Wolfgang Vogelsang, LL.M (London)
wissenschaftlicher Assistent
Lehrstuhl Prof. Dr. Stephan Lorenz 
 
 
Arbeitsgemeinschaft Zivilrecht IV

 ZPO-Erkenntnisverfahren

4. Arbeitsgemeinschaft

 Zulässigkeit der Klage III

 

Fall 3:          "Mitgefangen, mitgehangen?"

A, B und C sind Gesamtschuldner aus gemeinschaftlichem Delikt (§ 840 Abs. 1 BGB). Der Verletzte (V) erwirkt gegen A ein Urteil auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von DM 12.000. Nach erfolgloser Zwangsvollstreckung bei A beantragt V bei dem Gericht, das das Urteil gegen A erlassen hat, die Vollstreckungsklausel auf B und C umschreiben zu lassen.

Wie ist die Rechtslage? 
 
 

Lösung:

Fraglich ist, ob die Vollstreckungsklausel des Urteils gegen A auf B und C umgeschrieben werden kann. Das kommt nur dann in Betracht, wenn sich die Rechtskraft des Urteils gegen A auch auf B und C erstreckt (vgl. §§ 727 ff ZPO).

Die Wirkung der materiellen Rechtskraft gem. § 322 Abs. 1 ZPO erstreckt sich grundsätzlich nur auf die Parteien des Rechtsstreits, in dem die Entscheidung ergangen ist, § 325 ZPO. Durch die materielle Rechtskraft wird verhindert, daß in einem neuen Prozeß über eine bereits rechtskräftig festgestellte Rechtsfolge verhandelt und entschieden wird. Diese Beschränkung ist sachgerecht, weil nur sie durch ihre Mitwirkung am Prozeß die Möglichkeit erhalten haben, auf den Inhalt des Urteils Einfluß zu nehmen. 
Dieser Grundsatz wird nur in zwei Fallkonstellationen durchbrochen (1)

  1. Das Gesetz erstreckt die Rechtskraft auch auf Dritte. In diesem Sinne bestimmt § 325 Abs. 1 ZPO, daß die Rechtskraft auch die Rechtsnachfolger der Parteien erfaßt. Weitere Regelungen enthalten §§ 326, 327 ZPO sowie Sondervorschriften in der ZPO (2) sowie in anderen Gesetzen (3)
  2. Die Rechtskrafterstreckung auf Dritte ist aufgrund materiell-rechtlicher Abhängigkeit notwendig. In zahlreichen Fällen hängen Ansprüche gegen mehrere Personen inhaltlich voneinander ab. Die Art dieser Abhängigkeit ist materiell-rechtlich unterschiedlich gestaltet. Gemeinsam ist diesen Fällen, daß sie nur dann reibungslos abgewickelt werden können, wenn die voneinander abhängigen Ansprüche im gleichen Sinne behandelt werden. Daher kann sich, auch wenn das Gesetz nicht ausdrücklich die Bindung Dritter an die Rechtskraft eines Urteils anordnet, doch aus der gesetzlichen Regelung die Notwendigkeit ergeben, der gerichtlichen Entscheidung Verbindlichkeit auch gegenüber Dritten zuzuerkennen (4)
Im Falle der Gesamtschuldnerschaft liegt einer der Ausnahmefälle, in denen das Gesetz die Rechtskraft auf Dritte erstreckt, nicht vor. Denn nach § 425 Abs. 2 BGB wirkt ein gegen einen Gesamtschuldner erstrittenes Urteil nicht auch zu Lasten eines anderen Gesamtschuldners (5). Die Rechtskraft des von V gegen A erstrittenen Urteils wirkt daher nur zwischen den Parteien. Entsprechend kommt auch eine Umschreibung der Vollstreckungsklausel (§ 727 ZPO) nicht in Betracht.


FN 1: Vgl. statt aller MünchKomm/Gottwald, § 325 Rdnr. 48 ff. (zurück).

FN 2: §3 636a, 638 S. 2, 640h, 641k (Statussachen) (zurück).

FN 3: Z.B.: §§ 248, 249, 252 AktG; §375 Abs. 2 GmbHG; §§ 51 Abs. 5, 96, 111 GenG; § 3 Nr. 8 PflVG (zurück).

FN 4: Übersicht bei MünchKomm/Gottwald, § 325 Rdnr. 57 ff. (zurück).

FN 5: BGH NJW 1984, 126, 127 (zurück).