatz umfaßt, nicht aber die rechtlichen Zwischenergebnisse, auf denen dieser beruht.

Frage 2:

  1. § 256 Abs. 2 ZPO ermöglicht es dem Kläger, durch neben oder nach der Hauptklage erhobene Zwischenfeststellungsklage, dem Beklagten durch Zwischenfeststellungswiderklage, einen rechtskräftigen Ausspruch auch über alle für die Hauptsache vorgreiflichen Rechtsverhältnisse herbeizuführen. Mit dem Zwischenfeststellungsurteil erwächst dann auch das Bestehen bzw. Nichtbestehen eines für die Hauptklage vorgreiflichen Rechtsverhältnisses in Rechtskraft.
    Voraussetzung ist, daß

    1. ein Urteilsverfahren in einer Tatsacheninstanz zwischen den gleichen Parteien noch hinsichtlich des Anspruchsgrundes anhängig ist,
    2. zwischen den Parteien im Rahmen der Hauptklage ein Rechtsverhältnis streitig ist; der Streit lediglich über Vorfrage oder Elemente dieses Rechtsverhältnisses genügt auch hier nicht,
    3. das Bestehen oder Nichtbestehen muß die Entscheidung der Hauptsache vorgreiflich ist und
    4. das Urteil über die Hauptklage die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien nicht bereits erschöpfend regelt und
    5. die Prozeßart der Hauptklage eine Feststellungs(wider)klage und die Verbindung beider Klagen zuläßt.
  2. K kann daher schon im Erstprozeß (1) durch Zwischenfeststellungsklage auf Feststellung ihres Erbrechts bzw. H durch Zwischenfeststellungswiderklage auf Feststellung des Nichtbestehens des Erbrechts der K klagen und so daß das Gericht eines weiteren Prozesses zwischen den Parteien an ein diesbezügliches rechtskräftiges Feststellungsurteil binden.


Teil 2:
Gegenüber der Mietzinsklage des K beruft sich H auf ein Zurückbehaltungsrecht, weil er anstelle der K Schönheitsreparaturen in der Mietwohnung durchgeführt und bezahlt habe. Das Gericht gibt der Klage statt, weil nach dem Mietvertrag kein Ersatzanspruch des H bestehe. H klagt in einem weiteren Prozeß seinen Ersatzanspruch ein.

Ist die Klage des H zulässig?

Lösung

Die Klage könnte gem. § 322 Abs. 2 ZPO analog unzulässig sein.

Dann müßte § 322 Abs. 2 ZPO über seinen Wortlaut hinaus auch für Entscheidungen gelten, die das Bestehen eines ein Zurückbehaltungsrecht rechtfertigenden Anspruchs (2) verneinen.
Nach ganz h.M. regelt § 322 Abs. 2 ZPO eine Ausnahme von dem Grundsatz, daß Einwendungen; Einreden und Gegenrechte an der Rechtskraft nicht teilnehmen. Die Vorschrift ist daher nach ganz h.M. als Ausnahmenorm eng auszulegen, so daß eine analoge Anwendung auf andere Verrechnungsformen ausscheidet (3). Folglich entsteht keine Rechtskraftwirkung, wenn der Beklagte nur ein Zurückbehaltungsrecht geltend macht. Wird er dennoch uneingeschränkt verurteilt, so ist ihm seine Gegenforderung nicht aberkannt.

Die Klage des H auf Ersatz der Schönheitsreparaturkosten ist daher zulässig.


FN 1: bzw. in jedem weiteren Prozeß, es sei denn, die Zwischenfeststellungs(-wider-)klage ist anderweitig rechtshängig bzw über diese wurde bereits rechtskräftig entschieden (zurück).

FN 2: Unerheblich ist, daß das Gericht des Erstprozesses evtl. verkannte, daß die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts durch H unzulässig war, da er auch aufrechnen hätte können, vgl. dazu MünchKomm (BG)/Keller, § 273 Rdnr. 87 m.w.N. (zurück).

FN 3: Vgl. BGH NJW 1992, 317, 318; NJW-RR 1993, 386, 388 MünchKomm/Gottwald, § 322 Rdnr. 176 m.w.N.; a.A. Foerste, ZZP 108 (1995), 167 178 f, 191 (zurück).