Wolfgang Vogelsang, LL.M (London)
wissenschaftlicher Assistent
Lehrstuhl Prof. Dr. Stephan Lorenz 
 

Arbeitsgemeinschaft Zivilrecht IV

 ZPO-Erkenntnisverfahren

4. Arbeitsgemeinschaft

 Zulässigkeit der Klage III


Fall 6:         "Don't play it again, Sam!"

(vgl. BGHZ 52, 150)

B verkauft an M ein Grundstück und bewilligt eine Auflassungsvormerkung. M verkauft anschließend das Grundstück an K und tritt ihm den Auflassungsanspruch ab. Da B den Vertrag mit M für unwirksam hält, verklagt er nach der Abtretung M auf Einwilligung zur Löschung der Vormerkung. Die Klage wird rechtskräftig abgewiesen. Nunmehr klagt K gegen B auf Auflassung.

Muß das Gericht die Wirksamkeit des Kaufvertrags zwischen A und B erneut prüfen? 
 
 

Lösung:

  1. Das Gericht darf die Wirksamkeit des Kaufvertrags nicht mehr prüfen, wenn das im Verhältnis B-M ergangene rechtskräftige Urteil auch im Verhältnis B-K Rechtskraft bewirkt. 
    1. Grundsätzlich wirkt ein rechtskräftiges Urteil nur im Verhältnis der Parteien, zwischen denen der betreffende Rechtsstreit geführt wurde (§ 322 ZPO).
    2. Von diesem Grundsatz macht das Gesetz allerdings Ausnahmen, indem es die Rechtskraft auch auf Dritte erstreckt. 
      1. Ein derartiger Ausnahmefall könnte hier zunächst aufgrund der Vorschrift des § 325 Abs. 1 ZPO in Betracht kommen. Hiernach wirkt das rechtskräftige Urteil zugleich für und gegen die Personen, die nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit Rechtsnachfolger der Parteien geworden sind. Das ist jedoch nicht der Fall, vgl BGHZ 52, 150, 151:

      2.  

         

        Zwar hat M. an den Kläger unter anderem seinen angeblichen Anspruch auf Auflassung des Grundstücks abgetreten; es bestehen auch keine Bedenken gegen die Zulässigkeit solcher Abtretungen (RGZ 53,268,270; III, 298,300 f). Für eine Anwendung des § 325 Abs. 1 ZPO fehlt es aber [...] an dem weiteren [52,152] Tatbestandsmerkmal, daß die Abtretung n a c h Eintritt der Rechtshängigkeit stattgefunden haben muß. Der notarielle Kaufvertrag zwischen M. und dem Kläger, in dessen Rahmen der Auflassungsanspruch abgetreten wurde, datiert bereits vom 19. April 1960, während der Rechtsstreit zwischen dem jetzigen Beklagten und M. erst mit der Klagezustellung am 24. Juni 1960 seinen Anfang nahm (§ 253 Abs. 1, § 263 Abs. 1 ZPO). Die Abtretung, mit der die Rechtsnachfolge bewirkt wurde, lag also zeitlich v o r der Rechtshängigkeit des Vorprozesses. Das bedeutet, daß dieser Prozeß von dem Rechtsvorgänger des jetzigen Klägers, soweit es sich um den Auflassungsanspruch handelt, als von einer zur Sache nicht (mehr) legitimierten Partei geführt wurde. In einem solchen Fall beeinflußt die Prozeßführung den verfahrensrechtlichen Stand des wahren Rechtsinhabers weder im günstigen noch im nachteiligen Sinne (Stein/Jonas/Schönke, ZPO 18. Aufl. § 325 Anm. II 3).

      3. Zu prüfen bleibt, ob sich eine Rechtskrafterstreckung aus der Vorschrift des § 407 Abs. 2 BGB ergibt. Sie betrifft den Fall, daß zwischen dem Schuldner einer abgetretenen Forderung (hier: B) und dem bisherigen Gläubiger (hier: M.) nach der Abtretung ein Rechtsstreit anhängig geworden und darin ein rechtskräftiges Urteil über die Forderung ergangen ist; dieses Urteil muß der neue Gläubiger (hier: Kläger) gegen sich gelten lassen. Es handelt sich also um eine Erweiterung des § 325 Abs. 1 ZPO. Die (analoge) Anwendung der Vorschrift auch zu Lasten des Schuldners (hier: B) hat der BGH in BGHZ 52, 150, 152 f überzeugend verneint:

      4.  

         

        Der Umstand, daß der jetzige Beklagte im Vorprozeß die Rolle der Klagepartei innehatte, würde einer Anwendung des § 407 Abs. 2 BGB auf den hier zur Entscheidung stehenden Sachverhalt nicht entgegenstehen (BGHZ 35,165,170; BGB-RGRK 11. Aufl. § 407 Anm. 5 Abs. 2; Stein/Jonas/Schönke aaO § 325 Anm. II 3). Seine Anwendbarkeit entfällt jedoch aus einem anderen Grunde. § 407 Abs. 2 BGB führt nämlich als eine dem Schuldnerschutz dienende Vorschrift - anders als § 325 ZPO - zu einer Rechtskrafterstreckung nur gegen [52,153 21] den Zessionar und nicht auch zu seinen Gunsten (RG Gruchot 55,383,386; RGRK aaO § 407 Anm. 5; Enneccerus/Lehmann, Lehrbuch des Schuldrechts 15. Bearb. § 80 I 2; Erman/Westermann, BGB 4. Aufl. § 407 Anm. 4; Stein/Jonas/Schönke aaO § 325 Anm. II 3; Baumbach/Lauterbach, ZPO 29. Aufl. § 325 Anm. 2 A b am Ende; Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts 9. Aufl. § 151 II 2; - anderer Meinung Oertmann, BGB 5. Aufl. § 407 Anm. 2 d; Hellwig, Wesen und subjektive Begrenzung der Rechtskraft § 57 II 2, S. 404; Wieczorek, ZPO § 325 Anm. C III a 1; - offen gelassen bei Planck/Siber, BGB 4. Aufl. § 407 Anm. 2). Der Kläger als Zessionar kann sich daher nicht auf die genannte Vorschrift berufen.

