Wolfgang Vogelsang, LL.M (London)
wissenschaftlicher Assistent
Lehrstuhl Prof. Dr. Stephan Lorenz 
 
 
Arbeitsgemeinschaft Zivilrecht IV

 ZPO-Erkenntnisverfahren

4. Arbeitsgemeinschaft

 Zulässigkeit der Klage III

 

Fall 4:          "Ich lasse den Freund Dir als Bürgen, Ihn magst Du, entrinn' ich, erwürgen."

K klagt gegen B vor dem LG auf Zahlung von DM 100.000 aus Bürgschaft. Das LG lehnt eine erneute Beweisaufnahme mit der Begründung ab, es sei gem. § 322 Abs. 1 ZPO an das den Hauptschuldner (H) zur Zahlung von DM 150.000 verurteilende, inzwischen rechtskräftige Urteil gebunden und verurteilt den B antragsgemäß.

Hat eine Berufung Aussicht auf Erfolg? 
 
 

Lösung:

Eine Berufung hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.

  1. Die Berufung ist zulässig, wenn sie a) statthaft ist, b) bei der Einlegung und Begründung, Form und Frist gewahrt sind, c) eine Beschwer des Berufungsklägers vorliegt und d) die Beschwerdesumme erreicht wird.

  2. Gem. § 511 ZPO ist die Berufung gegen ein im ersten Rechtszug erlassenes Endurteil statthaft. Beschwer ist dasjenige, womit der Rechtsmittelführer in der Vorinstanz unterlegen ist. Die Beschwer ergibt sich aus dem rechtskraftfähigen Inhalt des angefochtenen Urteils. Für den Kläger besteht sie in der Differenz zwischen dem in erster Instanz beantragten und dem ihm zuerkannten Betrag oder Wert (formelle Beschwer), für den Beklagten im Betrag oder Wert seiner Verurteilung (materielle Beschwer). K ist daher beschwert. Die Beschwerdesumme des § 511a (DM 1.500) ist erreicht. Form (§§ 518, 519 ZPO) und Frist (§ 516 ZPO: ein Monat ab Zustellung des erstinstanzlichen Urteils) der Berufung können noch gewahrt werden (1)
    Eine Berufung ist daher zulässig.
  3. Die Berufung ist begründet, wenn das angefochtene Urteil unrichtig ist. Das ist der Fall, wenn die Klage unzulässig bzw. unbegründet ist.
    1. Die Klage gegen B ist nicht aufgrund des gegen H ergangenen Urteils unzulässig, da beide Klagen aufgrund der Verschiedenheit der Parteien unterschiedliche Streitgegenstände haben.
    2. Fraglich ist, ob die Klage begründet ist. Das ist der Fall, wenn das Gericht der Bürgschaftsklage an das Urteil gegen den Hauptschuldner gebunden ist. Die wiederum ist dann der Fall, wenn sich die Rechtskraft eines zu Ungunsten des H ergangenen Urteils auch auf B erstreckt.

    3. Nach allgemeiner Ansicht wirkt ein Urteil zu Ungunsten des Hauptschuldners jedoch nicht auch gegen den Bürgen. Aus § 768 Abs. 2 BGB ergibt sich, daß der Hauptschuldner die Stellung des akzessorisch haftenden Bürgen nicht nachträglich verschlechtern kann. Die Rechtskraft eines Urteils gegen den Hauptschuldner wirkt daher nicht gegen den Bürgen (2)
      Das LG sah sich daher zu Unrecht durch das Urteil gegen den Hauptschuldner präkludiert. 

      Die Klage ist daher unbegründet, wenn die neuerliche Beweisaufnahme ergibt, daß die Hauptforderung nicht oder nicht mehr besteht bzw. undurchsetzbar ist. 
      Hierüber kann das Berufungsgericht selbst entscheiden oder aber gem. § 539 ZPO unter Aufhebung des Urteils die Sache an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückverweisen, da die fehlerhafte Anwendung von Präklusionsrecht grundsätzlich auch das Versagen rechtlichen Gehörs impliziert, d.h. einen wesentlichen Verfahrensfehler darstellt. Im allgemeinen ist eine Zurückverweisung geboten, wenn aufgrund des Verfahrensfehlers Angriffs- und Verteidigungsmittel unberücksichtigt geblieben sind. Das ist hier der Fall.

  4. Ergebnis:

  5. Die Berufung ist begründet, da das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil gem. § 539 ZPO aufheben und die Sache an das LG zurückverweisen wird.
Abwandlung

Wie ist die Rechtslage, wenn das LG die von K beantragte Beweisaufnahme auf Grund eines die Klage des K gegen den Hauptschuldner abweisenden Urteils ablehnt und deshalb die Klage gegen B abweist?

In diesem Fall hat die Berufung keine Aussicht auf Erfolg. Die zulässige Berufung ist unbegründet, da aufgrund § 768 Abs. 1 BGB eine klagabweisende Entscheidung im Verfahren des Gläubigers gegen den Hauptschuldner auch Rechtskraft für den Bürgen erwirkt (3)


FN 1: Vgl.Zöller/Gummer, vor § 511 ZPO Rdnr. 4 bis 7 (zurück).

FN 2: BGH NJW 1980, 1461 und MünchKomm/Gottwald. § 325 Rdnr. 59 m.w.N. (zurück).

FN 3: BGH NJW 191970, 279 (zurück).