        a) Dies ergibt sich einmal aus dem klaren Gesetzeswortlaut ("so muß der neue Gläubiger das Urteil gegen sich gelten lassen ..."). Es handelt sich also um eine dem Schuldner nachgelassene Einwendung (RG SeuffArch 75,166 f). Die Auslegung, daß auch er das Urteil gegen sich gelten lassen müsse, steht im Widerspruch zum Gesetz. Gegen eine ausdehnende analoge Anwendung des § 407 Abs. 2 BGB spricht der Ausnahmecharakter der Bestimmung.

        b) Eine Erstreckung der Rechtskraft zugunsten des Zessionars verstieße gegen den Zweck der Vorschrift. § 407 BGB enthält das Kernstück der dem Schutz des gutgläubigen Schuldners dienenden Vorschriften der §§ 407 ff BGB (Staudinger/Werner, BGB 9. Aufl. § 407 Vorbem. vor Anm. I; BGHZ 11,298,301). Dieser Schutz wird gewährt, weil sich der Gläubigerwechsel nach § 398 Satz 2 BGB ohne das Erfordernis einer Anzeige an den Schuldner vollzieht.
        Nach der Rechtsprechung zu § 407 Abs. 1 BGB bezweckt das Gesetz nur, den Schuldner gegen die Nachteile zu schützen, die für ihn aus der Unwirksamkeit von seine Lage verbessernden Rechtsgeschäften mit dem alten Gläubiger erwachsen könnten. Daher besteht für § 407 BGB kein Raum in Ansehung von solchen nach der Abtretung vorgenommenen Rechtsgeschäften zwischen dem alten Gläubiger und dem Schuldner, welche die Lage des Schuldners verschlechtern würden (Staudinger/Werner aaO § 407 Anm. I 2; RGRK aaO § 407 Anm. 1 [52,154] und 2; Soergel/Siebert/Schmidt, BGB 10. Aufl. § 407 Anm. 2; RGZ 125, 408, 409 u. a.). Weil § 407 BGB den Schuldner schützen und nicht schädigen will, kann sich der Zessionar auf dem Schuldner nachteilige Rechtsakte nicht berufen (Erman/ Westermann aaO § 407 Anm. 1). Der ausschließlich auf den Schuldnerschutz abzielende Zweck dieser Vorschrift zeigt sich auch darin, daß es dem Willen des Schuldners überlassen bleibt, ob er von dem ihm gewährten Schutz Gebrauch machen oder auf ihn verzichten will, wenn ihm letzteres günstiger erscheint (herrschende Lehre; BGH Urt. v. 27. Januar 1955 - II ZR 306/53-, LM BGB § 407 Nr. 3; RGZ 83,184,188; Staudinger/ Werner aaO § 407 Anm. III).
        Etwas anderes kann für § 407 Abs. 2 BGB, der demselben Zweck dient, nicht gelten. Es muß auch hier dem Schuldner überlassen bleiben, ob er sich auf eine zwischen ihm und dem Zedenten ergangene rechtskräftige Entscheidung berufen oder auf den Schutz des Gesetzes verzichten will. Im letzteren Fall ist die Rechtslage die gleiche, wie wenn § 407 Abs. 2 BGB nicht existierte, d. h. die Grenzen der Rechtskraft werden durch § 325 Abs. 1 ZPO bestimmt. Die gegenteilige Ansicht von Hellwig (aaO) überzeugt nicht. Er stützt seine Auffassung, daß das dem Zedenten günstige Urteil auch zugunsten des Zessionars wirke, nicht auf § 407 Abs. 2 BGB, sondern möchte dies aus »allgemeinen Grundsätzen« (insbesondere § 185 Abs. 2 BGB) schließen; derartige Grundsätze sind indes nicht geeignet, den Anwendungsbereich begrenzter Ausnahmevorschriften, wie sie § 325 ZPO und § 407 Abs. 2 BGB darstellen, auszudehenen.
        Auf die Frage, ob der Beklagte bei Eintritt der Rechtshängigkeit des Vorprozesses Kenntnis von der Abtretung hatte (§ 407 Abs. 2 Halbsatz 2 BGB), kommt es bei dieser Sachlage nicht an.

  2. Kommt mithin dem im Vorprozeß zwischen B und M ergangenen Urteil keine Rechtskraftwirkung gegenüber K und B zu, muß vom Gericht des jetzigen Rechtsstreits geprüft werden, ob K ein Anspruch auf Übereignung des Grundstücks zusteht.